Hanks Welt
Subjektive Reflexionen, freche Interventionen, persönliche Spekulationen: »Hanks Welt« wirft einen subjektiven Blick auf das Geschehen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Meine Kolumne erscheint Sonntag für Sonntag im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).
Aktuelle Einträge
02. Januar 2025Das Evangelium nach Peter Thiel
02. Januar 2025Wer die Wahl hat
04. Dezember 2024Ein Hoch auf Pharma
04. Dezember 2024Mit Unsicherheit leben
15. November 2024Zwangsarbeit
05. November 2024Totaler Irrsinn
18. Oktober 2024Arme Männer
14. Oktober 2024Christlicher Patriotismus
08. Oktober 2024Im Paradies der Damen
28. September 2024Von der Freiheit träumen
01. Dezember 2022
Elon Musk, das EkelMüssen große Unternehmer auch sympathisch sein?
Ob ich noch bei Twitter sei, wollen die Leute von mir wissen. Achselzuckendes »Warum sollte ich nicht?« kommt nicht besonders gut, zwingt zu rechtfertigenden Erklärungen. Ich bin kein besonders aktiver Nutzer, meine Follower haben sich bei gut 5000 eingependelt. Das ist nicht überragend, aber okay. Ein paar Mal täglich schaue ich rein. Nicht immer, aber immer wieder komme ich mit ein paar Anregungen kluger Menschen wieder raus.
Warum also sollte ich demissionieren? Klar, wegen Elon Musk, dem Bösewicht aus Texas, der den Laden nach einigem Hin und Her für 44 Milliarden Euro gekauft hat und sich dort jetzt als Elefant im Porzellanladen aufführt. Der Mann sei »unberechenbar«, werde von »negativen Emotionen« beherrscht, lese ich im »Manager Magazin«: Er agiere »durch und durch impulsiv und irrational«, knechte seine Mitarbeiter, die ihm jetzt in Scharen davonlaufen, sofern er sie nicht vorher selbst entlassen hat.
Elon Musk, ein Egomane, ein Ekel, so das Bild, das von ihm gezeichnet wird, obwohl vermutlich die wenigsten, die ihn porträtieren, den Mann zu Gesicht bekommen haben. Ich war kurz davor zu fragen, warum bei Twitter überhaupt noch jemand aktiv ist, dort für Werbung bezahlt und nicht alle längst nach Mastodon emigriert sind, hätte nicht ein Blick in angelsächsische Zeitungen das Bild der deutschen Medien korrigiert: Nach dem Einstieg bei Twitter gingen die Zahlen nach oben auf inzwischen 245 Millionen, so viele Nutzer wie noch nie. Gut, mit den knapp drei Milliarden, die sich auf Facebook tummeln, kann Twitter nicht konkurrieren. Aber warum steigen die Nutzerzahlen, wenn Twitter ein Tohuwabohu ist und Musk ein Ekel? Die Neuzugänge können nicht ausschließlich verirrte Trumpisten sein, die dort die Stimme ihres Herrn hören wollen.
Keine Sorge, ich will mich nicht mit Elon Musk anfreunden. Mich interessieren drei Dinge: Was hat der Mann geleistet? Warum zieht er so viel Hass auf sich? Müssen große Unternehmer nette Menschen sein?
Schumpeter und die kreative Zerstörung
Beginnen wir mit der unternehmerischen Leistung: Während hierzulande längst schon alle Welt die drohende Klimakatastrophe an die Wand malte, begann Musk in Kalifornien damit, unter der Marke Tesla Elektroautos zu bauen, die zudem noch irgendwie schön aussehen. Statt dass die Manager und Ingenieure im Stammland der Autobauer sich was abguckten, haben sie Musk bei Mercedes & Co. entweder ignoriert oder als Spinner verhöhnt: Diese verrückte Idee mit den Batterieautos sei nichts für den Massenmarkt – s o sprachen die Neunmalklugen noch Mitte der Nullerjahre.
Inzwischen überzeugt Musk vom Gegenteil, die Batterien speichern mehr Strom, die Autos fahren bald von allein – und das sogar hierzulande: In Brandenburg stellte Musk gegen alle bürokratischen Widerstände eine Fabrik auf die Wiese, bei der in der Endstufe jährlich eine halbe Million Autos vom Band laufen werden. Und bis zu 40 000 Arbeiter ihr Einkommen haben werden (ist ja nicht gerade die strukturstärkste Gegend Deutschlands). Und was passiert? Statt dass ihm von der IG Metall bis zu Fridays for Future vierstimmig Willkommenschöre gesungen werden, hagelt es Kritik. Die Gewerkschaften kritisieren, dass er nicht längst einen Betriebsrat gründet und in den Arbeitgeberverband eintritt. Die Klimaretter sorgen sich um die Brandenburgische Biene (Biodiversität) und um den Grundwasserspiegel. Die AfD schließt sich den Protesten solidarisch an.
