Hanks Welt
Subjektive Reflexionen, freche Interventionen, persönliche Spekulationen: »Hanks Welt« wirft einen subjektiven Blick auf das Geschehen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Meine Kolumne erscheint Sonntag für Sonntag im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).
Aktuelle Einträge
15. November 2024Zwangsarbeit
05. November 2024Totaler Irrsinn
18. Oktober 2024Arme Männer
14. Oktober 2024Christlicher Patriotismus
08. Oktober 2024Im Paradies der Damen
28. September 2024Von der Freiheit träumen
28. September 2024Reagan hätte nie für Trump gestimmt
10. September 2024Das Ende der Ampel
27. August 2024Streit ist das Wesen der Demokratie
27. August 2024Lauter Vizepräsidentinnen
19. März 2024
Lob des StreitsZu viel Harmonie in der Ampel ist schädlich
Die Ampelregierung ist in keiner guten Verfassung. Dem will ich nicht widersprechen. Widersprechen will ich der gängigen Einschätzung, das liege daran, dass die Koalitionäre ständig streiten. Ohne Streit, finde ich, wäre alles schlimmer. Das beweist die sogenannte Rentenreform, die in dieser Woche von der Ampel präsentiert wurde. Doch dazu später.
Viele meinen, eine Koalitionsregierung gleiche einem Sandkasten, wo Kinder spielen und sich ihre Förmchen auf den Kopf hauen. Da ruft der kleine Robert: »Der Christian ist böse und ärgert mich.« Dann muss die Mutter (oder Vater Olaf) kommen, die Streithähne auseinanderbringen und mit strenger Miene anhalten, sich fürderhin gut zu vertragen. Bekanntlich geht das nur eine Weile gut, und schon kurz danach gibt es wieder Tränen. Vom Sandkastenmodell geprägt sind nicht nur viele Kommentatoren in den Medien. Auch die Bevölkerung straft streitende Parteien regelmäßig ab, was Umfragen belegen. Selbst die Regierungsakteure unterwerfen sich diesem Schema: »Die FDP nervt«, heißt es dann. Wahlweise kann Nerverei als ideologische Verbohrtheit oder Prinzipienreiterei der jeweils anderen Partei denunziert werden.
Streit ist schlecht, Harmonie ist gut. Wirklich? Eine Ampelkoalition ist eben kein Kindergarten, finde ich. Gerade deshalb muss nicht nur am Kabinettstisch, sondern öffentlich gestritten werden.
Das Kindergartenmodell verkennt die Logik politischer Koalitionen. Erst recht, wenn diese von Parteien gestellt werden, die auf konträren normativen Überzeugungen gründen und auch aus diesem Grund von ihren Anhängern gewählt werden. Die normative Landkarte sieht ungefähr so aus: Aus der SPD, die früher einmal für die Emanzipation der arbeitenden Klasse gekämpft hat, ist inzwischen eine Partei der Besitzstandswahrung und Sozialstaatsausweitung geworden – koste es, was es wolle: Mindestlohn, Bürgergeld, Kindergrundsicherung, Rentnerbeglückung. Intellektuell eher dürftig, finanziell dagegen üppig.
Skeptizismus vs Paternalismus
Den Grünen und Liberalen geht es um Prinzipielles. Daraus kann man natürlich den Schluss ziehen, dass sich Parteien mit allzu unterschiedlichen Positionen nicht zu einer Regierung paaren sollen. Dass die Programme zwischen Grünen und Liberalen keine gemeinsame Schnittmenge böten, war zum Beispiel eine Auffassung, die der ehemalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle regelmäßig vertreten hat und deshalb riet, die Hände von einer Ampel zu lassen. Christian Lindners Satz, es sei besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren, war von der Überzeugung gespeist, Jamaika werde scheitern, wenn sich Christdemokraten mit Grünen verbünden und die FDP über den Tisch ziehen..
Doch nun regiert eine Ampel im Wissen um die Unterschiede und mit der Erfahrung, dass diese Unterschiede durch Formelkompromisse (»Wir sind die Fortschrittskoalition«) nicht verschwinden. Auch die zynische Idee, dann eben die Anhänger aller regierenden Parteien zu alimentieren – für die einen gibt es den Tankrabatt (FDP), für die anderen das 9–Euro-Ticket (Grüne) und für die Dritten einen Zuschuss zu Hartz IV (SPD) – ist auf Dauer, weil zu teuer, keine Lösung. Dann bleibt nur der Streit. Und das ist gut so; denn Streit ist bekanntlich seit Heraklit der Vater aller Dinge und Quelle des Fortschritts.Machen wir es konkret an drei aktuellen wirtschaftspolitischen Streitfällen: der Schuldenbremse, dem Klimawandel und dem Lieferkettengesetz. Die normativen Grundlagen einer liberalen Partei gehen zurück auf »optimistischen Skeptizismus« der europäischen Aufklärer. Die waren nicht generell gegen Staatsschulden, wussten aber, dass die Praxis des Schuldenmachens noch von jeder Regierung missbraucht werde. Eine Schuldenbremse ist somit eine Art Selbstbindung gegen die Verführbarkeit, den starken Maxe zu markieren. Die normativen Grundlagen der Grünen möchte ich »avantgardistischen Paternalismus« nennen. Eine Regierung hat demnach in gewisser Hinsicht Vorbildfunktion für die Bürger, die sie zwar nicht zu ihrem Glück zwingen kann, denen sie aber den Weg zum Besseren weisen möchte. Schulden brauche es, um Investitionen in eine bessere Zukunft zu finanzieren. Nachfolgende Generationen würden sich über die ihnen überwälzte Schuldenlast nicht beschweren, sondern dankbar sein dafür, dass ihre Eltern ihnen eine bessere Welt hinterlassen haben.
