Tagebuch

Hanks Tagebuch

Impressionen, Begegnungen, Reflexionen: Was mir so alles passiert und auffällt.

Aktuelle Einträge

  • 10. November 2021
    Miteinander – Füreinander

    Auf der Kanzel hört sich alles anders an Foto pixabay

    Warum ist die Sprache der Kirchenbeamten immer so verquast? Ich vermute, es hat mit Selbstghettoisierung zu tun – eine Reaktion auf den ständien Mitgliederschwund.
    Aus Anlass der heutigen Wahl einer neuen EKD-Vorsitzenden habe ich mich darüber im Chrismon-Podcast mit Ursula Ott unterhalten.

    Rainer Hank

  • 24. September 2021
    Sag, wie hältst Du es mit dem Kapitalismus?

    Frankfurt: Hochburg des Kapitalismus Foto Leonhard Niederwimmer/pixabay

    Am 21. September habe ich mit dem Max-Planck-Forscher Wolfgang Streeck in Freiburg über das Thema »Zwischen Globalismus und Demokratie« diskutiert. Rund 400 Teilnehmer haben die spannende Veranstaltung online und in Präsenz verfolgt. Hier kann man sich die Aufzeichung ansehen.

    Hyperglobalisierung oder Kleinstaaterei

    Grundlage für die Debatte ist Streecks neues Buch, das der Suhrkamp Verlag so bewirbt: In der Hochphase des Neoliberalismus galt die Globalisierung als unvermeidlich und die umverteilende Demokratie als überholt. Wachsender Wohlstand für alle war das Versprechen, wachsende Unfähigkeit, die kapitalistische Ungleichheitsmaschine zu bändigen, ist das Ergebnis. Taumelnde Volksparteien, schrumpfende Gewerkschaften und grassierende Zweifel an der Leistungsfähigkeit demokratischer Institutionen sind die eine Folge dieser Entwicklung. Die andere sind Bewegungen wie die »Gelbwesten« sowie neue Parteien an den Rändern des politischen Spektrums. Längst hat in vielen Ländern ein Tauziehen um die politische Ordnung begonnen, das die Gesellschaften zu zerreißen droht.

    Angesichts dieser Situation, deren Ursachen im Zuge der Corona-Pandemie noch schärfer hervortreten, ist die Zeit reif für eine grundlegende Entscheidung, sagt Wolfgang Streeck in seinem fulminanten neuen Buch. Soll es mit dem Umbau des Staatensystems weitergehen wie gehabt, das heißt in Richtung einer noch stärkeren überstaatlichen Zentralisierung? Oder wäre der Weg in eine moderne, auf friedliche Kooperation ausgerichtete »Kleinstaaterei« die bessere Lösung? Mit dem Ziel einer Neubegründung demokratischer Politik vor Augen fällt sein Votum eindeutig aus: für den zweiten Weg, auch und gerade in Europa.

    Rainer Hank

  • 17. September 2021
    Singapur macht sich locker

    Marina Bay Sands Foto Rainer Hak

    Von der Pandemie zur neuen Normalität: Besichtigung einer Pioniertat

    Singapur öffnet. Seit vergangenem Mittwoch ist eine Einreise in die Millionenmetropole Südostasiens für vollständig Geimpfte wieder möglich. Ohne wochenlange Quarantäne und nach gut eineinhalb Jahren Grenzschließung. Die Befreiung von der Quarantänepflicht gilt für ausgewählte Flüge, die zunächst ausschließlich von Singapore Airlines angeboten wurden – von kommendem Donnerstag an dann zusammen mit der deutschen Lufthansa. Und zwar täglich entweder von Frankfurt oder von München.
    Deutschland ist das erste Land, für das Singapur die Corona-Beschränkungen lockert. Die Öffnung könnte Signalwirkung für andere Staaten in der Region haben. Traditionell schaut Ostasien – ganz im Geheimen sogar das große China -, was Singapur macht.

    Singapur glitzert. Wie auf den Instagram-Fotos oder im Hollywood-Film »Crazy Rich«. Und wirkt zugleich gespenstisch. Changi, von Kennern gepriesen als schönster Flughafen der Welt, ist eine riesige leere Halle, die ob der vielen emsigen PCR-Testerinnen eher an ein Hospital in Krisenzeiten als an eine internationale Drehscheibe im Luftverkehr erinnert. »Gardens by the Bay«, der von den Touristen geliebte gigantische botanische Garten ist am frühen Morgen eines Wochentages fast menschenfrei. Und »Marina Bay Sands«, überragendes Wahrzeichen von Singapurs Beeindruckungsarchitektur mit 2500 Zimmern, Malls, einem Casino und einem Kongresszentrum stand immer wieder leer in den vergangenen Monaten. Jetzt füllt es sich, freilich nur langsam, was den positiven Nebeneffekt hat, dass die Gäste im Infinity-Pool auf dem Dachgarten des 57. Stocks auch schwimmen können, was in normalen Zeiten die Selfies produzierenden Girlies aus aller Welt zu verhindern wussten.

