Hanks Welt
Subjektive Reflexionen, freche Interventionen, persönliche Spekulationen: »Hanks Welt« wirft einen subjektiven Blick auf das Geschehen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Meine Kolumne erscheint Sonntag für Sonntag im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).
Aktuelle Einträge
25. Juni 2025Vom New Deal zum Real Deal
08. Juni 2025Geld her!
27. Mai 2025Wer stoppt Trump?
10. Mai 2025Ein Herz aus Stammzellen
14. April 2025Lauter Opportunisten
07. April 2025Die Ordnung der Liebe
29. März 2025Streicht das Elterngeld
17. März 2025Der Kündigungsagent
17. März 2025Hart arbeiten, früh aufstehen
04. März 2025Kriegswirtschaft
25. Juni 2025
Vom New Deal zum Real DealWarum Donald Trump eine hundertjährige liberale Ära zerschlägt
Im März 2025 erhält die amerikanische Schriftstellerin Lionel Shriver, international bekannt geworden durch ihren 2005 erschienenen Roman »We need to talk about Kevin«, von Donald Trump eine Einladung ins Weiße Haus. Shriver gilt nicht als Trumpistin, hat sich aber zuletzt eher libertär-konservativ positioniert, kritisch gegenüber »politischer Korrektheit« und linksliberaler Orthodoxie.
Im Anschluss an das Gespräch zeigte Shriver sich vom Präsidenten tief beeindruckt. Diese »Mischung von Schlauheit, Verwöhntheit, Gefallslustigkeit und ehrlichem Glauben« könne man die Bewunderung nicht versagen: »Etwas wie Segen ist auf ihm«, gab sie zu Protokoll. Sie sei Trump sehr zugetan »als dem wir mir scheint geborenen Gegenspieler gegen das, was fallen muss«. Inzwischen machen Gerüchte die Runde, der Held von Shrivers bald erscheinendem Roman – es ist ihr siebzehnter – trage Züge des amerikanischen Präsidenten: »ein Staats-Geschäftsmann von reichlicher Durchtriebenheit«.
Die Hälfte dieser Geschichte ist Fake, von mir frei erfunden. Aber eben nur die Hälfte. Die Zitate sind echt. Doch sie stammen nicht von Lionel Shriver, sondern von Thomas Mann. Nach einem Besuch im Weißen Haus im Januar 1941 zeigte der deutsche Exilant sich schwer beeindruckt von US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dessen Projekt des »New Deal« – so sehr angetan, dass er in seinem Roman »Joseph der Ernährer« seinem Helden absichtlich und unverkennbar Züge des Präsidenten verlieh: »ein Staats-Geschäftsmann von reichlicher Durchtriebenheit«. Thomas Mann fand Gefallen an der autoritativen Durchsetzungskraft des amerikanischen Präsidenten; er entsprach seinem Ideal einer »Demokratie von oben«, das er an Roosevelt bewunderte als Gegenmodell zur Hitler-Diktatur.
Trump ist angetreten, die bald hundert Jahre alte liberale Demokratie der USA zu beenden, die mit Roosevelts Amtsantritt am 4. März 1933 ihren Anfang nahm: Mit einem Big Bang in den ersten hundert Tagen ging es damals los. Mit einem Big Bang soll es jetzt zu Ende gehen.
Industriepolitik a la Rooselvelt
Angesichts enttäuschenden Wirtschaftswachstums und steigender Bedrohung Amerikas durch die Globalisierung müsse der Staat das Heft des Handelns an sich ziehen, davon zeigte sich Roosevelt überzeugt. Der Staat solle nicht nur fiskal- und geldpolitisch stärker lenken, sondern mit direkten Markt-Interventionen dafür sorgen, dass die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich nicht noch größer werde.
Roosevelt forderte die amerikanische Industrie auf, anstatt nur für sich selbst zu wirtschaften, um der gemeinsamen Sache willen zusammenzuarbeiten. »Sie müssen ihren privaten Vorteil opfern und in wechselseitiger Selbstverleugnung den allgemeinen Vorteil suchen«, hatte er in einer Wahlkampfrede am 23. September 1932 in San Francisco angekündigt (ähnliche Sätze finden sich heute auch von J.D. Vance). Das Programm des berühmten »New Deal« war ein gigantisches Projekt gelenkter Industriepolitik: Staatliche Aufsichtsorgane – die National Recovery Administration NRA und die Börsenaufsicht SEC – sollten dafür sorgen, Angebot und Nachfrage auszutarieren. Staatliche Investitions- und Arbeitsbeschaffungsprogramme sollten direkt und indirekt Beschäftigung für Amerika schaffen. Die NRA hatten den Auftrag, Arbeitnehmer, Wirtschaft und Regierung zu einer »großen Partnerschaft« zu vereinen. Staatliche Wohnungspolitik (Eigenheimförderung) und die Einführung eines Sozialversicherungssystems (»Social Security Act«) traten hinzu. Die USA wandelten sich seit den vierziger Jahren zu einem modernen Wohlfahrtsstaat; »liberal« bedeutete fortan »linksliberal«. Wer sich abgrenzen will, nennt sich »libertarian«.
