Hanks Welt

Subjektive Reflexionen, freche Interventionen, persönliche Spekulationen: »Hanks Welt« wirft einen subjektiven Blick auf das Geschehen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Meine Kolumne erscheint Sonntag für Sonntag im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).

Aktuelle Einträge

  • 24. Juni 2021
    Lügen mit der Corona-Statistik

    Maskiert für immer? Foto Juraj Varga/pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum sogar ein steigender R-Wert ein gutes Zeichen sein kann

    Vergangene Woche, am 15. Juni, wird gemeldet, dass in Deutschland 93 Menschen mit oder an Covid-19 gestorben sind. Fünf Monate zuvor, am 19. Januar, wurden 1734 Tote mit oder an Covid registriert. Ist die Meldung vom 15. Juni eine gute Nachricht? Kommt darauf an. Man kann das verneinen, weil hinter jedem einzelnen Tod ein individuelles Schicksal steckt, das sich nicht aufrechnen lässt. Zehn Tote sind nicht »besser« als fünf Tote. Man kann aber sagen, relativ zum Januar steht Deutschland im Juni deutlich besser da. Man könnte sich zum Vergleich die Zahlen der Corona-Toten in anderen Ländern anschauen, sie auf jeweils 100 000 Einwohner beziehen, um dann zu entscheiden, ob Deutschland relativ zu anderen Ländern eher gut oder eher mittel durch die Krise gekommen. »Ziemlich gut«, würde das Ergebnis lauten – jedenfalls was die Todeszahlen angeht. Schließlich könnte man sich fragen, wie viel Menschen in diesem Zeitraum »überlebt« haben, weil es in Corona-Zeiten weniger Verkehrs- und Influenza-Tote gab. Daraus ließe sich die »Übersterblichkeit« berechnen.

    Ich kann mich nicht erinnern, jemals derart auf Zahlen fixiert gewesen zu sein wie im vergangenen Jahr. Corona hat uns nicht nur zu einer Nation von achtzig Millionen Virologen gemacht, sondern auch zu einem Land millionenfacher inkompetenter Statistiker. Ich hoffe, die Deutsche Mathematiker Vereinigung (DMV) hat die Chance für ihr Fach erkannt: Wer sich oder seinen Kindern klar machen will, dass wir in der Schule für das Leben lernen, soll sich an das vergangene Jahr erinnern. Da wurde anschaulich, welchen Beschleunigungseffekt exponentielle Entwicklungen haben. Und dass Maßnahmen wir gut daran tun, Statistik ernst zu nehmen. »Es ist leicht, mit Statistik zu lügen. Noch leichter lügt es sich ohne Statistik«, so der Statistiker Frederick Mosteller.

    Mathe ist nicht gerade meine Stärke. Im Abitur war das noch anders. Zum Glück muss ich mich nicht verstecken: Selbst gute Mathematiker behaupten von sich, sie seien in Mathe nicht gut. Um die Corona-Pandemie besser zu verstehen, sollte man wissen, was Zahlen sagen und was sie nicht sagen. Ohne Kontext sagen Zahlen wenig. Kontexte stellt man her, indem man Zahlen auf andere Zahlen bezieht. Wenn man Glück hat, wird Erkenntnis daraus.

    Was ein Durchschnittswert sagt – und was nicht

    Der Kontext ist das eine. Der Durchschnitt ist das andere. Mein Schrecken angesichts der Meldung, die Corona-Pandemie habe bei uns allen zu einer Gewichtszunahme von 5,5 Kilo geführt, drehte sich in stolze Zufriedenheit nach einem Check auf der Waage. Ob an meiner Stelle jemand anderes um elf Kilo schwerer geworden sein könnte?

    Wie tricky Zahlen überhaupt sind, habe ich gemerkt bei der Lektüre des gerade erschienenen Buches der Statistik-Experten Tom & David Chivers, das den schönen Titel trägt: »How to read numbers« (Wie man Zahlen liest). Das Buch liest sich vergnüglich, verlangt keine mathematischen Voraussetzungen, sondern lediglich einen klaren Kopf und bringt am Ende viele Aha-Erlebnisse.

    Sie erinnern sich an R? Steigt R, ist das schlecht, fällt R, ist das gut. R ist die Reproduktionsrate von irgendetwas. Sie kann sich auf die Verbreitung von Menschen, auf Internet Memes oder eben Covid-Viren beziehen. R sagt, wie viele Menschen durchschnittlich infiziert werden von einem, der mit Covid infiziert ist. R ist also auch ein Durchschnitt wie meine 5,5 Kilo, die ich nicht zugenommen habe. Ein R-Wert von fünf kann bedeuten, dass von hundert Menschen jeder fünf weitere infiziert. Ein R-Wert von fünf kann aber auch bedeuten, dass 99 Menschen niemanden infizieren, dafür aber einer allein 500 infiziert.

    Was ich nicht wusste: R kann größer werden und das ist trotzdem eine gute Nachricht. Dahinter verbirgt sich Simpsons Paradox. Das geht so: Stellen wir uns 100 infizierte Personen in Pflegeheimen und 100 Infizierte in privaten Haushalten vor, wobei jeder Pflegfall drei weitere und jeder im Privathaushalt zwei weitere Personen ansteckt. Der Durchschnitt des R-Wertes von 3 und 2 ergibt 2,5. Anschließend gibt es einen Lockdown, worauf R in den Privathaushalten schneller zurückgeht als in den Pflegheimen. 90 Infizierte in den Heimen geben den Virus im Schnitt an 2,9 Gesunde weiter. 10 Infizierte in Privathaushalten geben ihn an nur 1 Person weiter: 90 mal 2,9 plus 10 mal 1, geteilt durch 100 ergibt 2,7. Das Paradox: Obwohl in beiden Gruppen der R-Wert gefallen ist (von 3 auf 2,9 in den Heimen und von 2 auf 1 in den Haushalten), steigt er insgesamt von 2,5 auf 2,7. Wer meint, ein steigender R-Wert sei immer schlimm, hat sich getäuscht. Solche »Täuschungen« hat es tatsächlich in den Corona-Monaten häufig gegeben.

