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  • 10. November 2020
    Zeit der Prohibition

    Alphonse »Al« Capone (1899 – 1947) Foto wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Mit Al Capone unterwegs im Lockdown light

    In Brian De Palmas Film »Die Unbestechlichen« aus dem Jahr 1987 können sich alle, die keine Lust auf James Bond 007 haben, von der Schauspielkunst Sean Connerys überzeugen. Connery ist am vergangenen Wochenende im Alter von 90 Jahr gestorben. In den »Unbestechlichen« spielt er den Straßenpolizisten Jim Malone, der es sich zum Ziel gesetzt hat, im Chicago der Prohibition der Mafia ein Ende zu bereiten. Dafür hat Connery den einzigen Oscar in seiner Karriere erhalten.

    Der Film setzt ein mit einer grandiosen Szene, in der Al Capone (Robert De Niro), der berühmteste Mafioso aller Zeiten, sich auf einer Liege von einem Dutzend seiner Domestiken pflegen lässt. Während der eine den Mafia-Boss rasiert, feilt der andere die Nägel, kümmert ein weiterer sich um die Füße, cremt ein Vierter seine Haut. Gleichzeitig gibt Al Capone aus seiner Wellness-Horizontale heraus den im Halbkreis um ihn versammelten Journalisten Chicagos ein Interview. »Ich bin Geschäftsmann«, so erklärt der Schwerkriminelle sein Business-Modell. Was die Menschen wollen, das wüssten doch alle: trinken. Der freie Markt, so soll man den Mafia-Boss verstehen, hat die Aufgabe, die Bedürfnisse der Menschen zu stillen. Wenn sie nach Bier oder Whisky verlangen, dann wird der Markt ihnen diese Getränke zur Verfügung stellen. Dass der Import von Alkohol zu jenen Jahren strikt verboten war, davon gehört zu haben bestreitet Al Capone nicht. »Die einen nennen es Schmuggel, die anderen nennen es Fürsorge«, so beschreibt er sich als Wohltäter der Menschheit. Als einer der Journalisten ihn am Ende des Interviews darauf anspricht, dass er doch mit ziemlich brutalen Methoden sein Geschäft betreibe, antwortet er nüchtern: »Du kommst mit guten Worten und mit Waffen weiter als nur mit guten Worten.«

    Illegale Märkte: Die Mafia

    Die Mafia als Paradeunternehmen organisierter Kriminalität ist ein Musterbeispiel für das Funktionieren illegaler Märkte. Der Drogenhandel oder die Wilderei wären weitere Beispiele. Illegale Märkte destabilisieren die staatliche Ordnung, können als Märkte aber gleichwohl ziemlich stabil sein. Illegale Märkte gab es immer schon. Sie bilden sich immer dann heraus, wenn die Freiheit der Menschen staatlich eingeschränkt wird. Meist hat der Staat dafür gute moralische Gründe. Deshalb ist ein Blick auf die Prohibition der dreißiger Jahre in unseren merkwürdigen Pandemie-Zeiten nicht vollkommen daneben. Das vergangene Wochenende, die Tage vor dem neuen »Lockdown light« am 2. November 2020, hätten sich angefühlt, wie wenn Silvester und Prohibition zusammenfallen, so war dieser Tage zu hören. Der Eindruck ist nicht falsch.

    Wie kam es zu Prohibition in den Vereinigten Staaten? Am 30. Juli 1917 verabschiedete der amerikanische Senat den sogenannten 18. Verfassungszusatz. Demzufolge war »die Herstellung, der Verkauf oder der Transport von berauschenden alkoholischen Getränken innerhalb der Vereinigten Staaten verboten, desgleichen der Import oder die Ausfuhr derselben.« Fundamentalistische Protestanten hatten sich politisch auf breiter Front durchgesetzt, die schon lange den Genuss von Alkohol verdammten. Alkohol übe eine zersetzende Wirkung auf Familie und Gesellschaft aus, verstoße gegen das göttliche Gesetz und gegen die menschliche Natur. Die frommen Christen untermauerten ihre Thesen mit vielen medizinischen Argumenten. Fortdauernde Trunkenheit werde am Ende zwangsläufig tödlich enden. Das müsse der Staat unterbinden.

