Hanks Welt
Subjektive Reflexionen, freche Interventionen, persönliche Spekulationen: »Hanks Welt« wirft einen subjektiven Blick auf das Geschehen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Meine Kolumne erscheint Sonntag für Sonntag im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).
Aktuelle Einträge
15. November 2024Zwangsarbeit
05. November 2024Totaler Irrsinn
18. Oktober 2024Arme Männer
14. Oktober 2024Christlicher Patriotismus
08. Oktober 2024Im Paradies der Damen
28. September 2024Von der Freiheit träumen
28. September 2024Reagan hätte nie für Trump gestimmt
10. September 2024Das Ende der Ampel
27. August 2024Streit ist das Wesen der Demokratie
27. August 2024Lauter Vizepräsidentinnen
20. Juli 2023
Die Caritas-LegendeSchwächen schwache Kirchen den Sozialstaat?
Die beiden großen Kirchen verlieren Mitglieder. Das vergangene Jahr war aus kirchlicher Sicht besonders schlimm: Eine halbe Million Gläubige haben die katholische Kirche verlassen; auf 380.000 addiert sich der Aderlass in der evangelischen Kirche. Insgesamt bekennen sich heute noch 47,5 Prozent der Deutschen zu einer der beiden großen Konfessionen – und zahlen dort Mitgliedsbeiträge, genannt Kirchensteuer. Dass die Kirchen solch tektonischen Verschiebungen scheinbar gelassen hinnehmen, liegt nicht nur an ihrer offenkundigen Hilflosigkeit, sondern auch an der Tatsache, dass das Kirchensteueraufkommen – bedingt durch den robusten Arbeitsmarkt und gute Lohnerhöhungen– weiter steigt: auf den Rekordwert von 13 Milliarden Euro im Jahr 2022.
Ein Vergleich mit dem Jahr 1950 macht den Bruch deutlich. Damals waren 51,1 Prozent der Deutschen evangelisch und 45,8 Prozent katholisch. Die frühe Bundesrepublik war einmal eine christliche Gesellschaft. Das heißt natürlich nicht, dass die Deutschen besonders fromm oder besonders moralisch gewesen wären. Die Religionssoziologen bieten die hilfreiche Unterscheidung von »belonging« und »believing«: Mitglied zu sein in einer Religionsgemeinschaft gibt wenig Aufschluss darüber, was einer glaubt. Man kann der katholischen Kirche angehören und Agnostiker sein.
Was mich interessiert, sind die Folgen des Schwunds, nicht seine Ursachen. Was bedeutet es für die Gesellschaft, dass die Christen in der Minderheit sind? Das ist noch nicht annähernd zu Bewusstsein gekommen. Man kann es staatskirchenrechtlich, fiskal- und sozialpolitische durchdenken. Staatskirchenrechtlich wird man fragen müssen, warum sich der Staat zum Steuereintreiber für die Religionsgemeinschaften machen lässt. Das mag in einer christlichen Gesellschaft gerechtfertigt sein. Doch jetzt lässt sich der Staat für eine Minderheit in Dienst nehmen. Die Kirchen verweisen gerne darauf, dass sie die staatlichen Finanzbeamten für ihre Dienste entlohnen. Doch das entkräftet nicht das Argument fehlender Legitimation. Anachronistisch mutet auch an, dass der Staat an vielen Universitäten theologische Fakultäten finanziert, deren Berufungspolitik (inklusive der Beurteilung der »Rechtgläubigkeit« der Lehrenden) von den Kirchen überwacht wird. Mit Wissenschaft hat das vielerorts nur noch wenig zu tun. Die theologischen Fakultäten wurden trotzt schrumpfender Kirchen kaum geschrumpft, obwohl die Studenten (erst recht die, die Priester werden wollen) seit Jahren ausbleiben.
Nachdenken könnte man auch über den Religionsunterricht, dessen Legitimation ebenfalls bröckelt, wenn er sich nur an eine Minderheit richtet. Kurios ist, dass der deutsche Staat den Kirchen Jahr für Jahr eine Entschädigung von 600 Millionen Euro zahlt als Ausgleich für die Enteignung des rechtsrheinischen Kirchenvermögens durch Napoleon im Jahr 1803.
Leidet die Barmherzigkeit?
Doch was ist mit der kirchlichen Wohltätigkeit? Tun die Kirchen nicht seit Alters her viel Gutes, Werke der Barmherzigkeit, die wegfielen, wenn es irgendwann keine Kirchen mehr gibt oder ihnen zumindest das Geld dafür fehlt? So groß die Empörung über den Missbrauch und seine skandalöse Nicht-Aufarbeitung ist, so unangemessen sei die (Schaden)freude mit Blick auf den Sozialstaat, ist zu hören. Systematisch würden beide Kirchen an vielen Orten Kindertagesstätten an die Kommunen zurückgeben müssen, ebenso Schulen und Pflegeeinrichtungen, klagt der Münsteraner katholische Kirchenrechtler Thomas Schüller. Dann müsse der Staat diese selbst betreiben, was zu Steuer- und Gebührenerhöhungen führen werde. »Der Glaube, man könne sich darüber freuen, dass die Kirchen zu Minderheitskirchen werden, hat den bitteren Nachgeschmack, dass das für die gesamte Bevölkerung teuer wird«, sagt Schüller.
