Hanks Welt
Subjektive Reflexionen, freche Interventionen, persönliche Spekulationen: »Hanks Welt« wirft einen subjektiven Blick auf das Geschehen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Meine Kolumne erscheint Sonntag für Sonntag im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).
Aktuelle Einträge
02. August 2025Lokomotive des Fortschritts
02. August 2025Mordversuch im Kapitalistenmilieu
31. Juli 2025Gesichert linksextrem
31. Juli 2025Schrumpft die Rente
25. Juni 2025Vom New Deal zum Real Deal
08. Juni 2025Geld her!
27. Mai 2025Wer stoppt Trump?
10. Mai 2025Ein Herz aus Stammzellen
14. April 2025Lauter Opportunisten
07. April 2025Die Ordnung der Liebe
02. August 2025
Lokomotive des FortschrittsWas wären aus uns geworden ohne die Eisenbahn!
Welches ist die bedeutendste Erfindung der Menschheit? Viele würden sagen: Das Rad. Andere könnten auf die Erfindung des Feuers oder der Schrift verweisen. Da gibt es wohl kein objektives Kriterium. Ich will heute die Eisenbahn als Kandidatin ins Gespräch bringen, die natürlich das Rad voraussetzt. Das hängt damit zusammen, dass es für mich als Kind nichts Tolleres gab als meine Märklin-Eisenbahn, viel toller als die Matchbox-Autos.
Mein Vorschlag hängt damit zusammen, dass demnächst ein Jubiläum ansteht: Am 27. September 1825 fuhr die erste Dampflokomotive samt 36 angehängten Waggons die 40 Kilometer lange Schienenstrecke von Stockton in Nordostengland nach Port Darlington. Die Lok trug den sinnigen Namen »Locomotion No.1«; ihr Erfinder war der britische Ingenieur George Stephenson (1781 bis 1848). Es sollte zehn Jahre dauern, bis in Deutschland am 7. Dezember 1835 die »Adler« von Nürnberg nach Fürth fuhr.
Genial war die Erfindung der Eisenbahn in mehrfacher Hinsicht. Es war eine technische Innovation, die weitreichende wirtschaftliche Auswirkungen zur Beschleunigung der industriellen Revolution und also auf den heutigen Wohlstand der Menschheit hatte. Die Schiene war zugleich der erste Großversuch einer sogenannten Netzökonomie; so funktioniert unter anderem auch unser heutiges Internet. Schließlich ist die Erfindung der Eisenbahn ein gutes Beispiel dafür, dass der Fortschritt (genauso wie der Rückschritt) von den Zeitgenossen in aller Regel nicht erkannt oder gar ablehnend aufgenommen wird – seine segensreiche Wirkung erst den Nachkommen klar wird. Darum vor allem soll es hier gehen.
Dampfloks waren nicht neu
Schienen, auf denen Wägen von Menschen oder Pferden gezogen wurden, gab es schon vor 1825. Dampfloks gab es ebenfalls vorher schon: doch waren die Schienen noch aus Holz oder aus Gusseisen; beides taugte wenig. Erst die Verwendung von Schmiedeeisen und später dann von gewalztem Stahl machte den Schienenverkehr nachhaltig und dauerhaft erschwinglich. Das Pferd – über Jahrhunderte das natürliche Transportmittel – war langsamer als die Lokomotive und zu teuer. Erfunden wurde die Eisenbahn als Transportmittel für Güter; doch als unbeabsichtigte Nebenwirkung kamen auch die Menschen auf den Geschmack am Reisen. Für die 400 Kilometer lange Strecke von London nach Newcastle brauchte das Pferd damals drei Tage, der Zug einen Tag, konnte aber vielfach größere Lasten nebst Personen befördern. Heute nimmt der Zug diese Stecke in zweieinhalb Stunden.
Gleichwohl gab es größte Widerstände gegen die Dampflokomotive. Auf der Strecke Liverpool-Manchester wollte man zunächst ganz auf Lokomotiven verzichten, weil diese nicht in der Lage seien, Steigungen zu überwinden. Stattdessen sollte die Strecke mit ortsfesten Dampfmaschinen und mit Pferden betrieben werden. George Stephenson hatte die kühne Idee, einen Wettbewerb zu veranstalten, um die Überlegenheit der Dampflok zu beweisen. Stephenson setzte zugleich selbst die Spielregeln etwa hinsichtlich der Mindestgeschwindigkeit (16 km/h) fest, was seiner eigenen zusammen mit seinem Sohn Robert entwickelten Lok mit Namen »The Rocket« (Rakete) einen Vorteil im Wettbewerb verschaffte.
Dieses berühmte »Rennen von Rainhill« (»Rainhill Trials«) zog sich vom 6. bis zum 14. Oktober 1829. Die »Rocket« konnte als einzige der Kandidaten die Teststrecke bewältigen und die Stephensons erhielten den Zuschlag, für die Linie Liverpool-Manchester acht Lokomotiven zu bauen. Aufgrund dieses Erfolgs bauten sie sechs Jahre später auch den »Adler« für Deutschland. Erfinder- und Unternehmergeist des Familienunternehmens zahlten sich für die Pioniere aus: Vater und Sohn Stephenson wurden die ersten Millionäre des industriellen Zeitalters, arme Leute indes im Vergleich mit späteren Eisenbahn-Tycoons wie George Hudson (»The Railway King«) in England oder Cornelius Vanderbilt in USA.