    Der Schlüssel für Simpsons Paradox

    Simpsons Paradox lässt sich übrigens nicht nur auf den R-Wert in Corona-Zeiten anwenden. So kann es sein, dass der Durchschnittslohn in einem Land steigt, während im selben Zeitraum das Lohnniveau in allen Arbeitnehmergruppen sinkt: unter Beschäftigten ohne und mit Hauptschul-, Gymnasial oder Universitätsabschluss. Die Erklärung: Zwar sinken überall die Löhne, aber die Zahl der Beschäftigten mit Universitätsabschluss nimmt zu. Da höhere Bildung zu höherem Einkommen führt, steigt das Lohnniveau insgesamt an. Linke Interpreten können eine Niedergangsstory stricken, konservative Kreise sprechen von einer Erfolgsgeschichte. Beide Gruppen beziehen sich auf dieselben Daten: beide haben recht oder unrecht, wie man es eben sieht.

    Statistik derart unterhaltsam dargereicht macht süchtig. Hier nur noch ein paar Lieblings-Aha-Erlebnisse. Die Meldung, täglich eine zusätzliche Scheibe Speck zum Spiegelei zu essen, erhöhe das Krebsrisiko um 20 Prozent, macht Angst. Wenn ich aber weiß, dass das Krebs-Risiko des durchschnittlichen Speck-Essers bei sieben Prozent liegt, bedeuten 20 Prozent von 7 lediglich weitere 1,4 Prozentpunkte. Mithin erhöht sich das Risiko von 7 auf 8,4 Prozent – nicht Nichts, aber auch kein richtiger Aufreger. Mit der Angabe von relativen Risiken lässt sich nichts anfangen, sofern man nicht das absolute Risiko kennt.

    Dass Korrelation und Kausalität leicht durcheinander purzeln können, weiß ich. Wer das übersieht, den kann man mühelos davon überzeugen, dass Schnarchen durch das Essen von Fischstäbchen verursacht wird. Dass Prognosen (Wetter, Wachstum) die Angabe eines Unsicherheitsintervalls erfordert, macht sie redlich, aber auch langweilig. Zu wissen, dass sich mit der Wahl des zeitlichen Anfangspunktes einer Datenreihe fast jede beliebige These belegen lässt, macht einen ebenfalls vorsichtiger. Wie trickreich Goodharts Law funktioniert, kann ich hier nur andeuten: Gute Ziele verwechseln wir mit irgendwelchen Messgrößen, mit denen sie erreicht werden sollen. 60 Prozent Staatsschulden (Maastricht-Kriterium) sind kein Ziel an sich, das Ziel ist eine disziplinierte Haushaltspolitik.

    Wir Journalisten kommen bei den Statistikern nicht besonders gut weg: Nicht genug, dass wir häufig Zahlen ohne Kontext präsentieren, führt die »Nachfrage nach Neuigkeit« zu einer Verzerrung der Wirklichkeit (»Mann beißt Hund« ist eine super Meldung. »Hund beißt Mann« ist langweilig und also keine Meldung). Wenn es also gut geht, führt die Corona-geschuldete Einsicht in den Nutzen von Statistik auch zu besserem Journalismus.

    Rainer Hank

  • 17. Juni 2021
    Kaviar statt Butterbrot

    Kaviar auf Wachtelei Foto pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Jetzt das Geld ausgeben, sonst ist der Sommer schon wieder vorbei

    Die Impfkampagne wirkt wie ein Konjunkturprogramm. Dieser bemerkenswerte Satz steht in einem Ausblick auf die Welt nach Corona, den die OECD, der Club der reichen Industrieländer, kürzlich veröffentlicht hat. Daraus lässt sich dreierlei ableiten: Je besser und schneller ein Land die Impferei hinbekommt, umso schneller geht es mit der Wirtschaft bergauf. Je besser das Impfen funktioniert, umso mehr Freiheit gewinnen wir zurück. Und schließlich: Dass überhaupt geimpft wird, ist ein großer Erfolg des Kapitalismus und seiner die Freiheit und die Menschenleben rettenden Kreativität. Wer wie der Grünen-Chef Robert Habeck meint, der Kapitalismus habe in der Pandemie versagt, weil der Markt im Frühjahr 2020 nicht gleichzeitig jedem weltweit eine Maske zum Nulltarif angeboten hat, sollte sich das Impfwunder zu Gemüte führen.

    Die Freude über Freiheit und rückläufige Inzidenzen ist seit den sonnigen Tagen mit Händen zu greifen. Unsere Corona-Gereiztheit lässt nach, weicht einer Stimmnung freudiger Gelassenheit. »Back to normality« ist das Schlagwort der Stunde. Alles schnell öffnen, verlangt der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger: »Sonst ist der Sommer schon wieder vorbei.« Das trifft unsere Ungeduld gut.
    Es gibt Zeitgenossen, die uns einreden wollen, wir dürften jetzt nicht zurück zur Normalität. Bescheidenheit, Askese und die Reduktion des Lebens auf die wahren und echten Bedürfnisse seien das Gebot der Stunde: Bayern statt Bali, Butterbrot statt Beluga-Kaviar. Das würde den Propheten der Askese so passen. Was meine »wahren« Bedürfnisse sind, will ich schon selbst entscheiden. Wer meint, dafür gäbe es ein objektives Maß, verfolgt im Grunde nur ein Umerziehungsprogramm nach seinen eigenen Normen. Anmaßende Verhaltenslenkung im Gewande der moralisch guten, ökologisch korrekten Erwachsenenpädagogik.