Hier irrt der Theologe. Was viele nicht wissen: Die kirchliche Nächstenliebe speist sich nicht mit kirchlichem Geld, sondern zum weitaus größten Teil aus Zuwendungen des Staats (Subsidiaritätsprinzip), Gebühren der Kunden (Eltern, Pflegebedürftige, Kranke) und Spenden (Erbschaften). Ein katholischer Kindergarten erhält Mittel vom Staat und nimmt Preise von den Eltern. Das Gehalt der Kindergärtnerinnen wird zwar formal von der Kirche bezahlt, die sich dies aber beim Staat zurückholt. Dominik Enste, Leiter des Clusters Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, schätzt, dass maximal zehn Prozent der Finanzen der kirchlich getragenen Sozialindustrie von den Kirchen aufgebracht wird. Diakonie und Caritas managen ein Umsatzvolumen von rund 50 Milliarden Euro, wovon zwischen zwei und sechs Prozent von den Kirchen kommen. Carsten Frerk, Lobbyist der humanistischen Giordano-Bruno-Gesellschaft, spricht von der »Caritas-Legende«: Am Türschild steht »Kita St. Josef«. Aber außer der Trägerschaft ist da nicht mehr viel Katholisches drin. Geschickt verstehen es die Kirchen, Kosten an den Staat zu externalisieren, Personalhoheit und weltanschauliche Hoheit aber zu verteidigen. Immerhin haben die Katholiken inzwischen ihr Arbeitsrecht liberalisiert.
Kurzum: Der Sozialstaat geht nicht unter, sollten die Kirchen untergehen. Er hat auch kein Finanzierungsproblem. Das fehlende Geld könnte er sich zurückholen, wenn er beispielsweise den Kirchen einen Teil ihrer Privilegien streicht (so zahlt die Kirche zum Beispiel keine Kapitalertragssteuer auf ihre Vermögensgewinne). Und es ergäben sich Marktchancen für neue Anbieter, wenn das kirchliche Sozialkartell erodiert.
Weniger Burnout bei den Freikirchlern
Aber womöglich sinkt die Qualität des Sozialen? Man könnte ja vermuten, dass man im evangelischen Altersheim aufopferungsvoller gepflegt und im katholischen Krankenhaus liebevoller versorgt wird. Gute Daten gibt es nicht. Gerhard Wegner, langjähriger Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche, erzählt mir von einer Untersuchung zur Frage, ob es in evangelischen Einrichtungen weniger Burnout und Stressunverträglichkeiten gibt als in staatlichen. Die Studie haben keine Unterschiede gefunden – mit einer Ausnahme: Mitarbeiter streng evangelikaler Freikirchen, die an einen engen Zusammenhang von irdischer Leistung und himmlischem Lohn glauben, wurden weniger von Burnout heimgesucht und zeigten sich religiös resilienter als branchenüblich.
Es mag gute Gründe geben, religiös zu sein. Aber es gibt – frei nach Niklas Luhmann – heute anders als früher keinen außerreligiösen Grund, religiös zu sein. Anders gesagt: Man mag es bedauern, dass die Kirchen in einer ihrer größten Krise stecken. Die Angst vor dem Untergang des Sozialstaats muss darob niemand befallen.
Rainer Hank
11. Juli 2023
Politisierung der LöhneDer Mindestlohn killt das deutsche Modell
»Der Lohn ist im Rahmen von volkswirtschaftlichen Zielsetzungen zu sehen und ist in einer kapitalistischen Wirtschaft stets ein politischer Lohn.« Das Zitat könnte vom heutigen SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil stammen, der die jüngst beschlossene Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro 41 als völlig unzureichend bezeichnete und eine Revision forderte. Ein politischer Lohn wäre in diesem Sinne ein Lohn, den Politiker festsetzen. Zuletzt wurde der Mindestlohn von den Politikern der Ampel im vergangenen Jahr auf 12 Euro angehoben. In einer »Gesellschaft des Respekts« brauche es gute Löhne, so Kanzler Scholz.
Tatsächlich stammt das Eingangszitat des »politischen Lohns« in einer kapitalistischen Wirtschaft nicht von Lars Klingbeil, sondern von einem Mann namens Viktor Agartz. Und der meint es völlig anders. Sein Diktum findet sich in einem Aufsatz von 1953 über die Notwendigkeit einer »expansiven Lohnpolitik«. Agartz (1894 bis 1964), Politiker und Gewerkschaftler, war eine schillernde Persönlichkeit. Von 1948 bis 1955 amtierte er als marxistischer Chefideologe des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Hinter der »expansiven Tarifpolitik« verbirgt sich die Idee, Löhne seien dazu da, die Modernisierung der Wirtschaft und Gesellschaft voranzubringen: sie wirken als »Produktivitätspeitsche«. Wenn Unternehmer gezwungen werden, ihren Beschäftigten höhere Löhne zu zahlen und zugleich verständlicherweise nichts von ihrem Gewinn abzweigen wollen, bleibt ihnen nur der Ausweg, ihre Fabrik zu rationalisieren und zu modernisieren. Sie werden ihre Fertigungsprozesse effizienter gestalten, »um durch eine bewusste Kraftsteigerung eine Ausweitung der Produktion herauszufordern«. Lohnerhöhungen sind für Agartz nicht allein zur Verbesserung der Einkommen der Arbeitnehmer da, sondern Instrument einer aktiven Konjunkturpolitik. Nicht das Kapital und die Kapitalisten, sondern die Arbeiter und ihre Gewerkschaften sind die Treiber der Fortschrittsgeschichte.
