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  • 05. Februar 2025
    Was kostet Grönland?

    Grönland-Eis Foto Tina Rolf/unsplash

    Dieser Artikel in der FAZ

    Ein Markt für Staaten ist eine gute Idee

    Grönland kenne ich, ehrlich gesagt, nur von der phänomenal guten dänischen Fernsehserie »Borgen«. In der 2022 veröffentlichten vierten Staffel erfährt Birgitte Nyborg, Außenministerin Dänemarks und Heldin der Serie, dass sich ein russischer Großaktionär bei einer Bohrfirma Grönlands eingekauft hat, die die dortigen Öl-Schätze fördern will. Plötzlich geht es nicht nur um den Konflikt zwischen ökologischen Zielen und wirtschaftlichen Interessen, sondern auch um einen geostrategischen Großkonflikte.

    Donald Trump, Protagonist einer Serie, deren zweite Staffel seit vergangenem Montag auf allen Kanälen ausgestrahlt wird, will verhindern, dass verfeindete Staaten – sei es Russland, sei es China – sich in Grönland einkaufen, und womöglich nicht nur Öl und Gas fördern, sondern auch die gewinnträchtigen seltenen Erden ausbeuten, die Grönland unter dem schmelzenden Eis wertvoll machen. Kraftprotz und Dealmaker, der er ist, beansprucht Trump nicht nur Ölfirmen oder Bergwerke auf Grönland, sondern gleich die ganze Insel: Über zwei Millionen Quadratkilometer Land mit (lediglich) 56.000 Einwohnern – so viel hat auch Celle in Niedersachsen.

    Die öffentliche Empörung kochte erwartbar über, gerade so, als ob Trump die US Navy bereits in Marsch gesetzt hätte. Dabei hat der US-Präsident, soweit ich das recherchieren konnte, an keiner Stelle explizit davon gesprochen, die Insel militärisch erobern zu wollen. Stattdessen macht er das, was kapitalistischer Händler machen: Er will die Insel kaufen.

    Darf man Staaten wie Waschmaschinen oder Aktienpakete kaufen? »Warum nicht?«, sagt Marietta Auer. Die Wissenschaftlerin ist Direktorin des Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt. Ihre Begründung läuft so: Ein Staat, bestehend klassisch aus Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt, ist ein souveränes Rechtssubjekt mit eigener völkerrechtlicher Rechtspersönlichkeit. Er gehört sich also selbst. Dennoch sind Käufe von Territorien zwischen souveränen Staaten per Völkerrecht möglich. Denn Staaten können Verträge schließen; Völkerrecht ist im Kern einfach Privatrecht, das heißt es beruht auf Verträgen. Von daher sind Käufe von Territorium möglich und haben auch schon vielfach stattgefunden. Marietta Auer verweist mich, wie es sich für eine Wissenschaftlerin gehört, auf das einschlägige dreibändige Werk des Niederländers Hugo Grotius, »De jure belli ac pacis« (Über das Recht des Kriegs und des Friedens), erschienen in Paris 1625. Im zweiten Buch schreibt Grotius ausführlich über öffentliche Verträge zwischen Staaten; es ist online frei erhältlich.

    Man kann auch einfach beitreten

    Dass einzelne Völkerrechtler jetzt behaupten, ein Verkauf von Staaten oder Staatsteilen verstoße gegen das Völkerrecht, ficht die Max-Planck-Forscherin nicht an. Heute würde man völkerrechtlich wahrscheinlich noch das Selbstbestimmungsrecht des betreffenden Staatsvolks berücksichtigen und vermutlich ein Referendum fordern, sagt Frau Auer. Also Dänemark verkauft an Trump  – aber erst nachdem eine Mehrheit der Grönländer in einer Volksabstimmung sich für Amerika ausgesprochen haben – was alles andere als unwahrscheinlich ist: Die letzten Meinungsumfragen lassen auf ein positives Votum schließen.