    Inzwischen häufen sich kluge Analysen, die erwarten, dass wir den Roaring Twenties des 21. Jahrhunderts entgegengehen. Dafür spricht das vitale Bedürfnis, endlich wieder in vollen Zügen zu leben. Dem gesellen sich ökonomische und historische Fingerzeige hinzu. Schaut man sich die Wachstumsprognosen des Internationalen Währungsfonds an, so wird in allen G-7–Ländern in diesem Jahr ein robustes Wachstum erwartet, das von mehr als sechs Prozent in den USA über 3,6 Prozent in Deutschland bis zu gut drei Prozent in Japan reicht. Einen derart synchron verlaufenden Aufschwung, noch dazu in dieser Stärke, hat die Weltwirtschaft seit den Fünfzigerjahren nicht mehr erlebt. Entscheidender Treiber dieses Wachstums sind gigantische Konjunkturprogramme, die viele Länder aufgelegt haben.

    Ein Schub der Digitalisierung

    Hinzu kommt, dass die Pandemie einen enormen Schub der Digitalisierung bewirkt hat. Die Erfindungen rund um das Internet und ihr möglicher technischer und wirtschaftlicher Nutzen sind schon lange bekannt. Aber jetzt setzt sich der digitale Fortschritt breit durch. Das war mit Fernsehgerät, Spülmaschine und Automobil in den Fünfziger- und Sechzigerjahren nicht anders. Alles gab es schon seit den Zwanziger- und Dreißigerjahren. Aber erst in den »Roaring Sixties« fanden diese Geräte Eingang in jeden Haushalt. Andy Haldane, der Chefökonom der Bank of England, vertritt die Auffassung, der Digitalisierungsschub der Pandemie bringe nun endlich die Lösung des sogenannten »Produktivitätsparadoxons«: Jetzt werden sich die Früchte der Digitalisierung im Gesundheits- oder Bildungswesen, in den Fabriken und den Büros und deshalb auch in den volkswirtschaftlichen Statistiken niederschlagen. Das könnte freilich auch den Effekt haben, dass die Unternehmen ihre Fertigung ins Internet der Dinge hinein automatisieren – als Maßnahme zur Stärkung der Resilienz gegen kommende Schocks: Roboter in den Fabrikhallen sind – anders als Menschen – gegen gefährliche neue Viren nachhaltig immun.
    Das viele Geld, das die Menschen in der Pandemie unfreiwillig gespart haben, will jetzt ausgegeben werden. In Deutschland ist die Sparquote der privaten Haushalte von gut zehn Prozent des Einkommens im vergangenen Jahr auf noch nie dagewesene 16,2 Prozent angestiegen. Das sind 331 Milliarden Euro. Der auf Verzicht beruhende Anteil dieses Geldes kann jetzt verkonsumiert werden – auf Bali, den Bahamas oder in Bad Gastein. Ob das die Inflation dauerhaft nach oben treibt – auch das gehört ja zu den Roaring Twenties –, dar¬über machen Ökonomen sich Sorgen – selbst jene, die meinten, eine inflationsfreie Welt sei ein säkularer Trend und gefährlich sei eher eine Deflation (von der hat man schon lange nichts mehr gehört). Da ich aber eine komplett optimistische Kolumne schreiben will, sollen die Inflationsängste an dieser Stelle nicht vertieft werden. Zumal der britische Economist uns kürzlich eine beruhigende Grafik der Investmentbank Goldman Sachs gezeigt hat, aus der ich entnehme, dass zwar nach Kriegen die Teuerung dramatisch ansteigt, aber nicht nach Seuchen. Gut, dass wir »bloß« eine Pandemie hatten und keinen Krieg.

    Was die Fachleute von Goldman Sachs ebenfalls herausgefunden haben: Der Konsum nimmt nach Pandemien zwar zu. Aber die Leute werfen nicht besinnungslos ihr Geld zum Fenster raus. Die Krise hat sie vorsichtig werden lassen. Das könnte jetzt auch wieder so sein. Eine Krise folgt der nächsten (Finanz-, Euro-, Flüchtlings- und Corona-Krise). Gerade weil wir in den vergangenen 20 Jahren mehrfach die Erfahrung des Unerwarteten gemacht haben, bremsen wir unseren Optimismus ab. Der amerikanische Ökonom Barry Eichengreen meint deshalb, die Sparquote werde weltweit tendenziell höher bleiben.