Am Ende führt das bei Agartz dazu, dass die Arbeiter die Wirtschaft übernehmen; Kapitalisten, müde Gesellen, braucht es in Zeiten des heraufdämmernden Kommunismus keine mehr. Das ging dann selbst dem sehr linken DGB zu weit: Agartz wurde entmachtet. Inwiefern er von der DDR finanziert und gesteuert wurde, ist bis heute nicht geklärt.
Viktor Agartz wäre nie im Leben auf die Klingbeil-Idee gekommen, die Politiker sollten die Löhne festlegen. Das war dem Kampf starker und stolzer Gewerkschaften vorbehalten. Darin war sich Agartz mit seinem jesuitischen Kontrahenten Oswald von Nell-Breuning einig: Tarifpolitik ist eine Angelegenheit der Subsidiarität: Was gesellschaftliche Gruppen (Familie, Verbände) regeln können, geht den Staat nichts an. Starke Gewerkschaften können Arbeitgeber mit Streiks in die Knie zwingen. Wenn sie klug sind, übertreiben sie es nicht, weil sie sonst ihren eigenen Arbeitsplatz wegrationalisieren.Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns am 1. Januar 2015 war der Anfang vom Ende der für Deutschland konstitutiven staatsfernen Lohnpolitik. Die damaligen Akteure der großen Koalition, federführend Arbeitsministerin Andrea Nahles, mühte sich sehr, die Zäsur herunterzuspielen. Nur in einem ersten Schritt lege der Staat den Mindestlohn fest, danach seien wieder die Tarifpartner zuständig, so Nahles. Zum Beweis verwies die Groko auf eine von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestückte paritätische Kommission.
Ob bewusst oder naiv: Diese Versicherung war aus heutiger Sicht eine Lüge.
Was ist ein angemessener Lebensstandard?
Ohne die Kommission einzubeziehen, erhöhte die Scholz-Administration eigenmächtig den Lohn von 10,45 Euro auf 12 Euro, das sind satte 15 Prozent. Das abermalige Versprechen, danach werde wieder die Kommission zuständig sein, blieb ein Lippenbekenntnis. Das zeigt sich in diesen Tagen, nachdem die Kommission mit der Stimme der unabhängigen Vorsitzenden den Mindestlohn in zwei Schritten auf 12,82 heraufgesetzt hat. »Viel zu wenig«, so tönt es von der SPD über die CDU-Sozialausschüsse bis Verdi. Und der Kanzler macht sein Pokerface dazu. Eine informelle große Koalition ruft zur Entmachtung der Kommission auf, der vorgeworfen wird, ihren gesetzlichen Auftrag zu missachten, wonach »Löhne einen angemessenen Lebensstandard« ermöglichten müssten, so Tom Krebs, fachwissenschaftlicher Berater der Kommission. In Wirklichkeit steht von »angemessenem Lebensstandard« nichts im Gesetz, wie Krebs› Kollege Lars Feld einwirft.
Dass Löhne einen »angemessenen Lebensstandard« ermöglichen sollen, findet sich nicht im deutschen Gesetz, sondern in einer EU-Richtlinie. Angemessen, so dekretiert die EU in majestätischer Anmaßung, seien fünfzig Prozent des Durchschnittslohns. Das ist die Perversion der deutschen Tarifautonomie, bei der Löhne nicht arithmetisch am Taschenrechner festgelegt werden, sondern dezentral von Branche zu Branche und von Region zu Region. Ein »angemessener Lebensstandard« war noch nie eine Kategorie der Lohnpolitik. Denn damit lässt sich jeglicher Einkommenswunsch legitimieren. Dass die EU – auf dem Papier ebenfalls der Subsidiarität verpflichtet – ihre Kompetenzen zentralistisch überdehnt, ist nicht neu und stört kaum jemanden. Politiker, Gewerkschaftler und ihnen gewogene Ökonomen nehmen die EU jetzt als Vorwand, um die Mindestlohnkommission abzuschießen und ein für alle Mal politische Löhne durchzusetzen.