Man kann Roosevelts »New Deal« ein MAGA-Projekt nennen: »Make Amerika great again«. Der Präsident war davon überzeugt, dass diese Ziele nur in kreativer Zerstörung und großer Geschwindigkeit zu erreichen sein würden (»we must act and act quickly«) und dass ein Großkonflikt mit den alten Eliten unausweichlich würde. Ob Roosevelts Politik ihre Ziele erreicht hat, darüber ist die Forschung uneins. Viele Historiker vertreten die Auffassung, dass für Amerika nicht der »New Deal« die Rettung aus der Weltwirtschaftskrise brachte, sondern das gigantische Nachfrageprogramm, das der Zweite Weltkrieg für Amerika bedeutete.
Donald Trump teilt die Skepsis gegen freie Märkte und die Globalisierung mit seinem berühmten Vorgänger Franklin D. Roosevelt. Wie dieser schwört er auf die Methode des Crash-Kurses der ersten hundert Tage: we must act and act quickly. Im Übrigen ist Trump aber davon überzeugt, dass die linksliberale Revolution des New Deal Amerika ins Unglück gestürzt habe. Statt »New Deal« brauche es einen »Real Deal«, wie Trumps Ideengeber Paul Dans von der einflussreichen Heritage Foundation es formulierte: Jegliche Erneuerung habe eine Zerstörung zur Voraussetzung. Das »progressive Zeitalter« des Linksliberalismus müsse beendet werden; was jetzt folgt sei das »Goldene Zeitalter des Populismus«.
Der Staat als Leviathan
Trump-Ideengeber Dans, von dem Trump sich inzwischen distanziert, obwohl er seine Anweisungen kopiert, sieht vor allem zwei Verfallserscheinungen des heutigen Amerika: Ein überbordender und hoch verschuldeter Staat, der im Jahr 2025 sieben Billionen Dollar verschlingt, dessen Schuldendienst höher ist als die Ausgaben für Verteidigung. Zugleich habe sich der klassischen Gewaltenteilung – Exekutive, Legislative, Judikative – eine weitere Gewalt zugesellt – die »Administrative« – ein bürokratisches Monster mit einem teuren, aber ineffizientem Eigenleben. Das ist jener »deep state«, den Trump mit Hilfe seines Adlatus Elon Musk zu zerschlagen angetreten ist. Die Bürokratie diene nicht den Bürgern, sondern nur noch sich selbst, so die vernichtende Kritik.
Bis zu diesem Punkt wird man Sympathien für Trumps Projekt aufbringen können. Der Staat als Treiber einer intervenierenden Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich inzwischen in vielen Ländern zu einem Leviathan aufgebläht, einem nicht mehr bezähmbaren Ungeheuer. Es ist der Wechsel vom Aufstieg und Niedergang der Nationen, wie ihn der Ökonom Mancur Olson beschrieben hat.
Zu kritisieren ist weniger das Programm radikaler Staatsschrumpfung, das sich Musks Behörde für Regierungseffizient (DOGE) zur Aufgabe gemacht hat. Zu kritisieren ist die Unprofessionalität ihrer Durchführung, die ideologische Aufladung der Einzelreformen und das im Vergleich mit den vollmundigen Ankündigungen mickrige Einsparergebnis – wie ich den luziden Berichten meines Kollegen Winand von Petersdorff aus Washington entnehme. Merke: Auch kreative Zerstörung will gelernt sein. Sonst wird Gutes geschreddert und Schlechtes erhalten.
Rainer Hank
08. Juni 2025
Geld her!Gibt es Grenzen für die Monetarisierung unseres Lebens?
Im jüngsten Roman des Schriftstellers und Schauspielers Joachim Meyerhoff (»Man kann auch in die Höhe fallen«) wird der Held von seiner Mutter daran erinnert, dass er schon als Kind ziemlich aufs Geld aus gewesen sei: »Ein Siebenjähriger, der weder richtig schreiben noch singen noch rechnen kann, dafür aber geldgeil ist – sympathisch!« Für alles habe er eine Bezahlung gefordert; ununterbrochen haben man mit dem kleinen Kapitalisten verhandeln müssen. »Du wolltest Geld dafür, mit dem Hund rauszugehen und dafür, den Vogelkäfig sauber zu machen.« Zuweilen habe der Kleine die Notwendigkeit von Dienstleistungen, für die er Geld haben wollte, erst selbst hergestellt: »Wir haben Dich erwischt, wie Du die Schuhe von Deinem Vater mit Erde eingerieben hast, um sie dann gegen Bezahlung zu putzen.« Schließlich ging der Junge zum Äußersten: »Irgendwann beim Essen hast Du gesagt, dass Du nur noch zur Schule gehen würdest mit einem guten Gehalt.« Dass die Entlohnung für den Schulbesuch in Form einer Bildungsrendite erst später ausgezahlt würde, haben die Eltern dem Sprössling nicht erklärt; es hätte ihn kaum zufriedengestellt.
