Hanks Welt
Subjektive Reflexionen, freche Interventionen, persönliche Spekulationen: »Hanks Welt« wirft einen subjektiven Blick auf das Geschehen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Meine Kolumne erscheint Sonntag für Sonntag im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).
Aktuelle Einträge
04. Dezember 2024Ein Hoch auf Pharma
04. Dezember 2024Mit Unsicherheit leben
15. November 2024Zwangsarbeit
05. November 2024Totaler Irrsinn
18. Oktober 2024Arme Männer
14. Oktober 2024Christlicher Patriotismus
08. Oktober 2024Im Paradies der Damen
28. September 2024Von der Freiheit träumen
28. September 2024Reagan hätte nie für Trump gestimmt
10. September 2024Das Ende der Ampel
31. Oktober 2023
Gaza und SingapurUtopische Gedanken in finsterer Zeit
Die tollste Idee ist der Bau einer künstlichen Insel vor der Küste Gazas. Dort soll ein großer Hafen entstehen. Derweil wachsen an der Grenze zwischen dem Gaza-Streifen und Israel groß angelegte Industriezonen. Eine schnelle Autobahn würde quer durch Israel führen und Gaza mit dem palästinensischen Westjordanland verbinden.
Zuvor schon wäre die Strom- und Gasversorgung dauerhaft sichergestellt worden. Eine moderne Meerwasserentsalzungsanalage sorgte dafür, dass die inzwischen auf drei Millionen Menschen angewachsene Bevölkerung des schmalen Küstenstreifens täglich Zugang zu frischem Wasser hätte. Marriot, die internationale Hotelkette, hat schon vor ein paar Jahren überlegt, ein zweites Hotel am Strand zu errichten für eine wachsende Klientel zahlungskräftiger Touristen. Strandrestaurants säumen das Ufer zum Mittelmeer. »43 Kilometer beste Sandstrände im Mittelmeer«, das ist eines der Assets des neuen Stadtstaates Gaza. Leicht zu erreichen mit einem neuen internationalen Flughafen. Ein Spiel-Casino wurde schon vor Jahren von Palästinenser-Führer Jassir Arafat gebaut.
Was ich hier aufzähle, ist keine Fantasie eines durchgeknallten Zeitgenossen im Herbst 2023. Sondern eine Zusammenfassung einer vom Internationalen Institut für Terrorismusbekämpfung im israelischen Herzlia veranstalteten Tagung im Herbst 2021, worüber damals auch in deutschen Zeitungen berichtet wurde.
»Es wird der Tag kommen, am dem der Gazastreifen das Singapur des Nahen Ostens sein wird.« Dieser Satz stammt von dem ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Schimon Peres. Euphorisiert vom Oslo-Friedensprozess mit den Palästinensern träumte Peres von einem neuen Nahen Osten nach dem Vorbild Singapurs. Gaza und Israel waren dankbar dafür, dass der Emir von Qatar mit über zwei Milliarden Dollar das Startkapital für das Projekt »Nation Building« zur Verfügung stellte. Ja, es gab einmal eine konkrete Friedenshoffnung. Und das ist gar nicht so lange her.
Heute, angesichts des Terrors der Hamas, der die ganze Region in einen Krieg zu zwingen scheint, klingt das alles wie ein schlechter Witz von Menschen, die keine Ahnung haben und hoffnungslos naiv sind. Dabei ist der Vergleich mit Singapur alles anderes als utopisch, sondern realistisch. Man muss nur einen Moment innehalten und den Gedanken zulassen, dass die Welt nicht so bleiben muss, wie wir sie kennen.
Der Gründer Lee Kuan Yew
Singapur, der Stadtstaat an der Südspitze der malaysischen Halbinsel existiert erst seit 1965, also noch nicht einmal seit sechzig Jahren. Über Jahrhunderte zuvor war das Land Spielball fremder Mächte. Schlimm war die gnadenlose Okkupation durch Japan im Zweiten Weltkrieg. Es folgten turbulente Nachkriegsjahre – bis Singapur schließlich ein unabhängiger Staat wurde unter der Führung des charismatischen, wenngleich autoritären Staatschefs Lee Kuan Yew.
Lee ist der Vater eines asiatischen Wirtschaftswunders, das auch Ludwig Erhard erblassen lassen würde. 1965, im Jahr der Gründung, lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Singapur auf demselben armseligen Niveau wie Jordanien. Inzwischen gibt es kaum eine Region der Welt, die so reich ist wie Singapur: Man hat Japan, ja selbst die USA mit 72 000 Dollar pro Kopf überflügelt, während Jordanien – und Gaza! – heute immer noch bettelarm sind und bei 3000 Dollar Prokopfeinkommen verharren.
Der Stadtstaat wird geführt wie ein Wirtschaftskonzern (»Singapore Inc.«); sein Geschäftsmodell ist extrem diversifiziert. Im Ranking wirtschaftlicher Freiheit liegt Singapur seit Jahren international auf dem ersten Platz. Gewertet wird das Maß der Rechtstaatlichkeit, die wirtschaftliche Offenheit, die Effizienz der Verwaltung und die schlanke Bürokratie. Singapur ist eine Demokratie, aber auch ein sehr autoritäres Regime. Wer das rechtfertigen möchte, verweist darauf, dass dort seit Jahren Menschen unterschiedlicher Religionen und Ethnien zusammenleben, ohne dass es zu nennenswerten Konflikten kommt. Toleranz, so kann man argumentieren, braucht eine »harte Hand«.