    Was kann man für sein Land verlangen? Es gibt ja keine Preislisten, auf denen man nachsehen kann. Zunächst: Ein Volk kann sich auch verschenken; es muss nicht unbedingt Geld fließen. Das nennt man »Beitritt«: Die Bundesrepublik hat der DDR auch nichts für die Wiedervereinigung gezahlt. So billig bräuchte Dänemark Grönland nicht hergeben: schließlich ist es den USA um geostrategische Sicherheit und Zugang zu allerhand Bodenschätzen zu tun. Für die Preisfindung könnte man sich an den Regeln der Wertermittlung bei Firmenübernahmen (Due Diligence im Merger & Acquisitions-Geschäft) orientieren. Der britische »Economist« rechnet wie folgt: Man nehme das Bruttoinlandsprodukt Grönlands von zuletzt drei Milliarden Dollar, gehe davon aus, dass die Wirtschaft weiter stetig wächst und die amerikanische Regierung jährlich sechzehn Prozent Steuern einnimmt (das ist der derzeitige Durchschnitt, den die US-Zentralregierung von ihren Bundesstaaten erzielt). Abgezinst mit der Rendite 30jähriger amerikanischer Staatsanleihen ergibt sich ein Wert Grönlands von 50 Milliarden Euro, was einem Zwanzigstel der US-Verteidigungsausgaben entspräche und für Trump leicht zu stemmen wäre. Gleichmäßig verteilt auf alle Grönländer erhielte jeder Inselbewohner circa eine Million Dollar – ganz abgesehen von der Aussicht auf künftige Wertsteigerungen. Obendrauf gäbe es Weltmacht-Schutz vor allfälligen russischen oder chinesischen Begehrlichkeiten.

    Also, ich wüsste, wo ich bei einer Volksabstimmung mein Kreuz machen würde, wäre ich Grönländer.

    Baden-Württemgerg fusioniert miit Sank Gallen

    Die Frage, ob es einen Markt für Staaten geben sollte, lässt sich noch grundsätzlicher fassen. Solche Deals haben eine lange Geschichte: Florenz zum Beispiel war Meister beim Kauf attraktiver Städte. Arezzo, eine Stadt in der Toskana, war 1384 billig zu haben, nachdem die Florentiner sich verpflichteten, die hohen Schulden der damaligen Herrscher von Arezzo zu tilgen. Wir erinnern uns, dass es während der Euro- und Griechenlandkrise ähnliche Vorschläge gab, die freilich als unmoralisch verworfen wurden.

    Der Stadtstaat Schaffhausen, darauf weist mich mein Kollege Ralph Bollmann hin, hatte 1522 die Gelegenheit, sein Territorium Richtung Norden zu erweitern. Die Grafen von Tengen waren in Schulden geraten und boten ihre Herrschaft für den geringen Betrag von 8.310 Gulden an (heute umgerechnet etwa 100.00 Schweizer Franken). Schaffhausen lehnte ab, dafür griffen dann die Habsburger zu.

    Wäre so etwas heute wieder üblich, würde dies das Drohpotential einzelner Departemente oder Bundesländer erhöhen, die darunter ächzen, ärmere Kantone im Länderfinanzausgleich zu alimentieren. Die Lombardei, doppelt so wohlhabend wie Sizilien, könnte mit dem Kanton Tessin verhandeln, müsste vermutlich für den Beitritt bezahlen. Baden-Württemberg, reicher als Berlin oder Bremen, könnte mit Sankt Gallen oder Vorarlberg ins Gespräch kommen (ich fürchte, die Eidgenossen wären nicht interessiert).

    Leider ist ein Sezessionsrecht für Teilstaaten im Völkerrecht (bislang) nicht vorgesehen. Zuletzt musste das Katalonien erfahren, das vom spanischen Zentralstaat unabhängig werden wollte. Ein liberales Völkerrecht, das die Freiheit von Minderheiten hochhält, müsste meines Erachtens die Möglichkeit der Sezession einräumen. Wäre das jetzt schon so, bräuchte Trump bei seinen Avancen nicht den neokolonialistischen Umweg über Dänemarks nehmen – sondern könnte direkt mit dem Volk Grönlands verhandeln.

    Rainer Hank