Der Held in Meyerhoffs Roman – er heißt Joachim wie sein Autor – erhält alle Sympathie vom Leser, weil er eben gerade kein Held ist, sondern mal tollpatschig, mal cholerisch, mal verschlagen so wie in dieser Kindheitsgeschichte. Ständig eckt er irgendwo an. Doch die Frage, die der geldgeile Bube stellt, ist eine der ökonomischen Philosophie: Soll es moralische Grenzen dafür geben, was mit Geld gekauft werden darf?
Der Harvard-Philosoph Michael Sandel hat darüber einen Bestseller geschrieben »What money cant buy«. Das Buch ist im vergangenen Jahr auch auf Deutsch erschienen ist: »Was man für Geld nicht kaufen kann.« Es handelt von den moralischen Grenzen des Marktes. Sandel argumentiert, dass sich die Märkte in immer mehr Lebensbereiche ausgebreitet hätten, die früher nicht von der Marktlogik bestimmt wurden. In unserer Welt scheine heute so gut wie alles käuflich zu sein. Sogar bei Lebensbereichen, deren Wert eigentlich unbezifferbar ist – Gesundheit, Politik, Recht und Gesetz, Kunst, Sport, Erziehung, Familie und Partnerschaft. Aus unserer Marktwirtschaft sei eine Marktgesellschaft geworden.
Die Armen stehen Schlange
Ein besonders prägnantes Beispiel, das Sandel macht, ist das Schlangestehen. Reiche Leute, die wenig Zeit haben – sie müssen ja Geld verdienen – bezahlen andere Leute, die sich für sie in die Schlange einreihen, um Konzert- oder Sportveranstaltungskarten zu kaufen. Es gibt in Washington D.C. Agenturen, die Leute dafür anstellen, in Warteschlangen für Kongressanhörungen zu stehen. Sie können sich so den Zugang für etwas erkaufen, was einen demokratischen Prozess verzerrt. Denn in der Demokratie soll jeder Bürger gleiche Rechte haben und sich nicht mit Geld Macht und Einfluss erkaufen können.
Jenseits der moralischen Frage, leuchtet unmittelbar ein, dass die Monetarisierung die Bewertungen von Handlungen grundlegend verschieben kann. Berühmt geworden ist ein Experiment in einer Kita im israelischen Haifa. Dort haben sich die Betreuerinnen regelmäßig darüber aufgeregt, dass die Eltern ihre Kinder zu spät abgeholt hatten. Um die Unsitte abzustellen, wurde eine zeitlich gestaffelte Geldbuße beschlossen: Je später der Abholer, um so saftiger die Strafe. Doch es stellte sich ein paradoxer Effekt ein. Nach Einführung der Geldbuße, kamen mehr und nicht weniger Eltern zu spät. Sie interpretierten die Geldbuße nicht als Strafe, sondern schlicht als Preis für verlängertes Verweilen ihrer Kinder in der Kita. Und diesen Preis waren sie gerne zu zahlen bereit: Vorher hatten sie ein schlechtes Gewissen. Im neuen Marktdesign konnten sie sich dessen durch die Geldzahlung legal entledigen. Der Deal erinnert an den Ablasshandel der Kirche, den Luther in seinen Thesen angeprangert hatte.
Soll man gesellschaftliche Bereiche definieren, die der Monetarisierung entzogen sind, um die Marktwirtschaft zu hindern, zur Marktgesellschaft zu verwildern? Ich glaube, das ist keine gute Idee.
Jüngst erzählte mir ein Mann seine Lebensgeschichte. Er wird jetzt 83 Jahre alt. Durch ein erfolgreiches Berufsleben war er wohlhabend geworden. Seine Frau ist schon lange tot. Kinder oder andere Angehörige gibt es nicht. Nach Bypass- und Hüftoperation wurde ihm bewusst, dass seine Gesundheit nicht ewig stabil bleiben würde. Ins Heim zu gehen, kam für ihn nicht in Frage, wiewohl er es sich leisten könnte. Zufällig lernte er eine Frau kennen, dreißig Jahre jünger, die bei einem Bekannten die Wohnung putzte. Man war sich sympathisch und er machte der Frau – stolz nennt er sie heute seine Freundin – folgendes Angebot: Wenn sie bereit wäre, ihn bis zum Lebensende zu betreuen und auch zu pflegen, werde sie sein gesamtes Vermögen erben. Die Frau ließ sich darauf ein. Das Betreuungs-Erb-Verhältnis wurde vom Notar testiert.