Die äußeren Gegebenheiten von Gaza und Singapur sind durchaus vergleichbar. Die Fläche Singapurs ist mit 720 Quadratkilometern gut doppelt so groß wie Gaza; es leben dort aber auch 5,8 Millionen Menschen, mehr als doppelt so viel wie in Gaza. Auch Gaza hat eine privilegierte geographische Stellung, strategisch ähnlich attraktiv wie die Golfstaaten und grob irgendwo auf halbem Weg zwischen Europa, Südostasien und Australien. Die Lage am Mittelmeer, nah an Europa, ist prädestiniert für einen blühenden Tourismus. Nirgendwo steht geschrieben, dass Gaza City nicht eine ähnlich pulsierende Stadt mit großen Hotels, Hochhäusern, Startups, einer blühenden Finanzindustrie und einem multikulturell-urbanen Bürgertum sein oder werden könnte wie das nahe Tel Aviv. Auch Tel Aviv gibt es erst seit gut hundert Jahren.
Gaza zählt im Übrigen, anders als die Westbank, für Israel nicht zur heiligen Erde der biblischen Väter. Israel hat sich seit 2005 dort vollkommen zurückgezogen; es gibt keine New Settlements mit den entsprechenden Gewaltkonflikten wie im Norden des Landes.
Optimismus ist Pflicht
Nun habe ich mich lange um die entscheidende Frage gedrückt: Warum verfolgt Gaza nicht den Weg Singapurs? Nirgendwo steht, dass es auf der Welt Platz für nur ein Singapur gibt. Ein rassistisches Argument steht empirisch (philosophisch schon gleich gar nicht) ebenfalls nicht zur Verfügung, wonach Muslime zu wirtschaftlichem Misserfolg verdammt wären: Kuwait, Doha und andere Golfstaaten Arabiens mit muslimischer Bevölkerung haben es auch zu nationalem Wohlstand gebracht.
Beschränken wir uns auf die ökonomischen Gründe. Dann müsste man sagen: Es sind die Anreize, Dummkopf! Offenkundig sind die von den Hamas-Terroristen offerierten Belohnungen für den antizionistischen Hass, das Ziel einer Auslöschung der Juden in ganz Eretz Israel, postum womöglich gekrönt von himmlischem Lohn, größer als die Anreize, mit wirtschaftlicher Anstrengung zu Wohlstand, Frieden und internationaler Anerkennung zu gelangen. Hinzu kommt das Regime der autoritären Hamas-Diktatur, das eine Opposition im Keim unterdrücken würde, auch wenn diese im Interesse aller Bürger wäre.
Zuckerbrot oder Peitsche: Wie soll man mit dem Terrorismus umgehen? Darüber hat der Schweizer Ökonom Bruno Frey 2006 ein anregendes Buch geschrieben. Damals schien ihm das Zuckerbrot wirtschaftlichen Erfolgs zielführender und kostensparender als die Peitsche der militärischen Terrorismusbekämpfung. Womöglich müsste man heute umgekehrt argumentieren: Erst ein Ende des Hamas-Regimes in Gaza wäre die Bedingung der Möglichkeit, neu – und mit Hilfe Israels – in den friedlichen Wettbewerb mit Singapur zu treten. Optimismus ist Pflicht (Karl Popper), gerade in diesen düsteren Zeiten.
Rainer Hank
12. Oktober 2023
Sklaven-ÖkonomieBasiert der Kapitalismus auf dem Blut der Unterdrückten?
Es zählt zu den größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Über drei Jahrhunderte lang wurden insgesamt 12,5 Millionen Afrikaner versklavt und zwangsweise über den Atlantik nach Amerika verschleppt. Rund elf Millionen der Sklaven erreichten ihr Ziel. Viele starben bereits durch die Brutalitäten der Gefangennahme an den Küsten Westafrikas. Tödliche Krankheiten, Suizide während der Überfahrt kamen hinzu. Wer durchkam, den erwartete ein Schicksal schwerster Arbeit auf den Zuckerplantagen der britisch oder französisch kolonisierten Karibik oder bei der Baumwollernte in den Südstaaten der USA.
Dass diese Verbrechen zugleich eine Bedingung des Erfolgs des Kapitalismus sein könnten, war lange Zeit undenkbar und unerhört. Kam es als Denkmöglichkeit in den Blick, wurde ein Zusammenhang entweder geleugnet oder mit guten Argumenten ausgeschlossen. Lieber brachte die Forschung heroische Kandidaten ins Spiel, die den Wohlstand der Nationen verantworten: Berühmt wurde die These Max Webers, wonach es die asketische Lebensform des protestantischen Puritanismus war, die die Menschen zu Arbeit und Sparsamkeit anhielt und dadurch die Akkumulation von Kapital ermöglichte. Andere Gelehrte sehen den Wettbewerb der oberitalienischen Renaissance-Städte als Geburtsstunde des Kapitalismus, angeschubst nicht zuletzt durch das Unterlaufen des religiösen Zinsverbots. Neuere Theorien verweisen auf die »nützlichen« technologischen Erfindungen als Start der industriellen Revolution, die Notwendigkeit guter rechtlicher Institutionen (Eigentum, Vertragsfreiheit) und die ökonomische Überlegenheit von Inklusion und Partizipation in demokratischen Staaten.