Das deutsche Gesetz fordert, die Mindestlöhne hätten sich »nachlaufend« an den Tariflöhnen zu orientieren. Doch längst läuft hier nichts mehr nach. Im Gegenteil: Der Mindestlohn ist Schrittmacher der Tarifpolitik geworden, was auch die Fachleute des DGB unumwunden zugeben. Die Gewerkschaften orientieren ihre Forderungen an der erwarteten Erhöhung des Mindestlohns. Von den Verhandlungsergebnissen der gewerkschaftlichen Tarifpolitik hat der Mindestlohn sich längst abgekoppelt; strikt daran orientiert wäre man bei 12, 25 Euro gelandet. Doch das Gesetz interessiert keinen mehr. Stattdessen wird im verelendungsromantischen Ton über das Rech auf einen »angemessenen Lebensstandard« schwadroniert.
Viktor Agartz, der Mann der »Produktivitätspeitsche«, wäre entsetzt. Eine expansive Lohnpolitik, die je nach Gefühlslage von Politikern in den Ministerien und nicht von kämpferischen Arbeitern in den Fabriken vorangetrieben wird, wäre ihm ein Gräuel. Oswald von Nell-Breuning und die Väter der sozialen Marktwirtschaft würden Agartz beipflichten. Dass die Politik sich über eine Ausweitung ihres Geschäftsmodells auf die Lohnfindung freut, muss niemand überraschen: Wer am lautesten schreit, kriegt die höchste Lohnerhöhung. Das ist auch die Folge der Selbstentmachtung der Gewerkschaften und der Verbände der Arbeitgeber.
Rainer Hank
08. Juli 2023
Ab nach LiechtensteinLiberaler Feudalismus: weltweit einmalig
In Honduras hat die Regierung schon vor geraumer Zeit einen Verfassungsartikel verabschiedet, der die Schaffung von Kleinstaaten nach eigenem Recht auf seinem Staatsgebiet zulässt. Für den Anfang dachte Honduras an ein Stück unbewohntes Land an der Karibikküste.
Der Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Romer hat dazu einen genialen Vorschlag eingereicht. Eine Staatsgründung aus dem Nichts, deren Verfassung alle bislang bekannten Nachteile historisch existierender Staaten vermeiden würde. Die Idee geht ungefähr so: Eine Regierung kluger Leute (Romer dachte an gestandene Demokraten aus der Schweiz) schreibt die neue Stadt an Unternehmer und Privatpersonen aus. Um Bürger zu werden, müssen sie einen Eintrittspreis bezahlen. In dem Maße, in dem es attraktiv wird, in die Stadt zu ziehen, steigen auch die Pachtpreise, die die Regierung in die Lage versetzt, Sicherheit (Polizei, Gerichte) oder Bildung zu finanzieren. Für Privatunternehmen könnten zum Beispiel große Infrastrukturprojekte attraktiv werden: Zunächst war an einen See- und einen Flughafen gedacht. Wer in diese Projekte investiert, wird, geht die Rechnung auf, fünfzig Jahre lang Gebühren für die Entladung von Schiffen oder für Start- und Landegebühren der Flugzeuge kassieren können. So ähnlich hatte man es auch beim Suezkanal oder bei der Gründung von Hongkong gemacht.
Der neue Stadtstaat sollte schlank sein: Polizei, eine Basis-Gesundheitsversorgung und die Bereitstellung von Schulen und Universitäten kann er, wenn er will, an private Betreiber vergeben. Auch die Wasser- und Energieversorgung kann der Staat privaten Firmen übertragen, die dafür Geld einnehmen. Der Staat garantiert Gleichheit für alle – vor dem Gesetz (also keine Gleichstellung). Rechtsstaatlichkeit hat Vorrang, die Frage der Demokratie ist zweitrangig. Damit hat sich Romer viele Feinde gemacht. Zur Freiheit in einer Stadt müsse nicht notwendigerweise Demokratie gehören, kontert er. Eine effiziente Verwaltung und gute Regeln reichen aus. Gerade bei einer Neugründung sei in einer Demokratie die Gefahr groß, dass sich einflussreiche Lobby- und Politikergruppen gegenseitig behinderten. Mittel- bis langfristig solle sich der Stadtstaat jedoch als eine Demokratie konstituieren.
Diese so genannte »Charter City« ist ein experimenteller Staat, der zugleich Ähnlichkeit mit einem Unternehmen, einem Startup, aufweist. »Wir befinden uns in einer Übergangsphase«, sagt Paul Romer: »Die überschuldeten westlichen Staaten werden nicht umhinkönnen, ihre Rolle zu überdenken. Sie sind überdimensioniert, kosten zu viel und arbeiten nicht besonders gut. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Leute dieses Missverhältnis nicht mehr hinnehmen.«
Bis aus dem Stadtstaat in Honduras etwas wird, kann es noch dauern. Also alles nur Flausen libertärer Utopisten? Falsch. Zum Beweis empfehle ich einen Blick auf das kleine Fürstentum Liechtenstein, ein Bergrücken samt schmaler Rheinebene auf 161 Quadratkilometern, eingerahmt zwischen dem österreichischen Vorarlberg und der Schweiz. Das entspricht etwa der Fläche der Insel Sylt oder dem Stadtgebiet Brooklyns. Liechtenstein ist sozusagen eine Art Karibikinsel der Alpen mit 38 000 Einwohnern. Ich gestehe, dass mir das erst jetzt während der Vorbereitung einer Wanderung durch das Land klar wurde. Einen Einführungskurs gab mir Michael Wohlgemuth, Forschungsbeauftragter der Stiftung für Staatsrecht und Ordnungspolitik in Liechtenstein.