Tausche Pflege gegen Erbe
Wie soll man den Deal beurteilen? Zunächst finde ich daran nichts anstößig. Das Verhältnis ist sauber, hat nichts mit den Fällen zu tun, in denen ältere Menschen und ihre Nachkommen mit allerlei Verführungskunststücken um ihr Erbe gebracht werden. »Das Leben ist ein Geben und Nehmen«, kommentiert mein neuer Bekannter. Etwas beklommen macht der Konstruktionsmechanismus des Vertrags gleichwohl: Je früher der alte Herr stirbt, desto eher kommt die Pflegerin an ihr Erbe. Agatha Christie wäre dazu gewiss etwas eingefallen. Womöglich lässt sich die Gefahr eines vorzeitig erwirkten Eintretens des Erbfalls durch eine großzügig gezahlte Apanage an die Pflegerin bei Lebezeiten des reichen Mannes abfedern.
Gleichwohl bleibt ein unauflösbarer Rest. Menschliche Zuwendung, Betreuung und Pflege, so hätten wir es gerne, soll ein Akt der Freundschaft, Liebe oder Barmherzigkeit sein, die der finanziellen Anreize gerade nicht bedürfen. Auch dazu gibt es klassische Experimente: Wenn Menschen fürs Blutspenden Geld erhalten, nimmt die Zahl der Blutspender ab und nicht zu. In der Debatte über die Care-Arbeit, also gesellschaftlich notwendige, aber der Ökonomisierung entzogene Arbeit, werden diese Argumente seit Jahren hin- und hergewendet. Die Befürworter der Care-Arbeit plädieren für Monetarisierung, um der Fürsorge ihre angemessene finanzielle Anerkennung zuteil werden zu lassen. Die Gegner argumentieren eher wie Michael Sandel. Dabei macht es offenbar einen Unterschied, ob man das Geld sieht, das fließt: Mein Bekannter bezahlt regelmäßig seine »Freundin« direkt. Wäre er im Heim, würde er die Pfleger natürlich auch bezahlen, aber indirekt über die Pflegekasse und Überweisungsaufträge. Vielleicht geht es am Ende beim moralischen Vorbehalt gegen die Ökonomisierung lediglich darum, sich die Illusion spontaner Freiwilligkeit zu bewahren?
Rainer Hank
27. Mai 2025
Wer stoppt Trump?Wenn es die Politik nicht schafft, dann vielleicht die Märkte
Die Welt ist aus den Fugen. Wer könnte Donald Trump Einhalt gebieten?
Gehen wir einige Kandidaten durch. Die amerikanischen Bürger werden es nicht sein. Sie haben Trump ein zweites Mal mit Mehrheit gewählt; seine demokratische Legitimation ist satter als in der ersten Regierungszeit. In Senat und Repräsentantenhaus hat er die Mehrheit. Dass es einen breiten Umschwung der öffentlichen Meinung der USA in den vergangenen Wochen gegeben hätte, davon ist nichts bekannt. Selbst aus Unternehmen, denen Trumps Zollpolitik nachweislich schaden wird, ist nichts von einem Aufstand der Belegschaften oder ihrer Gewerkschaften zu hören. Eine revolutionäre Stimmung sieht anders aus.
Das Vertrauen in unabhängige rechtsstaatliche Institutionen als liberales Bollwerk gegen autokratische Politik ist in den vergangenen Wochen ebenfalls geschwunden. Vielfach ist Opportunismus zu sehen, sind an Trump gerichtet Loyalitätsadressen zu vernehmen. Richter urteilen Trump-freundlich, Großkanzleien schicken Ergebenheitsversprechen. Womöglich bringt Trump auch die unabhängige Notenbank Fed zum Einsturz, der er seine Vorstellungen einer wachstumsfreundlichen Zinspolitik aufzwingen will. Den Präsidenten der Fed beschimpft er als »Loser«, kündigte anschließend »gnädig« an, ihn gewähren zu lassen und nicht zu feuern.
Blieben schließlich die Intellektuellen als potenzielle Akteure des Widerstands. Doch auch hier ist Fehlanzeige. Kluge Männer mit Geld (J. D. Vance, Peter Thiel, Alexander Karp) haben lange vor der Wahl schon die Lager gewechselt. Einzelne kritische Wissenschaftler verlassen die USA. Ein Braindrain ist das noch nicht; niemand zahlt seine Professoren so gut wie amerikanische Bildungseinrichtungen. Ganze Universitäten wie die Columbia-Universität in New York haben kapituliert. Andere Eliteinstitutionen wie Harvard widersetzen sich (noch).
Die Aktienbörsen sind schlau und schnell
Und was ist mit den Märkten? Einiges deutet darauf hin, dass Trump vor niemand anderem so viel Respekt hat wie vor Mr. Market. Als nach der Ankündigung der Zollmauer auf Importe aus Europa die Aktienmärkte einbrachen und der Dollar schwach wurde, knickte Trump ein und setzte die Zölle für 90 Tage aus. Das ist ein Zeichen, muss aber nicht viel heißen: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Zölle auf Produkte aus China und anderen asiatischen Ländern hat der Präsident nicht ausgesetzt. Trump ist niemand, der seine Ziele über den Haufen wirft. Wobei erschwerend hinzu kommt, dass diese Überzeugungen außerordentlich flatterhaft sind.