Dabei hätten die Zukunftsfreunde Musk auf ihrer Seite. SpaceX, sein Weltallprojekt, ist quasi ein Alternativprojekt zum Globus wie wir ihn kennen, sollte das Anthropozän hienieden ein Auslaufmodell und die Erde unbewohnbar werden. Und mit »Neuralink« will der geniale Spinner verhindern, dass Roboter mit Künstlicher Intelligenz künftig die volle Macht über uns bekommen. Statt dass die Last-Generation ihm Lorbeerkränze flicht und die Blogger ihn feiern, bezichtigen Sascha Lobo und seine Freunde Musk als Mitglied einer Sekte (»Longtermism«) und beschimpfen ihn als faschistoiden Sozialdarwinisten.Selbst dafür, dass Musk sein Satelliten-Netzwerk »Starlink« samt Internet nach Ausbruch des Krieges der Ukraine kostenlos zur Verfügung stellte, hagelte es Kritik statt Dank, weil er Friedensverhandlungen und eine Abstimmung im Donbas ins Spiel brachte. So etwas haben deutsche Intellektuelle von Jürgen Habermas bis Richard David Precht auch vorgeschlagen. Aber die dürfen das, weil sie linke Pazifisten sind.
Das führt zur Frage, warum der Hass auf Elon Musk so wuchtig und nachhaltig ist. Ich sehe vier Gründe. Erstens, Musk ist kein Linksliberaler, sondern ein Rechtsliberaler, ist sogar – besonders übel – von links nach rechts konvertiert. Zweitens: Musk ist mit geschätzt 200 Milliarden Dollar Vermögen der reichste Mann der Welt. Das mögen wir nicht. Die Kritik an der amerikanischen Plutokratie – der Herrschaft der Reichen – hat hierzulande eine lange Tradition. Drittens, wie gesagt, Musk ist ein Unsympath und Großkotz. Und viertens: Musk ist ein genialer Erfinder und Unternehmer. Das schürt Neid.
Ich lese zurzeit viel von und über den österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter (1885 bis 1950). Das ist der mit der »kreativen Zerstörung«. Ich bin sicher, Schumpeter fände Elon Musk gut, träfe er ihn zufällig auf dem Mars. Schumpeter charakterisiert Unternehmer als dynamisch-elitäre Typen. Sie haben »Freude am Erfolghaben«, am »Siegen über andere«. Solche Unternehmer, schreibt der Schumpeter-Kenner Heinz D. Kurz, wollen Firmenimperien gründen und wirtschaftliche Dynastien, sie wollen anderen Unternehmen ihren Willen aufzwingen, sie untertan machen, wollen als Gestalter, als Mächtige in die Geschichte eingehen wie ehedem große Feldherren und bedeutende Könige. Leute wie Musk haben ihren Nietzsche und Schopenhauer gelesen. Solche Kerle setzen »neue Kombinationen« durch, haben ein Gespür für Innovation und den unbedingten Willen, diese erfolgreich auf den Markt zu bringen. Wenn es ihnen an Geld fehlt, suchen sie sich Aktionäre, die an ihren Erfolg glauben, und Bankiers, die ihnen Geld leihen. Das ist riskant: Scheitern ist nicht ausgeschlossen; mancher von ihnen ist in seinem Größenwahn der Sonne zu nahegekommen – wie Ikarus.
Klingt nicht wirklich sympathisch. Aber die Rastlosigkeit solcher Unternehmertypen ist die Quelle der Rastlosigkeit des Kapitalismus, auf dem unser aller Wohlstand beruht, mit dem die Armen sich aus der Armut befreien. Soweit ich sehe, haben wir in Deutschland seit den Tagen von Gottfried Daimler, Robert Bosch oder Werner von Siemens niemanden dieses Zuschnitts hervorgebracht. Hier glauben wir viel lieber, dass der Staat der bessere Unternehmer sei.
Rainer Hank
22. November 2022
Der Weg zur Schwulen-EheWarum sich gesellschaftliche Einstellungen ändern
Heute, sechs Jahre nach dem Brexit-Referendum, sind 54 Prozent aller erwachsenen Briten der Meinung, der Austritt aus der Europäischen Union sei dem Land nicht gut bekommen. Dies ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Juni dieses Jahres. Fragt man die Briten, wie sie heute abstimmen würden, kommt dasselbe knappe Ergebnis für den Austritt heraus – nicht anders als vor sechs Jahren.
Das Ergebnis ist verstörend. Warum ändern schlechte Erfahrungen unser Verhalten nicht? Sind gute Argumente nichts wert?
Das wäre der falsche Schluss, wenn ich an meinen HNO-Arzt denke. Der berichtete von einem besonders klugen Patienten, der sich standhaft einer Corona-Impfung widersetze und sich zur Rückversicherung seiner Weigerung nächtelang in die Lektüre komplexer wissenschaftlicher Studien vergrabe.