Im Jahr 1699 erwarb Hans Adam von Liechtenstein, ein Vorfahre der heutigen Regenten, das Land von den Fürsten von Hohenems, die, weil pleite, zum Verkauf genötigt waren. Seit 300 Jahren ist das Fürstentum ein souveräner Staat, ihre Eigentümer leben erst seit dem frühen 20. Jahrhundert selbst dort. Der heutige Chef des Hauses heißt Fürst Hans-Adam II, der amtsführende Staatschef (»der CEO«) ist sein Sohn Erbprinz Alois von Liechtenstein. Die Erbfolge sieht ausschließend männliche Regenten vor.
Gemäß seiner Verfassung ist Liechtenstein eine »konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage«. Nicht alle Staatsleistungen muss man selbst vorhalten. Beim Geld hat man sich dem Schweizer Franken angeschlossen. Das Militär wurde aus Mangel an kriegerischen Auseinandersetzungen schon im 19. Jahrhundert abgeschafft. Die Verfassung sieht vor, dass die Bürger die Erbmonarchie mit Mehrheit abschaffen können. Im Jahr 2003 machte man den Test: Die meisten stimmten für die Beibehaltung der Monarchie. Der Fürst hat bei Gesetzen ein Veto-Recht und untersteht nicht der Gerichtsbarkeit. Andererseits haben auch die Bürger qua Direktdemokratie ein Veto-Recht. Zum Schwur kam es noch nie; man regelt so etwas konsensual im Vorfeld. Liechtenstein sei in mancherlei Hinsicht »mehr Demokratie« als manche Republiken, sagen die Liechtensteiner stolz.Liechtensteins »demokratischer Feudalismus« ist weltweit einzigartig. Die Bürger verstehen sich als »Shareholder«, als Aktionäre ihres Staates. Die Monarchie gleicht einem Wirtschaftsunternehmen, das die Aufgabe hat, den Nutzen seiner Bürger zu mehren. Lange war das Geschäftsmodell simpel: Ein Steuerparadies für die Reichen dieser Welt. Angesichts internationalen Drucks ist das inzwischen schwieriger geworden. Heute hat die Industrie mit 37 Prozent Anteil am Bruttosozialprodukt den Finanzsektor (25 Prozent) überflügelt. Die Staatsfinanzen sind gesund: Weil das Land keine Schulden hat, sondern in Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen jeweils Rücklagen in Höhe des dreifachen der Jahresausgaben, braucht es auch keine Schuldenbremse.
Für Quinn Slobodian, einen amerikanischen Ideenhistoriker, der sich seit Jahren am Liberalismus abarbeitet, ist Liechtenstein Inbegriff dessen, was er »Crack-up Kapitalismus« nennt: eine Verschwörung der Feinde demokratischer Staaten, die mit Stadtstaaten und Sonderwirtschaftszonen die Demokratie aushebeln, damit die Reichen keine Steuern mehr zahlen und ungestört ihrem Luxus frönen können. Damit, so Slobodian, wollen die Libertären »Löcher schlagen« in das System der Nationalstaaten.
So schießt man mit Kanonen auf Spatzen. Für mich sieht es derzeit nicht danach aus, als würde demnächst Liechtenstein (nehmen wir noch Singapur oder Dubai dazu) die USA oder die EU in die Knie zwingen. Eher ist das Fürstentum ein Erinnerungsposten dafür, dass die repräsentative Demokratie bundesrepublikanischen Musters kein alleinseligmachendes Monopol zur Wahrung der Freiheit seiner Bürger hat. Reiner Eichenberger, ein Schweizer Professor für Finanzwissenschaft, hat kürzlich allen Ernstes vorgeschlagen, die Krim in einen unabhängigen Kleinstaat umzuwandeln – Liechtenstein am Schwarzen Meer, sozusagen.
Rainer Hank
27. Juni 2023
Ein altmodischer LiberalerWas der Ökonom Moritz Julius Bonn uns zu sagen hat
Wie wird man ein Liberaler, ein Sozialist oder ein Konservativer? Bei den wenigsten passiert so etwas anlässlich der vergleichenden Lektüre von – sagen wir – Adam Smith, Karl Marx oder Edmund Burke. In der Regel sind es zufällige biographische Erfahrungen, die lebenslang die eigenen Werte prägen.