Dieser Gegensatz begründet nicht nur unterschiedliche Haltungen zur Staatsverschuldung, sondern auch zum industriepolitischen Interventionismus etwa in der Klima- und Transformationspolitik. Die FDP findet die Annahme anmaßend, Politiker verfügten über privilegiertes Wissen, und setzen lieber auf Preisanreize durch den Markt. Grüne und SPD glauben, dass der Staat unternehmerisch tätig sein müsse, weil der Markt blind sei für soziale oder klimapolitische Ziele. Solch unterschiedliches Apriori führt dazu, dass die FDP auf Emissionshandel und den CO2–Preis setzt, während die Grünen gerne mit Geboten und Verboten (Heizungsgesetz) hantieren.
Harmonie kommt teuer
Avantgardistischer Paternalismus der Grünen und ein soziales Herz der SPP sind auch eine Motivation für das Lieferkettengesetz. Danach gebietet es die Moral, dass Unternehmen die sozialen und ökologischen Fertigungsbedingungen ihrer Waren bis an den Ursprung in den Textilfabriken Bangladeschs verantworten müssen. Aufklärerischer Skeptizismus dagegen ist getragen von Erfahrungswissen, wonach moralische Überforderung häufig unbeabsichtigte Konsequenzen hat: Wenn Unternehmen ihre Fertigung in Bangladesch einstellen, weil sie die Auflagen des Lieferkettengesetzes nicht erfüllen können, dann führt das womöglich zur Abschaffung von Kinderarbeit, aber zugleich zur Zunahme von Kinderarmut.
Man kann sagen, die normativen Überzeugungen innerhalb der Ampel sind so viele Meilen voneinander entfernt, dass dies nur zur Blockade führt. So sieht es immer wieder aus, wobei die FDP die Rolle des Dauerblockierers einnimmt, die Grünen als weltfremden Utopisten daherkommen und die SPP mal hü mal hott sagt. Alle Rollen kosten Stimmen, wie wir sehen.
Aber war wäre die Alternative? Das zeigt die sogenannte Rentenreform. Die SPD setzt eine systemsprengende »Reform« durch, welche die künftigen Beitragszahler schröpft und die berenteten Babyboomer finanziell privilegiert. Die FDP, die gerade noch ein Moratorium für die Sozialausgaben gefordert hat, schweigt. Die Grünen, die sich gerne als Anwälte der Jungen im Generationenvertrag geben, schweigen ebenfalls. Offenbar wollte man nicht schon wieder über Prinzipien streiten – und der SPD einen Gefallen tun.
Daraus folgt: Wenn die Ampel nicht streitet, dann lügen die Akteure sich und den Bürgern etwas in die Taschen. Vor allem wird es für die Bürger teuer. Mit Streit wäre das nicht passiert.Rainer Hank
05. März 2024
Tugend-TerrorDer Fall Veronika Grimm und die Compliance-Industrie
»Compliance« heißt das Zauberwort, das lange schon durch die Wirtschaft geistert. Seinen Durchbruch hatte der Begriff im Jahr 2006: Damals waren Milliardenbestechungen bei Siemens aufgeflogen. Mangelndes Unrechtsbewusstsein im Unternehmen – erst recht an dessen Spitze – führte dazu, dass seither die Befolgung von Regeln im Fokus der Aufmerksamkeit steht: dafür zu sorgen, dass keine Bestechungsgelder an Beamte autoritärer Regime gezahlt werden, obwohl das dort womöglich Usus, nach deutschem Recht aber eine Straftat ist.
Ursprünglich stammt das Wort Compliance aus der Medizin: Wenn der Arzt verschreibt, eine Pille täglich vor dem Abendessen einzunehmen, dann verhält sich derjenige regelkonform (»compliant«), der täglich vor dem Abendessen seine Pille auch einnimmt. Compliance dient somit der Durchsetzung einer Selbstverständlichkeit, die aber nicht selbstverständlich ist, weil der Mensch verführbar ist – zum Beispiel von Geldzahlungen.
Seit dem Fall Siemens haben die meisten größeren Unternehmen Compliance-Systeme eingerichtet. Bei Siemens selbst ist die Compliance-Abteilung auf mehrere hundert Mitarbeiter angewachsen. Die Deutsche Bank hat nach diversen kleineren und größeren Skandalen unter dem Schlagwort »Kulturwandel« die gesamte Belegschaft zu Compliance-Workshops verdonnert – allein aus Angst, dass vielleicht der Staatsanwalt am nächsten Morgen auf der Matte steht. Compliance ist ein »Verfahren zur Privatisierung staatlicher Aufgaben«, erklärt mir Regina Michalke, die Strafverteidigerin meines Vertrauens. Für nicht wenige internationale Großkanzleien und Wirtschaftsprüfer ist Compliance zu einem einträglichen Arbeitsbeschaffungsprogramm geworden.