    Der Große Gatsby

    Ich will der Aufrichtigkeit halber nicht verhehlen, dass es Zeitgenossen gibt, welche die Erwartung der Roaring Twenties übertrieben finden. Sie haben viele schwache, aber ein starkes Argument auf ihrer Seite: Gegen Ende des Ersten Weltkriegs lag der Anteil der unter Zwanzigjährigen an der Gesamtbevölkerung in Westeuropa bei knapp vierzig, jener der über Fünfundsechzigjährigen bei sechs bis sieben Prozent. Heute hat sich der Anteil der Jungen halbiert und jener der Älteren fast vervierfacht. Dass sich in einer solchen Gesellschaft die Exzesse und Orgien in Grenzen halten werden, wird man vermuten dürfen, aller darin enthaltenen Altersdiskriminierung zum Trotz. Dass es also nach 1920 einen Boom an »Start-ups« gab und eine neue Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, taugt nicht unbedingt zur Blaupause für das aktuelle Jahrzehnt. Die sogenannte säkulare Stagnation könnte uns noch eine ganze Weile begleiten: In Erwartung eines langen Lebens sparen immer mehr Leute immer mehr. Aus Ersparnissen werden keine Investitionen: weil den Firmen nichts Gescheites einfällt.

    Was soll man sagen? Dass Prognosen unsicher sind, vor allem dann, wenn sie die Zukunft betreffen, wissen wir. Halten wir uns derweil an den »Großen Gatsby«, F. Scott Fitzgeralds Roman der Roaring Twenties: »Gatsby glaubte an die rauschende Zukunft, die Jahr um Jahr vor uns zurückweicht. Sie ist uns gestern entschlüpft, doch was tut’s – morgen schon eilen wir rascher, strecken weiter die Arme aus . . . Und eines schönen Tages . . .«

    Rainer Hank

  • 08. Juni 2021
    Hundert Euro Klima-Prämie für alle

    Der Spritpreis steigt und steige Foto Emslichter auf Pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum die Pendlerpauschale weg muss

    Letztes Jahr um diese Zeit mussten wir für einen Liter Diesel rund 98 Cent bezahlen. Heute können wir froh sein, wenn wir mit 1 Euro 35 aus der Tankstelle kommen. Was ist passiert? Na ja, Angebot und Nachfrage: Im harten Lockdown standen die Bänder still und der Verkehr ruhte. Demensprechend war der Ölpreis auf Tiefstand. Heute pulsiert das Leben wieder, Öl und Benzin sind teuer.

    Doch das ist nicht alles. Deutschland soll 2045 klimaneutral werden. Deshalb muss jetzt für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) beim Autofahren eine Straf-Steuer bezahlt werden: 25 Euro je Tonne CO2. Umgerechnet macht das den Liter Diesel um 8 Cent teurer. Das ist noch nicht das Ende: Bis zum Jahr 2025 steigt der CO2–Preis auf 55 Euro, was den Liter Diesel um 15 Cent verteuert. Die Absicht ist klar: Uns soll das Dieselfahren versäuert, der Umstieg auf ein E-Auto mit allerlei Prämien schmackhaft gemacht werden. Wenn sich die Grünen politisch durchsetzen, geht alles noch viel schneller: Schon 2023 soll der CO2–Preis auf 60 Euro steigen. Seit Tagen tobt hierzulande deshalb mal wieder ein populärer Spritstreit.

    Im Prinzip finde ich in Ordnung, dass Benzin und Diesel teurer werden, auch wenn es schlechte Laune macht. Der beschleunigte Verzicht auf die Nutzung fossiler Energieträger (Öl, Gas, Kohle) ist das entscheidende Instrument, den Klimawandel aufzuhalten. Verhalten steuert man über den Preis, sagen die Ökonomen – besser als über komplizierte Interventionen und Subventionen.

    Müssen die Verlierer entschädigt werden?

    Doch es bleibt die Frage, ob es beim Umstieg gerecht zugeht. Wenn wir den Eindruck haben, dass etwas fair ist, sind wir mit dem Leben zufrieden und weniger neidisch auf unsere Mitmenschen. Wir sind auch eher bereit, Verzicht und Verteuerung zu akzeptieren, uns also aktiv für den Ausstieg aus Öl und Kohle zu engagieren. Nun könnte man global werden und mit dem Finger auf China zeigen, wo der CO2–Verbrauch Jahr für Jahr zunimmt, während wir in Europa uns einschränken sollen. Und wenn wir uns einschränken, verbilligt das den Preis für fossile Energie, was auf andere Nationen als zusätzlicher Anreiz zum Heizen mit Öl und Kohle wirkt. Der gerne vorgebrachte Hinweis, die Prokopf-Emissionen in China seien den unseren vergleichbar, verfängt nicht. Die Masse machts, nicht der Einzelne.

    Zugegeben, der Fingerzeig auf China könnte eine Immunisierungsstrategie sein, um uns unserer Verantwortung zu entledigen. Deshalb will ich die Gerechtigkeitsfrage hier lediglich national stellen und mich auf den derzeit umstrittenen Autoverkehr beschränken. Der höhere Spritpreis trifft alle gleich: Arme und Reiche, Vielfahrer und Wenigfahrer. Viele Politiker sind der Meinung, es müsse deshalb einen sozialen Ausgleich geben für Ärmere, die lange Wege zur Arbeit auf sich zu nehmen genötigt sind.

    Nun ist es nicht so, dass die Frage des fairen Ausgleichs erst jetzt aufgefallen wäre. Vom 21. Kilometer an können Pendler seit diesem Jahr nicht mehr nur 30, sondern 35 Cent (ab 2024 sogar 38 Cent) in der Steuererklärung »absetzen«. Um zu entscheiden, ob das gerechtr ist, muss man rechnen. Das ist nicht trivial, weil Einkommen, Progression und Entfernung als Variable je eine Rolle spielen. Zum Glück gibt es Fachleute wie Michael Pahle, ein kluger Ökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Er hat für mich gerechnet und mir eine wunderbare Excel-Tabelle geschickt. Nehmen wir einen Pendler, der täglich mit seinem Auto von Friedberg nach Frankfurt zur Arbeit fährt. Das sind gut 30 Kilometer. Wir legen einen Durchschnittssteuersatz von 30 Prozent zugrunde und gehen zusätzlich davon aus, dass seine sonstigen Werbungskosten über dem Pauschbetrag von 1000 Euro liegen. Dann sagt uns unsere Excel-Tabelle, dass sich die Spritkosten bei der Fahrt zur Arbeit um 51,75 Euro im Jahr erhöhen. Zugleich bringt unserem Pendler die erhöhte Entfernungspauschale 34, 50 Euro. Er »spart« somit am Ende des Jahres 17, 25 Euro gegenüber dem »offiziellen« CO2–Preis.

