Hanks Tagebuch
‹ alle Artikel anzeigen18. Mai 2019
Travemünde im MaiAuf den Spuren Thomas Manns
Ich weiß nicht wie es kam: Von Thomas Mann habe ich ziemlich alles gelesen. Bloß die Buddenbrooks blieben immer links liegen. Mein Verdacht: Ein Jugendwerk im Stil des 19. Jahrhunderts, reicht nicht im entferntesten heran an alles, was der Meister später geschrieben hat – Zauberberg, Doktor Faustus oder Josephsroman. Eine Reise in den Norden (Konzert in Hamburgs Elbphilharmonie, Vortrag auf Gut Hasselburg nördlich von Lübeck) gab nun aber den Anstoß, endlich die Buddenbrooks zu kaufen. Wenn schon denn schon in der großen Frankfurter Ausgabe, wo die Regel gilt, dass der Kommentar auf jeden Fall dicker ist als das kommentierte Werk.
Und, was soll ich sagen: Es ist mir peinlich, wie man nur so ignorant sein und die Buddenbrooks ein Leben lang verschmähen kann. Ich war bei der Lektüre hin und weg wie lange nicht mehr. Ich verstand endlich wieder, was es heißt, einen Roman zu »verschlingen«. Und am Ende hat es ja auch sein Gutes: Viele Freunde haben den Roman schon mehrfach gelesen, für mich war es das wirklich allererste Mal. Michael Kleeberg hat einmal gesagt, er beneide mich, dass ich Giorgio Bassanis »Gärten der Finzi-Contini« noch »vor mir« habe. Wenn ich mir die Sache also schönreden will, werde ich behaupten, ich hätte mir die Buddenbrooks bewusst bis heute aufgespart. Ständig schwankte ich bei der Lektüre, wer denn nun mein besonderer Liebling ist: Tony natürlich, Sesemi Weichbrodt, der Zeichenlehrer Stengel oder Herr Permaneder? Bloß mit Hanno konnte ich nichts anfangen, vielleicht, weil ich von ihm besonders viel erwartet hatte. Das kommt ja dazu: Wenn man einen Roman spät zum ersten Mal liest, hat man schon viel von ihm gehört und sich dabei so seine Vorstellungen gemacht. Hanno, den Dekadent, entsprach sogar meinen Vorstellungen. Aber seine Existenz interessierte mich nicht mehr.
Im Kurhaus mit den Buddenbrooks
Um zum Äußersten zu gehen war ich dann auch zwei Tage in Travemünde, wo Tony sich in ihren Medizinstudenten verliebte, wo Thomas Buddenbrook am Lebensende noch einmal Linderung von seiner Krankheit suchte und wo Hanno, das zarte Kind mit seinen hellbraunen Locken, glückliche Sommerferien erlebte, »an deren Ende zu glauben unmöglich war«. Aus dem Kurhaus der Buddenbrooks ist ein sehr ordentliches Hotel geworden, das man über Booking zu einigermaßen zivilen Preisen buchen kann. Die See hat es mir als Südmensch zeitlebens nie besonders angetan: Aber Travemünde hat mich dann doch beeindruckt. Wenn die großen Fähren die Mündung der Trave verlassen, dann riecht es nach der fernen Welt. Und es passt viel besser als der absurde Anblick, wenn die Aidas in Venedig hinter Dorsoduro auftauchen und die Lagunenstadt zu Faller-Häusern (meine Märklin-Eisenbahn) schrumpft.
Auf der langen Heimfahrt von Travemünde nach Frankfurt durfte dann der großartige Vorleser Gerd Westphal gleich noch einmal von vorne beginnen: »Was ist das.« Am liebsten wäre ich auf der Autobahn über Frankfurt hinaus nach München weitergefahren, ohne Grund, nur um Herrn Westphal weiter von Herrn Grünlich lesen zu hören.
Rainer Hank