Man sieht: Es dürfen nur moralisch, ökonomisch und technologisch gute »Ermöglicher« sein, die den Weg zum Kapitalismus gebahnt haben. Gutes – Wohlstand für alle – kann nur von Gutem (Askese oder Ingenieurskunst) in die Welt kommen. Die böse Ahnung, auch die Sklaverei könnte eine Mitverantwortung tragen, schied aus: Sklaverei galt als unproduktiv. Obwohl Sklavenarbeit die billigste Arbeit zu sein schien, weil sie lediglich die Aufrechterhaltung der physischen Existenz des Sklaven kostet, sei sie in Wirklichkeit doch die teuerste Produktionsweise, meinte Adam Smith: Der Sklave müsse zwingend daran interessiert sein, so viel wie möglich zu essen und so wenig wie möglich zu arbeiten. Freie Arbeiter, denen ein Lohn gezahlt werde, seien in Wirklichkeit viel produktiver als Sklaven.
Zucker, Melasse, Tabak, Baumwolle
Inzwischen hat sich der Wind der Forschung gedreht. Eine besonders kluge Studie kommt jetzt von den britischen Wirtschaftshistorikerinnen Maxine Berg und Pat Hudson: Slavery, Capitalism and the Industrial Revolution. Die Autorinnen, angesehene Expertinnen für die Industrielle Revolution in England, vertreten die Auffassung, die Sklaverei habe entscheidend zur Entstehung des modernen Kapitalismus beigetragen. Ihre Belege sind triftig. Die Wirtschaft »Westindiens« war eine dynamische Kraft und notwendige Plattform für eine Vielzahl wichtiger ökonomischer Reformen und Erfindungen in der Produktion, im Handel und nicht zuletzt in der Finanzindustrie. Während der Zusammenhang zwischen Sklaverei und Ökonomie in den USA schon länger diskutiert wird, etwa in der Schule der New Histories of Capitalism (NHC), wähnte sich Großbritannien unschuldig – schlicht deshalb, weil zwischen der Heimat und den Kolonien Tausende von Seemeilen liegen und sich die Schuld verdrängen ließ.
Um den Zusammenhang zu verstehen, muss man sich frei machen, die mit Sklavenarbeit erstellten Waren (Zucker, Melasse, Tabak, Baumwolle) isoliert zu betrachten. Das sind zunächst simple agrarische Produkte. Doch ihre Herstellung auf Plantagen gebar eine innovative Landwirtschaft, die wiederum Maschinen brauchte, die aus Europa in die Karibik exportiert wurden. Der Sklavenhandel lebt nicht nur vom »Export« der Sklaven nach Amerika und dem Import der Waren nach England, sondern auch vom Re-Export europäischer Produkte in die Karibik (Waffen, Maschinen, Nahrung, Bekleidung). Darunter befindet sich übrigens auch deutsches Leinen, Bekleidung für Schiffsleute und Sklaven. Der ausschließlich von Sklaven produzierte Rohrzucker führte andererseits in England zu einer Revolution des Geschmacks, woraus sich dort eine ganze Zuckerbäckerindustrie (samt Zuckerdöschen) entwickelte, wo Lohnarbeiter ihr Brot verdienten. Lohnarbeit wäre somit nicht die kapitalistische Alternative zur Sklavenökonomie, sondern deren Folge in einer durch die Sklaverei ermöglichten vernetzen Industrie.
Schließlich wollen die beiden Wirtschaftshistorikerinnen auch den Finanzkapitalismus der Londoner City als Folge des Kolonialismus verstehen. Die Schiffe und die Plantagenbesitzer brauchten für ihre gewagten Unternehmungen Versicherungen (Lloyds of London), sie brauchten Banken, die ihnen Hypothekenkredite verkaufen – und sie brauchten zur Absicherung ihrer Geschäfte einen »Lender of Last Ressort«, die Bank of England.
Man kann es auch übertreiben
Während die Forschung traditionell das frühe Verbot von Sklavenhandel und Sklavenhaltung (1807 respektive 1831) in England als Start der industriellen Revolution (ohne Sklaverei!) ansetzt, zeigen Berg und Hudson, dass bis ins später 19. Jahrhundert die englische Wirtschaft zu nicht geringen Teilen von der Ausbeutung profitierte – nicht zuletzt durch die unglaublich üppigen Entschädigungen für die Plantagenbesitzer im Volumen von 128 Milliarden Pfund (bezogen auf das heutige Bruttosozialprodukt), was zugleich als Startkapital für ihre unternehmerischen Wagnisse diente.
