Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen21. Januar 2025
Liberalismus in der DefensiveEs geht um mehr als nur die FDP
Es hat gerade noch gereicht. Mit 5,8 Prozent der Wählerstimmen gelang der FDP noch einmal knapp der Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag. Das reichte im Jahr 1969, um ihr einen Platz als Juniorpartner in der ersten sozialliberalen Koalition im Nachkriegsdeutschland zuzuweisen. Doch die Lage blieb prekär: Es war das bislang schlechtestes Wahlergebnis. Programmatisch und personell machte die FDP keine gute Figur.
Die Wende brachte der Journalist Karl Hermann Flach, flankiert von dem brillanten Intellektuellen Ralf Dahrendorf. Die »Ära der satten Selbstzufriedenheit und Schlafmützendemokratie« sei zu Ende, verkündete Flach, damals leitender Redakteur der linksliberalen »Frankfurter Rundschau«. Der Mann wusste, wie man gute Überschriften macht. 1929 in Königsberg geboren, war Flach zunächst in Rostock im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands gelandet, hatte freilich schon damals erkannt, der Liberalismus sei »fortschrittlicher als Marx«, was im Osten weniger gut ankam. Flach verließ die DDR, studierte an der Freien Universität in Berlin, wurde Politiker und Journalist.
1971 wurde Flach mit großer Mehrheit zum Generalsekretär der FDP gewählt. Er war – abermals neben Ralf Dahrendorf – der Star des berühmten Freiburger Reformparteitags. Seine Streitschrift »Noch eine Chance für die Liberalen« (ohne Fragezeichen!) wurde zum Signal des Aufbruchs. »Liberalismus heißt Einsatz für größtmögliche Freiheit des einzelnen Menschen und Wahrung der menschlichen Würde in jeder gegebenen oder sich verändernden gesellschaftlichen Situation«, heißt es da. Freiheit und Gleichheit seien keine Gegensätze, sondern bedingten einander. »Insoweit ist Liberalismus nicht Anarchismus, sondern eine politische Ordnungslehre.« Tragisch war es, dass Flach zwei Jahre später, 43 Jahre jung, an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb.
Auf der Suchen nach einer »politischen Ordnungslehre«
Dass die FDP heute abermals in einer bedrohlichen Situation sich befindet, ist keine besonders originelle Feststellung. Zu konstatieren, dass die Liberalen personell wie programmatisch nach den Ampeljahren nicht mehr bella figura machen, ist eine langweilige Wahrheit.
Weniger trivial ist freilich, dass nicht nur die Partei der Liberalen, sondern auch der Liberalismus sich in einer seiner größten Krisen befindet. Das D-Day-Desaster des Ampelbruchs wäre zu verkraften, wäre der Liberalismus als »politische Ordnungslehre« (Karl Hermann Flach) roubst. Doch so ist es gerade nicht. Oft ist zu hören, die FDP als Partei sei als Klientelpartei der Steuersenker und Rolex-Träger auf den Hund gekommen und habe ihr großes ideengeschichtliches Erbe vernachlässigt. Dieses Urteil ist auf der einen Seite ungerecht – gerade Christian Lindner und sein Sparringspartner Marco Buschmann haben sich immer wieder bemüht, der Verführung einer plutokratischen Engführung der FDP zu widerstehen. Auf der anderen Seite übersieht die populäre Entgegensetzung »schlechte Praxis, tolle Idee«, wie sehr die Idee selbst politisch und philosophisch inzwischen in Verruf gekommen ist.