Unser Impfverweigerer kann einige Klischees über irrationales Verhalten korrigieren. Zum Beispiel die Annahme, solche Leute kümmerten sich nicht um »die Wissenschaft«, seien für Argumente unerreichbar und würden ständig irgendwelche kruden Behauptungen in die Welt setzen. Das Gegenteil ist richtig. Ich fürchte, dieser Impfgegner hat mehr Argumente (und entsprechende Studien) gegen das Impfen als ich dafür. Natürlich bleibe ich bei meiner Meinung, dass es gut und richtig ist, dass ich mich gerade das vierte Mal habe gegen Covid impfen lassen. Ich kann freilich nicht ausschließen, dass ich einfach nur der Mehrheit hinterherlaufe und mich besonders staats- und lauterbachtreu verhalte.
Die Flat-Earth-Society zum Beispiel, 1958 gegründet, vertritt bis heute hartnäckig die Ansicht, die Erde sei eine Scheibe. In einem Schlagabtausch mit ihren Protagonisten würde ich wahrscheinlich eine böse Niederlage erleiden. Lange genug war immerhin die gesamte denkende Menschheit der Meinung, die Erde sei flach.
Loyaltiät ist wichtiger als Wahrheit
Noch einmal: Warum halten die Menschen hartnäckig an ihren Überzeugungen fest? Und was muss passieren, dass Ansichten sich ändern? In diesen Zeiten sich abschottender ideologischer Lagerbildung ist hier jeder Zoll Erkenntnisgewinn wertvoll.
Vieles spricht dafür, dass uns Menschen (mutmaßlich stammesgeschichtlich vermittelt) Zugehörigkeit zu einer Gruppe wichtiger ist als die Wahrheit. Es sind eben gerade nicht die Eigenbrötler, die besonders radikale Ansichten vertreten, sondern es sind Gruppen, die ihre Mitglieder zu Loyalität verpflichten und sie dafür mit Wärme und Angstfreiheit belohnen. Im Kreise der Gleichgesinnten radikalisieren sich die einen, während die Zweifler ausgesondert werden – die AfD bietet dafür viel Anschauungsmaterial. Die Verhaltensökonomen haben dafür den Begriff »Confirmation Bias« erfunden, überspitzt übersetzt als Bestätigungssucht. In Befragungen, warum Menschen an Gott glauben, kommen die nicht mit feinsinnigen Gottesbeweisen aus der Theologiegeschichte, sondern sagen, der Glaube gebe ihnen Halt in einer Gemeinde, wo auch alle anderen an Gott glauben. Allemal ist die Vernunft dazu da, einen Glauben zu rechtfertigen.
Das ist nicht sehr weit entfernt von unserem Impfgegner oder den Brexiteers, die kein Risiko eingehen wollen, durch Meinungsänderung den Rückhalt ihrer Gruppe zu verlieren. Sie müssten nicht nur befürchten, von ihren Freunden als Verräter geschmäht zu werden. Sie würden sich auch selbst untreu werden. Lieber denken wir darüber nach, warum andere Quatsch erzählen, als dass wir uns mit der Qualität unserer eigenen Überzeugungen kritisch beschäftigen. Debatten in Talkshows sehen wir uns an wie Boxkämpfe; wir befeuern unser Team und hoffen, dass der Gegner des »Bürgergelds«, »unser Mann«, seine Argumente besonders brillant rüberbringt; Carsten Linnemann (CDU) hat am vergangenen Sonntag bei Anne Will leider geschwächelt.
Ändern sich Meinungen also gar nie? So ist es nicht. Ein prominentes Beispiel: Im Jahr 1996 sprachen sich 73 Prozent der Amerikaner gegen die Schwulen-Ehe aus – heute befürworten 70 Prozent der Bevölkerung die gleichgeschlechtliche Ehe. David McRaney, ein britischer Wissenschaftsjournalist, hat darüber gerade ein anregendes Buch geschrieben (»How Minds Change«).
Street Epistemology
McRaney macht für die Meinungsänderungen die klugen Kampagnen der LGBT-Aktivisten verantwortlich: Da geht es, USA-typisch, um aufwendiges Klinkenputzen (»canvassing«). Anstatt aber die konservativen Amerikaner mit ihren eigenen »fortschrittlichen« Ideen zu konfrontieren, kamen die Aktivisten einfach nur als Zuhörer ins Haus und ließen die Gegner der Schwulen-Ehe Geschichten erzählen: sie sollten nicht über die Meinungen der anderen, sondern über ihre eigenen Überzeugungen nachdenken. Dabei stellte sich heraus, dass man sich gar nicht so verschieden war, wie angenommen. Ein Interviewpartner etwa soll erzählen, was er gegen Schwule hat und ob er überhaupt homosexuelle Menschen kenne. »Klar« antwortet der, vor kurzen sei er per Zufall in eine Demo von Schwulen geraten; einer von denen habe sogar eine Federboa umgehabt. Der Interviewer fragt, ob er sich mit den Leuten auch unterhalten habe. »Warum sollte ich«, fragt der Interviewte. »Oh Mist, dass ich heute meine Federboa vergessen habe«, fährt der Interviewer ihm in die Parade. Beide lachen – und sprechen lange miteinander.