Werden wir grundsätzlicher. Wie reagieren Finanzmärkte auf politische Ereignisse? Der S&P-500–Index, der den Wert der wichtigsten US-Unternehmen abbildet, hat sich in den knapp 70 Jahren, seit es ihn gibt, wenig von politischen Krisen irritieren lassen. Die Aktien des Börsenbarometers haben sich in dieser Zeit ver-250–facht, was einer durchschnittlichen jährliche Rendite von acht Prozent entspricht. Dabei waren die politischen Krisen in dieser Zeit nicht von Pappe: Korea-Krieg, Sputnik-Schock, Kubakrise, Ölkrise, Finanz-, Euro- und Coronakrise. Jedes Mal zeigt die Kurve einen kleinen oder größeren Zacken nach unten. Doch schnell kam Erholung.
Wenn sich also die Aktienbörsen durch politische Krisen nicht irritieren lassen, so ist das eine gute Nachricht für Aktionäre, aber nicht zwingend für unsere Frage, wer Trump Einhalt gebieten könnte. Denn der könnte darauf setzen, dass die Märkte sich schon wieder fangen würden, einerlei, was er so treibt. Doch so einfach ist es nicht. Bei Finanz- oder Eurokrise war klar, dass die Krise vorüber geht und danach die Welt wieder mehr oder weniger so sein würde, wie sie es vorher war. Die neue Weltordnung, die Trump zu erzwingen sucht, könnte dauerhaft sein – und genau deshalb auf den Widerstand der Märkte stoßen.
Schlag nach bei Böhm-Bawerk
»Macht oder ökonomisches Gesetz« heißt der Klassiker zu unserem Thema. Die Schrift, 1914 erschienen, stammt von dem österreichischen Ökonomen und Juristen Eugen Ritter Böhm von Bawerk (1851 bis 1914). Böhm-Bawerk war nicht nur Hochschullehrer, sondern dreimal auch österreichischer Finanzminister. Die zentrale Fragestellung seines Aufsatzes lautet, ob private oder staatliche Macht die Chance haben, sich gegen das ökonomische Gesetz durchzusetzen. Und die Antwort, kurzgefasst, lautet: Nein. Böhm-Bawerk ist der Meinung, dass der Menschenwille, und komme er auch in Gestalt des mächtigen Staatswillens daher, gegen die ökonomischen Gesetze machtlos bleibt und dass auch mit »künstlichen Eingriffen gesellschaftlicher Gewalten der Strom des wirtschaftlichen Geschehens sich nicht aus gewissen Bahnen herausdrängen« lässt.
Trifft die These zu, bräuchten wir uns vor der Macht Trumps nicht sonderlich zu fürchten, denn das ökonomische Gesetz zwingt sie früher oder später nieder. Es wäre zugleich eine Warnung an alle Mächtigen oder Möchtegernmächtigen, sich die Vergeblichkeit ihres Anspruchs vor Augen zu führen. Schließlich gibt es keine Macht außer der Macht des ökonomischen Gesetzes, der wir uns beugen müssten. Ein Gesetz aber, selbst wenn es kein Naturgesetz ist, entzieht sich – anders als von Menschen gemachte Institutionen – dem machtbewussten, manipulierenden Zugriff der Menschen.
Böhm-Bawerk leugnet nicht das Vorhandensein privater oder staatlicher Macht. Im Gegenteil sieht er in der modernen Wirtschaftsentwicklung den Einschlag sozialer Macht immer stärker werden. Trusts, Kartelle, Monopole aller Art drängen auf der einen Seite in den Markt, Arbeiterorganisationen und Gewerkschaften drohen von der anderen Seite mit Streiks und Boykotten, allemal mit der Absicht, in die Preisbildung und in die Verteilung von Einkommen und Vermögen einzugreifen und das Marktergebnis zu manipulieren. Der Markt ist vermachtet. Monopole wollen durch die Verknappung des Angebots und höhere Preise die Produzentenrente vergrößern auf Kosten der Konsumentenrente. Das ist der Schaden für die Allgemeinheit, den sie anrichten. Eine ähnliche, womöglich noch verheerendere Wirkung haben Zölle und aus ihnen resultierende Handelskriege. Allemal geht das zu Lasten der Verbraucher. Sie erleiden Wohlfahrtsverluste, weil das Angebot größer sein könnte als es tatsächlich ist, noch dazu mit einem für sie günstigeren Preis. Entstandene Wohlfahrtsverluste sind letztlich die ökonomische Begründung dafür, warum politische Macht schädlich ist – und sich auf Dauer nicht durchsetzen lässt.
Vielleicht sollte man als Warnung einem der ökonomischen Berater Trumps Böhm-Bawerks Schrift in die Hand drücken. Der Text wurde 2010 unter dem Titel »Control or economic law« ins Englische übersetzt und ist online beim Mises Institute verfügbar. Ob es etwas nützt? Ich fürchte Nein.
Rainer Hank
10. Mai 2025
Ein Herz aus StammzellenGibt es noch Fortschritt und wie misst man ihn?