Eine schöne Geschichte erzählt Moritz Julius Bonn. Geboren 1873 in Frankfurt in einer vermögenden jüdischen Bankiersfamilie berichtet er in seiner Autobiografie von einer sorgenfreien und an intellektuellen Anregungen reichen Kindheit und Jugend. Die Familie der Mutter stammte aus Hohenems in Vorarlberg, einer alten jüdischen Gemeinde. In St. Gallen unterhielt das Bankhaus der Großeltern eine Filiale. Die Reisen dorthin, so erinnert sich der Enkel, waren ziemlich unbequem. Sie führten über Stuttgart, Ulm und den Bodensee und dauerten fast einen Tag oder eine volle Nacht. Von Friedrichshafen ging es nach Bregenz, wo man den österreichischen Zoll passieren musste. In Österreich standen damals die Zölle auf Zucker, Kaffee und ähnliche Dinge sehr hoch. Es sei aber gang und gäbe gewesen, ein bisschen Zucker, Kaffee oder Stickereien aus der Schweiz zu schmuggeln, so erzählt Bonn: »Bei den vielen Unterröcken, die die Damenwelt trug, war es immer möglich, eine Extragarnitur einzuschalten, ohne dadurch aufzufallen.« Das hört sich für einen kleinen Jungen nach aufregender Schmugglerromantik an, zugleich habe man in seiner Familie immer eine »zollfeindliche Luft« geatmet, so Bonn, weshalb er sich nie ganz klar darüber geworden sei, »ob meine Einstellung zum Freihandel von dorther rührte oder aus den Lehrbüchern der klassischen Nationalökonomie«.
Moritz Julius Bonn wurde ein großer liberalen Liberaler und kosmopolitischer Intellektueller, der sich als Wanderer zwischen den Welten stets auch in die Politik eingemischt hat – vor allem während der Jahre von Weimar. Allzu viele Lichtgestalten dieses Typs gibt es in Deutschland nicht. Umso erstaunlicher, dass er heute nahezu unbekannt ist. Im Rhein-Main-Gebiet kennt man die Villa Bonn in Kronberg, die auf den Großvater zurückgeht. In Frankfurt gibt es in der Siesmayerstraße am Palmengarten ebenfalls eine Villa Bonn, die dem hiesigen Bürgertum natürlich gut vertraut ist, das beim Namen Bonn aber an die ehemalige Bundeshauptstadt und nicht an die jüdische Familie denkt, die seit dem Stammvater Aaron Jacob Bonn vierhundert Jahre in Frankfurt zuhause war – und deren letzter Nachkomme 1939 gezwungen war, die Stadt zu verlassen. Der 150. Geburtstag Moritz Julius Bonns am 26. Juni mag mir Anlass sein, heute an diesen großen Liberalen zu erinnern.
Ein Liberaler ist kein Lobbyist
Bonn studierte Wirtschaftswissenschaften – Nationalökonomie, wie das damals hieß – bei Lujo Brentano in München, der dort ein Star war; auch Theodor Heuss hatte bei Brentano studiert. Max Weber hielt Bonn für den »weitaus geistvollsten« und »entschieden intelligentesten« unter den Schülern Brentanos. Brentano war es auch, der Bonn ein Jahr nach Wien zu Carl Menger schickte, dem Kopf der sogenannten Grenznutzenschule der Ökonomie. Gewappnet mit diesem intellektuellen Rüstzeug ließ sich Bonn zeitlebens weder von den Sozialisten und erst recht nicht von den Kapitalisten etwas vormachen: Er stritt für Freihandel, attackierte die Kartelle, geißelte jedweden wirtschaftspolitischen Interventionismus und Subventionismus und warnte vor den Schäden korporatistischer Macht. So gesehen taugt Moritz Julius Bonn als Widerlegung des bis heute gängigen Vorwurfs, der Wirtschaftsliberalismus sei eine Art intellektueller Lobbyorganisation für die Unternehmer. Nein, der Liberaler streitet »pro Markt« nicht »pro Business«. Über die hierzulande im Unterschied zu den USA gängige Missachtung des Kunden »als beinahe unwillkommenen Störer« der Wirtschaft, konnte Bonn sich gewaltig ärgern.
Einen »ordentlichen« ökonomischen Lehrstuhl war dem Juden Bonn verwehrt, als außerordentlicher Professor wurde er Direktor der Handelshochschule in München, später dann Rektor an der Berliner Handelshochschule, die er 1933 verlassen musste, um während der Nazijahre in England und USA zu leben und zu lehren. Carl Schmitt, der schillernde Kronjurist Hitlers, war in Berlin Bonns Kollege. Wenige Wochen vor der Machtergreifung hatte Schmitt einen Ruf nach Köln angenommen, wegen unterschiedlicher politischer Ansichten mit Moritz Julius Bonn, wie er sagte. Das sei doch kein Grund, erwiderte Bonn: »Sie wissen, ich bin ein altmodischer Liberaler. Ich verbrenne keine Ketzer, ich überlasse sie den Qualen ihres schlechten Gewissens.« Ähnlich subtil vernichtend äußerte sich Bonn in seinen Memoiren über den berühmten Kollegen Werner Sombart, der sich ebenfalls den Nazis angebiedert hatte: »Gleich Schmitt war Sombart bereit, seine jüdischen Freunde mit Haut und Haaren aufzufressen, obgleich er ihnen sehr zu Dank verpflichtet war; er wollte aber unter allen Umständen eine Primadonna bleiben.«
Bonn statt Naumann
Moritz Julius Bonn gehörte wie Friedrich Naumann zu den Mitgründern der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei nach dem ersten Weltkrieg. Die FDP hätte nach dem Zweiten Weltkrieg besser daran getan, sich Bonn statt Naumann zum Ahnherrn und Vorbild zu nehmen (etwa für ihre Stiftung). Naumann, »die Leiche im Keller der FDP« (Götz Aly), propagierte einen »liberalen Imperialismus«, denn es sei »der Trieb des deutschen Volkes, seinen Einfluss auf die Erdkugel auszudehnen«. Solche Sätze wären Bonn nie in den Sinn und in die Feder gekommen. 1906 verbrachte er zusammen mit seiner englischen Frau eine Art Sabbatical-Jahr in Britisch-Südafrika und Deutsch-Südwestafrika. Bonn war entsetzt über die Massaker der Deutschen an den Hereros, schüttelte sich angesichts des Herrenmenschentums der dort siedelnden Junker aus dem hintersten Pommern (»kleinbürgerliche Spießer der Barmer Mission«) und schloss fast schon im Duktus des heutigen Postkolonialismus: »Ich war mit der festen Überzeugung zurückgekommen, dass Afrika das Land des schwarzen Mannes sei«. Später prägte Bonn den Begriff der »Dekolonisierung«.