Dass sich die Verlierer des technischen Fortschritts mit Händen und Füßen gegen die Eisenbahn wehrten, ist verständlich. Zu ihnen zählten neben den Kanalschiffern oder den Fuhrleuten die Betreiber der sogenannten Turnpikes. Das waren privat finanzierte und gegen Gebühren zu nutzende Straßen. Zu ihnen zählten auch Grundbesitzer, deren Begüterungen von den Schienen durchschnitten wurden. Letztere ließen sich mit guten Verkaufspreisen überzeugen, erstere konnten im Wettbewerb nicht mithalten, weil die Schiene der Straße zur Bewegung schwerer Lasten überlegen war.Geschwindigkeitsschock
In Wolfgangs Schivelbuschs »Geschichte der Eisenbahnreise« von 1977 kann man nachlesen, wie die Eisenbahn nicht nur einen technischen Fortschritt, sondern zugleich einen kulturellen Bruch bedeutete. Die Geschwindigkeit – lächerlich im Vergleich mit einem heutigen ICE oder TGV – bereite Schwindel und verursache unkontrollierbare sexuelle, hieß es: Schäden für das menschliche Nervensystem wurden befürchtet. Sozial bedrohlich und moralisch bedenklich sei auch, dass Menschen unterschiedlicher Klassen und unterschiedlichen Geschlechts in ein und demselben Abteil beisammensäßen. Anfangs freilich mussten die Passagiere der dritten Klasse in England mit Plätzen auf dem Dach der Waggons Wind und Wetter in Kauf nehmen.
Zu allem Überfluss kam dann noch eine Spekulationskrise in den vierziger Jahren. Wie anderswo, war auch in Großbritannien die öffentliche Hand bis zum späten 19. Jahrhundert viel zu finanzschwach, um teure Infrastrukturprojekte voranzutreiben. Die frühen Eisenbahnen wurden privat finanziert und privat betrieben. Teilweise waren parallele Strecken miteinander im Wettbewerb, was sich auf Dauer als keine so gute Idee erwies. Viele Kleinanleger hatten erstmals an der Börse investiert, häufig ihr ganzes Erspartes, womöglich Aktien auch noch auf Kredit gekauft. Als sich dann viele Strecken als unrentabel erwiesen oder gar nicht gebaut wurden, platzte die Blase. Erst nach 1870 wurden Eisenbahnstrecken verstaatlicht, getragen von der Einsicht, dass Schienennetze »natürliche Monopole« sind, die reguliert gehörten. Der Regulierer darf dann Slots für miteinander im Wettbewerbs stehende Betreiber vergeben.
Lässt man diese lange Geschichte kurz Revue passieren, so erscheint es am Ende als ein Wunder, dass sich die Eisenbahn überhaupt gegen all diese massiven Widerstände durchgesetzt hat. Als Zeitgenosse hätte man vermutlich nicht darauf gewettet. Als Nachgeborener ist man froh, dass Unternehmer und Ingenieure wie die Stephensons für den Fortschritt gekämpft haben. Wer den Beginn dieser Revolution in Großbritannien mitfeiern will, kann sich auf »sdr200.co.uk« über die Fülle der geplanten Veranstaltungen informieren. Zur Einstimmung empfiehlt sich die Folge über George und Robert Stephenson der berühmten Podcastserie »In our time« auf BBCRadio4.
Rainer Hank
02. August 2025
Mordversuch im KapitalistenmilieuEin Versuch über Macht, Monopole und Moral
Marinus van Reymerswalde (1490 bis 1545) war ein flämischer Maler. Ich bin ihm vergangene Woche in Antwerpen im Wohnhaus von Nikolaus Rockox begegnet, einem reichen Bürger der Stadt, der der Nachwelt ein Museum mit beeindruckender Kunstsammlung vermacht hat. Reymerswaldes Gemälde »Der Geldgeber« greift ein damals populäres Thema auf: Geldwechsler, Geldverleiher und Steuereintreiber hatten keinen guten Ruf. Nie war man sicher, ob sie einem den richtigen Wechselkurs berechneten. Eher konnte man sicher sein, dass sie dem Schuldner Wucherzinsen abzupressen suchten. Der Geldgeber in Reymerswaldes Gemälde zieht bedrohlich wirkende Grimassen. Sein Geschäftsraum sieht nicht gerade ordentlich aus. Der Betrachter soll gewarnt sein: Der Mann wird uns aus Habgier übers Ohr hauen.