Ein fliegendes Taxi, ein selbstfahrender Omnibus und ein aus Stammzellen gezüchtetes, etwa drei Zentimeter großes Herz, das schlägt. Das sind einige der Highlights auf der Expo25, die am vergangenen Wochenende im japanischen Osaka eröffnet wurde. Die Auftaktveranstaltung hat ein androider Avatar moderiert.
Der zur Besichtigung freigegebene Fortschritt wirkt immer noch als Magnet: Auf 28 Millionen Besucher hoffen die Expo-Veranstalter. Aber sind androide Roboter oder fliegende Taxis überhaupt ein echter Fortschritt? Ein Blick auf die erste Expo im Jahr 1851 zeigt die Fortschrittsdifferenz: Was die Besucher damals im Londoner Hydepark zu sehen bekamen, hatte es in sich. Es waren die spektakulären Erfindungen der sogenannten Ersten industriellen Revolution – von der Dampfmaschine über den Telegrafen bis zum Jacquard-Webstuhl, der mit Lochkarten arbeitete und als Vorläufer der Computerprogrammierung gilt: Disruptive Neuerungen, von denen der Wohlstand der Menschheit bis heute zehrt
Der Fortschritt ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Darüber habe ich mich kürzlich mit einem Freund gestritten. Der vertrat ziemlich apodiktisch die Auffassung, echte Durchbrüche in Wissenschaft und Technik gäbe es heute kaum noch. Gut, der Mann ist Archäologe und aus seiner Perspektive markieren die Griechen des 5. Jahrhunderts vor Christus ohnehin den Höhepunkt der menschlichen Zivilisation, von wo aus es eigentlich nur bergab gehen konnte. Seine Beispiele freilich kamen aus den letzten 150 Jahren. Ob die Relativitätstheorie, die DNA-Struktur oder der Transistor: Solch bahnbrechende Entdeckungen widerlegen frühere Theorien, verändern unsere Sicht auf die Welt und lenken die technische Entwicklung in neue Bahnen – sind heute aber rar geworden.
Tatsächlich ist der Innovationsindex bei wissenschaftlichen Publikationen (was es nicht alles gibt) seit 1945 um 91,9 Prozent gesunken, wie ich einem Artikel des Wissenschaftsmagazins »scinexx.de« entnehme, den mein Freund zur Untermauerung seiner These nachschob. Ist der menschliche Geist müde geworden? Oder sind die Usancen des Wissenschaftsbetriebs – »publish or perish«, Peer Review, Drittmittelzwang – dazu angetan, nur noch risikoarme Projekte zu fördern, die lediglich laues Mittelmaß produzieren?
Nichts Neues seit dem Halbleiter
Insbesondere der Halbleiter hatte es meinem Freund angetan. Der wurde bereits 1925 erfunden, also genau vor hundert Jahren, und von dem österreichisch-amerikanischen Physiker Julius Edgar Lilienfeld zum Patent angemeldet. Das war der Grundbaustein der Computertechnologie und damit auch der Künstlichen Intelligenz. Und natürlich auch die Voraussetzung für den Chip-Krieg, der derzeit weltweit mit aller Härte geführt wird.
Nichts Neues unter der Sonne? Ich versuchte gegenzuhalten. Der Halbleiter als Erfindung in Ehren. Bis daraus aber mein iPhone (inklusive Siri, Perplexity und einer App, die Sprache in Text wandelt) wurde, waren doch noch ein paar Zwischenschritte erforderlich, denen ich ebenfalls Kreativität zubilligen würde. Und überhaupt: Bis sich die Innovationskraft und der gesellschaftliche Nutzen einer Erfindung zeigt, vergehen oft Jahrzehnte. Waschmaschine und Geschirrspülmaschine traten ihren Siegeszug durch die Haushalte der Mittelschichten erst nach dem Zweiten Weltkrieg an (das nennt man Skalierbarkeit), obwohl es die entsprechende Technik lange vorher schon gab. Wer will wissen, ob neue bahnbrechende Erfindungen nicht längst schon auf der Welt sind – es aber noch dauert, bis wir sie bei der nächsten Expo in Dubai oder Belgrad bewundern können?
Ehrlich gesagt, ich war von mir selbst als Gegenredner nicht besonders überzeugt. Was macht man in so einer Lage? Lesen und Nachdenken. Was ist überhaupt Fortschritt und wie misst man ihn? Maß allen Fortschritts zumindest für Wirtschaftswissenschaftler ist das Wachstum, das sich an der Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ablesen lässt. Lässt man sich darauf ein, so zeigt sich eine gigantische Fortschrittsgeschichte seit dem Beginn der industriellen Revolution Anfang des 19. Jahrhunderts: Das Bruttosozialprodukt der Welt entwickelte sich seit 1820 von mehr oder weniger Null auf über 100 Billionen Dollar. Die Lebenserwartung der Menschen lag um 1820 zwischen 28 und 35 Jahren. Heute sind es über 70 Jahre. Und der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, ist zwischen 1820 und heute von 75 Prozent auf gut zehn Prozent zurückgegangen. Beeindruckende Zahlen.