    Ein »Scheck« für alle

    Lassen wir nun eine Pendlerin bei sonst gleichen Bedingungen in Bad Nauheim wohnen, das sind 40 Kilometer nach Frankfurt. Dann erhöhen sich in diesem Jahr ihre Spritkosten um 69 Euro, ihre aufgebesserte Pauschale bringt ihr ebenfalls 69 Euro. Sie ist fein raus: Die Rechnung geht Null auf Null auf. Erst im Jahr 2025 zahlt auch sie drauf: Kosten von 151,80 Euro steht die Erstattung von 110, 40 Euro gegenüber. Schließlich lassen wir die Frau auch noch richtig reich werden, indem wir einen von der Progression ausgelösten Durchschnittssteuersatz von 35 Prozent zugrunde legen. Für die reiche Bad Nauheimerin lohnt sich das Pendeln: In diesem Jahr hat sie ein Plus von 11,50 Euro; erst im Jahr 2025 dann ein Minus von sogar 23 Euro.

    Jetzt haben wir das Prinzip kapiert: Je weiter die Strecke, die man pendelt und je höher das Einkommen, umso besser. Der Pendler wird nicht allein für die CO2–Bepreisung kompensiert, wenn er besonders reich ist, hat er am Ende sogar noch kleines Trinkgeld übrig gegenüber der Zeit vor der CO2–Bepreisung. Dass hier etwas nicht stimmt, ist nicht nur mir, sondern auch der Politik aufgefallen. Damit auch arme Pendler nicht bestraft werden, die unter oder knapp am Steuergrundfreibetrag liegen, erhalten sie eine sogenannte »Mobilitätsprämie. Eine Pendlerin mit einem zu versteuernden Einkommen von 9100 Euro bekommt beispielsweise eine Prämie von 42,84 Euro als Kompensation für den höheren Spritpreis ausbezahlt.

    Dass das nicht gerecht ist, sieht ein blinder Fußgänger mit Krückstock. Die Pendlerpauschale war immer schon eine hoch problematische Subvention, mit der der Staat auf Einnahmen von jährlich 5,1 Milliarden Euro verzichtet. Pendler, ob arm oder reich, profitieren von der Entfernungspauschale und zusätzlich von günstigeren Immobilien- und Mietpreisen im Umland. Wäre es nicht besser gewesen, im Interesse des Klimas und aus Gründen der Fairness die Pendlerpauschale ganz zu streichen? Ich finde schon. Doch offenbar fürchtet die Politik die Rache der pendelnden Wähler. Die derzeitige Debatte gibt darauf einen Vorgeschmack.

    Man könnte es fairer machen, findet Klimaökonom Pahle. Für viele Menschen ist eine CO2–Steuer kontraintuitiv. Sie verstehen nicht, was Preise und Klimarettung miteinander zu tun haben und präferieren direkte Investitionen in Wind- und Sonnenenergie. Aber immerhin – das zeigen Pahles Befragungen – fänden die Leute es gut, gäbe es zur Kompensation der höheren Spritpreise eine einheitliche Pro-Kopf-Prämie für jedermann. Eine solche »explizite Rückverteilung« wäre anders als die »implizite Rückverteilung« (Pendlerpauschale, Abschmelzen der EEG-Umlage) für jedermann sichtbar und würde mehrheitlich als fair empfunden. Bei Einnahmen aus der CO2–Steuer von geschätzt 3,6 Milliarden Euro im laufenden Jahr erhielte jeder der 80 Millionen Bürger einen »Scheck« in Höhe von 45 Euro. Bei erwarteten Einnahmen von geschätzt 8,3 Milliarden im Jahr 2023 wären es immerhin schon 104 Euro, mithin für eine vierköpfige Familie 416 Euro. So eine Pro-Kopf-Prämie würde die Bereitschaft erhöhen, sich für den Klimawandel einzusetzen. Politiker könnte sich damit sogar als gerechte Klima-Wohltäter profilieren. Vielleicht macht sich ja eine Partei diese Idee im Wahlkampf zu eigen?

    Rainer Hank

  • 01. Juni 2021
    Test-Muffel müssen sich nicht fürchten

    Außengastronomie Foto bridgesward/pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum halten wir uns trotzdem brav an die Corona-Recht?

    So fühlt sich Freiheit an: Platz nehmen, Speisekarte studieren, Bestellungen aufgeben. Wie lange hat uns das gefehlt! Jetzt also geht es los. Das gewöhnungsbedürftige Zauberwort heißt »Außengastronomie«. Vor den Genuss haben die Corona-Politiker die bestandene Aufnahmeprüfung gesetzt: Wer nicht genesen oder doppelt geimpft ist, der braucht einen frischen negativen Test. Da fängt unser innerer Utilitarist sogleich zu wägen an: Termin vereinbaren, Teststation aufsuchen, Ergebnis abwarten – und das alles für zwei Weizenbiere am kalten Maiabend?