Solche Erfahrungen plötzlicher Nähe machen möglich, dass Menschen miteinander reden, die noch nie miteinander reden. Die Methode nennt sich »Street Epistemology«, eine Gesprächstechnik, die hilft, sich mit jedem Menschen über seine Weltanschauung zu unterhalten, ohne mit ihm zu streiten. Zur Manipulation kann die Methode indes auch ge- oder missbraucht werden. Klar, die Schwulenehe ist ein großer Freiheitsgewinn für die Menschheit. Aber ungern wollte ich, dass ein Impfgegner mit mir solche Tiefeninterviews veranstaltet, um mich »umzudrehen«.
Lieber wäre mir, Normen und Meinungen würden sich im Lauf der sozialen Evolution ändern und nicht durch methodisches Klinkenputzen sei es noch so fortschrittlicher Lobbygruppen gepusht werden. Ein gutes Beispiel für nicht intendierte soziale Evolution ist die Ehe. In Befragungen aus dem Jahr 1939 standen für Frauen und Männer »Verlässlichkeit« und »emotionale Stabilität« auf Platz Eins bei der Partnerwahl. 1977 waren Frauen und Männern die »Attraktivität des Partners und Liebe« am wichtigsten. Ist das nun ein Fortschritt? Seit dem Jahr 1977 steigen leider auch die Scheidungsraten. »Wenn eine Norm sich ändert, zerstört sie zuweilen eine Institution, noch bevor diese sich zu erneuern vermag«; kommentiert McRaney.
Rainer Hank
15. November 2022
Der 49–Euro-SchwachsinnEs gibt bessere Lösungen als die Bahn-Flatrate
»Bei der heißen Schlacht am kalten Buffet, da zählt der Mann noch als Mann
Und Auge um Auge, Aspik um Gelee, hier zeigt sich, wer kämpfen kann, hurra.«Der Song von Reinhard Mey aus dem Jahr 1972 kommt mir in den Sinn, seit hierzulande über 9–, 29– oder 49–Euro-Tickets gestritten wird. Halb Deutschland war in diesem Sommer mit dem ÖPNV quer durchs Land unterwegs. Und so ist es dann auch zugegangen: Ein Gedränge und Gedrücke, falls man überhaupt noch einen Stehplatz bekam, weil der einzig freie Sitzplatz leider schon von den Pommes weiß-rot des Vorgängers besetzt war. Alles eben wie am Kalten Buffet Reinhard Meys, den ich deshalb gleich noch einmal zu Wort kommen lasse (Melodie gibt es auf Youtube): »Gemurmel dröhnt drohend wie Trommelklang, bald stürzt eine ganze Armee die Treppe hinauf und die Flure entlang. Dort steht das kalte Buffet. Zunächst regiert noch die Hinterlist, doch bald schon brutale Gewalt. Da spießt man, was aufzuspießen ist, die Faust um die Gabel geballt. Mit feurigem Blick und mit Schaum vor dem Mund kämpft jeder für sich allein. Und schiebt sich in seinen gefräßigen Schlund, was immer hineinpasst, hinein.«
Der Kalte-Buffet-Effekt ist die Konsequenz aller Flatrates. Das Restaurant wird bei einem Pauschalpreis entweder an der Qualität des Buffets oder an der Menge oder gleich an beidem sparen. Hummer sollte man besser nicht erwarten. So hat mein journalistischer Lehrer Hans D. Barbier immer argumentiert, um die Schlaraffenland-Illusion der All-You-Can-Eat-Angebote zu entlarven. Trotzdem sind die Leute jetzt wieder ganz besoffen von den Billigtickets. Da geht es genauso zu wie am kalten Buffet: Die Fahrt in die Ferne dauert ewig (es heißt ja auch Nahverkehr), die Züge sind rappelvoll und niemand hat Lust, die Qualität des Angebots zu verbessern.
Das glauben Sie nicht, weil die 49–Euro-Idee so toll klingt? Ich zitiere Oliver Wolff, den Chef des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen: »Die ersten Betriebe denken darüber nach, Linien auszudünnen und Strecken einzustellen.« Er sei in Sorge um das künftige Angebot im Nahverkehr, so Wolff. Der Präsident des Deutschen Städtetags legt zumindest metaphorisch noch einen drauf. Er habe die Befürchtung, die Verkehrswende drohe durch das 49–Euro-Ticket »auf dem Abstellgleich zu landen«.
Wissing als Ehrenmitglied der Linken
Nur einer jubelt. Der Verkehrsminister Volker Wissing. Seit Wochen schwadroniert er von der »größten ÖPNV-Tarifreform in Deutschland« und verkauft als seinen Erfolg, was ihm ursprünglich von den Grünen aufs Auge gedrückt wurde. Deutschland lasse damit »extreme Preisschwankungen im Angebot des Öffentlichen Nahverkehrs hinter sich« jubelt Wissing. Dass ich das noch erleben darf: Ein liberaler Politiker lobt den Einheitspreis und stört sich an »extremen Preisschwankungen«. Er glaubt nicht, dass in einer Marktwirtschaft Preise Signale sind für Anbieter und Nachfrager darüber, was wem wieviel wert ist. Er ignoriert den Kalte-Buffet-Effekt des Festpreises, der jeglichen Wettbewerb erstickt. Kein Zugbetreiber hat Anreize Pünktlichkeit, Zugqualität, Service für die Kunden zu verbessern, denn er darf Preise weder erhöhen noch senken. Er muss alles immer für 49 Euro liefern. Konsequent müsste Wissing auch einen Festpreis für Wohnungen (sagen wir 200 000 Euro), Laugenbrezeln (vielleicht 50 Cent) oder Fahrräder (150 Euro) fordern. Auch da stören sich viele Leute an den »extremen Preisschwankungen«, gerade jetzt in Zeiten der Inflation. Im Erfolgsfall winkt Wissing die Ehrenmitgliedschaft bei der »Linken«, überreicht am goldenen Band von Sarah Wagenknecht, falls die dann dort noch Mitglied ist.