Woher kommt das Wachstum? Seit den Arbeiten der amerikanischen Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Solow und Paul Romer gilt der technische Fortschritt als Treiber des Wachstums. Er markiert jenen Überschuss menschlicher Ideen am Wachstumsgewinn (»Total Faktor Produktivität«), der sich nicht durch den Einsatz an mehr Maschinenstunden oder mehr Arbeitsstunden errechnet.
Was taugt das BIP?
Indes: Auch mit dem Überschuss an Ideen ist es heute nicht mehr wie es einmal war. Die Total-Faktor-Produktivität geht seit den fünfziger Jahren in allen Industrieländern deutlich zurück. Woran das liegt, darüber streiten die Gelehrten. Die britische Ökonomin Diane Coyle hat gerade ein schönes Buch geschrieben: »The Measure of Progress« (Das Maß des Fortschritts); vor zehn Jahren hat sie eine vielgelobte Geschichte des BIP geschrieben. Eine zentrale These des neuen Buches: Das BIP wurde in den vierziger Jahren für eine industrielle Wirtschaft erfunden, vermag indes die Realität digitaler, wissensbasierter Ökonomien nur unzureichend abzubilden. Und wie sich die von Künstlicher Intelligenz geschaffenen Effizienzgewinne im BIP messen lassen, ist ohnehin die große Frage.
Daraus folgt für Diane Coyle: Dass wir Innovationen nicht sehen, heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Es heißt lediglich, dass unsere Messmethoden nicht auf eine neue vielfach in anonymen Clouds dematerialisierte Fortschrittswelt passen. Auf einer Expo lassen sich solche Errungenschaften menschlicher Kreativität nicht gut ausstellen.
Fortschritt braucht ein quantifizierbares Maß, wenn wir ihn nicht einfach zu einem subjektiven Gefühl schrumpfen wollen, das keine intersubjektive Prüfung gestattet. Das BIP, ein geniales Maß, aufzugeben, kann nicht die Lösung sein. Das BIP an unsere neue Welt anzupassen, wäre indessen selbst eine wichtige Innovation in der menschlichen Fortschrittsgeschichte.Rainer Hank
14. April 2025
Lauter OpportunistenWarum die Konzern sich an Trump ankuscheln
Nehmen wir an, eine Investmentgesellschaft bietet ihren Kunden einen Fonds als »grünes Impact-Investment« an und einen anderen als »langfristig risikooptimiert«. Was ist der Unterschied zwischen den beiden Finanzprodukten? Antwort: Es gibt keinen. Hinter den beiden Überschriften verbirgt sich jeweils der gleiche Fonds. Die Anschlussfrage: Warum machen die das dann? Antwort: Weil das eine Produkt in Deutschland verkauft wird, das andere in den USA. In Deutschland müssen die Manager die ESG-Regeln einhalten, in Amerika sind die vergleichbaren DEI-Regeln unter Trump verboten. Das ist beide Male jeweils rechtlich bindend und muss im »reporting« nachgewiesen werden.
Zum Hintergrund: DEI bedeutet »Diversity, Equity, Inclusion« – grob übersetzt als »Vielfalt, Gleichheit, Einbeziehung«. Diese Vorschriften fordern, in Organisationen ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Mitarbeiter unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und sexueller Orientierung gleiche Chancen und respektvolle Behandlung erfahren. Ziel von DEI war es, eine Kultur der Zugehörigkeit zu etablieren. Präsident Trump hat DEI kassiert, weil er es für den Ausbund des Woke-Kapitalismus hält, der seinerseits massiv diskriminierend sei: Leistungsbereite Männer zum Beispiel haben Nachteile gegenüber Frauen oder Queer-Personen mit dunkler Hautfarbe, sofern diese »nur« wegen Geschlecht und Hautfarbe bevorzugt werden. Die Nichteinhaltung der Anti-Woke-Gesetze kann zu Strafen und zu möglichen Einschränkungen des Geschäftsbetriebs in den USA führen. Die amerikanische Anwältin Rachel Cohen hat gerade berichtet, wie rabiat die Trump-Administration vorgeht – und sich selbst mutig dem Oktroy verweigert (FAZ vom 25. März). Die meisten Firmen sind nicht mutig und fügen sich.
ESG steht für Enviromental, Social und Governance. Auf deutsch »Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung«. ESG ist in der EU vorgeschrieben mit dem Ziel, die Unternehmen zu Nachhaltigkeit und zur Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu verpflichten. Darunter fallen Vorschriften für gute Arbeitsbedingungen, die Einhaltung von Menschenrechten, von Diversität und vor allem von klimafreundlichem Zielen. Ähnlich wie in den USA nur mit umgekehrten Vorzeichen führen Zuwiderhandlungen zu Strafen und der Drohung langfristigen Marktausschlusses. Und die Firmen fügen sich.