Moritz Julius Bonn hätte zum 150. Geburtstag eine breite Rezeption nicht nur unter Liberalen verdient. Der Ideenhistoriker Jens Hacke hat in den vergangenen Jahren mit viel Elan dafür gesorgt, dass wichtige Schriften Bonns wieder leicht greifbar sind. Bonns Vorstellung eines »Demokratischen Kapitalismus«, sein Einsatz für die zwar fragile, aber notwendige Zusammengehörigkeit von Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft taugt auch heute als liberale Leitidee in Zeiten populistischer gesellschaftlicher Zerrissenheit. Bonns Autobiografie, die Hacke jetzt zum Geburtstag bei der Europäischen Verlagsanstalt mit einem Nachwort versehen wieder zugänglich gemacht hat, ist als Vermächtnis eines jüdischen Intellektuellen zudem ein großes Lesevergnügen.
Rainer Hank
24. Juni 2023
Der ungeliebte CO2–PreisWarum es gute Ideen so schwer haben
Die meisten Ökonomen stimmen darin überein, dass ein Preis auf CO2–Emissionen der beste Weg wäre, den Klimawandel zu bekämpfen. Ein Preis – wie alle Preise – ist effizient und fair, weil derjenige, der das Klima belastet, dafür auch bezahlt. Wem das zu teuer ist, die oder der kann nachdenken, wie sie oder er klimafreundlicher und kostengünstiger leben und wirtschaften mag. Eine Transformation der fossilen Welt über den Preis lässt sich mit einer CO2–Steuer oder mit dem Emissionshandel regeln.
Doch der CO2–Preis hat es schwer. Er ist kontraintuitiv und kompliziert. Bloß die Ökonomen halten ihn für einfach und elegant. Die Menschen können keinen Zusammenhang erkennen zwischen einem höheren Spritpreis und dem Erreichen der Klimaziele. Politiker, die in der Pandemie mit dem Grundsatz »Follow the Science« ins Feld gezogen waren, hören in der Klimapolitik den Ökonomen zwar zu, halten sich aber nicht an ihren Rat. Lieber hantieren sie mit Verboten, Standards oder Subventionen. Deshalb gibt es das Verbrennerverbot, das Wärmepumpengesetz (offiziell »Gebäudeenergiegesetz«) oder den verordneten Ausstieg aus der Atomenergie – alles mit fixem Termin. Die politische Interventionsstrategie ging lange (scheinbar) gut, ist erst jetzt im Streit um die Wärmepumpen in die Krise gekommen, als jedem deutlich wurde, dass Klimaneutralität etwas kostet und jeden betrifft.Ich will wissen, woran es liegt, dass die schöne Idee des CO2–Preises außerhalb der Zunft der Ökonomen so wenig Zustimmung findet. Und wie man der guten Idee zu mehr Akzeptanz verhelfen könnte. Unterstützung hole ich mit bei Ottmar Edenhofer, dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimaforschung. Edenhofer ist kein Marktradikaler. Er ist lediglich ein guter Ökonom, der niemand nach dem Munde redet. Seit langem gehört er zu den schärfsten Kritikern der Klimapolitik der Ampel.
Beginnen wir mit der Frage, warum Politiker nicht auf die Wirkung von Preisen vertrauen. Antwort: Sie wollen als wirkmächtige Entscheider wahrgenommen werden. Dies steht im Widerspruch zu wirkmächtigen Preisen, mit denen Kohlekraftwerke oder Dieselmotoren von allein verschwänden, wäre nur der CO2–Preis hoch genug. Der Markt würde dann auch dafür sorgen, dass alternative nicht-fossile Technologien zu attraktiven Kosten zur Verfügung stünden – im Vergleich mit den immer teuer werdenden fossilen Energieträgern.