Ein Aufsichtsratsmandat bei Siemens Energy
Inzwischen sieht es so aus, als ziehe das Compliance-Regime demnächst auch in den deutschen Sachverständigenrat (»Fünf Weise«) ein. Aus meiner Sicht ist das keine gute Nachricht. Anlass ist der Fall Veronika Grimm. Zur Erinnerung: Veronika Grimm, eine der »Weisen«, die die Regierung in Fragen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beraten, ist vergangene Woche in den Aufsichtsrat der Firma Siemens Energy gewählt worden. Die Ökonomieprofessorin, Fachfrau für Energiefragen, hat sich von der Bundesregierung, der sie ihren Job im Rat verdankt, vorab bestätigen lassen, dass ihr Aufsichtsratsmandat nicht anstößig sei. Auch Siemens Energy sieht kein Problem. Grimms Ratskollegen indes finden ihr neues Mandat gar nicht gut und versuchten Regierung, Siemens und die deutsche Öffentlichkeit gegen sie aufzuhetzen suchten: Es liege ein eklatanter Verstoß gegen Compliance vor, weil die Mitgliedschaft in beiden Gremien einen Interessenkonflikt nach sich ziehe. Der Verdacht, der Compliance-Vorwurf diene als moralisches Vehikel, eine politisch ungeliebte Kollegin zu mobben, liegt nahe, interessiert in meinem Zusammenhang aber nicht.
Halten wir fest: Veronika Grimm hat sich nach Ansicht der zuständigen Stellen »compliant« verhalten, legal und regelkonform; für den Sachverständigenrat gibt es sogar ein eigenes Gesetz, gegen das sie nicht verstößt. Das reicht den Kolleginnen im Rat aber nicht. Für ihren Aufstand nutzen sie einen klassischen Trick, wonach, was legal ist, noch lang nicht legitim sei. Legal ist, was im Gesetz steht. Legitim, ist, was sich gemäß Anstand und Sitte gehört, oder als moralisch geboten gilt. »Legitimität« ist wesentlich vager und deshalb zeitgeistanfälliger als die Rechtskonformität (»Legalität«), die man im Gesetz nachlesen kann.
Dreimal dürfen Sie raten, wie es weitergeht. Die »Vier Weisen« werden sich, ermuntert vom Wirtschaftsminister und beraten von den besten Anwälten, ein eigenes Compliance-Regime geben, das Vorschriften weit über das Gesetz hinaus macht. Also zum Beispiel so: Keine Aufsichtsratsmandate, keine Vorstandsposten ohnehin, auch sonst keine Berührung mit der realen Welt der Wirtschaft. Transparenz aller von den Jahresgutachten generierten Vorträge nebst Honorarangabe (womöglich mit Obergrenze). Und natürlich äußerste Vorsicht beim Kontakt mit Journalisten.
Da sieht man, wohin der Compliance-Taumel führt: Professoren im gut möblierten Elfenbeinturm soll es verwehrt sein, sich ein Erfahrungswissen anzueignen, das ihnen neben der Kenntnis von Zahlen und Figuren samt randomisiertem Laborwissen etwas über die »praktische« Seite der Wirtschaft vermittelt. Analog dürfen heute schon Parlamentarier keinen Kontakt mit Lobbyisten haben, weil die per se Unanständiges im Schilde führen. Dass das Gespräch mit Verbandsfunktionären Politikern bei ihrer Urteilsbildung auch nützen könnte, scheint für die Lobby-Control-Mafia nicht vorstellbar.
Aus Managern werden Zombies
Man kann mit Compliance eben auch Schaden anrichten durch Verhinderung von Informationsaustausch oder Kappung von Kontakten. Aus lauter Angst, einen Fehler zu machen, werden Manager zu Zombies. Bloß kein Risiko eingehen und ja nicht zur eigenen Verantwortung stehen – man steht dann ja stets mit mindestens einem Bein im Compliance-Kerker.
Mehr noch: Der Compliance-Kult führt zu einer grandiosen Bürokratisierung. Deutsche und europäische »Lieferkettengesetze« wollen den Unternehmen aufbürden, an jedem Glied der globalen Kette transparent zu machen, ob es dabei nach moralischen, ökologischen und gesetzlichen Regeln (auch ferner Länder) korrekt zugeht. So wird Compliance zum Antiglobalisierungs-Programm. Aus Schiss hat der Finanzsektor im vorletzten Jahr 326.123 Verdachtsanzeigen wegen Geldwäsche gestellt, von denen am Ende gerade einmal 739 zu einer Sanktion, zumeist zu einem Strafbefehl geführt haben. So viel zur Verhältnismäßigkeit. Diejenigen, die solche Bürokratiemonster vorschreiben, sind nicht selten dieselben, die bei der nächsten Brandrede die Bürokratie zum zentralen Hemmschuh der deutschen Wirtschaft erklären.