Antwerpen im 16. Jahrhundert ist eine Wiege des Kapitalismus. Die Forschung nennt diese Periode die »glorreichen Jahren« der Stadt, deren Bedeutung man sich ungefähr so vorstellen muss, wie heute die Rolle von London, New York, Hongkong oder Shanghai. Antwerpen war das Zentrum einer globalisierten Welt, wo sich die Händler aus aller Herren Länder trafen und ihre Waren (edle Gewürze, wichtige Rohstoffe, Textilien, Edelmetalle, Wein) tauschten. Bei van Remyerswalde kann man sehen: Neben dem Handelskapitalismus wurde der Finanzkapitalismus (Wechselbriefe und Kredite) immer wichtiger. Und Reymerswaldes zeitgenössisches Gemälde zeigt auch: Kapitalismus und Kapitalismuskritik gehen immer schon Hand in Hand, sind gleichzeitige und nicht konsekutive Phänomene.
Dazu eine kleine Geschichte: Am 22. Januar 1545 begab sich Gilbert van Schoonbeke zur neuen Börse von Antwerpen. Diese gab es erst seit 1531, nachdem die alte zu klein und zu wenig repräsentativ geworden war: Eine (auch heute noch zu besichtigende) architektonisch bemerkenswerte spätgotische Halle mit Säulenumgängen und einem Turm, von dem aus man ein- und ausfahrende Schiffe beobachten konnte. Hier trafen sich Händler, Bankiers, Wechsler und Reeder aus ganz Europa. So eben auch van Schoonbeke, ein flämischer Unternehmer und Stadtentwickler, der maßgeblich an der Modernisierung Antwerpens beteiligt war.
Bloß eine Ohrfeige?
Es wurde schon dunkel, als van Schoonbeke die Börse verließ. Kurz hinter deren Tor lauerten ihm zwei finstere Gestalten auf, die dem Mann mit einem Schwert den Schädel spalten wollten. Schoonbekes Diener eilte zu Hilfe, ohne die Gefahr abzuwenden. Letztlich, so erzählt man, habe Schoonbeke sein fester Hut gerettet und den Schlag der Waffe abgefedert.
Eine Affäre im Kriminellenmilieu? Mitnichten. Eher im Kapitalistenmilieu. Schoonbeke witterte hinter den Angreifern einen alten Rivalen, den aus Pistoia stammenden Kaufmann, Intriganten und Finanzspekulanten Gaspar Ducci (1492 bis 1577). Dieser, so wird berichtet, habe die beiden Schergen angewiesen, sich Schoonbeke vorzuknöpfen: »Macht ihn fertig«. Auslöser des Konflikts war offenbar van Schoonbekes Weigerung, Ducci beim Wiegen seiner Alaun-Ladungen steuerliche Ausnahmen zu gewähren. Ducci reagierte gekränkt, schwor Rache und setzte das Gerücht in die Welt, er habe eine Affäre mit Schoonbekes Frau.
Überraschenderweise hatte der Mordanschlag keine rechtlichen Folgen. Ducci und seine Komplizen erschienen nicht vor dem Antwerpener Gericht, sondern suchten Schutz bei Maria von Ungarn, der Statthalterin der spanischen Niederlande. Diese übertrug den Fall an den Rat von Brabant, wo Ducci angab, er habe Schoonbeke lediglich eine »Ohrfeige« verpassen wollen. Das Verfahren wurde eingestellt. Ducci warnte Schoonbeke in mafiöser Manier, seine Männer seien weiterhin in der Stadt unterwegs.
Alaun, muss man nachschlagen, ist ein Kalium-Aluminium-Salz, das unter anderem als Beizmittel in der Textilindustrie begehrt war und ein Machtmittel im Handel bedeutete. Ducci hatte vom spanischen Kaiser Karl V. das Monopol auf Alaun erhalten. Zudem betätigte Ducci sich in allerlei Finanzgeschäften. Den ersten Reibach seiner Karriere hatte er mit Spekulationen auf den Wechselkurs zwischen Silber und Gold gemacht, was diverse Kollegen in den Ruin getrieben hatte. Auch hier hatte Maria von Ungarn ihm den Rücken gestärkt. Denn Ducci hatte erfolgreich für die Regentin Steuern eingetrieben. Dem Kaiser und dem französischen und englischen König verschaffte er ebenfalls Geldmittel. Im Gegenzug erhielt er nicht nur das Monopol auf Alaun, sondern auch die Erlaubnis, Pastellfarben und Wein auch dann aus Frankreich zu importieren, wenn der Kaiser gerade Krieg gegen das Land führte. Der Forscher Hugo Soly, der 2022 eine Monografie über Schoonbeke und Ducci veröffentlicht hat, bescheinigte letzterem die Gabe »kreativen Bankings«, ein Begriff, der unter anderem in der Finanzkrise 2008 wieder zu Ehren kam.
Frühkapitalismus als Monopolkapitalismus
Die kriminelle Schmonzette des Jahres 1545 sagt viel aus über die Welt der frühen Neuzeit. Erstens: Es waren Kaufleute und Finanzjongleure, Leute wie van Schoonebek und Gaspar Gucci, die Antwerpen und die europäischen Königshäuser reich gemacht haben. Zweitens und ökonomisch verstörend: Der Frühkapitalismus des 16. Jahrhunderts war ein Monopolkapitalismus von Gnaden politischer Macht und kein freier Markt. Monopole sind eine Art Brandmauern gegen den Wettbewerb, die die wirtschaftlichen Akteure vor den Konkurrenten schützen. Wer hier Erfolg haben will, muss mit den Mächtigen paktieren, Netzwerke und Informationsvorsprünge zu nutzen wissen.