Am heutigen Wohlstand des Westens klebt Blut, pathetisch gesagt. Doch die derzeit modische Kolonialismusforschung schießt weit über ihr Ziel hinaus. Auf der frechen Plattform »History Reclaimed« macht der Historiker Lawrence Goldman auf eine Reihe von Übertreibungen aufmerksam. So kam der Beitrag der karibischen Plantagen zum britischen Sozialprodukt nie über elf Prozent hinaus. Gewiss, im frühen 19. Jahrhundert wurden über 130 Dampfmaschinen von England nach Westindien exportiert. Aber allein in Britannien waren 2500 solcher Maschinen in Gebrauch. Das relativiert den Beitrag der Sklavenarbeit dann doch. Wichtiger noch ist ein konfessioneller Unterschied: Träger der Industriellen Revolution waren gerade nicht die anglikanischen Sklavenhalter, sondern Unitarier, Quäker, Presbyterier – und die waren erklärte Gegner der Sklaverei.
Es bleibt wohl doch dabei: Der Kapitalismus beruht auf genialen Erfindungen und guten Rechtsinstitutionen (Eigentum, Vertragsfreiheit, Wettbewerb). Sklaverei hat das Wachstum und den wirtschaftlichen Fortschritt im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert befeuert, aber sie hat den Wohlstand der Nationen nicht begründet. Das Argument entschuldigt kein einziges dieser menschenverachtenden Verbrechen. Aber es insistiert auf einem bedeutenden Unterschied, dem Faktum, dass der Kapitalismus – allen gegenwärtigen Moden zum Trotz – in seinem Kern auf Kreativität und Freiheit und nicht auf Zwang und Unterdrückung basiert.Rainer Hank
04. Oktober 2023
Klimageld, nein danke!Warum finden gute ökonomische Ideen wenig Zustimmung in der Bevölkerung?
Wie macht man den Menschen die Klimapolitik schmackhaft? Es könnte nämlich für alle teuer werden. Viele Experten aus der Wissenschaft und ein Teil der Politik, vor allem die FDP, liebäugeln mit einem »Klimageld«. Das hat es sogar bis in den Koalitionsvertrag der Ampel gebracht, allerdings noch nicht auf die Konten der Bürger.
Das Klimageld soll die Akzeptanz der Klimawende erhöhen und für eine faire Lastenverteilung sorgen. Aber wollen die Menschen das Klimageld überhaupt? Um die Frage zu beantworten, muss ich ein wenig ausholen. Das Klimageld ist die Antwort auf die Bepreisung der CO2–Emissionen. Seit 2021 wird an den Tankstellen ein Aufschlag auf Diesel und Benzin verlangt als Ausgleich für »Verschmutzung«, die die Verbrenner auf den Straßen anrichten. Derzeit sind das 30 Euro pro Tonne CO2, woraus sich ein Aufschlag auf den Liter Benzin von 9 Cent und 10 Cent auf den Liter Diesel ergibt. Der CO2–Preis soll weiter steigen – mutmaßlich auf 40 Euro im kommenden Jahr und auf 50 Euro im Jahr 2025. Geht es nach vielen Ökonomen, müsste es rasch noch viel teurer werden, soll Deutschland bis 2050 klimaneutral werden (was, nebenbei bemerkt, nicht bedeuten muss, dass der Klimawandel aufgehalten würde). Die Rede ist von 200 bis 300 Euro vom Jahr 2030 an. Würde dies Eins zu Eins auf den Sprit umgelegt, wäre der Liter Diesel dann um einen Euro teurer als heute, würde also – bliebe alles andere konstant – rund 2 Euro 90 statt heute 1 Euro 90 kosten.
Politiker wollen zwar einerseits Klimamusterknaben sein, andererseits fürchten sie die Strafe der Bürger an der Wahlurne für die Verteuerung des CO2–Ausstoßes. Dabei geht es nicht nur um die Zapfsäule, sondern auch ums Heizen (Stichwort Wärmepumpe) und Dämmen. Eine unter Politikern beliebte Strategie ist es deshalb, laut über die hehren Klimaziele zu sprechen, aber besser nicht über die Kosten und den CO2–Preis bei jeder neuen Krise (Corona, Ukrainekrieg) moderater anzuheben als geplant und Strom und Sprit klimafeindlich zu subventionieren.
Kompensation für die Ärmeren
Ehrlicher und fairer wäre es, der Staat würde die CO2–Einnahmen wieder an die Bürger ausschütten. Und zwar komplett und als Festbetrag für jedermann. Ärmere, die weniger fossile Energie konsumieren als Reichere, erhielten denselben Euro-Betrag. Eine Beispielrechnung des »Mercator Instituts für Klimaforschung« geht so: Einer vierköpfigen Familie mit Einfamilienhaus auf dem Land würde in den ersten Jahren Klimageld in Höhe von rund 3000 Euro zufließen – während sich der Betrieb ihrer Ölheizung aufgrund der CO2–Abgabe lediglich um 1500 Euro verteuert und auch der Spritpreis noch moderat bleibt. Allerdings sinkt das Klimageld Jahr für Jahr – weil immer weniger fossile Brennstoffe verkauft werden, wenn sich Wärmepumpen und Elektroautos durchsetzen. Entsprechend weniger CO2–Abgaben landen im Klimafonds. Im Jahr 2040 etwa könnte die Musterfamilie wohl nur noch mit 1200 Euro Klimageld im Jahr rechnen – während ihre Heizölkosten mit 2200 Euro dann deutlich darüber liegen. Hierin liegt der Anreiz, besser früher als später auf eine klimafreundliche Heizung und auf ein E-Auto umzusteigen.