    Zwei Erfahrungen kann ich berichten. Beim ersten Mal ging es oberkorrekt zu. Vor Betreten des Gasthausgartens mussten wir einen Selbsttest machen, dann einchecken über die Luca-App, dann mit Maske der Wirtin das negative Ergebnis vorzeigen, die dafür ein mehr oder weniger amtlich aussehendes Dokument ausstellt. Zeitkosten circa fünfzehn Minuten, dann unbeschwert Abendessen. Das nächste Mal, andere Lokalität, ging es deutlich lockerer zu. Zwar stand auf der Schiefertafel am Eingang, der Zugang sei nur mit Test oder Doppelimpfung erlaubt. Gefragt hat uns niemand.

    Dieser zweite Außengastronomie-Besuch, unaufwändig und an Eigenverantwortung appellierend, fühlte sich deutlich freiheitlicher an, hinterließ aber einen Rest schlechtes Gewissen: Ich hätte ja auch von mir aus das Testthema ansprechen können. Und was wäre passiert, wäre just beim Hauptgang (»Tartar Frites«) ein Kontrolleur erschienen? Oder es säße ein Superspreader mitten unter uns. Das müsste man wohl den Ischgl-Moment nennen.

    Nüchtern Kosten und Nutzen abwägen

    Gehen wir die Sache systematisch an. Gary Becker, Altmeister der Chicago-Schule der Ökonomie, 1992 mit dem Nobelpreis dekoriert, 2014 verstorben, pflegte gerne folgende Geschichte zu erzählen: Spät dran bei einem wichtigen Termin, steht er vor der Alternative, lange ein Parkhaus zu suchen und den Termin nicht zu schaffen oder im Parkverbot direkt vor seinem Ziel den Wagen abzustellen und einen Strafzettel zu riskieren. Becker entschied sich für das Parkverbot, nachdem er intuitiv die Strafzettel-Wahrscheinlichkeit als relativ gering und das drohende Knöllchen als verkraftbar taxiert hatte. Kosten-Nutzen-Erwägungen finden überall statt. Für den das Recht durchsetzenden Staat bedeutet das, dass er zwei Möglichkeiten hat: Entweder muss die Entdeckungswahrscheinlichkeit hoch sein (viele kontrollierende Polizisten) oder die Strafe saftig.

    Zurück in die Außengastronomie: Die Entdeckungswahrscheinlichkeit scheint mir ziemlich gering zu sein. Es müssten in den kommenden Wochen viele Sheriffs durch deutsche Biergärten streifen, um zu kontrollieren, ob alle Gäste getestet (respektive genesen oder geimpft) sind. Und sähe das dann nicht wirklich arg nach Polizeistaat aus? Gemäß der Substitutionstheorie von Gary Becker müsste folglich die Strafe ordentlich ausfallen, um die Corona-Norm durchzusetzen. Wie hoch wäre das Bußgeld gewesen, hätte man mich beim Tartar ohne Impfausweis erwischt? Und wer müsste es bezahlen? Ich oder der Wirt?

    Eine Recherche im Netz und im FAZ-Archiv brachte keine eindeutige Antwort. Also Nachfrage beim Hessischen Gesundheitsministerium. Die amtliche Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Die Höhe des Bußgeldes werde von der »kontrollierenden Gebietskörperschaft« festgelegt. Für Frankfurt wird eine Spanne zwischen 500 und 1000 Euro genannt. Belangt würde nicht ich, sondern der Wirt.
    Ziehen wir eine Zwischenbilanz: Das Risiko, ohne Testnachweis in der Kneipe erwischt zu werden, ist ziemlich gering, die mögliche Höchststrafe für den Kneipenbesitzer (1000 Euro) eher saftig. Doch wie soll man die abschreckende Wirkung einer Strafandrohung beurteilen, wenn es erst längerer Recherchen bedarf, um das Drohpotential zu eruieren? Das ist der Unterschied zwischen Corona-Neuland und dem Park-Knöllchen Gary Beckers, das vom Regelbrecher einfach zu kalkulieren ist. Jedenfalls müsste man aus Sicht der Staatsgewalt, welche die Einhaltung des Infektionsschutzgesetztes auch durchsetzen will, nachdenklich werden, ob das alles funktioniert. Aus Sicht des freiheitsliebenden Bürgers, der die Testpflicht zumindest im weitläufigen Biergarten ziemlich übertrieben findet, sieht schon anders aus.

    Die »expressive function of law«

    Wie lässt es sich angesichts dieses Befunds erklären, dass mutmaßlich die meisten Bürger sich an die Corona-Regeln halten? Wenn wir alle rational handeln würden – was nicht mit »moralisch gut« verwechselt werden darf – würden wir ständig die Gesetze brechen, weil uns längst aufgegangen wäre, dass die Strafen nicht abschreckend, die Entdeckungswahrscheinlichkeit gering und der Erwartungsnutzen des Regelverstoßes höher ist als der der Regeleinhaltung. Trotzdem halten wir uns in der Regel an das Recht. Alexander Morell, ein Professor für das Fach »Law and Economics« in Frankfurt, macht uns auf die Theorie der »expressive function of law« aufmerksam. Etwas holprig übersetzt ist damit gemeint, dass das Recht nicht nur die Strafandrohung als eine Art Marktpreis für Fehlverhalten kennt, sondern bei den Bürgern auch die Verpflichtung ins Gewissen einpflanzt, ihrer Zustimmung zu den vom Recht gesetzten Normen und Regeln Ausdruck zu verleihen (»express«), indem sie sie befolgen. Oder einfacher gesagt: Wir sehen uns gerne als gesetzestreue Bürger und deshalb halten wir uns an das Gesetz, weil wir uns dann irgendwie gut vorkommen. Wenn die Regierung anordnet, dass sich ein Haushalt nur mit einem anderen Haushalt treffen darf, machen wir das auch so, obwohl die Entdeckungswahrscheinlichkeit in der privaten Wohnung gleich null ist. Scham und schlechtes Gewissen – eine Art »soziale Strafsteuer« – sind in ihrer Wirkung einer Geldbuße durchaus ebenbürtig.