Cum grano salis könnte man sagen, Donald Trumps Spätkapitalismus habe sich am flämischen Frühkapitalismus des 16. Jahrhunderts ein Vorbild genommen: Wer sich dem Präsidenten unterwirft, ihn gar mit viel Geld versorgt (Elon Musk), wird mit Privilegien, Export- oder Importerlaubnissen und Monopolstellungen im US-Reich belohnt. Deals zwischen politisch und wirtschaftlich Mächtigen sind damals wie heute an der Tagesordnung.
Monopolisten können überhöhte Preise setzen; denn diese werden nicht vom Wettbewerb begrenzt oder bestritten. Die Macht der Monopolisten wurde von den Herrschenden gestützt, deren Staaten und deren Luxus zu finanzieren die Monopolisten im Gegenzug die Pflicht und das Privileg hatten, wofür sie fürstlich entlohnt wurden. Das kritisierten Zeitgenossen wie Marinus von Reymerswalde als willkürlich und ungerecht, brandmarkten es als Todsünde der Habgier mit entsprechender Androhung von Höllenstrafen.
Der Antikapitalismus des 16. Jahrhunderts kritisierte den Monopolkapitalismus moralisch und nicht ökonomisch. Die ökonomische Kritik der Verknüpfung von politischer Macht und wirtschaftlichen Monopolen kam erst zwei Jahrhunderte später von Aufklärern wie Adam Smith und David Hume. Der Freihandel ist in seiner Wirkung dem Moralisieren überlegen. Er hatte es damals so schwer wie heute.Rainer Hank
31. Juli 2025
Gesichert linksextremWäre die Abschaffung des Kapitalismus verfassungsfeindlich?
Diese Woche will ich mich als inoffizieller Mitarbeiter dem deutschen Verfassungsschutz andienen und ergründen, ob man die Partei »Die Linke« als »gesichert linksextrem« bezeichnen kann.
Beginnen wir mit dem Rapper Mc Smook. Von dem gibt es einen Freestyle-Song mit dem Titel »Heidi Reichinnek«. Dort finden sich folgende Zeilen: »Gib’s den Armen, nimm’s den Reichen weg – wenn ich denke, will ich denken wie Heidi Reichinnek – yes, ich argumentiere die ganze rechte Scheiße weg.« Zur Erinnerung: Heidi Reichinnek ist ein Jungstar der Partei und inzwischen Fraktionsvorsitzende, die maßgeblich die Rückkehr der Linken in den Bundestag mit 8,5 Prozent verantwortet. Der Rap wurde beim letzten Bundesparteitag der Linken zu einer Art Parteihymne, quasi neben der alten Internationale (»Völker hört die Signale«). Reichinnek präsentiert ihr Parteiprogramm gerne als Rap auf TikTok & Co. Es sind solche Sachen, die nach Ansicht der Parteienforscher den überraschenden Erfolg bei den jungen Leuten begründen.
Wäre ich nicht IM des Verfassungsschutzes, sondern Seminarleiter an der Uni würde ich dem Song des Rappers einige poetische Qualitäten hinsichtlich Rhythmus und Reim abgewinnen: Das Schema »Reichen weg«/«Reichinnek«/«Scheiße weg« hat schon was, wie es überhaupt nicht ohne Witz ist, dass eine Politikerin, die die Armen befreien will, die Reichen in ihrem Namen trägt.
Doch als IM muss ich auf die Inhalte achten. Und da besteht kein Zweifel, dass Reichinnek es ernst meint. Klassenkampf müsse wieder auf die Tagesordnung. Die Marktwirtschaft ist aus ihrer Sicht eine Bedrohung der Demokratie. In einem Interview mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung« sagte Reichinnek: »In den heutigen Zeiten muss man radikal sein. Der Sozialstaat wird immer weiter ausgehöhlt, der Reichtum von wenigen explodiert. Auch dadurch ist die Demokratie ernsthaft bedroht. Wer das verhindern will, der darf den Kapitalismus nicht stützen, er muss ihn stürzen.«
Demokratischer Sozialismus?
Das Ziel sei ein »demokratischer Sozialismus«, so Reichinnek. Wie der aussieht, lässt sie offen. Ex negativo wird einiges zwingend sein: Enteignung der Reichen, Abschaffung des Privateigentums, staatliche Planung statt marktlicher Steuerung von Angebot und Nachfrage. Reichinnek sagt, sie wolle nicht zurück zur DDR, aber wohin sie dann will – Korea, Venezuela, Kuba, Albanien – ist offenbar noch nicht entschieden. China würde es gewiss nicht werden, das wäre ihr mit Sicherheit zu kapitalistisch. Eher Russland. Oder wahrscheinlich ein ganz neuer Sozialismus, den es bislang in der Geschichte noch nicht gab. So haben noch immer alle kommunistischen Revolutionäre das Festhalten an der Idee des Sozialismus trotz seines historischen Versagens begründet. Insofern kann Reichinnek sich in eine lange antikapitalistische Tradition stellen von Karl Marx über Rosa Luxemburg bis Thomas Piketty. Ideenhistorisch interessierten Lesern empfehle ich dazu das neue Buch von John Cassidy: »Capitalism and its Critics« (Farrar, Straus and Giroux).