Bedenklich ist der Mentalitätswandel, den die Compliance-Manie anrichtet. Einzelfallsouveränität wird gegen generalisierende Vorschriften getauscht. Es kann durchaus sein, dass es im Einzelfall bei Veronika Grimm zu Interessenkonflikten zwischen Rat und Aufsichtsrat kommt. Eine verantwortlich handelnde Frau wird das zu wägen wissen und sich, sollte es kritisch sein, der Stimme enthalten oder den Beratungen fernbleiben. Eine Compliance-Bibel erspart erwachsenen Menschen den konkreten Konflikt um den Preis einer Entmündigung und generellen Unterstellung von Verantwortungsunfähigkeit.
Ach übrigens: Hat der Tugend-Terror der Compliance seit Siemens zu etwas Gutem geführt? Sind die Manager und Managerinnen jetzt weniger korrupt oder kriminell? Meine Strafverteidigerin kann da nur lachen. Wie war das mit Cum-Ex? Wie war das mit Wirecard? Die beste Compliance verhindert nicht, dass ganze Unternehmen kriminell werden und die Aufsichtsbehörden Persilscheine ausstellen.
Rainer Hank
05. März 2024
Knöpft das Geld den Reichen ab?Wenn sie wollen, können sie freiwillig ihre Millionen dem Staat spenden
Die Reichen haben es auch nicht leicht. Neid und Missgunst ist ihnen gewiss. Schaut man sich an, wie große Vermögen in unseren Medien bebildert werden, so stehen nach meiner nicht repräsentativen Beobachtung Luxusyachten an erster Stelle (wahlweise mit oder ohne schöne Frauen oder Männer). Yachten – man muss gar nicht gleich an die Oligarchen denken – eignen sich offenbar noch besser als große Anwesen oder dicke Autos zur augenfälligen Demonstration des kleinen Milliardärsunterschieds. Die Kehrseite möglicher Bewunderung ist dann der Neid, der den Reichen ein permanentes schlechtes Gewissen machen soll.
In seiner ökonomisch klügeren Form kommt die Reichenschelte als Kritik der Ungleichheit daher. Gerne wird mit Vergleichszahlen hantiert nach dem Muster »Das reichste ein Prozent der Bevölkerung verfügt über die Hälfte aller Vermögen«. Ganz genau nachprüfen kann das niemand, weil die Höhe des Vermögens Privatsache ist – zumindest in Ländern, in denen es keine Vermögenssteuer gibt. Würden die Reichen mehr von ihrem Reichtum abgeben, würde das den sozialen Zusammenhalt fördern, den Staat und seine Verschuldungsnöte entlasten und die Zufriedenheit der Bürger insgesamt erhöhen, heißt es.
Reichen-Bashing ist übrigens nicht erst eine Erfindung des neuzeitlichen Antikapitalismus. Schon im 14. Jahrhundert kommen die »superabundantes« – Leute, die in großem Überfluss leben – alles andere als gut weg. Wer seinen Reichtum den Armen schenkt, steigt im Ansehen: Man denke an Franz von Assisi, Sohn eines superreichen Kaufmanns, der seinem Vater sein ganzes Erbe vor die Füße warf, fortan in Armut lebte und den Franziskanerorden gründet, einen sogenannten Bettelorden.
Eine heutige Nachfolgerin des Franz von Assisi ist Marlene Engelhorn. Die Österreicherin, 31 Jahre alt, ist Nachfahrin von BASF-Gründer Friedrich Engelhorn. Vor drei Jahren erfuhr Engelhorn, dass sie von ihrer Großmutter Traudl ein stattliches Millionenerbe zu erwarten hat. Das findet sie nicht in Ordnung: »Ich habe ein Vermögen und damit Macht geerbt, ohne etwas dafür getan zu haben«, gibt sie in Interviews zu Protokoll. In Deutschland müsste sie abzüglich eines Freibetrags von 400.000 Euro immerhin 23 Prozent Erbschaftssteuer zahlen. In Österreich gibt es diese Steuer seit 2008 nicht mehr.
Marlene Engelhorn und Tax me now
Engelhorn ist fest entschlossen, 90 Prozent ihres Erbes an die Allgemeinheit weiterzugeben. Das sind ungefähr 25 Millionen Euro. Anders als Milliardär Bill Gates gründet sie keine Stiftung. Denn Stiften habe eine »Machtkomponente, die aus meiner Sicht nicht zu rechtfertigen ist.«. Stattdessen hat sie sich ein aufwendiges Verfahren einfallen lassen, wie entschieden werden soll, was mit dem Geld passiert. Ein eigens gegründeter repräsentativer »Bürgerrat« soll Vorschläge für die »Rückverteilung« ihres Reichtums an die Allgemeinheit machen. Sie selbst wolle sich dem Spruch ihres Bürgerrats unterwerfen, sagt die Millionenerbin. Dieses Verfahren entspreche ihrem demokratischen Verständnis.
