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‹ alle Artikel anzeigen28. September 2024
Reagan hätte nie für Trump gestimmtEine Portion Angebotspolitik würde der Welt nicht schaden
Ronald Reagan, US-Präsident von 1981 bis 1989, hat bei den Deutschen keinen guten Ruf. Ein drittklassiger Schauspieler – kleine Nebenrollen und Werbefilmchen – wollte plötzlich die Hauptrolle in der amerikanischen und internationalen Politik spielen: Dass das nicht gutgehen konnte, wusste der amerikakritische Dünkel der Deutschen schon vor Reagans Amtsantritt. Und dann entpuppte der Mann sich auch noch als ein »Neoliberaler«, der auf den Markt setzt und den Staat auf seine Kernaufgaben zurückstutzen wollte. Damit hat Reagan (1911 bis 2004) bis heute jede Sympathie verspielt.
Der Reagan-Hass der Deutschen von damals, so kommt es mir vor, unterscheidet sich kaum vom Anti-Trump-Furor heute. Dabei haben die beiden Republikaner nur wenig miteinander gemein. Dazu später mehr.
Die Abwertung Reagans ist schon deshalb daneben, weil sie ausgeblendet, dass dem Mann große Verdienste zukommen für die Ermöglichung der deutschen Einheit. Am 12. Juni 1987 hielt er von einem Holzgerüst, welches vor den Sperranlagen der Berliner Mauer am Brandenburger Tor aufgebaut worden war, eine Rede, in der er den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow aufforderte, die Mauer niederzureißen: »Come here to this gate! Mr. Gorbachev, open this gate! Mr. Gorbachev, tear down this wall.« 1987 – das war eine Zeit, als die (West)deutschen das Interesse an der Wiedervereinigung längst verloren hatten. Und man mit Reagans »Antikommunismus« fremdelte.
Auch ein Rückblick auf Reagans Wirtschaftspolitik, schon damals »Reagonomics« genannt, könnte heute hilfreich sein. Dieser Blick zurück macht zum einen deutlich, wie dramatisch die Welt in diesen 45 Jahren sich geändert hat. Und er wirft die Frage auf, ob angesichts des drohenden wirtschaftlichen Niedergangs Deutschlands uns ein anständige Portion Reagonomics nicht guttäte.
Die Stunde der liberalen Ökonomen
Die Situation Deutschlands und Amerikas in den späten siebziger Jahren war der heutigen nicht unähnlich. Hohe Inflation bei wirtschaftlicher Stagnation, wofür der Begriff »Stagflation« erfunden wurde, brachte die post-keynesianische Wirtschaftspolitik in die Bredouille. Politische Interventionen in unternehmerisches Handeln, Nachfragesteuerung über Konjunkturprogramme und eine laxe Geldpolitik verfehlten die erwünschte Wirkung. Neue Ideen waren gefragt: Das war die Stunde liberaler Ökonomen; viele von ihnen lehrten an der Universität Chicago. Denen ging es nicht nur darum, Nachfragepolitik durch Angebotspolitik zu ersetzten, sondern – mit einem von Lenin entlehnten Begriff der Historiker Daniel Yergin und Joseph Stanislaw – die »Kommandohügel« neu zu besetzen: Markt statt Staat.
Politiker weltweit begannen in ihrer Not diesen liberalen Ökonomen zuzuhören. Schon im Sommer 1979 hatte der demokratische Präsident Jimmy Carter (er wird am 1.Oktober 2024 hundert Jahre alt) eine »nationale Vertrauenskrise« ausgerufen und Mitglieder seines Kabinetts entlassen. Gleichzeitig ernannte Carter einen neuen Zentralbankpräsidenten, den erfahrenen Geldexperten Paul Volcker. Dessen Mission wurde es, »den Drachen der Inflation zu erschlagen«, was ihm mit drastischen Zinserhöhungen in kurzer Zeit gelang.