Nun kann ich den IM-Bericht an meinen Führungsoffizier beim BND abschicken. Ich brauche keine tausend Seiten wie meine Kollegen für ihren Bericht über die AfD. Aufgrund meines Materials habe ich keinen Zweifel, dass man die Linke als »gesichert linksextrem« bezeichnen kann. Sie will unsere Eigentumsordnung abschaffen und den Kapitalismus »stürzen«. Umsturz als revolutionäres Programm ist der Aufruf zu einer anderen Gesellschaftsordnung. Unser Wohlstand und unsere freiheitliche Ordnung verdanken sich maßgeblich unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Ihre Abschaffung ist ein Programm der gesellschaftlichen Verarmung.Ich muss davon ausgehen, dass die Linke ihr Umsturzprogramm ernst meint. Jedenfalls habe ich keine Hinweise, dass die Programmatik lediglich metaphorisch gemeint ist oder getragen von der Annahme, nichts werde so heiß gegessen wie gekocht. Antikapitalismus ist hierzulande intellektuell seit langem salonfähig, Rechtsextremismus ist es nicht.
So weit so klar. Die Linke verfolgt linksextreme Ziele, nicht nur im Teilen, sondern an der Spitze der Partei. Weniger klar ist, ob ein solcher Systemwechsel gegen die Verfassung verstieße, jedenfalls solange er mit parlamentarischen Verfahren einher ginge, sagen wir einer absoluten Mehrheit für die Linke im Bundestag oder einer Mehrheitskoalition aus Linke und SPD. Das deutsche Grundgesetz verpflichtet den Staat nicht eindeutig auf eine kapitalistische Wirtschaftsordnung. Das liegt daran, dass man in den späten vierziger Jahren bis weit in Kreise der Union mit einem demokratischen Sozialismus liebäugelte, etwa in dem berühmten Ahlener Programm der CDU. Der quasi sozialistische Passus »Eigentum verpflichtet« (Artikel 14, Abs. 2) erinnert an diese Offenheit. Das Bundesverfassungsgericht hat noch in den fünfziger Jahren von einer »wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes« gesprochen. Andererseits gibt es eine Reihe von Verfassungsartikeln, die auf eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung mit Privateigentum und privater Handlungsfreiheit hindeuten. Ganz explizit wird die »Soziale Marktwirtschaft« im Artikel 3 des Vertrags von Lissabon garantiert, den die EU-Staaten im Jahr 2009 geschlossen haben.Parteiverbote taugen nichts
Sollte man aus Angst vor einer demokratischen Reichinnek-Revolution das Grundgesetz vereindeutigen und die Verpflichtung zu Kapitalismus, Marktwirtschaft, Privateigentum und Vertragsfreiheit dort verankern – also implizit auch das Recht, steinreich werden zu dürfen ohne Angst vor Enteignung? Dann hätte man eine Handhabe für einen Verbotsantrag der Partei »Die Linke«. Das wäre nur konsequent und analog zu vielen derzeitigen Bestrebungen, die »liberale Demokratie« vor der »elektoralen Demokratie« zu schützen. Nennen wir dies die Strategie des brandmauerns, die sich aus der Angst vor den Wählern speist: der Angst vor der unvernünftigen Plebs.
Davon würde ich abraten. Sollten die Deutschen mit Mehrheit beschließen, den Kapitalismus abzuschaffen, wäre das eine Dummheit sondergleichen, für die das Volk den Preis seiner Verelendung zahlen müsste. Demokraten sind darin frei, mit Mehrheiten dummes Zeug zu beschließen. Das kann und sollte ihnen ihre Verfassung nicht verbieten. Die zunehmende liberale Einhegung der Mehrheitsdemokratie, stets und ausschließlich gut gemeint aber demokratisch problematisch, vermag ihr Ziel nicht wirklich zu erreichen, hat, ganz im Gegenteil, zu einem Erstarken des Populismus (nach rechts wie nach links) geführt. Darauf hat der Siegener Politikwissenschaftler Philip Manow jüngst hingewiesen. Demokraten müssen sich schon die Mühe machen, zu argumentieren und im Diskurs mit den Andersdenkenden für Freiheit, Kapitalismus und Marktwirtschaft zu kämpfen. Schaffen sie das nicht, würde auch das Grundgesetz sie nicht schützen.
Rainer Hank
31. Juli 2025
Schrumpft die RenteDie Alten müssen ihre Privilegien aufgeben
Der 22. Januar 1957 war gerade angebrochen, als der Deutsche Bundestag nach einer fünfzehntstündigen Mammutsitzung mit überwältigender Mehrheit eine tiefgreifende Reform der seit 1889 bestehenden gesetzlichen Rentenversicherung beschloss. Rentenexperte Winfried Schmähl spricht von einer »Jahrhundertreform«. Beschlossen wurde, die Renten zu »dynamisieren«, mithin sie im Einklang mit steigenden Löhnen und Gehältern anzuheben. Zudem wurde eine Abkehr von der seit Bismarck geltenden, auf vorheriger Kapitalansammlung beruhender gesetzlichen Rente und der Übergang zum sogenannten Umlageverfahren beschlossen. Was die Jungen »einzahlen«, kommt seither direkt bei den Alten an.