Nun ist jedermann frei, was er mit seinem Erbe macht. Er kann es verjubeln, dem Vietkong schenken (wie der ehemalige Frankfurter Stadtkämmerer Tom Königs) oder ein Forschungsinstitut gründen wie der Tabakkonzernerbe Jan Philipp Reemtsma. Marlene Engelhorn hat offenbar vor, das demokratische Gemeinwesens in seinen vielfältigen Aufgaben zu unterstützen. Dazu gibt es normalerweise Steuern und Staatsschulden. Weshalb man Frau Engelhorn fragen könnte, warum sie erst ein so aufwendiges Bürgerratsprozedere erfindet und ihre 25 Millionen nicht einfach dem österreichischen Finanzminister überweist; der Mann heißt übrigens Magnus Brunner.Das gehe doch gar nicht, würde Engelhorn vermutlich antworten. Ob so etwas in Österreich geht, weiß ich nicht. In Deutschland geht es schon, obwohl mir gestandene Steuerberater versichert haben, es gehe nicht. Ich rufe im Ministerium von Christian Lindner an. Die Antwort der Sprecherin ist eindeutig: »Einzahlungen freiwilliger Geldleistungen Dritter können seit dem Jahr 2006 getätigt werden.«
Hätten Sie das gewusst? Deutsche Bürger können ihren Staat freiwillig finanzieren. Ich bin nicht sicher, ob die Millionärsbewegung »Tax me now« (»Besteuere mich jetzt!«) dies weiß, die für eine Vermögenssteuer wirbt und der auch Marlene Engelhorn anhängt. Denn diese Bewegung argumentiert gerne nach dem Motto: Wir würden ja gerne, dürfen aber nicht.
Die Bundeskasse nimmt Bürgergeld gerne
Doch, sie dürfen. Es geht ganz einfach, wie mir die Lindner-Sprecherin im Nachgang zum Telefonat schriftlich erklärt. Einfach den Betrag von, sagen wir, 25 Millionen auf das Konto der Bundeskasse Halle/Saale bei der Deutschen Bundesbank Filiale Leipzig überweisen: IBAN DE17 8600 0000 0086 0010 30 BIC: MARKDEF1860. Probieren Sie es gerne bei nächster Gelegenheit aus. Das Geld darf nicht zweckgebunden sein. Es fließt auch nicht direkt in den Bundeshaushalt, sondern wird zur Schuldentilgung verwendet. Das bedeutet, dass der Staat künftig weniger Zinsen zahlen muss, der Schuldendienst schrumpft und das gesparte Geld für sinnvolle Staatsaufgaben zur Verfügung hat. Schuldentilgung per Spendenaufruf.
Ja um Himmelswillen, warum gibt es dann nicht längst eine große Werbekampagne der Regierung mit dem Slogan: »Reiche, helft uns bei der Schuldentilgung!«? Man bewerbe diese Einnahmequelle nicht aktiv, so das BMF. Es solle nicht so aussehen, als sei der Staat auf Spenden angewiesen. Zudem wolle man nicht in Konkurrenz treten zu gemeinnützigen Einrichtungen. Wenn vereinzelt Bürger einen freiwilligen Beitrag zur Schuldentilgung leisten möchten, stünde ihnen das offen. Steuerlich absetzbar sind diese Spenden übrigens nicht, das wäre ja auch widersinnig.
Mir leuchtet diese schamhafte Zurückhaltung des Finanzministers nicht ein. Fast klingt es so, als ob die Regierung selbst nicht ganz überzeugt sei vom Sinn ihrer Politik und den guten Zwecken der Staatsfinanzierung. Dabei hören wir doch von den Ministern tagtäglich, warum überall gutes Geld fehlt: Kriegsfinanzierung in der Ukraine, regenerative Transformation der Energie, Nothilfe gegen die Wachstumsschwäche der Wirtschaft. Insofern wäre es nur konsequent, der Finanzminister würde auch direkt milde Zuwendungen für den von Not gebeutelten Haushalt willkommen heißen, und nicht ausschließlich den Schuldenabbau gestatten. Oder sind Steuern etwas nur dann gutes Geld, wenn sie zwangsweise kassiert werden? Das fände ich ein merkwürdig autoritäres Staatsverständnis.
Wenn also diese Kolumne nicht hilft, die Möglichkeit der freiwilligen Staatsfinanzierung durch Multimillionäre bekannt zu machen, dann sollte die Bewegung Tax me now schleunigst eine große Kampagne zur freiwilligen Tilgung von Staatschulden durch die Bürger starten -, gerne unter Angabe der Kontonummer der Bundeskasse.
Rainer Hank
27. Februar 2024
Freie Seeufer für alleWenn Gemeinwohlinteresse auf Privateigentum trifft
Ich war ein paar Tage in Zürich. Dort tobt ein Streit über den Zugang zum See. Eine Volksinitiative verlangt, bis zum Jahr 2050 müsse ein durchgehender Spazierweg am Zürichsee gebaut werden, möglichst nahe am Ufer. Am 3. März wird darüber abgestimmt.