Es gibt noch ein paar weitere Einwände gegen das 49–Euro-Ticket. Der wahre Preis der Reise wird verschleiert, denn Bund und Länder schießen gepumpte drei Milliarden aus dem Doppel-Wumms zu. Die Zugbetreiber werden jetzt ihre Lobbyabteilungen aufrüsten, denn mehr Geld kommt künftig nicht vom Kunden, sondern vom Staat. Auch das klingt nicht wirklich nach Marktwirtschaft. Das Billigticket wird kofinanziert von heutigen oder künftigen Steuerzahlern, auch wenn sie kein 49–Euro-Ticket kaufen, sondern mit Fahrrad, E-Auto oder ICE unterwegs sind. Gerecht wäre es, Preise individuell streckenabhängig zu berechnen. So etwas hat die FDP früher – etwa in den Mautdebatten – immer gefordert. Wenn Arme sich das nicht leisten könne, kann der Staat sie direkt mit Geld unterstützen. 49 Euro sind für arme Menschen kein Pappenstiel, für den Zahnarzt schon, der braucht es aber nicht.
Fairtiq kann alles besser
Und was ist mit dem Klima? Bahnfahren reduziert die CO2–Emissionen prahlt Wissing. Das wollen wir erst einmal sehen. Für jene Bürger auf dem Land, bei denen kein Bus und keine Bahn vorbeikommt, stimmt das schon mal nicht: Die pendeln auch künftig mit dem alten Diesel. Und für die Strecken, die künftig vom Netz genommen werden (siehe oben), stimmt es auch nicht. Und woher kommt der Strom, mit dem die Züge fahren? Natürlich aus der Steckdose, also aus der Oberleitung. Erzeugt wird er zu nicht geringen Teilen aus Kohle und Gas, wie wir in den letzten Monaten teuer lernen mussten (»Merit Order«). Klingt nicht super-klimafreundlich.
Bleibt das Argument der Vereinfachung. Die 49–Euro-App funktioniere immer, unabhängig von kaputten Fahrscheinautomaten und von Kleinstadt zu Kleinstadt undurchschaubaren Tarifsystemen. Das stimmt. Doch dieser Mega-Vorteil ist nicht an eine Flatrate gebunden, sondern geht auch bei streckenabhängigen Preissystemen. »Fairtiq« zum Beispiel, ein Startup ohne Staatssubventionen aus der Schweiz (da fahren bekanntlich die Züge pünktlich), bietet eine Check-in/Check-out-Lösung: Niemand muss vor der Fahrt ein Ticket kaufen und sich um Tarifzonen kümmern. Teure Automaten werden überflüssig. Beim Betreten des Zuges loggt man sich durch Wischen ein, beim Aussteigen checkt man genauso aus. Fairtiq garantiert, dass stets das günstigste verfügbare Ticket berechnet wird. Die gefahrene Strecke wird über GPS ermittelt und am Monatsende abgebucht, streng datenanonymisiert natürlich, verspricht das Unternehmen. Das funktioniert seit langem prima in der Schweiz, in Liechtenstein und Vorarlberg. Auch einzelne Regionen in Deutschland (neuerdings auch Nordrhein-Westfalen) haben Fairtiq gekauft.
So kommt man zu einer einfachen und gerechten Lösung, die Wettbewerb und Anreize zu Qualitätsverbesserung zulässt und All-You-Can-Eat-Effekte vermeidet. Was waren das nochmal für Nachteile? Fragen wir Reinhard Mey: »Da braust es noch einmal wie ein Orkan, ein Recke mit Übergewicht wirft sich aufs Buffet im Größenwahn, worauf es donnernd zerbricht.«
Rainer Hank
08. November 2022
StapelkrisenWas tun, wenn die Zeit aus den Fugen ist?
Der achtjährige Gaylord hatte seine Augen und Ohren überall. Vor allem dort, wo sie nicht hingehören. Schon morgens früh hopst er von Bett zu Bett und will seine Familie mit selbstgebrühtem Kräutermatsch-Tee beglücken. Doch der Haussegen hängt gewaltig schief: Der Vater wurde aus dem elterlichen Schlafzimmer verbannt, Großtante Marigold steckt irgendwo in der Vorkriegszeit fest, und Tante Becky spannt der eigenen Schwester den Liebhaber aus.