Beides war revolutionär: Die arbeitende Bevölkerung wurde zu einer »dynamischen« Alimentierung der Alten verpflichtet: Die Jungen waren gezwungen, ihre sich in Tariferhöhungen niederschlagende Arbeitsproduktivität mit den Alten zu teilen. Es handelte sich um die Zumutung einer Solidarität, die alles andere als selbstverständlich ist. Künftig würden auch die Rentner am materiellen Aufstieg der Arbeitnehmer partizipieren, so Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Verabschiedet wurde die Reform mit den Stimmen aller Abgeordneten von CDU/CSU, SPD und der Freien Volkspartei (FVP), die sich von der FDP abgespalten hatte, während die ebenfalls der Regierungskoalition angehörende FDP die Reform geschlossen ablehnte. Die Dynamisierung der Rente war außerordentlich populär, wurde der Union zugeschrieben und verschaffte ihr bei den folgenden Bundestagswahlen im September 1957 zum ersten und einzigen Mal in der Nachkriegsgeschichte mit 50,7 Prozent eine absolute Mehrheit. Zum Vergleich: Bei den Wahlen im Februar 2025 kam die Union auf 28,5 Prozent. Den Wahlkampf 1957 hatte die Union unter dem Slogan »Keine Experimente« geführt – und ihn paradoxerweise gewonnen wegen des gerade eingeführten größten sozialpolitischen Experiments der Nachkriegsgeschichte. Wesentliche Vorarbeiten zur Reform stammen aus Kreisen der katholischen Soziallehre, namentlich von dem späteren Kölner Kardinal Joseph Höffner und dem Frankfurter Jesuitenpater Oswald von Nell-Breuning.
Doch es hatte auch massive Widerstände gegen die Reform gegeben, neben der FDP unter anderem von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und Finanzminister Fritz Schäffer, aber auch von einem großen Teil der Ökonomen und der deutschen Bundesbank. Man befürchtete durch das Umlageverfahren »ein Erlahmen der privaten Ersparnisbildung durch das kollektive Zwangssparen«, was – so die Zentralbank – »einen unentbehrlichen Pfeiler der freiheitlichen Wirtschaft zum Einsturz« bringen würde. Zugleich warnte die Bundesbank, der Automatismus der lohnbezogenen Dynamisierung würde angesichts einer zu erwartenden Überalterung der deutschen Bevölkerung irgendwann einmal nicht mehr finanzierbar sein.
Abschied von der lohnbezogenen Rente
Die damaligen Kritiker sollten Recht behalten. Die heutige Krise der Alterssicherung ist eine Spätfolge der Jahrhundertreform von 1957. Denn diese Reform beruhte auf mindestens drei im Lauf der Zeit versickernden Voraussetzungen: Es braucht viele Junge, die wenige Alte versorgen. Die Lebenserwartung war verglichen mit heute deutlich niedriger. Und das Wirtschaftswunder mit Wachstumsraten von durchschnittlich acht Prozent und Vollbeschäftigung erleichterte eine Umverteilung der Produktivitätsgewinne von Jung nach Alt.
Jetzt ist alles anders: In den 50er Jahren lagen die Beitragssätze zur Rentenversicherung bei 14 Prozent. Nach dem von Schwarz-Rot gerade zementierten geltenden Recht müssen diese in den kommenden Jahren von derzeit 18,6 Prozent auf über 20 Prozent bis 2030, auf 22 Prozent bis 2045 und auf 24 Prozent bis 2060 anwachsen. Schon 2050 würde jeder zweite Euro des Arbeitseinkommens für die Sozialversicherung aufgewendet werden – sofern nichts passiert.
Viele der Probleme liegen daran, dass sich die Altersstruktur unserer Gesellschaft dramatisch geändert hat: Auf die jetzt in Rente gehenden Boomer folgte seit den 70er Jahren der Pillenknick und ein bis heute anhaltender Rückgang der Geburtenrate. Keine Beschwörungs- oder Verdrängungsformel der Politik, wird diese neuen Bedingungen ändern können.
Nötig ist eine Radikalreform der Rente. Dazu zählen: Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit gemäß der verlängerten Lebenserwartung. Eine Verpflichtung zum Sparen (Kapitaldeckung), weil das Umlageverfahren an seine Grenzen angelangt ist. Und: Ein Abschied von der Dynamik der lohnbezogenen Rente. Das ist den Boomern zuzumuten; die hatten im Schnitt ihr Leben lang ein gutes Einkommen und konnten sparen.