Da kommt Freude auf. Denn am See wohnen ja schon Menschen, es sind nicht die Ärmsten. Und die finden es überhaupt nicht lustig, sollten künftig wildfremde Menschen über ihr Grundstück spazieren. Es stört die Ruhe und mindert den Wert ihres Eigentums. Und natürlich war der exklusive Seezugang beim Kauf des Grundstücks eingepreist. Die im vergangenen Jahr verstorbene Sängerin Tina Turner soll für ihr Anwesen in der Zürichsee-Gemeinde Stäfa 70 Millionen Franken gezahlt haben. Auch der Tennisstar Roger Federer, in der Schweiz eine Art nationale Ikone, soll schon nervös geworden sein, so ist zu lesen: Der nämlich will bei Rapperswil-Jona ein Anwesen auf 16 000 Quadratmetern mit sechs Gebäuden, Pool und Tennisplätzen bauen – ein kleines Dorf, genannt »Federer City«. Auch ein Bootshaus samt Steg und Flachwasserzone gehört dazu. Einen Kaufpreis von 40 bis 60 Millionen Franken taxieren die Fachleute für das Filetstück.
Schon rechnen die Anwälte der Eigentümer den möglichen Wertverlust ihrer Seegrundstücke in Entschädigungsansprüche um für den Fall, die Initiative hat Erfolg, die sie selbstredend einer liberalen Rechtsordnung unwürdig ansehen und die sie deshalb auch prinzipiell mit allen juristischen Mitteln bekämpfen werden. Eine halbe Milliarde Franken Entschädigungskosten befürchtet die Zürcher Regierung, während die Seeweg-Initiative Kosten von lediglich 38 Millionen Franken veranschlagt. Denn das Seeufer gehöre immer schon der Allgemeinheit, die sich jetzt ihr Eigentum zurückhole.
Der Fall interessiert mich deshalb, weil er eine psychologische, eine juristische und eine ökonomische Komponente hat. Der psychologische Aspekt ist am einfachsten zu sehen. Die Emotionen sagen: Wo kommen wir hin, wenn sich die Reichen und Schönen mit ihrem vielen Geld auch noch die schönsten Plätze dieser Erde exklusiv sichern dürfen. Daran, dass die Seen nördlich und südlich der Alpen zu den schönsten Plätzen der Welt gehören, kann es keinen Zweifel geben. In der Initiative schwingt also einerseits viel Neid mit, zugleich kann man eine Gleichheits- und Gerechtigkeitsdebatte vernehmen. Denn natürlich wohnen an der Zürcher Goldküste nicht nur Menschen, die wie Tina Turner und Roger Federer ihr Vermögen mit künstlerischer und sportlicher Leistung erarbeitet haben, sondern auch Banker, Spekulanten und gerüchteweise sogar Oligarchen, bei denen das Volksempfinden noch ungnädiger zu werden pflegt als bei normalen Multimillionären.
Das Privateigentum ist heilig
Zugleich – das ist der ökonomische und juristische Aspekt – beruht die Marktwirtschaft auf einer Rechtsordnung, die das Privateigentum vorbehaltlos schützt. Für den Philosophen John Locke (16032 bis 1704) vereinigen sich die Menschen nur deshalb zu einem Staat, um einander ihr Leben, ihre Freiheit und ihre Güter zu sichern: »Life, Liberty and Property« heißt die liberale Trinität, deren letztes Glied die amerikanische Verfassung durch »pursuit of happyness« ersetzt hat, das Recht, sein Glück zu verfolgen, also gerne auch an seinem Privatsee.
Bei den Seen hat die Freiheit allerdings seine Grenzen. Jedenfalls in der Schweiz, wie mir Andreas Glaser, ein Professor für Staatsrecht an der Universität Zürich, klarmacht. Wasserflächen sind dort grundsätzlich Eigentum der öffentlichen Hand. Und am Zürichsee sei sogar das Ufer lediglich als Konzession an Private vergeben worden, die das bloß vergessen hätten. »Aus meiner Sicht sind Uferwege grundsätzliche verfassungsrechtlich zulässig«, sagt Glaser; bloß eine geringe Entschädigung müsse gezahlt werden.
»Eigentum verpflichtet«, heißt es auch im deutschen Grundgesetz. Das ist eine Art milder Sozialismus, woraus gemeinhin das Recht abgeleitet wird, Privateigentum zu konfiszieren und zu vergesellschaften. Das führt in Berlin zum Beispiel nun schon seit Jahren zu einem erbitterten Streit darüber, ob das Land berechtigt ist, private Wohnungsunternehmen zu kassieren als Mittel gegen galoppierende Mietpreise. In der Bayerischen Verfassung wird den Bürgern (Artikel 141, Absatz 3) »das Recht auf freien Zugang zu den Naturschönheiten Bayerns« garantiert, wozu nicht nur die Freiheit, auf Berge zu klettern oder in Flüssen zu schwimmen zählt, sondern eben auch der Zugang zu den schönen Seen des Freistaats. Das heißt freilich nicht, dass die Seen an jeder beliebigen Stelle frei zugänglich sein müssen. Am Starnberger See, sozusagen das Pendant des Zürichsees für die Bewohner Münchens, gehören lediglich 24 von 50 Kilometern Ufer der Öffentlichkeit.Während, wie gesagt, in der »liberalen« Schweiz Seen prinzipiell dem Volk gehören, also nicht privatisierbar sind, sind die Gewässer hierzulande genauso eigentumsfähig wie der feste Boden. Das sorgt vor allem in den »neuen« Bundesländern immer wieder für erbitterten Streit, wo etwa in Brandenburg die Treuhand-Nachfolgeunternehmen, um an Geld zu kommen, das DDR-Volkseigentum an den Seen meistbietend an Private (also zum Beispiel Düsseldorfer Millionäre) auf den Markt gebracht haben. Die neuen Eigner waren dann der Meinung, sie könnten Geld von Badeanstalten oder Golfplätzen verlangen, deren Grundstück direkt an »ihren« See grenzt, sofern deren Gäste oder Mitglieder dort zu schwimmen oder Tretbootfahren beabsichtigen.