    Den Paukenschlag Singapurs versteht man erst richtig, sieht man sich in der Welt um: In den USA gilt unverändert ein Einreiseverbot für Ausländer. Wann sich das ändert, steht in den Sternen. Ein Wiederanlaufen des China-Verkehrs ohne größere Beschränkungen erwartet die Lufthansa erst für 2022. Die gesamte Region Asien-Pazifik ist bis heute ein Club geschlossener Nationen. Das alles hat nicht nur den Luftfahrtgesellschaften über Monate das Geschäft verhagelt, sondern auch die globale Bewegungsfreiheit der Menschen empfindlich eingeschränkt, privat wie geschäftlich.

    Papierkrieg, Schweißausbrüche, Bürokratie

    Zur Normalität ist noch ein weiter Weg. Singapur schreibt einen negativen PCR-Test am deutschen Flughafen und einen weiteren PCR-Test nach Ankunft am Flughafen Changi vor. Bis das Ergebnis vorliegt, muss man sich in seinem Hotel aufhalten – ohne Kontakte, was uns sechs Stunden Wartezeit gekostet hat. Ziemlich viel Papierkrieg, Schweißausbrüche und Bürokratie kommen dazu. Alles wird von Singapur äußerst pingelig und effizient durchgezogen. Offenbar sollen die immer noch harten Einreiseregeln innenpolitisch beruhigende Wirkung zeigen für Bürger, denen eineinhalb Jahre eingeschärft wurde, der beste Schutz vor Corona sei die rigorose Grenzschließung. Freiheit hatte ich mir anders vorgestellt. Freiheit ist offensichtlich relativ.

    Die Reisenden müssen mit ihren Impfnachweisen den sogenannten Vaccinated Travel Pass Singapurs hochladen, eine Corona-App, die überzeugender daherkommt als die deutsche, deren Installation abermals Geduld erfordert. Zurück ist es einfacher: Singapur gilt derzeit nicht als Risikogebiet; eine Quarantäne bei Einreise nach Deutschland ist nicht erforderlich.

    Singapur hat die Corona-Zeit nicht ohne Verwundungen überlebt. Zwar wurden, vergleichbar anderen Ländern Asiens, im Frühjahr 2020 rasch die Grenzen dicht gemacht. Doch dann hatte sich das Virus in die Schlafräume der vorwiegend aus Indien und Pakistan stammenden 20 000 Gastarbeiter eingeschlichen, auf die Singapur angewiesen ist. Damit war Covid 19 im Land und taucht seither immer wieder mal irgendwo auf, zuletzt in diesem Sommer in Karaokebars. Ein Lockdown, den man vermeiden wollte, war zeitweise unausweichlich – verbunden mit der Androhung harter (Gefängnis)Strafen. »Xavier«, eine Art elektronischer Roboter-Blockwart, fährt durch die Stadt und passt auf, ob alle Bestimmungen eingehalten werden. Für Aufsehen sorgte eine Gruppe von vier britischen Expats, die sich, was verboten war, draußen zu einem Feierabendbier getroffen hatten – und zur Strafe auf der Stelle des Landes verwiesen wurden. Töne von Nationalismus, Protektionismus, gar Fremdenfeindlichkeit, seien plötzlich zu hören gewesen, in einer Stadt, die traditionell auf ihre Offenheit und Liberalität stolz ist, berichtet Nicolas Wiegand, der in Singapur für eine internationale Anwaltskanzlei arbeitet. Doch auch Singapur ist – ähnlich wie Australien – am Ende mit seinem Isolationismus gescheitert.

    Im Katastrophenjahr 2020 brach das Wachstum Singapurs nach OECD-Berechnungen um 5,5 ein. Das war die schwerste Krise seit der Finanzkrise. Lediglich Indien hat Corona noch schlimmer getroffen, während China oder und ganz besonders Vietnam trotz Pandemie auch 2020 positive Wachstumszahlen vorweisen kann. Ein solider fiskalischer Spielraum konnte die negativen Wirkungen abmildern. Üppige Konjunkturprogramme und unserem Kurzarbeitergeld vergleichbare staatliche Lohnsubventionen verhinderten Insolvenzen und Arbeitslosigkeit.