Soweit die Theorie. Nun zur Empirie. Erstens: Warum gibt es das Klimageld nicht längst, wenn es doch eine Ampel-Absprache gibt? Kurze Antwort: Weil die Finanzverwaltung das nicht hinkriegt. Zweitens: Verstehen die Menschen den Zusammenhang von CO2–Abgabe und Klimageld? Zweifel sind angebracht. Eine Erhebung des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung von Anfang September hat ergeben: Viele kennen die Wirkungsweise und die Folgen des CO2–Preises nicht. Über 60 Prozent fühlen sich eher schlecht oder sogar sehr schlecht informiert. Über 80 Prozent der Befragten wissen zwar, dass der CO2–Preis auf Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas aufgeschlagen wird. Allerdings schätzen sie den Aufschlag grob falsch und den derzeitigen Preis viel zu hoch ein. Noch komplizierter wird es, den Zusammenhang zwischen CO2–Preis und einer späteren Überweisung des Finanzministers (oder eine Reduktion der Steuerschuld) allein gedanklich zusammenzubringen.
Schließlich drittens: Wenn man es ihnen gut erklärt, wollen die Menschen dann ein Klimageld? Antwort: Kommt sehr darauf an. Michael Pahle vom Potsdam Institut für Klimaforschung hat zusammen mit Kollegen gefragt, ob die Menschen ihre CO2–Abgaben lieber für ein Klimageld oder für »grüne Investitionen«, vulgo Subventionen (Windparks, Stromtrassen. Ladestationen im Keller der Villa) verwendet sehen wollen. Und siehe da: Die Akzeptanz teurer Emissionspreise steigt mit dem Versprechen zusätzlicher Klima-Subventionen, aber nicht mit der Aussicht auf direkte Rückverteilung. Offenkundig leuchtet den Menschen eher ein Zusammenhang zwischen einer Spritpreis-Verteuerung mit der Förderung von Windparks ein als mit einem Scheck des Finanzamtes. Wenn mit meinem Geld ein Stromkabel von der Nordsee nach Oberbayern (»suedlink«) finanziert wird, verschafft das ein »gutes Gefühl« (»warm glow«), etwas Sinnvolles fürs Klima zu tun. Die Abgabe hinterher wieder auszuschütten, führt im schlimmsten Fall sogar zu einem schlechten Gewissen.
Wer trägt die Lasten der Transformation?
Grüne Wohltaten bekommen in solchen Umfragen mit Abstand die größte Unterstützung – »besonders von Bürgern mit hohem Einkommen, die politisch eher links stehen und hohes Vertrauen in die Regierung haben« (Michael Pahle). Die Botschaft ist bitter: Viele Ökonomen und liberale Politiker schätzen die Präferenzen der Bürger falsch ein. Viele Menschen wollen, dass der Staat – paternalistisch und planwirtschaftlich – die Transformation regelt. Dafür wächst ihre Zahlungsbereitschaft trotz höherem CO2–Preis. Die liberale und marktwirtschaftliche Lösung (Zertifikate, CO2–Preis, Klimageld), die mithilfe von Anreizen darauf setzt, dass die Menschen (und Unternehmen) schon selbst merken, wann sich für sie der klimaneutrale Umstieg lohnt, ist ihnen offenbar suspekt. Politiker haben dafür ein feines Gespür; sie lieben den Paternalismus und die Subventionitis. Ökonom Pahle nennt das Verhalten der Politiker »Eulen nach Athen tragen«. Immerhin: Menschen, die Klimaschutz tendenziell ablehnen, lassen sich durch das Versprechen eines Klimageldes beschwichtigen, wenn es hinterher einen Scheck vom Finanzminister gibt.
Ökonomen scheinen die Wirkung von Fairness-Konzepten zu überschätzen, wenn sie nicht intuitiv plausibel sind. Womöglich sollte deshalb über Alternativen der Rückverteilung nachgedacht werden, die den Fairness-Zusammenhang besser abbilden. Ifo-Chef Clemens Fuest schlägt zum Beispiel vor, statt eines Klimageldes die Umsatzsteuer zu senken. Das hätte unmittelbar eine soziale Komponente und wäre zum administrativ deutlich einfacher als das Klimageld. Soviel ist sicher: Die Frage der Lastenverteilung der Klimapolitik ist alles andere als geklärt.