Wachstum mit der Inflation
Man muss es nicht gleich mit der Kettensäge machen und die gesamte Dynamisierung abschaffen. Ein guter Vorschlag besteht darin, die Renten künftig nicht mit der Lohn-, sondern lediglich mit der Inflation wachsen zu lassen – unter der Voraussetzung, dass in der Regel die Löhne stärker ansteigen als die Teuerung, mithin die Reallöhne positiv sind. Dies hätte zur Folge, dass das Einstiegsniveau bei Rentenbeginn zwar hoch bleibt, mit wachsendem Lebensalter aber sinkt. Zugleich bliebe die Kaufkraft der Rente erhalten, sie steigen nur nicht im selben Maß wie die Arbeitseinkommen. Eine Beispielrechnung der ökonomischen Berater des Wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2021 geht so: Wer im Jahr 2035 mit 67 Jahren in Rente geht, hätte 2043 im Alter von dann 85 Jahren ein Rentenniveau von nur noch 38 Prozent, also deutlich weniger als das heute – illusorisch – garantierte Niveau von 48 Prozent. Das Rentenniveau ist die Relation zwischen 45 Jahren Beitragszahlung auf Basis eines durchschnittlichen Einkommens und dem durchschnittlichen Einkommen eines Arbeitsnehmers. Der Inflationsbezug setzt somit zusätzlich Anreize, länger zu arbeiten, um den schrumpfenden Rentenanstieg zu verzögern.
Ein Allheilmittel ist die Inflationsindexierung nicht. Sie kommt in Bredouille, sobald die Inflation höher ausfällt als die nominalen Löhne. So war es in den vergangenen Jahren. Umgekehrt könnte der Index selbst einen Inflationsschub befördern, was der Ökonom Wilhelm Röpke schon 1956 befürchtete: Aus der »Gleitrente« werde in die »Inflationsmaschine ein Kompressor« eingebaut.
Es ist gut, dass der deutsche Sachverständigenrat unter Federführung des Bochumer Ökonomen Martin Werding eine Kombination mehrerer Reformelemente vorschlägt. Die Gesellschaft ist eine solche Veränderung den nachwachsenden Generationen schuldig. Die Rentner könnten die nötigen Reformen der Dynamisierung von 1957 mit ihrer immer stärker werdenden Vetomacht verhindern. Aus Angst vor dieser Macht versucht die Merz-Regierung den Reformbedarf zu leugnen. So weiterzumachen wie bisher wäre ein abermaliger Vertrauensbruch und eine Bankrotterklärung des Versprechens der Generationengerechtigkeit.
Rainer Hank
25. Juni 2025
Vom New Deal zum Real DealWarum Donald Trump eine hundertjährige liberale Ära zerschlägt
Im März 2025 erhält die amerikanische Schriftstellerin Lionel Shriver, international bekannt geworden durch ihren 2005 erschienenen Roman »We need to talk about Kevin«, von Donald Trump eine Einladung ins Weiße Haus. Shriver gilt nicht als Trumpistin, hat sich aber zuletzt eher libertär-konservativ positioniert, kritisch gegenüber »politischer Korrektheit« und linksliberaler Orthodoxie.
Im Anschluss an das Gespräch zeigte Shriver sich vom Präsidenten tief beeindruckt. Diese »Mischung von Schlauheit, Verwöhntheit, Gefallslustigkeit und ehrlichem Glauben« könne man die Bewunderung nicht versagen: »Etwas wie Segen ist auf ihm«, gab sie zu Protokoll. Sie sei Trump sehr zugetan »als dem wir mir scheint geborenen Gegenspieler gegen das, was fallen muss«. Inzwischen machen Gerüchte die Runde, der Held von Shrivers bald erscheinendem Roman – es ist ihr siebzehnter – trage Züge des amerikanischen Präsidenten: »ein Staats-Geschäftsmann von reichlicher Durchtriebenheit«.
Die Hälfte dieser Geschichte ist Fake, von mir frei erfunden. Aber eben nur die Hälfte. Die Zitate sind echt. Doch sie stammen nicht von Lionel Shriver, sondern von Thomas Mann. Nach einem Besuch im Weißen Haus im Januar 1941 zeigte der deutsche Exilant sich schwer beeindruckt von US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dessen Projekt des »New Deal« – so sehr angetan, dass er in seinem Roman »Joseph der Ernährer« seinem Helden absichtlich und unverkennbar Züge des Präsidenten verlieh: »ein Staats-Geschäftsmann von reichlicher Durchtriebenheit«. Thomas Mann fand Gefallen an der autoritativen Durchsetzungskraft des amerikanischen Präsidenten; er entsprach seinem Ideal einer »Demokratie von oben«, das er an Roosevelt bewunderte als Gegenmodell zur Hitler-Diktatur.
Trump ist angetreten, die bald hundert Jahre alte liberale Demokratie der USA zu beenden, die mit Roosevelts Amtsantritt am 4. März 1933 ihren Anfang nahm: Mit einem Big Bang in den ersten hundert Tagen ging es damals los. Mit einem Big Bang soll es jetzt zu Ende gehen.
Industriepolitik a la Rooselvelt
Angesichts enttäuschenden Wirtschaftswachstums und steigender Bedrohung Amerikas durch die Globalisierung müsse der Staat das Heft des Handelns an sich ziehen, davon zeigte sich Roosevelt überzeugt. Der Staat solle nicht nur fiskal- und geldpolitisch stärker lenken, sondern mit direkten Markt-Interventionen dafür sorgen, dass die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich nicht noch größer werde.