Der Konflikt zwischen dem Anspruch auf freiem Zugang zu den Highlights von Gottes Schöpfung (vulgo: den Binnengseen) und der marktwirtschaftlichen Garantie des Privateigentums ist wohl nur pragmatisch zu lösen. Wir machen Halbe-Halbe, wie am Starnberger See, hat freilich den Nebeneffekt, dass dies das privatisierbare Ufer ebenfalls halbiert und die Preise hochtreibt. Auch am Zürichsee sind jetzt schon nur 12,6 von insgesamt 50 Kilometer Seeufer in privater Hand. Vom Bellevue in Zürich kann jedermann frei in Richtung Küsnacht joggen oder walken.
Der im vergangenen Jahr verstorbene Schriftsteller Martin Walser verbrachte den größten Teil seines Lebens in einem wunderschönen Haus mit Seezugang am Bodensee. Dort, so erzählte er uns anlässlich eines Interviews, gab es in den wilden siebziger Jahren einmal eine Enteignungsinitiative für einen öffentlichen Seeuferweg. Damals war Walser ein strammer Kommunist und also gegen jegliches Privateigentum. Als Anwohner am See fand er die Initiative dagegen ziemlich doof, die dann aber zu seiner privaten, gewiss nicht ideologischen Zufriedenheit letztendlich keine Mehrheit fand. »Nichts ist wahr ohne sein Gegenteil«, pflegte Walser zu sagen.
Rainer Hank
27. Februar 2024
Ein Lob der WitweGeld, Macht und die Karriere der Frauen
Würde man nach der am meisten unterschätzten Stadt Deutschlands fragen, Augsburg wäre eine Kandidatin. Würde man nach den am meisten unterschätzten Unternehmern fragen, die Witwen wäre gute Kandidatinnen. Beides hängt miteinander zusammen.
Die Vermutung über Augsburg und die Witwen verdanke ich Jochen Sander. Der Mann ist stellvertretender Direktor des Frankfurter Städel-Museums. Derzeit ist dort von ihm kuratiert eine grandiose Ausstellung zu sehen über Augsburg, die Fugger und die Künstler dieser Stadt, allen voran Jakob Holbein der Ältere. Die Ausstellung gibt es dort noch bis zum 18. Februar. Vom 19. März an ist sie dann im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen. Es lohnt sich.
Im 14. und 15. Jahrhundert ist Europa im Umbruch. Die Städte Oberitaliens – Padua, Bologna, Venedig und Florenz – entwickeln sich zu Zentren des frühen Kapitalismus. Familien gründen Banken – die Medici zum Beispiel – stellen für Fürsten und Unternehmer Kredite zur Verfügung. Und setzen sich weitsichtig über das biblische Verbot hinweg, Zins für geliehenes Geld zu verlangen. Die zu Reichtum gekommenen Fürstenhäuser schmücken sich mit zeitgenössischen Künstlern.
Auch nördlich der Alpen gab es die Idee der Renaissance. Augsburg wird zur Stadt der Macht, des Geldes und der Künste. Die Städel-Ausstellung bezeichnet Augsburg als Zentrum der »Renaissance im Norden« und des großen Geldes – eine Art Wallstreet der frühen Neuzeit. Im Vergleich mit Augsburg in der damaligen Zeit muss München eine provinzielle Residenzstadt gewesen sein. Denn die Stadt am Lech war vor allem Sitz eines global agierenden Familienunternehmens – der Fugger. Der notorisch hoch verschuldete Kaiser Maximilian I (1459 bis 1519) ist häufig in der Stadt: Man muss sich mit seinen Bankern gut stellen.
Die Dynastie der Fugger
Die Fugger waren nicht von Anfang eine Dynastie der Bankiers. Noch auf dem Höhepunkt ihres Reichtums und Ansehens machten sie kein Hehl daraus, dass sie von einem Weber abstammten, der 1367 nach Augsburg gekommen war. Dieser Hans Fugger (circa 1350 bis 1408), der Stammvater, war kein armer Mann: Seine erste Zahlung, die das Augsburger Steuerbuch verzeichnet, lässt auf ein ordentliches Startkapital schließen, und durch zwei vorteilhafte Ehen konnte er dieses Vermögen mehren. So lese ich es bei Mark Häberlein, einem Geschichtsprofessor in Bamberg, der ein Standardwerk über die Fugger verfasst hat. Bald verfügten Hans Fuggers Söhne Andreas und Jakob über das fünftgrößte Vermögen der Reichsstadt. Jakob Fugger »der Ältere« begründete eine eigene Handelsgesellschaft, aus der sich in großer Geschwindigkeit ein Rohstoff- und Finanzkonzern entwickeln sollte: Kupferhandel und Kredite an das Haus Habsburg waren die beiden Säulen des Unternehmens.