Rainer Hank
27. September 2023
Die Misere an den SchulenSchlechte Noten für die Bildung
Am 8. Oktober sind in Bayern und Hessen Landtagswahlen. Wovon machen die Menschen es abhängig, welcher Partei sie ihre Stimme geben? Die Gründe und Motive sind vielfältig: Häufig überlagert die Bundes- die Landespolitik. Bayern ist ohnehin ein Sonderfall, weil dort Parteien zur Wahl stehen (die CSU und die Aiwanger-Partei), die in anderen Bundesländern nicht antreten. Und in Hessen ist der amtierende Ministerpräsident für viele Bürger immer noch ein Unbekannter. Zur Nachhilfe: Boris Rhein heißt der Mann von der CDU. Gegen ihn tritt die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an. Die ist zwar bekannter als Rhein, aber das hilft ihr nach Ausweis der aktuellen Umfragen auch nichts.
Ein landespolitisches Thema steht indes in beiden Bundesländern schon fest: Die Schule. Vier von fünf Befragten einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe (5500 erwachsene Deutsche) sagen, die Schul- und Bildungspolitik sei für ihre persönliche Wahlentscheidung eines der wichtigsten Themen. So hat es Ende August der Ifo-Forscher Ludger Wößmann in seinem neuesten Bildungsbarometer berichtet. Das ist rational: Bildung und Schule sind im deutschen Föderalismus Ländersache. Hier hat die Stimme des Wählers einen »Impact«, wie man heute sagt.
Doch es zeigen sich durchaus signifikante regionale Unterschiede. In Bayern geben 42 Prozent der Befragten den Schulen in ihrem Bundesland die Note 1 oder 2, in Nordrhein-Westfalen sind es lediglich 20 Prozent. Auch Baden-Württemberg schneidet erwartungsgemäß recht gut ab: Dort vergeben 31 Prozent die Bestnoten. Hessen indessen, wiewohl seit langem ebenfalls unionsregiert, liegt mit 26 Prozent notenmäßig im Mittelfeld.
Wenn die Schulleistungen bei den Wahlen eine entscheidende Rolle spielen, sähen die Chancen von Markus Söder und seiner Regierung am 8. Oktober nicht schlecht aus, während Boris Rhein in Hessen befürchten muss, für die mediokre Schulpolitik seiner Regierung bestraft zu werden. Ohne dass es beabsichtigt gewesen wäre, zeigt die Ifo-Befragung zudem, dass es durchaus einen Unterschied im Ergebnis macht, in welchem Bundesland die Kinder zur Schule gehen. Und dass der Wettbewerb des Bildungsföderalismus liefert, was er zu liefern verspricht: Gute und schlechte Bildungsländer. Kein Wunder, dass die Bürger in Bayern und Baden-Württemberg daran festhalten wollen, dass Schule und Bildung Ländersache bleiben, während der Rest der Republik mit dem bildungspolitischen Zentralismus liebäugelt. Der Bundestag müsste dann mit Zweidrittelmehrheit beschließen, dass schul- und bildungspolitische Entscheidungen grundsätzlich von der Bundesregierung getroffen werden. Offenkundig hofft die Mehrheit der Deutschen, ein Schulzentralismus könnte wie von Zauberhand die Qualität der Bildung liften. Dageben hegen die Menschen in Süddeutschland wohl die realistische Vermutung, eine Abschaffung des Föderalismus würde auch ihren Spitzenplatz auf ein schlechtes Mittelmaß runter nivellieren.
Leistungsabfall in Mathe und Naturwissenschaften
Aufs Ganze gesehen freilich ist das Schulurteil desaströs. Ifo-Forscher Wößmann und seine Kolleginnen nennen den Zustand »besorgniserregend«. Die Zufriedenheit der Deutschen mit dem Schulsystem ist auf einem Tiefstand. Fast alle Befragten sind der Meinung, dass sich die Schulbildung durch die Corona-Pandemie verschlechtert hat. Als ernsthaftes Problem wird der Lehrermangel angesehen, gefolgt von fehlenden finanziellen Mitteln und der allgemeinen Trägheit des Systems. Insbesondere die Leistungen in Deutsch, Mathe und Naturwissenschaften lassen seit dem Jahr 2010/2011 nach, nachdem bis dahin eine deutliche Verbesserung zu verzeichnen war. Hinzu kommen hohe Schulabbruchsquoten, schleppende Digitalisierung und ein Sanierungsstau bei den Schulgebäuden.
Ich gestehe, dass ich nervös werde angesichts des derzeit zu hörenden allgemeinen Gestöhnes, Deutschland sei wieder »der kranke Mann« in Europa (warum eigentlich nur der »Mann«?), verliere seine industrielle Stärke, lebe digitalisierungmäßig in der Steinzeit und ersticke in der Bürokratie. Das scheint mir ein übertriebenes Untergangsnarrativ zu sein, das gut zu dem allgemeinen Klima-Katastrophismus passt.
Allerdings. Bei der Bildung hört der Spaß auf. Bildung entscheidet in einer Wissensökonomie nicht nur kollektiv über den Wohlstand der Nation. Sie entscheidet auch über die individuellen Wahlmöglichkeiten und Freiheitsspielräume, über die Berufsaussichten und das zu erwartende Einkommen. Von daher lässt ein Ergebnis des jüngsten Bildungsberichts der OECD (»Education at a glance«) aufhorchen. Der Anteil der sogenannten NEETs (»Neither in Education, Employment oder Training«), junge Menschen zwischen 25 und 34 Jahren ohne Erwerbstätigkeit oder irgendeine zertifizierte Ausbildung, der ist hierzulande von dreizehn auf sechzehn Prozent gestiegen. In allen anderen OECD-Ländern schrumpft dieser Anteil der so definierten »Ungebildeten«. Der Durchschnitt liegt bei 15 Prozent.