    Die Theorie der »expressive function of law« ist nicht unplausibel, lässt sich freilich auch relativieren als nachvollziehbares Wunschdenken von Rechtsökonomen, welche gerne hätten, dass Gesetze intrinsisch befolgt werden. Wir hören aus Italien, dass dort das Rauchverbot in Restaurants vor allem deshalb so rasch durchgesetzt worden sei, weil die jeweils anderen Wirte die Gesetzesübertreter eifrig denunziert hätten. Dass Corona die Denunziationslust – und -angst beflügelt hat, lässt sich kaum bestreiten: der autoritäre Charakter ist keine besonders sympathische menschliche Eigenschaft, zur Regelbefolgung aber ganz nützlich.

    Vielleicht – auch diesen Gedanken verdanke ich Alexander Morell – sind die vielen völlig unübersichtlichen und in vielen Fällen auch völlig übertriebenen Corona-Regeln hierzulande der Preis dafür, dass unser Staat sich verbietet, alles über uns zu wissen. Der digitale »Big Brother« würde sogar das Denunziantentum obsolet werden lassen. Paradoxerweise kann ein totalitärer Überwachungsstaat, der alles über seine Bürger weiß, in der Pandemie mehr Freiheiten zulassen. Aber soll man diese Freiheiten wirklich Freiheit nennen? Oder gäbe es einen dritten Weg für einen demokratischen Rechtsstaat, der sich im Verhältnis zu seinen Bürgern abstinent verhält, sie nicht ständig gängelt und überwacht und zugleich mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit des Regelwerks und auf die Eigenverantwortung der Bürger setzt? Genügend Diskussionsstoff jedenfalls für den nächsten Biergartenbesuch mit Freunden.

    Rainer Hank

  • 25. Mai 2021
    Ran an die Reichen

    Von oben sieht die Welt besser aus Foto Austin Distel/unsplash

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum eine Vermögenssteuer nichts bringt

    »Wer hat, der gibt.« So lautet der Slogan einer Kampagne links-grüner Organisationen und ihnen gewogener Sozialwissenschaftler zu einem »Bündnis für Umverteilung«: »Die Reichen müssen für die Krise zahlen«, heißt die Forderung der Gruppe, zu der sich unter anderen Oxfam, Attac, Fridays for Future und der Paritätische Wohlfahrtsverband gesellen. Weil Reichtum unanständig ist, sollen die Millionäre jetzt für die Schäden der Corona-Pandemie zur Kasse gebeten werden.

    Nun könnte man die Initiative als Nischenprojekt ignorieren, wären im September nicht Wahlen. Die Aktivisten bereiten für den 21. August, vier Wochen vor der Wahl, einen bundesweiten Umverteilungs-Aktionstag vor, der den Parteien ordentlich einheizen soll. Die Hitze ist jetzt schon zu spüren. Ich habe mich dem etwas speziellen Vergnügen ausgesetzt, die Parteiprogramme danach durchzukämmen, was aus den Wohlhabenden werden soll. Das Fazit: Sie könnten bald arm aussehen. Oder genauer: Sie sollten beizeiten nachdenken, wie sie ihr Vermögen in Sicherheit bringen.

    In Umkehrung des Bündnis-Slogans lassen sich die Steuerkonzepte von Grünen, SPD und Linken unter dem Motto »Wer hat, dem wird genommen« zusammenfassen. Höhere Spitzensteuerätze beim Einkommen, mehr Erbschaftssteuer, Reichen-Soli bis zum Sankt Nimmerleinstag. Breiten Raum nimmt insbesondere die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer ein.

    Damit es übersichtlich bleibt, will ich mich hier auf diese Vermögenssteuer konzentrieren, die sich in allen Programmen der drei linken Parteien findet. Auf das Programm der Union warten wir noch. Die FDP hat am vergangenen Wochenende zu Protokoll gegeben, höhere Steuern zu verhindern (oder abermals nicht mitzuregieren). Und bei der AfD weiß man nie so genau, was sie will.

    Die Ungleichheit der Vermögen nicht nicht zu

    Nun also zu den Programmen der Grünen, der SPD und der Linken. Die Warnung vor R2G (»Rot-Rot-Grün«) ist mehr als Zweckpessimismus. In den aktuellen Sonntagsfragen kommen sie zusammen auf rund 47 Prozent Wählerstimmen. Die Vermögenssteuer ist eine sogenannte Substanzsteuer, würde also Jahr für Jahr auf den Reichtum erhoben, unabhängig davon, ob der sich mehrt oder schrumpft. Einkommens- oder Kapitalertragssteuer werden dagegen immer nur auf den Zugewinn fällig. Die Grünen und die SPD haben in ihren Programmen jeweils eine Vermögenssteuer von jährlich 1 Prozent oberhalb von zwei Millionen Euro Vermögen. Die Linken legen ein paar Schippen drauf: da wächst die Steuer von einem Vermögen von 50 Millionen Euro an auf fünf Prozent – das wären also 2,5 Millionen Euro jährlich. Außerdem soll es noch eine saftige Vermögensabgabe zur Behebung von Corona-Schäden geben, die sich, verteilt über 20 Jahre, auf bis zu 30 Prozent des Gesamtvermögens hochschaukelt.