So geht der Plot eines Romans von Eric Malpass mit dem Titel »Morgens um Sieben ist die Welt noch in Ordnung«, der im Jahr 1968 in deutschen Kinos lief. Dass es sich um eine schnulzige Komödie handelte, ahnt man. Demensprechend hatte ich mich nicht getraut, Freunden zu erzählen, dass ich den Film anschauen würde. Schließlich befinden wir uns im Jahr 1968: Die revolutionären Studenten in Berlin und Frankfurt, unsere Helden als Schüler, hätten das mit Sicherheit nicht gut gefunden und als unpolitisch-seichte Ablenkung vom verwerflichen Zustand der kapitalistischen Welt getadelt.
Die Erinnerung an den Film ist längst verblasst. Gehalten – nicht nur in meiner Erinnerung – hat sich der geniale Titel. Er spiegelt die nur allzu verständliche Sehnsucht nach Normalität. Früher war die Welt noch in Ordnung. Und Ordnung ist bekanntlich das halbe Leben (Marie Kondo).
Heute ist die Zeit mal wieder aus den Fugen. Shakespeares Hamlet hat das schon vor ein paar Jahrhunderten diagnostiziert. Früher wussten wir wenigstens noch, in welcher Krise wir uns gerade befinden. Heute gibt es eine Krisenunübersichtlichkeit: Corona ist noch nicht vorbei. Inflation, Krieg und geopolitisch-atomare Bedrohung kommen hinzu. Eine neue Migrationskrise ist zurück, die wir doch eigentlich mit dem Jahr 2015 für erledigt hielten. Nicht zu reden von der Klimakrise, die als Krise gar nicht weichen will. Von Polykrise ist die Rede, sprachlich schöner noch von »Stapelkrise«.
Am Rande des Nervenzusammmenbruchs?
Was machen wir jetzt mit der aus den Fugen geratenen Zeit? Unter dem Titel »Nicht mehr normal« hat der Soziologe Stefan Lessenich gerade ein kleines Bändchen veröffentlicht, in dem er unsere Gesellschaft »am Rande des Nervenzusammenbruchs« wähnt. In Pedro Almodovars gleichnamigem Film von 1988 waren es lediglich die hysterischen Frauen, die nervlich am Ende waren, heute ist es schon die ganze Gesellschaft. Wie will man das künftig noch steigern? Lessenich, seit geraumer Zeit Direktor des durch Max Horkheimer und Theodor Adorno berühmt gewordenen Instituts für Sozialforschung in Frankfurt, braucht den Superlativ als Voraussetzung seiner spätmarxistischen Revolutionstheorie. Die geht ungefähr so: Alles geht den Bach runter. Und das ist gut so. Endlich werde die »Irrationalität des Ganzen« sichtbar: »Ganz gleich, ob im Feld der Finanz-, Klima- oder Zuwanderungspolitik, bei der Organisation des gesellschaftlichen Zusammenhalts oder der Geschlechterverhältnisse, im Umgang mit Pandemien oder mit Diktatoren: Wir sind aufgefordert, die Macht der Illusion zu brechen – der Illusion, dass wir mit alten Rezepten durchkommen könnten.« Völker hört die Signale: Die Apokalypse bringt uns ins Paradies, welches bei Stefan Lessenich selbstredend ein sozialistisches Paradies mit demokratischer Planwirtschaft ist, wo »die Bestimmung gesellschaftlicher Bedarfe nicht mehr den Märkten überlassen wird, sondern zum Gegenstand demokratischer Entscheidung« gemacht wird. Viel Spaß dabei! Ich bin raus.
Der Denkfehler ist die Vorstellung, Krise sei die Ausnahme, Normalität hingegen der Normalfall, also das Übliche. Dabei war es doch gerade Karl Marx, der uns darüber belehrt hat, dass die Wirtschaft rhythmischen und zyklischen Schwankungen unterliegt, der stetigen Wiederkehr von Auf- und Abschwung, Boom und Bust, Globalisierung und Deglobalisierung. Sieben fetten Kühen folgen sieben magere Kühe, pflegte man in einer früheren Welt zu träumen, in der solche Bilder aus der Fleischwirtschaft noch keinen klimapolitischen oder ökotrophologischen Fauxpas bedeuteten.
Während die Krise der Normalzustand ist, ist die Normalität wohl eher eine Fiktion und Projektion, die freilich als Gegenstand der Sehnsucht eine psychostabilisierende Funktion hat. Seit ich Wirtschaftsjournalist bin stolpern wir von einer Krise in die nächste. Bloß ist die Erinnerung daran verblasst, dass wir in den neunziger Jahren der Meinung waren, knapp fünf Millionen Arbeitslose würden bald politische Unruhen wie in den frühen dreißiger Jahren nach sich ziehen. Über die Beschäftigungskrise stapelte sich die sogenannte New-Economy-Krise, die das Vermögen vieler Kleinaktionäre mit einem Schlag vernichtete und den Deutschen die Lust an den Aktien auf lange Jahre vergällte.