Die FDP verschweigt den Preis
Ist nicht wenigstens die FDP ein Bundesgenosse bei der Vermarktung des Preismechanismus? Rhetorisch schon. So haben die Freidemokraten in den vergangenen Wochen stets ihren Widerstand gegen das Gebäudeenergiegesetz motiviert und sich als aufrechte Marktwirtschaftler dargestellt. Doch auch die FDP ist nicht aufrichtig, wenn sie zwar abstrakt über den Marktmechanismus spricht, aber die konkreten Auswirkungen auf den Geldbeute der Bürger verschweigt. Wenn es konkret wird, winken die Liberalen lieber mit klimaschädlichen Spritprämien oder Steuergeschenken für die Pendler.
Ehrlich wäre es zu sagen: Will Deutschland bis 2050 tatsächlich klimaneutral werden, müsste der CO2–Preis deutlich schneller steigen und bis 2030 auf 200 bis 300 Euro pro Tonne ansteigen. Dieser Preis ist weit höher als die 55 Euro, die nach jetzigen Vorgaben die Tonne CO2 im Jahr 2025 kosten soll.
Das führt zu einem rationalen Grund, warum Politiker lieber auf Vorschriften, Verbote und Subventionen setzen. Sie wollen den Preis der Transformation verschleiern. Im besten Fall soll es so aussehen, als könnte der klimafreundliche Umbau unserer Welt mit staatlichen Geldgeschenken beim Kauf von E-Autos oder der Wärmedämmung erreicht werden. Verschleierung ist eine rationale politische Strategie. Nichts fürchten Politiker so sehr wie die Transparenz von Kosten, denn das könnte zu Stimmverlusten bei der nächsten Wahl oder unmittelbar zu Protesten der Bürger führen. Dass auch Vorschriften und Verbote mit Kosten verbunden sind, wurde jetzt zum ersten Mal im Streit um die Wärmepumpe sichtbar. Dass die Angst der Ampel vor dem Stimmbürger rational ist, zeigen die gestiegenen Umfragewerte für die AfD.
Verbote und Subventionen kommen beim Bürger gut an, Preise hält er für unnötig und unfair. Der Begriff »Steuer« ist für den CO2–Preis ein Problem. Es sieht nämlich so aus, als könne der Staat den Hals nicht vollkriegen und habe sich nur einfach eine neue Einnahmequelle ausgedacht, die er klimapolitisch camoufliere. In Wirklichkeit ist der CO2–Preis gar keine Steuer, sondern eine Art Ausgleichszahlung für die Kosten, die die Klimaschädigung verursacht (sogenannte externe Effekte) und ein Anreiz für Bürger und Unternehmer, sich vom fossilen Leben zu verabschieden.
Klimageld zur Umverteilung
Will der Staat beweisen, dass er die CO2–Einnahmen nicht verprassen will, könnte er das Geld gleich wieder an die Bürger in Form eines »Klimageldes« ausschütten. Das würde dem Marktmodell nicht nur zu Akzeptanz verhelfen, sondern auch Verteilungsgerechtigkeit herstellen und zugleich Anreize für den Umstieg setzen (ganz ohne ein Wärmepumpengesetz). Eine Beispielrechnung des »Mercator Instituts für Klimaforschung« geht so: Einer vierköpfigen Familie mit Einfamilienhaus auf dem Land würde in den ersten Jahren Klimageld in Höhe von rund 3000 Euro zufließen – während sich der Betrieb ihrer Ölheizung aufgrund der CO2–Abgabe lediglich um1500 Euro verteuert. Allerdings sinkt das Klimageld Jahr für Jahr – weil immer weniger fossile Brennstoffe verkauft werden, wenn sich Wärmepumpen und Elektroautos durchsetzen. Entsprechend weniger CO2–Abgaben landen im Klimafonds. Im Jahr 2040 etwa könnte die Musterfamilie wohl nur noch mit 1200 Euro Klimageld im Jahr rechnen – während ihre Heizölkosten mit 2200 Euro dann deutlich darüber liegen. Hierin liegt der Anreiz, früh auf eine klimafreundliche Heizung umzusteigen.
Warum setzt das Gute sich nicht einfach durch? Weil Politiker lieber über hehre Ziele sprechen, hingegen die Strafe der Bürger fürchten, würden sie über die Kosten reden, die anfallen zum Erreichen dieser Ziele. Wie könnte man dem Guten zu seinem Recht verhelfen, ohne für ein autoritär-platonisches Staatsmodell der Weisen zu plädieren? Indem man zeigt, dass gerade die Ärmeren von einem Marktmodell am meisten profitieren. Verbote und Standards generieren keine Einnahmen, mit denen man Verlierer kompensieren kann, sie würden die Armen sogar überproportional belasten. Subventionen oder keynesianische Transformationsprogramme (USA) sehen wie ein Staatsgeschenk aus, sind am Ende aber viel teurer als ein effizienter CO2–Preis. Mithin liegt die Lösung in der kommunikativen Aufgabe für Politiker darin zu zeigen, dass der Markt fair ist. Und nicht nur dem Klima, sondern auch den Armen helfen kann.
Rainer Hank