    Zur Begründung ihrer Pläne nennen die Grünen »die immer stärker werdende Ungleichheit« im Land, mit der sie sich nicht abfinden wollen. Bei der SPD steht im Vordergrund, »die Finanzkraft der Länder für wichtige Zukunftsaufgaben zu verbessern«. Wer viel hat, soll viel zahlen. Das ist die berühmte Antwort des Bankräubers Will Sutton auf die Frage, warum er Banken überfalle: »Because thats where the money is.« Um welche »Zukunftsaufgaben« es geht und warum die gigantische Neuverschuldung und die 2022 erwartbar wieder sprudelnden Steuereinnahmen dafür nicht ausreichen, mit solchen Nebensächlichkeiten halten die Parteien sich nicht weiter auf.

    Stimmt es denn, dass die Vermögensungleichheit zunimmt? Und taugt eine Vermögenssteuer dazu, sie zu schrumpfen? Tun wir einmal so, als ließe sich das Vermögen der Deutschen einigermaßen exakt beziffern (die Statistik ist ziemlich windig) und befragen den in der vergangenen Woche erschienenen »Armuts- und Reichtumsbericht« der Bundesregierung. Mit insgesamt 7,8 Billionen Euro Bruttovermögen sind wir ziemlich reich. Und wir wurden immer reicher: Betrug das durchschnittliche Vermögen eines privaten Haushalts im Jahr 2008 noch 144 000 Euro, so waren es 2018 schon 194 000 Euro. Immobilien, mit 70 Prozent der wichtigste Teil des Vermögens, verbesserten sich in dieser Zeit im Wert um 41 Prozent, der Rest um sieben Prozent.

    Produktivvermögen in Arbeitnehmerhand

    »Wir« ist freilich relativ: Grob gesagt vereinen die reichsten zehn Prozent der Haushalte die Hälfte des Vermögens auf sich, während die untere Hälfte gerade einmal zwei Prozent hat. Doch geht die »Schere« auf? Der Reichtumsbericht widerspricht. Blickt man auf die Nettovermögen (das sind die Vermögenswerte abzüglich der darauf lastenden Schulden), so ist die Ungleichheit seit 2008 nicht größer geworden. Im Gegenteil: Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit misst (0 heißt völlige Gleichheit, 1 heißt komplette Ungleichheit), ist von 0,75 auf 0,71 zurückgegangen. Die Autoren des Berichts führen dies auf steigende Arbeitseinkommen der ärmeren Schichten und zunehmenden Immobilienbesitz der Mittelschicht zurück. So viel, nur nebenbei, zur Behauptung, dass es in Deutschland heutzutage nicht mehr möglich sei, Wohneigentümer zu werden.

    Nun könnte man mit gewissem Recht argumentieren, die Vermögensverteilung bleibe grob ungerecht, auch wenn die Ungleichheit seit über zehn Jahren nicht mehr zunimmt. Doch wäre eine Vermögenssteuer ein geeignetes Gegenmittel? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), ein eher linkes, keynesianisches Institut, hat Zweifel, die mir einleuchten: Es fängt schon damit an, dass es außerordentlich aufwendig ist, einigermaßen exakt das individuelle Vermögen zu bewerten. Was mein Reihenhaus wert ist, weiß ich erst, wenn ich es verkaufe. Selbst wenn es gelänge, vergleichbare Kriterien zur Bewertung von Haus, Betrieb, Oldtimer und Picasso-Gemälde aufzustellen, würde bis zu einem Drittel der Steuereinnahmen gleich wieder von der Bürokratie aufgefressen. Zur Reduktion der Ungleichheit trüge das nicht bei, eher zum Aufblähen des Staates.

    Mehr noch: die Reichen sind nicht blöd. Allein die Ankündigung einer Vermögenssteuer führe zu »Ausweichreaktionen«, schreibt das DIW. Das ist die Umschreibung dafür, dass Vermögen ins Ausland transferiert wird, um dem Fiskus zu entkommen. Als der sozialistische Staatspräsident François Hollande im Jahr 2013 eine Reichensteuer einführte, nahm der Schauspieler Gérard Depardieu flugs die russische Staatsangehörigkeit an. Und weil die Vermögenssteuer eine Substanzsteuer ist, die auf Betriebsvermögen auch in einer Rezession erhoben wird, müsste dies den Abschwung verstärken und Steuereinnahmen insgesamt mindern. Steuergesetze haben häufig (legale und weniger legale) Effekte, die ihre »gute« Absicht konterkarieren.

    Es gäbe wirksamere Wege, die Ungleichheit der Vermögen zu verringern. Altmodisch hieß das früher »Produktivvermögen in Arbeitnehmerhand«. Blackrock & Co., jene erzkapitalistischen Vermögensverwalter, bieten ETF-Sparpläne, bei denen sich mit monatlich 100 Euro in dreißig Jahren ein Vermögen von knapp 100 000 Euro bilden lässt. Der Staat kann dies, wenn er mag, mit Freibeträgen fördern. Er kann sich zur Förderung von Wohneigentum klügere Dinge einfallen lassen als das zu Mitnahmeeffekten einladende Baukindergeld. Das und einiges mehr wären Ideen, Ungleichheit schlauer zu mindern als mit einer Vermögenssteuer. Allein, die linken Populisten wird man damit nicht erreichen.

    Rainer Hank