    Paternalistisch oder autoritär?

    Insgesamt kann sich die Corona-Bilanz des Stadtstaates sehen lassen. Ganz dem paternalistisch-autoritären Selbstverständnis entsprechend hat man die Bürger mit erfolgreichen Werbekampagnen davon überzeugt, sich impfen zu lassen. Stand Anfang September 2021 sind 81 Prozent der rund 6,5 Millionen Bürger doppelt geschützt. Man muss lange suchen, um Vergleichbares zu finden: Die USA liegen bei 30 Prozent. Deutschland bei gut 60 Prozent. Die asiatischen Staaten hinken hinterher. »Lediglich« 55 Menschen sind in Singapur seit Anfang 2020 an oder mit Covid gestorben. Im selben Zeitraum starben dort 800 Erkrankte an einer schweren Grippe.
    Der Impferfolg und die milde Fatalitätsrate sind die entscheidende Voraussetzung für den Schwenk, das Land zu öffnen. Von der Pandemie zur Endemie, heißt das Motto. Fortan gilt Covid 19 offiziell als eine »ganz normale« Krankheit ähnlich einer Influenza-Grippe, mit der man leben müsse. Ong Ye Kung, der Gesundheitsminister, sagte laut der Nachrichtenagentur Reuters, man nehme in Kauf, dass die Todesfälle nach der Öffnung zunehmen würden: vor allem im Kreis jener Älteren, die trotz vieler Angebote sich einer Impfung verweigert haben. Strenge Abstands- und Hygieneregeln gelten weiter. Maske tragen ist überall Pflicht. Nach 22 Uhr 30 gibt es keinen Alkohol mehr; sollte der Cocktail bis dahin nicht ausgetrunken sein, entzieht die Bedienung einem das Glas.

    Nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen ist das Land auf offene Grenzen angewiesen. Auf dem Freiheits-Index des »Heritage Foundation« liegt Singapur auf Platz Eins, vor Neuseeland und Australien, was im Coronajahr zu der paradoxen Situation führte, dass die freiesten Länder der Welt am rigorosesten dichtgemacht haben. Wer – wie ich – mit dem Land nicht vertraut ist, kommt aus dem Staunen nicht heraus: Der individuelle Spitzensteuersatz liegt bei 22 Prozent des Einkommens. In Deutschland sind es 47 Prozent. Gerade einmal 14 Prozent des Bruttosozialprodukts werden von der Regierung ausgegeben; in Deutschland liegt die Staatsquote bei 45 Prozent. Der Reichtum der Menschen gemessen am Bruttosozialprodukt pro Kopf liegt mit gut 65 000 US-Dollar eineinhalb Mal höher als hierzulande. Hinzu kommen viele weiche Faktoren: Die Luft ist sauber, Kriminalität ist niedrig, nahezu jedermann spricht englisch, die Politik ist verlässlich, das Internet gilt als das schnellste der Welt.

    Wie autoritär das Land ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wer wohlwollend ist, sprich von Paternalismus – Politik hat sich um die Bürger zu kümmern. Wer kritisch ist, sieht diktatorische Elemente. Jeevan Vasagar, langjähriger Singapur-Korrespondent der »Financial Times« übernimmt in seinem gerade erschienenen, lehrreichen Buch »Lion City. Singapur und die Erfindung des modernen Asiens« die These vom »Autoritarismus mit Gucci-Handtaschen«. Das materialistische Ziel der Menschen heißt: Karriere, Kreditkarte, Auto, Eigentumswohnung und Mitgliedschaft in einem Country-Club (auf Englisch kommen »Fünf C« zusammen). Alles ist hier »convenient«: praktisch, bequem, zweckmäßig. Für uns postmaterialistische Westler klingt das immer auch ein bisschen langweilig. Ob man hier länger Urlaub machen wollte? Glücklich macht der Wohlstand jedenfalls nicht: Auf dem Happiness-Index der Zufriedenheit rangiert das Land mit der höchsten Milliardärsdichte unter ferner liefen.

    Wie werden wir künftig reisen?