Vielleicht hilft mehr Geld?
Was kann man tun? Geld ist nicht alles, aber zu wenig Geld ist auch nicht gut. 2020 gaben die OECD-Länder im Durchschnitt 5,1 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Bildung (vom Kindergarten bis zur Universität) aus. Deutschland gönnt sich lediglich vier Prozent, in Israel sind es dagegen sechs Prozent. Es könnte sein, dass der Erfolg der Kreativwirtschaft in Israel zumindest auch ein Erfolg dieses finanziellen Kraftaktes ist.
Zurück in die Niederungen der deutschen Vorwahlprovinz. In Hessen hat gerade ein »Zukunftsrat Wirtschaft« unter Leitung des Frankfurter Finanzwissenschaftlers und ehemaligen Wirtschaftsweisen Volker Wieland einen Bericht vorgelegt mit 200 Handlungsempfehlungen, den ich – zumindest in Teilen – zur Lektüre empfehle. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Verbesserung der Schule. Besonders interessant finde ich – neben den erwartbaren Empfehlungen zur raschen IT-Aufrüstung – den Rat, die berufliche Orientierung der Kinder in der Schule stärker zu fördern und sie zum Bestandteil der Kernfächer zu machen. Lehrer sollten dafür in Ferienzeiten in Unternehmen geschult und mit neuen Ausbildungsberufen vertraut gemacht werden. Nur wenn machbare Berufs- und lohnende Karrierewege schon während der Schulzeit sowohl im Unterricht wie auch während verschiedener Praktika in den Blick kommen, besteht Hoffnung, dass sich der Anteil der deutschen NEETs wieder reduziert.
Der konkrete Einblick in den Berufsalltag während der Schulzeit mag übrigens auch der Negativauswahl dienen. Nach mehreren Fabrikschnuppereien in meiner Schul- und Studienzeit war mir klar: Ich will keinen Beruf, bei dem die Arbeit um sieben Uhr beginnt, und es eine gefühlte Ewigkeit dauert nur bis zur Vesperpause um 9 Uhr.
Rainer Hank
18. September 2023
Über tausend BrückenWie Subventionen die Klima-Transformation konterkarieren
Mein derzeitiges Lieblingswort heißt »Brückensubvention«. Nein, damit sollen nicht die maroden Brücken auf deutschen Bundesstraßen und Autobahnen repariert werden, obwohl die es gewiss auch nötig hätten. Mit einem verbilligten »Brückenstrompreis« (mithin eine Subvention) soll energieintensiven Betrieben der Grundstoffindustrie wie Chemie oder Stahl vom Staat finanziell unter die Arme gegriffen werden, geht es nach Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Für diese Konzerne soll der Strompreis bei einer Obergrenze gedeckelt werden.
Nun ist es per se etwas merkwürdig, dass ein Minister aus einer Partei, die nach meiner Kenntnis nicht von der deutschen Schwerindustrie gegründet wurde, Subventionen für das Großkapital in die Diskussion bringt. Habeck sagt, es gehe um die Sicherung des Standorts und dessen Wettbewerbsfähigkeit angesichts im internationalen Vergleich enorm gestiegener Strompreise hierzulande. Abwanderung der Firmen, Wohlstandsverluste und Arbeitslosigkeit stehen dahinter als Schreckgespenste. Das Argument, wen wundert’s, hat Habeck von der Industrie, ihren Verbänden und den Arbeitnehmerorganisationen, die in gut deutsch-korporatistischer Tradition erpresserisch Lobbyarbeit betreiben. Das funktionierte nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs schon einmal ziemlich gut, als die vom Institut der Deutschen Wirtschaft munitionierten Lobbyisten der Politik eingeflüstert haben, ein totales Gas- und Stromembargo werde Deutschland in die Steinzeit zurückwerfen. Als dann nur wenig später Nordstream 2 demoliert wurde, zeigte sich, dass das alles interessengeleitete Propaganda war.
Noch stemmen sich Finanzminister Christian Lindner und Kanzler Scholz gegen den Wirtschaftsminister und seine Freunde in der Industrie. Aber sie sind politisch allein auf weiter Flur. Obwohl sie die besseren ökonomischen Argumente haben. Das lässt sich in einem Gutachten des unabhängigen Wissenschaftlichen Beirats des Finanzministers nachlesen. Ich fasse zusammen: Es sei fraglich, ob Deutschland langfristig komparative Vorteile bei energieintensiver Wertschöpfung aufweisen werde, heißt es da. Die Förderung energieintensiver Industrien habe zur Folge, dass notwendige strukturelle Anpassungen unterbleiben und Wertschöpfungen, die nicht wettbewerbsfähig sind, mit öffentlichen Mitteln aufrechterhalten werden. Am Ende kommt es dann zum Gegenteil dessen, was Habeck beabsichtigt. Statt mithilfe von Subventionen wettbewerbsfähig zu bleiben, verliert Deutschland durch Milliardenbeihilfen seine Wettbewerbsfähigkeit. Und nur nebenbei: Der Strompreis in Deutschland ist nicht überhöht, sondern liegt im europäischen Durchschnitt.