Krisen, wohin man blickt. Harold James, Wirtschaftshistoriker an der Princeton-Universität, fängt in seinem gerade erschienenen Buch »Schockmomente«, einer Weltgeschichte von Inflation und Globalisierung, bereits in den 1840er Jahren an. Hungersnöte, Mangelernährung, Krankheiten und Aufstände hatten Europa damals im Griff. Ähnlich wie die Marxisten, gewinnt auch Harold James den Krisen viel Gutes ab. Doch anders als die Marxisten sind für ihn Krisen nicht notwendige Umschlagpunkte zum Sozialismus, sondern Bedingung des kapitalistischen Fortschritts und der Globalisierung. So brachten die Hungersnöte des 19. Jahrhunderts international einen wirtschaftlichen Integrationsschub, der den Lebensmittelbedarf Europas durch Getreideimporte aus dem Ausland zu stillen vermochte. Knappheit ist nichts Neues, das muss Robert Habeck noch lernen: Hohe Preise sind gut. Denn sie geben Verbrauchern und Unternehmern Signale einer Notwendigkeit zur Veränderung. Die Globalisierung wird damit zu einer Geschichte von Zusammenbrüchen und Schöpfungen. Am Ende kann sich das Ergebnis sehen lassen, finde ich. Wir sind alle reicher geworden. Unser Smartphone, unsere Waschmaschinen und Butterpäckchen wurden über die Zeit viel billiger, was man in Inflationszeiten nicht sehen mag.Folgt man der Idee der kapitalistischen Fortschrittsgeschichte, dann ist es grundfalsch, Preise politisch niedrig zu halten und – wie es jetzt geschieht – den Status quo dadurch zu zementieren, dass Subventionen für Firmen an Beschäftigungsgarantien gebunden werden. Geholfen werden muss den wirklich Armen. Die üppigen Entlastungspakete verhindern dagegen, dass Krisen ihr Kreativitätspotential freisetzen können. Das mag zynisch klingen, aber so geht der Fortschritt. Für Politiker ist das schwer auszuhalten. Man sollte sie an das Diktum einer früheren Bundeskanzlerin erinnern: »Chaos ist in Politik immer.«
Rainer Hank
01. November 2022
Das Rollkoffer-RätselVerhindern die Männer die besten Erfindungen?
Warum kam man erst im Jahr 1972 auf die Idee, Räder an Reisekoffer zu montieren – obwohl es das Rad schon seit 5000 Jahren gibt. Die Frage ist faszinierend. Denn inzwischen können wir uns eine Welt ohne unsere Rimowa-Koffer gar nicht mehr vorstellen. Tänzerisch drehen die Dinger sich auf ihren vier Rädern um die eigene Achse; lässig und leicht ziehen wir sie hinter uns her.
Das Rollkoffer-Rätsel lässt mich nicht mehr los seit ich vergangene Woche bei der Verleihung des Wirtschaftsbuchpreises der schwedischen Autorin Katrine Marçal zugehört habe, die dem Trolley ein ganzes Buch gewidmet hat und der Frage, warum sich die naheliegendsten Innovationen manchmal erst Jahrtausende später (oder gar nicht) durchsetzen. Offenbar ging es anderen wie mir: Katrine Marçal wurde vom anwesenden Publikum in einer Spontanwertung auf Platz eins unter den zehn Finalisten ausgezeichnet.
Die Antwort auf die Rollkofferfrage, die die Schwedin anbot, war beim anschließenden Häppchengeplauder heiß umstritten. Einmal mehr sollen nämlich die Männer schuld sein. Ein echter Mann trägt seinen Koffer selbst, wozu hat ihm der liebe Gott ein dickes Muskelpaket geschenkt, sagt Katrine Marçal. Und wenn er ein Kavalier sein wollte, dann trug er natürlich auch das Gepäck seiner Gemahlin. Rollen wären dem Mann weichlich und weibisch vorgekommen. Weil die meisten Erfindungen in der Weltgeschichte von Männern gemacht wurden, kamen die Rollen erst an den Koffer, nachdem die Männer historisch bedeutsamere Erfindungen hinter sich hatten – zum Beispiel einen Kurzausflug auf den Mond. Wir Männer sind also selbst schuld daran, dass wir aus falschem Stolz Jahrhunderte lang sinnlos Koffer wuchten mussten. Das lässt sich generalisieren: Wir lassen uns Bequemlichkeit, Wohlstand, Klimaschutz, Reichtum und vieles andere entgehen, weil wir über Jahrhunderte machistisch und paternalistisch verbogen wurden. Sagt Frau Marçal.