Womit wir bei den Witwen angekommen wären. Denn Jakob Fugger verstirbt bereits 1469. Seine Witwe Barbara, geborene Bäsinger, überlebt ihn um 28 Jahren – und in diesen Jahren führt sie sozusagen als Vorstandsvorsitzende den Fugger-Konzern in alleiniger Regie. Sie behält auch noch die Kontrolle über das Familienvermögen, als ihre Söhne längst erwachsen waren. Und sie war außerordentlich erfolgreich: Den Besitz der Familie hat sie nicht nur »wol beyeinander gehalten«, wie es in einer zeitgenössischen Quelle heißt, sondern ihn beträchtlich gemehrt: Lag das Vermögen der Firma beim Tod des Mannes bei 15.000 Gulden, so konnte sie nach 1497, ihrem Todesjahr, 23.292 Gulden den Erben hinterlassen.
Wer war diese Barbara Bäsinger? Quellenmäßig ist die Frau schwer zu fassen. Ihr geschäftlicher Erfolg bildet sich fast ausschließlich in steigenden Vermögenssteuerzahlungen in den Augsburger Steuerbüchern ab; andere Quellen sind rar. Da ihr Sohn Jakob Fugger »der Reiche« bestrebt war, Frauen aus der Handelsgesellschaft auszuschließen, hatte er auch kein Interesse daran, das Gedächtnis einer tüchtigen Geschäftsfrau in der Familie zu bewahren. Ab dem 16. Jahrhundert wurden Frauen aus der Leitung der Handelsgesellschaft kategorisch ausgeschlossen. Die – männliche – Fugger-Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhundert tat ein Übriges, die Unternehmerinnen im Hause der Fuggerfamilie zu ignorieren.
Die geschäftstüchmtige Barbara Bäsinger
Einiges immerhin ist über Barbara Bäsinger bekannt. Ihr Leben wurde von der Historikerin Martha Schad (»Die Frauen des Hauses Fugger«) erforscht. Barbara Bäsinger war die Tochter des einflussreichen Goldschmieds und Münzmeisters Franz Bäsinger. »Ganz Tochter ihres geschäftstüchtigen Vaters« handelte sie mit Wolle, Baumwolle, Seide und Südfürchten. Sie mehrte ihren Grundbesitz und schützte das Vermögen gegen Erbaufteilung. Ihr gesellschaftliches Ansehen zeigt sich daran, dass sie einen Kirchenstuhl erwerben durfte. Sie ist ein Beispiel für den sozialen Aufstieg einer Webersfrau zur Kaufmannsfrau, einer selbständigen Geschäftsfrau in der Reichsstadt Augsburg.
Bäsinger war nicht die einzige tüchtige Witwe der Fugger. Frauen traten damals aus der Vormundschaft ihrer Männer heraus und verdienten sich ihr Leben in der Stadt in vielen Berufen. Sie hatten selbstverständlich einen Platz in den Zünften. Sie konnten finanzielle Verpflichtungen eingehen und gerichtlich Zeugnis ablegen. Abschlüsse von Kauffrauen waren unbeschränkt verbindlich, die Frauen waren schuldens- und konkursfähig. Wittfrauen, scheibt Martha Schad, waren »freier als jede andere Frau der mittelalterlichen Gesellschaft und hatten ihre volle Eigenverantwortlichkeit«. Einen speziellen Witwenstand, der wie noch im Mittelalter Keuschheit vorschrieb, gab es im 15. Jahrhundert nicht mehr. Der »Lohn der Witwe« sei höher als der einer Ehefrau, heißt es in einer Quelle, »wo doch der Witwenstand soviel besser und bequemer erscheint als das Leben einer Verheiraten«.
Ob Barbara Bäsinger solch eine lustige Witwe war, wissen wir nicht. Doch wir wissen, dass sie nie wieder geheiratet hat. An potenziellen neuen Lebenspartnern habe es nicht gefehlt, heißt es. Doch schon allein aus Geschäftsinteresse habe sie wohl eine weitere Ehe abgelehnt. So konnte sie ihr Vermögen für ihre Kinder erhalten und ihnen durch eine geschickte Heiratspolitik zu weiterem Aufstieg verhelfen.
Merke: Erfolgreiche Karrieren von Frauen gibt es nicht erst seit dem emanzipierten 20. Jahrhundert. Dass wir so wenig über sie wissen, haben die Männer zu verantworten; sie haben diese Erfolgsgeschichten unterdrückt.
Barbara Bäsinger gebührt ein Ehrenplatz in der Reihe der erfolgreich wirtschaftenden Witwen, in deren weiteren Verlauf wir etwa im 19. Jahrhundert auf die Witwe Barbe-Nicole Ponsardin (»Veuve Cliquot«), die Erfinderin des Champagners, treffen. Heute fallen einem die beiden Verlegerwitwen Friede Springer und Liz Mohn (»Bertelsmann«) ein. Oder Maria-Elisabeth Schaeffler, Chefin des gleichnamigen Automobilzulieferers.
Rainer Hank