»Reframing« heißt die Devise
Global tätige Konzerne, die in der EU und in den USA Geld verdienen wollen, geraten durch die sich widersprechenden Vorschriften in die Bredouille. Sie müssen sich etwas einfallen lassen. Das ist die Stunde der Juristen und Unternehmensberater. »Re-Framing« heißt das Zauberwort. Es geht darum, DEI sprachlich zu entschärfen. Denn natürlich sind »grüne« Finanzprodukte, die in klimafreundliche Firmen investieren, automatisch »langfristig risikooptimiert«; langfristig werden nur solche Firmen überleben. Tunlichst vermeiden sollte man, von »nachhaltig risikooptimiert« zu sprechen, denn das Wort »nachhaltig« wäre woke kontaminiert. Angepasste Unternehmen reden jetzt auch nicht mehr über Inklusion und Diversität, sondern über Innovation, Performance durch Vielfalt und Talentförderung.
Wer würde bestreiten, dass die Förderung vieler Frauen der innovativen Talentförderung dient? Man muss das Kind jetzt nur einfach anders nennen. Hatte es bislang geheißen, man strebe nach »Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion«, so wird diese Formel heute ersetzt durch das Bekenntnis zur Förderung eines »integrativen Umfeldes, das Mitarbeiter zu Höchstleistungen anspornt«. Okay, die neue Formulierung klingt einen Tick mehr meritokratisch und weniger nach Work-Life-Balance-Bequemlichkeit. Ob die Rechnung aufgeht, ist unsicher. Die Leute in der Trump-Administration sind nicht doof und ziemlich unberechenbar, heißt es: Regelmäßig werden die neuen Vorschriften verschärft.
Vorher ging es andersrum zu. Die Firmen haben alle Aktivitäten so lange gebogen, bis sie grün und klimafreundlich wurden, was man dann als »greenwashing« bezeichnete. Und sie haben sich tunlichst gehütet, ihr Geld in die Rüstungsindustrie zu investieren. Denn Produkte, die Menschen töten, widersprechen den ESG-Regeln. Ohne ESG wäre Europa heute auf den neuen kalten Krieg besser vorbereitet.
Firmen verhalten sich opportunistisch. Nachdem zunächst in Amerika ein Unternehmen nach dem anderen umgefallen ist – angeführt von den Tech-Giganten im Silicon Valley -, zieht jetzt der Rest der Welt nach. Sie entfernen die vollmundigen DEI-Angebereien von ihrer Homepage, kassieren die Stabsstelle des »Chief Diversity Officers«, und übertrumpfen sich in Ergebenheitsadressen gegenüber der Trump-Administration. Man könnten von Herden-Verhalten sprechen.
Schlag nach bei Milton Friedman
Soll man den Unternehmen diesen Opportunismus vorwerfen? Ich fände das bigott. Ziel eines Unternehmens ist es nicht, Oppositionspolitik zu betreiben. Ziel ist, hart kapitalistisch formuliert, Geld zu verdienen, Profite zu machen zum Wohle der Aktionäre. Oder humanistischer formuliert: Ziel eines Unternehmens ist es, die Bedürfnisse seiner Kunden zu befriedigen. Es sei wichtig, »dass die Patienten uneingeschränkten Zugang zu unseren innovativen Medikamenten und Diagnostika haben«, verlautet aus dem Schweizer Pharma-Konzern Roche. Wollen wir lieber keine gute Medizin bekommen, weil der entsprechende Pharmakonzern ein Signal gegen Trump setzen wollte? Eher sollte man darüber nachdenken, ob es eine gute Idee ist, dass Staaten DIE- oder ESG-Regeln erlassen.
Sollen die Firmen lieber moralisch-politisch korrekt bleiben und sich vom amerikanischen Markt zurückziehen? Sollen sie nicht. Sie sollen dann aber auch keine Kampagnen gegen die AfD unterstützen. Und sich als moralische Saubermänner und Sauberfrauen gerieren im Auftrag der Rettung der Demokratie. Vieles spricht in der Tat dafür, dass die liberale Demokratie derzeit enorm gefährdet ist. Sie zu retten ist Sache der Zivilgesellschaft. Wollen wir wetten: Käme die AfD an die Macht, eine Vorstellung, bei der es einen schüttelt, die deutschen und internationalen Unternehmen wären die ersten, die sich in Ergebenheitsadressen an Alice Weidel übertreffen würden.
Am Ende läuft es auf die viel gescholtene Friedman-Doktrin hinaus: The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits. Es ist das Ziel eines Geschäfts, Geschäfte zu machen. Konzerne sind keine politischen oder moralischen Anstalten. Sie sollen nicht die Welt verbessern – oder anders gesagt: Sie sollen die Welt verbessern, indem sie den Menschen zu besseren Produkten und Dienstleistungen verhelfen. Das ist dem Kapitalismus nachweisbar brillant gelungen seit dem Boom der industriellen Revolution Anfang des 19. Jahrhunderts: Wir alle leben länger, leben gesünder, leben reicher.
Rainer Hank