Roosevelt forderte die amerikanische Industrie auf, anstatt nur für sich selbst zu wirtschaften, um der gemeinsamen Sache willen zusammenzuarbeiten. »Sie müssen ihren privaten Vorteil opfern und in wechselseitiger Selbstverleugnung den allgemeinen Vorteil suchen«, hatte er in einer Wahlkampfrede am 23. September 1932 in San Francisco angekündigt (ähnliche Sätze finden sich heute auch von J.D. Vance). Das Programm des berühmten »New Deal« war ein gigantisches Projekt gelenkter Industriepolitik: Staatliche Aufsichtsorgane – die National Recovery Administration NRA und die Börsenaufsicht SEC – sollten dafür sorgen, Angebot und Nachfrage auszutarieren. Staatliche Investitions- und Arbeitsbeschaffungsprogramme sollten direkt und indirekt Beschäftigung für Amerika schaffen. Die NRA hatten den Auftrag, Arbeitnehmer, Wirtschaft und Regierung zu einer »großen Partnerschaft« zu vereinen. Staatliche Wohnungspolitik (Eigenheimförderung) und die Einführung eines Sozialversicherungssystems (»Social Security Act«) traten hinzu. Die USA wandelten sich seit den vierziger Jahren zu einem modernen Wohlfahrtsstaat; »liberal« bedeutete fortan »linksliberal«. Wer sich abgrenzen will, nennt sich »libertarian«.
Man kann Roosevelts »New Deal« ein MAGA-Projekt nennen: »Make Amerika great again«. Der Präsident war davon überzeugt, dass diese Ziele nur in kreativer Zerstörung und großer Geschwindigkeit zu erreichen sein würden (»we must act and act quickly«) und dass ein Großkonflikt mit den alten Eliten unausweichlich würde. Ob Roosevelts Politik ihre Ziele erreicht hat, darüber ist die Forschung uneins. Viele Historiker vertreten die Auffassung, dass für Amerika nicht der »New Deal« die Rettung aus der Weltwirtschaftskrise brachte, sondern das gigantische Nachfrageprogramm, das der Zweite Weltkrieg für Amerika bedeutete.
Donald Trump teilt die Skepsis gegen freie Märkte und die Globalisierung mit seinem berühmten Vorgänger Franklin D. Roosevelt. Wie dieser schwört er auf die Methode des Crash-Kurses der ersten hundert Tage: we must act and act quickly. Im Übrigen ist Trump aber davon überzeugt, dass die linksliberale Revolution des New Deal Amerika ins Unglück gestürzt habe. Statt »New Deal« brauche es einen »Real Deal«, wie Trumps Ideengeber Paul Dans von der einflussreichen Heritage Foundation es formulierte: Jegliche Erneuerung habe eine Zerstörung zur Voraussetzung. Das »progressive Zeitalter« des Linksliberalismus müsse beendet werden; was jetzt folgt sei das »Goldene Zeitalter des Populismus«.
Der Staat als Leviathan
Trump-Ideengeber Dans, von dem Trump sich inzwischen distanziert, obwohl er seine Anweisungen kopiert, sieht vor allem zwei Verfallserscheinungen des heutigen Amerika: Ein überbordender und hoch verschuldeter Staat, der im Jahr 2025 sieben Billionen Dollar verschlingt, dessen Schuldendienst höher ist als die Ausgaben für Verteidigung. Zugleich habe sich der klassischen Gewaltenteilung – Exekutive, Legislative, Judikative – eine weitere Gewalt zugesellt – die »Administrative« – ein bürokratisches Monster mit einem teuren, aber ineffizientem Eigenleben. Das ist jener »deep state«, den Trump mit Hilfe seines Adlatus Elon Musk zu zerschlagen angetreten ist. Die Bürokratie diene nicht den Bürgern, sondern nur noch sich selbst, so die vernichtende Kritik.
Bis zu diesem Punkt wird man Sympathien für Trumps Projekt aufbringen können. Der Staat als Treiber einer intervenierenden Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich inzwischen in vielen Ländern zu einem Leviathan aufgebläht, einem nicht mehr bezähmbaren Ungeheuer. Es ist der Wechsel vom Aufstieg und Niedergang der Nationen, wie ihn der Ökonom Mancur Olson beschrieben hat.
Zu kritisieren ist weniger das Programm radikaler Staatsschrumpfung, das sich Musks Behörde für Regierungseffizient (DOGE) zur Aufgabe gemacht hat. Zu kritisieren ist die Unprofessionalität ihrer Durchführung, die ideologische Aufladung der Einzelreformen und das im Vergleich mit den vollmundigen Ankündigungen mickrige Einsparergebnis – wie ich den luziden Berichten meines Kollegen Winand von Petersdorff aus Washington entnehme. Merke: Auch kreative Zerstörung will gelernt sein. Sonst wird Gutes geschreddert und Schlechtes erhalten.
Rainer Hank