Wer’s glaubt, wird selig
Es geht immerhn um 30 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030. Danach soll nach den Beteuerungen von Habeck Schluss sein. Deshalb Brücke. Wer’s glaubt, wird selig. Das ist das klassische Vernebelungsargument zur Durchsetzung von Subventionen. Sie werden als zeitlich befristet vermarktet und bleiben doch ewig erhalten. Hinzu kommt: Die Subvention ist ungerecht. Kleine Betriebe, die Habeck als international nicht gefährdet ansieht, gehen leer aus. Und überhaupt, so wieder die Ökonomen: Dass der Preis für fossil erzeugten Strom steigt, ist aus Klimagründen ausdrücklich gewollt und dieser Preis wird, um indirekte CO2–Kosten abzufedern, allein in diesem Jahr mit drei Milliarden Euro subventioniert. Dass der Strom nicht billiger ist, ist auch die Folge davon, dass Deutschland alle Atomkraftwerke abgeschaltet hat. Dieselben Grünen, zu deren irrationalem Dogma es gehört, Atomenergie zu verteufeln, wollen jetzt den daraus entstandenen Schaden mit dem Geld des Steuerzahlers kompensieren. Verkehrte Welt.
Das Beispiel des Brückenstrompreises wäre an sich schon ziemlich hirnrissig. Doch der Wahnsinn hat Methode. Das hat die Bertelsmann-Stiftung jüngst dokumentiert. Danach gibt der Bund jedes Jahr 65 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen aus – nur um auf der anderen Seite mit einem weiteren zweistelligen Milliardenbetrag die regenerative Transformation zu subventionieren. Für die jeweiligen Zwecke heben sich die Wirkungen mutmaßlich auf. Für den Bürger addieren sich die Milliardenbeträge.
Das lässt sich besonders schön an der Entfernungspauschale zeigen, die vor zwei Jahren sogar noch einmal erhöht wurde. Die soll den durch die CO2–Bepreisung gestiegenen Spritpreis sozial kompensieren und führt, wenn es gut geht, dazu, dass, je weiter die Strecke zur Arbeit und je höher das Einkommen des Arbeitnehmers, am Ende sogar noch ein kleines Trinkgeld für den Pendler rausspringt. Einerseits will man durch die CO2–Bepreisung das Verhalten der Bürger und Unternehmen »zum Guten« lenken: Sie sollen auf E-Autos umsteigen oder ihre Fabriken dekarbonisieren. Sobald die aber merken, dass das teuer wird, ist das Geschrei groß. Und die Politik knickt vor den Lobbyisten ein, muss freilich in Kauf nehmen, die Klima-Transformation zu konterkarieren.Koch-Steinbrück sind auch gescheitert
Das ist unaufrichtig und ungerecht zugleich. Denn bei Subventionen gilt stets die Formel: Je lauter das Gebrüll, desto höher die Alimentierung. Wer Einzelfallgerechtigkeit herstellen will (die armen Pendler, die arme energieintensive Industrie, die armen Landwirte) landet am Ende in der totalen Ungerechtigkeit.
Wir waren schon mal weiter. Jedenfalls in der Theorie. Es ist genau zwanzig Jahre her, als eine gemeinsam von dem Sozialdemokraten Peer Steinbrück und dem Christdemokraten Roland Koch geleitete Kommission einen Vorschlag zum radikalen Subventionsabbau gemacht hat. Eine Die Pendlerpauschale abzuschmelzen, gehörte übrigens zu diesen Vorschlägen. Der Ansatz war auch methodisch raffiniert. Nur wenn die Klientel von Links wie Rechts Federn lassen muss und der Rasenmäher über alle Subventionen fährt, gibt es Chancen auf Durchsetzung der Subventionseinschnitte. Das Ergebnis von Koch/Steinbrück war freilich ernüchternd: Passiert ist nicht nur nichts, sondern die Subventionitis grassiert seither noch viel stärker. Das kann man en detail in den Subventionsberichten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft nachlesen, die in unregelmäßigen Abständen den Wahnsinn dokumentieren.
Warum setzt sich die Vernunft nicht durch? Das ist unschwer zu durchschauen: Subventionen begründen Besitzstände, auf die niemand gerne verzichte, zumal ein Verlust von etwas immer schwerer wiegt die Verheißung von etwas Neuem, wie die Verhaltensökonomen wissen. Politiker, die allen die Subventionen kürzen, müssen die Strafe aller ihrer Wähler fürchten. Da ist es »vernünftiger«, vielen Gruppen viele Wohltaten zu gönnen. Soll bloß niemand sich beschweren – schon gar nicht die Grünen -, wenn bei solch einer Strategie der Springprozession über Brücken die Bewältigung der Klimawandel am Ende auf der Strecke bleibt.
Rainer Hank