    Die Argumente der Alkoholgegner waren nicht falsch. Im Gegenteil. Wer würde es abwegig finden, dass ein Staat seine Bürger vor gesundheitlichem Schaden bewahren will und dafür Verhaltensnormen und Verbote erlässt. Trunkenbolde schädigen nicht nur sich selbst, sondern verursachen externe Effekte, weil sie ihrer Umwelt zur Last fallen – ein klassisches Argument für einen staatlichen Paternalismus. Zum Schutz des Lebens dürfe die Freiheit eingeschränkt werden.

    Vorher noch mal Party feiern

    Doch die Epoche der Prohibition, die in Amerika bis zum Jahr 1933 dauerte, zeigt eben auch: Gut gemeinte staatliche Fürsorge und Verbote haben »unintendierte Konsequenzen«, wie die Politökonomen dies nennen: illegale Märkte, die zugleich der Doppelmoral Tür und Tor öffnen. Drei Monate vor Inkrafttreten der Prohibitionsgesetze füllten die Besserverdiener ihre Keller mit Spirituosen, während die Arbeiter dafür kein Geld hatten. Man kann sagen, die reicheren Amerikaner wollten sich die Party von den frommen Asketen nicht verderben lassen und sorgten auch unter dem Prohibitionsregime für reichlich Gelegenheiten zu »feiern«. Die Pointe besteht darin, dass nicht wenige dieser Feiernden selbst fromme Christen waren. Die halbe Chicagoer Polizei stand zeitweise auf der Payroll Al Capones. Freiheitsbeschränkungen hat ihren Preis: Spirituosen kosteten bis zu zehn Mal so viel wie früher, die Qualität dagegen war lausig. Der Konsum ging zwar zurück, aber längst nicht so sehr, wie der Gesetzgeber sich das erhofft hatte. Viele illegalen Trinker ließen ihr Leben, weil der Fusel aus Industriealkohol und Glyzerin den Körper viel rascher und radikaler zerstörte als normaler Whisky oder Gin.

    Vergleiche hinken. Gleichwohl sind sie lehrreich. Unsere neue Ära der Prohibition heißt: Keine Restaurantbesuche, keine Opern und Popkonzerte, keine privaten Partys schon gar nicht spät in der Nacht mit viel Alkohol. Ein Staat, der aus Gründen der Gesundheitsfürsorge die Freiheit seiner Bürger einschränkt, muss um die »unintendierten Konsequenzen« wissen. Bevor es am 2. November los ging, haben wir noch einmal die Sau rausgelassen. Und auch jetzt wird die Freiheit vier Wochen lang ihre Schlupflöcher in der Subversion und Illegalität suchen. Eine Kanzlerin, deren Hauptaufgabe in diesen schweren Tagen das Loben und Mahnen ihrer Bürger ist, macht sie zu Kindern, die mal gehorchen, mal nicht. Damit ist keinesfalls behauptet, die aktuellen Corona-Maßnahmen seien nicht verhältnismäßig oder gar falsch.
    Sechzehn Jahre lange dauerte die Prohibition in Amerika. Unsere Pandemie geht hoffentlich rascher vorbei. Wie ursprünglich der menschliche Trieb der Freiheit ist, dieser »erste und stärkste Wunsch der menschlichen Natur« (John Stuart Mill), merkt man erst, wenn die Freiheit eingeschränkt wird. Für die Freiheit ist es alles andere als komfortabel, wenn sie dauerhaft nur in der Illegalität zu sich selbst kommt. Rasch wird sie dann zur Beute durchgeknallter Verschwörungstheoretiker, die sie in Verruf bringen.

    Es hilft freilich auch nichts, schadet eher, wenn jetzt einige versuchen, »wahre« Freiheit als Einsicht in Notwendigkeit pandemischer Isolation zu vermarkten. »Nichts ist gewonnen mit der Verwirrung der Begriffe«, sagte der liberale Philosoph Isaiah Berlin (1909 bis 1997) in seiner Oxforder Antrittsvorlesung von 1958: »Ein Opfer vergrößert nicht das, was geopfert wurde, nämlich die Freiheit, wie groß auch das moralische Bedürfnis oder der moralische Gewinn dafür sein wird. Alles ist, was es ist: Freiheit ist Freiheit, nicht Gleichheit oder Fairness oder Gerechtigkeit oder Kultur, oder menschliches Glück oder ein ruhiges Gewissen.« Freiheit heißt: nicht herumkommandiert zu werden. Derzeit werden die Bürger herumkommandiert, ohne Frage für einen guten Zweck.

    Rainer Hank