    Fliegen nach Corona wird dauerhaft anders sein als vor Corona. Das macht die heutige Situation vergleichbar mit jener von 9/11 vor zwanzig Jahren. Damals mussten wir uns an verstärkte Sicherheitskontrollen an den Flughäfen gewöhnen. Jetzt werden wir uns womöglich dauerhaft an strikte Pandemie-Auflagen halten müssen. Doch Singapur bleibt die entscheidende Drehscheibe – neudeutsch sagt man »Hub« – in Asien. Viele internationale Konzerne haben ihre asiatischen Mitarbeiter in Singapur stationiert; diese Expats konnten das Land in den vergangenen sechzehn Monaten nicht verlassen.

    Was wenig bekannt ist: Singapur profitiert vom »Brain Drain« aus Hongkong, gut ausgebildete und gut verdienend Business-Eliten, denen es in Hongkong zu unsicher wurde. Man kommentiert das regierungsamtlich nicht, hat sogar Sympathien mit dem »harten Durchgreifen« der Chinesen, und offeriert zugleich den Flüchtenden, sofern sie wohlhabend sind, finanzielle Anreize.

    Wie es mit der globalen Mobilität weitergeht, weiß niemand. Zu prognostizieren, dass sich das Geschäft weiter abdämpfen wird, ist wenig riskant: Neue Terrorangst (Afghanistan) und die Endemie als riskanter Dauerzustand zeigen Bremswirkungen. Fernreisen sind bekanntlich klimaschädlich. Hinzu kommt: In der Pandemie haben wir gelernt, dass selbst bei radikalem Verzicht auf Dienstreisen die Wirtschaft nicht zusammenbricht, die Unternehmen aber Kosten und die Angestellten Zeit sparen.
    Singapur war immer schon Weltmeister in kreativer Anpassung. Das Kongresszentrum hat Millionen investiert, um die riesigen Tagungsräume in Video-Studios umzuwandeln, die allen holographischen Schnickschnack bieten. Und Marina Bay Sands, das ikonische Hotel, baut schon an einem vierten Turm – ausschließlich mit Suiten. Das »New Normal« im Land des Reichtums und der Freiheit wird sich womöglich vom »Old Normal« doch nicht so arg unterscheiden.

    Der Bericht über meine Reise nach Singapur ist am 12. September 2021 im Reiseteil der FAS erschienen.

    Rainer Hank

  • 12. August 2020
    Corona-Normalität?

    Masken-Kompromiss Foto Kilian/unsplash

    Die Lernkurve bei Corona ist nach wie vor hoch: Im Frühjahr dachten wir, hohe Infektionszahlen bedeuten automatisch einen radikalen Shutdown. Jetzt wissen wir: Es geht auch mit den AHA-Regeln. Sie müssen nur eingehalten werden. So langsame finden sich effizientere Arragments, die die Gesundheit schützen ohne das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben zum Erliegen zu bringen.

    Aber die soziale Unruhe im Land bleibt: In Berlin demonstrieren viele so genannte Corona-Skeptiker gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Gleichzeitig steigen auch in Deutschland die Infektionszahlen wieder stärker an. Bei vielen wächst daher die Sorge vor einer zweiten Welle. In mehreren Bundesländern kehren Schülerinnen und Schüler nach den Ferien in die Klassen zurück. Kann es wieder normalen Unterricht geben? Werden die Schulen zu neuen Corona-Hotspots? NRW will jetzt eine Maskenpflicht sogar für den Unterricht. Können Elfjährige das schaffen? Oder führt das nur zu neuen Konflikten? Und könnte Deutschland einen zweiten Lockdown verkraften?

    Darüber habe ich am 5. August in Köln in der Sendung »Maischberger. Die Woche« diskutiert. Man kann sich die Sendung in der Mediathek ansehen.

    Rainer Hank

  • 20. Juni 2020
    Zu viel oder zu wenig Wumms?

    Der Erfinder des Wumms: Finanzminister Olaf Scholz Foto: Bundesministerium der Finanzen

    Meine Debatte mit Ulrike Herrmann

    Wir sind jetzt alle Keynesianer. 130 Milliarden Euro gegen die Rezession. Das ist noch lang nicht alles: Ingesamt stabilisiert Deutschland seine Wirtschaft in der Krise mit 1,5 Billionen Euro an Krediten, Soforthilfen, Kurzarbeitergeld etc. Niemand in Europa mobilisiert mehr Finanzmittel. Und niemand meckert. Aber was ist mit den Risiken und Nebenwirkungen. Schaut denn niemand auf den Beipackzetttel?

    Darüber habe ich in der vergangenen Woche mit der Taz-Kollegin Ulrike Herrmann und dem ARD-Korrekspondenten Alfred Schmit auf swr2 debattiert. Man kann es hier als podcast nachören

    Rainer Hank