Die Früchte dieser Geldpolitik erntete Ronald Reagan, der im Januar 1980 ins Weiße Haus einzog und auch in den USA unterschätzt wurde. Man hielt ihn für unerfahren und unzuverlässig, obwohl er acht Jahre lang Gouverneur von Kalifornien gewesen war, fremdelte mit ihm, weil er ankündigte, er werde den Staat zurückdrängen, staatliche Ausgabenprogramme kürzen und die Magie der Märkte feierte. Reagan galt als Außenseiter und Leichtgewicht.Unterschätzt zu werden ist häufig ein Vorteil, man denke an Angela Merkel. Reagan zog sein Programm radikal durch. Sowohl Steuern als auch Ausgaben wurden gesenkt, freilich um den Preis einer dramatischen Ausweitung der Staatsschulden. Der Spitzensteuersatz wurde von 70 auf 28 Prozent gesenkt, die Besteuerungsbasis verbreitert, viele Steuerschlupflöcher gestopft. Zugleich hat man viele Branchen (Energie, Börsen, Luftfahrt) dereguliert: Mehr Wettbewerb, weniger staatlich vorgegebene Regulierung und Bürokratie. Dahinter stand die Überzeugung: Freihandel (ohne Zölle und Subventionen) mache die Völker reich und die Welt friedlicher. Regans Politik war liberal und konservativ, aber nicht nationalistisch. Er war kein Ideologe, sondern agierte pragmatisch und war zu Kompromissen bereit.
Erst wenn man Reagans Politik auf diesen Kern konzentriert, fällt auf, wie weit die Welt sich von damals wegentwickelt hat. Zölle gelten inzwischen als probate Waffe in Handelsauseinandersetzungen. Staatliche Subventionen in Milliardenhöhe sollen Standorte im Wettbewerb stärken und werden als geoökonomische Realpolitik schöngeredet. Deregulierung wird rhetorisch zu »Bürokratieabbau« gestutzt, dem keine Taten folgen. Von Steuersenkungen ist nicht mehr die Rede. Einschränkung staatlicher Ausgaben wird als »sozialer Kahlschlag« tabuisiert.
Protektionismus hat Konjunktur
Protektionistische und interventionistische Normalität ist kein deutsches Sonderphänomen. Sondern gehört in vielen westlichen Ländern inzwischen zum gepflegten Ton. Auch in den USA unter Präsident Biden; Kamala Harris würde daran nichts ändern. In Deutschland versteht es Wirtschaftsminister Robert Habeck, die alten Hüte des Interventionismus als neuesten philosophischen Schrei zu verkaufen: Es sei seine Aufgabe, strategisch wichtige Branchen mit Milliardensubventionen zu stabilisieren. Subventionitits total: Vom Schiffbau, über die Auto- bis zur Chipindustrie. Dies hätten Ronald Reagan und seine Vordenker als anmaßende Hybris und Ausdruck der Schwäche gebrandmarkt.
Es zeigt sich zugleich, wie weit Reagan und Trump voneinander entfernt sind, obwohl Trump sich gerne in die Tradition Reagans stellt, weil er weiß, dass dieser bei den republikanischen Wählern inzwischen einen guten Ruf genießt. Doch wirtschaftspolitisch setzt Trump auf Isolationismus, Protektionismus und Interventionismus. Die »neoliberale« Welthandelsorganisation, deren Auftrag der Abbau globaler Handelshemmnisse ist, hält er für Teufelszeug, eine Politik, die dem nationalen Interesse Amerikas (MAGA) schade.
Reagan wusste zu unterscheiden, wer Amerikas Freund und wer Amerikas Feind ist. Bei Trump ist man sich da nie sicher. Er steht zwar an der Seite Israels, nannte aber zugleich die Hisbollah »very smart«. Er flirtet mit Autokraten wie Wladimir Putin, dem er zum Wahlsieg gratuliert – anstatt auszusprechen, dass Wahlen in Russland eine Farce sind und mit Demokratie nichts zu tun haben. Bekanntlich hat Trump mit der Anerkennung demokratischer Wahlen auch im eigenen Land seine Probleme. »Reagan hätte nie für Trump gestimmt«, schreibt ein alter Weggefährte Reagans im »Wall Street Journal«. Der Mann hat Recht.
Rainer Hank