Meine unsystematische Nachfrage bei kundigen Männern lässt am Gender Bias der Innovationsgeschichte kein gutes Haar. »Völliger Quatsch«, meint zum Beispiel Bert Rürup, Ökonomieprofessor und langjähriges Mitglied des Sachverständigenrats. Falsch sei schon die Voraussetzung, dass die Männer ihre reisenden Koffer selbst getragen hätten. Dafür gab es bezahlte Kofferträger und Sackkarren mit Rädern. Da hat Rürup recht. Schon im ersten Kapitel von Thomas Manns Zauberberg, den ich gerade mal wieder lese, erfahren wir, dass es natürlich nicht Hans Castorp ist, sondern der Concierge des Internationalen Sanatoriums »Berghof« – ein Mann im Livree mit Tressenmütze -, der den großen Koffer des neu ankommenden Gastes vom Bahnhof Davos Platz abholen muss, während davon unbelastet Hans Castorp zusammen mit seinem Vetter Joachim Ziemßen direkt mit dem Wagen zum Abendbrot fahren. Erst als die Kofferträger verschwanden, mussten die Leute ihr Gepäck selbst tragen und waren genötigt, auf Erleichterung zu sinnen.
Keiner will mehr Koffer tragen
Aber warum ausgerechnet 1972? Bert Rürups kühne These lautet: Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit war auf dem Höhepunkt, es gab Vollbeschäftigung und die Arbeiter hatten bessere berufliche Alternativen als sich als Kofferträger zu verdingen: als Dienbstboten schuften und schlecht verdienen wollte keiner mehr.
Auch Werner Plumpe, ein Wirtschaftshistoriker in Frankfurt, vermag über die Genderthese nur den Kopf zu schütteln. Innovationen erfolgen nicht aus funktionalen Gründen, sagt er. Also ob die Erfinder sich hinsetzen und darüber nachdenken, was jetzt gebraucht werde. Das sei von der Logik her ausgeschlossen, da man erst weiß, ob etwas funktioniert, wenn es das gibt. Der evolutionäre Weg der Innovation geht vielmehr so: versuchen, ausprobieren, bewähren, scheitern, bewahren, weiterentwickeln. Trial-and-Error eben. Höchstwahrscheinlich sei der Rollkoffer ein Phänomen des Massentourismus, vermutet Plumpe, während der ältere Tourismus mit großen Koffern eher ein Elitenphänomen war.Jetzt wird es grundsätzlich. Wann führen Innovationen zu einem Paradigmen- oder Pfadwechsel, wie die Ökonomen sagen. Tatsächlich hat man jahrelang und naheliegend versucht, das Material des Koffers leichter zu machen (Stoff statt schwerem Leder zum Beispiel) und die Griffe weicher und breiter zu gestalten, damit sie beim Tragen nicht die Hände einschneiden. Folgt man der Machismo-These wäre das ja schon der erste Schritt der Verweichlichung gewesen. Der Einfall mit den Rädern muss einem erst mal kommen. Und manchmal sind es gerade die simplen Dinge, die einem nicht kommen.
Es sind Beharrungskräfte der Gewohnheit, die den Pfadwechsel erschweren. Schon in der ersten Energiekrise 1972 hätten die Menschen merken können, dass die Zukunft der fossilen Energie unsicher ist. Und schon damals konnte man in Kopenhagen ein »Null-Energiehaus« besichtigen, das mit Solar-Paneelen ausgerüstet war und gänzlich unabhängig von Öl, Gas oder Kohle beheizt und beleuchtet wurde. Warum hat man das damals nicht energisch weiterverfolgt? Weil der technische Fortschritt und der (deutsche) Autoingenieur auf Effizienzverbesserung des Verbrenners setzten und dabei unglaubliche Sparfortschritte erzielten. Das hat deutsche und japanische Autos im internationalen Wettbewerb schwer nach vorne gebracht. Zuletzt habe ich es mit einer einzigen Dieseltankfüllung meines Dreier-BMW von Ravenna bis Frankfurt geschafft. Und unglaublich billig war das, damals vor dem Ukraine-Krieg.
E-Autos für Weicheier?
Sie ahnen, was Katrine Marçal dazu sagt, warum es so lange gedauert hat, bis die Elektroautos ernsthaft zur Alternative für den Verbrenner geworden sind, obwohl die Elektrotechnik schon seit 1839 (!) bekannt ist. Auch daran sind selbstredend wir Männer schuld: Denn so ein Diesel oder Benziner röhrt richtig, wenn man aufs Gaspedal drückt. Das mag der Mann (ich habe mir sagen lassen, auch die ein oder andere Frau). Die Batterie im leisen E-Auto halten die Männer dagegen für weibisch und weichlich. Erst kommt die kulturelle Einstellung, dann kommt die Innovation. Also müssen wir die Einstellungen ändern, damit wir die richtigen Erfindungen kriegen. So schräg argumentiert die Gender-Theorie.
Mir leuchtet die materialistische Alternative mehr ein: Erst das Verschwinden der Kofferträger und der Massentourismus verhalfen dem Rollkoffer zum Durchbruch. Und erst wenn E-Autos finanziell erschwinglich werden, ich damit von Ravenna nach Frankfurt fahren kann und überall Ladestationen stehen, werden Frauen und Männer aufs E-Auto umsteigen. Das wird im Übrigen erfolgreicher sein als ein politisches Verbrenner-Verbot. Und wenn die Männer am E-Auto den zünftigen Sound vermissen, kann man den als Extra hinzukaufen.
Rainer Hank