Zum Verfall liberaler politischer Ordnungen genügt ein kurzer geopolitischer Blick auf die mächtigsten Staaten der Welt. Weder Trumps USA, noch Putins Russland oder Xi Jinpings China verstehen sich als liberale Demokratien. Treffend beschreibende Stichworte wären viel mehr »autoritär«, »konservativ«, »nationalistisch«, »protektionistisch«: mal mehr vom einen, mal mehr vom anderen. Niemand dieser mächtigen Männer kann oder will »liberal« genannt werden. Auch Europa und die EU sind längst kein liberales Bollwerk mehr gegen den Rest der Welt. Viktor Orbans Modell der »illiberalen Demokratie« ist kein Einzelfall, sondern kommt immer mehr in Mode: zunächst in Italien.
demnächst in Österreich und bald womöglich in Frankreich oder Deutschland. Nicht die Demokratie, wie oft zu hören, ist auf dem Rückzug, wohl aber die liberale Demokratie.
Nun zur Ideengeschichte. Hier gibt es inzwischen ein breites Bündnis von Historikern und Sozialwissenschaftlern, die auf unterschiedliche Weise dem Liberalismus Versagen auf ganzer Linie vorwerfen. Prominent ist der Amerikaner Francis Fukuyama, der nach dem Fall des Kommunismus die Meinung vertrat, nun sei das liberale Paradies für alle Völker angebrochen. Inzwischen wirft Fukuyama den Liberalen vor, sie hätten ihre Zukunft selbst vergeigt: Durch eine ideologische Verengung auf einen wirtschaftsegoistischen Neoliberalismus auf der einen Seite und eine linksliberale Engführung auf egoistische Themen der Identitätspolitik und Wokeness auf der anderen Seite. Fukuyama denkt, sein liberales Paradies wäre heute Realität, hätten nicht die Liberalen selbst sich auf Abwege begeben.Versagen der Cold War Liberals?
Großen Widerhall finden inzwischen Thesen, die den sogenannten »Cold War Liberals« (Karl Popper, Isaiah Berlin, Hannah Arendt) der Fünfziger Jahre die Schuld am Niedergang des Liberalismus in die Schuhe schieben. Diese Nachkriegsintellektuellen nämlich hätten dem Liberalismus seine utopische Kraft geraubt, weil Utopien im Zeitalter des Totalitarismus (Faschismus und Kommunismus) die Menschheit ins Verderben statt ins Paradies geführt hatten. Dabei sei der »klassische« Liberalismus stets mit einer positiven Idee von Fortschritt und Moral verbunden gewesen und habe sich nie ausschließlich auf die »negative« Freiheit bescheiden wollen. Dieser Verrat am moralischen Erbe der Aufklärung gilt vielen als Ursünde der Liberalen und Triggerpunkt ihrer heutigen historischen Krise. Wo bleibt das Positive?
Die ganze große Keule nehmen erwartungsgemäß die Theoretiker des Postkolonialismus in die Hand. Für sie ist der Liberalismus von Anfang an verdorben, weil er sich immer schon zur Legitimation globaler Herrschaft hergegeben hat. Arrogant wie die Europäer seit dem 18. Jahrhundert waren, hätten sie sich von einem rassistischen Imperialismus kompromittieren lassen, der die freiheitliche Philosophie dazu benutzte, den weniger aufgeklärten Völkern der Welt gnädig einen Platz im »Wartezimmer« der Weltgeschichte zuzuweisen. Sie dürften erst dann in die Moderne eintreten, so der böse Vorwurf, wenn sie durch weiße europäische Liberale für ein Stelldichein mir ihr für würdig erachtet worden seien.
Viel Feind viel Ehr? Na ja. Die Ehre hält sich in Grenzen. Die Lage ist deswegen so vertrackt, weil der antiliberale Wind nicht nur den ampelgescheiterten FDP-Politikern ins Gesicht bläst, sondern auch die Tradition des Liberalismus selbst inzwischen, man muss es sagen, von klugen Leuten dekonstruiert und geschmäht wird. Das lässt sich durchaus als intellektuell reizvoll goutieren, müsste man nicht Angst haben, dass im Lauf dieses Prozesses die Idee der Freiheit selbst auf der Strecke bliebe. Höchste Zeit, dass die Verteidiger des Liberalismus, sollte es sie noch geben, aus ihren Löchern kommen.
Rainer Hank