Rainer Hank als Illustration

Hanks Welt

‹ alle Artikel anzeigen
  • 21. Dezember 2020
    Wozu Milliardäre gut sind

    Kapitalintensives Investment Foto pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Sie halten in Corona-Zeiten den Laden am Laufen

    Die Älteren werden sich noch an Friedrich von Bohlen und Halbach erinnern. Gut zwanzig Jahre ist das jetzt her. Bohlen, Spross der Krupp-Dynastie, war ein Star der sogenannten New Economy. »Lion Bioscience« hieß sein Unternehmen, das die moderne Informations- und Biotechnologie zusammenzubringen versprach. Wie das funktionieren sollte, hatten wir damals nicht so genau verstanden. Aber es waren aufregende Zeiten: Gerade hatte der amerikanische Forscher Craig Venter mit viel Bohei das menschliche Genom entschlüsselt, eine Erkenntnis mit mutmaßlich großem Potential für die medizinische und biotechnologische Forschung. Und Bohlen war sozusagen der Botschafter Venters in Deutschland.

    Dass das alles ziemlich avantgardistisch war, hatte sich damals nicht nur in Berliner Intellektuellenkreisen, sondern bis in die Lehrerzimmer der Hinterpfalz herumgesprochen: Aktien des Neuen Marktes galten als schick und die Lion Bioscience-Aktie war der Renner bei jungen Leuten im eigentlich kapitalismusfeindlichen Deutschland. Dass Unternehmen Verluste machten, hielt die Leute nicht davon ab, Aktien zu kaufen, deren Kurs aufgrund hoher Nachfrage immer weiter nach oben kletterte. Man nannte das die Cash-Burn-Ratio: Je schneller ein Unternehmen Geld zu verbrennen verstand, als umso größer galt sein künftiges Gewinnpotential. Aus solchen schrägen Versprechen speiste sich die Hoffnung, mit der New Economy reich werden zu können und zugleich als Kleinaktionär ganz vorne auf der Lokomotive des gesellschaftlichen Fortschritts zu sitzen.

    Die Sache ist dann, wie wir wissen, nicht gut gegangen. Nach der Jahrtausendwende brach der Neue Markt zusammen, was dazu beitrug, dass fortan Großeltern und Eltern ihre Kinder warnten, Aktien zu kaufen. Auch der Börsenkurs der Lion Bioscience AG stürzte vom Höchststand 106,50 Euro im September 2000 auf 2,95 Euro Ende 2002 ab. Ein Jahr später demissionierte Friedrich von Bohlen und Halbach. So hymnisch er zuvor gefeiert wurde, so laut war alsbald die Häme – Ausdruck des Leidens gebeutelter Aktionäre.

    Das Team: Friedrich von Bohlen und Dietmar Hopp

    Jetzt ist der Star von damals plötzlich wieder aufgetaucht: Vor kurzem hat er sich als Proband der Tübinger Firma Curevac zur Verfügung gestellt und sich gegen Corona impfen lassen. »Ein kleiner Piks, nicht schlimmer als bei einer Grippeimpfung«, erzählt Bohlen. Curevac, richtig, das ist neben der Mainzer Firma Biontech das zweite Unternehmen aus Deutschland, auf dem jetzt alle Hoffnungen einer raschen Beendigung der scheußlichen Pandemie ruhen.

    Bohlen ist eng mit Curevac verbandelt, war nach der Niederlage mit Lion Bioscience nicht untätig. Einmal Unternehmer, immer Unternehmer. 2005 gründete er zusammen mit dem SAP-Erfinder und Fußball-Unternehmer Dietmar Hopp die Beteiligungsfirma Dievini, über die Hopp sein Engagement in Biotechnologie und Live Science steuert. Hopp machte Bohlen zum Geschäftsführer, schließlich hat er in Biochemie promoviert. Bis heute hat Hopp 1,4 Milliarden Euro aus seinem Privatvermögen in die Unternehmen gesteckt. Während eine ganze Reihe von Beteiligungen floppten, scheint sich Curevac zum neuen Star zu entwickeln: das Unternehmen ist inzwischen an der Börse knapp 18 Milliarden Euro wert.

    Trifft man Bohlen heute, so erlebt man einen Mann, der mit deutlich weniger Anglizismen auskommt als früher, stolz ist auf seinen langen Atem – und das Engagement bei Curevac als eine Art nationale Mission versteht. Dievini, der Name bedeutet »Schutzgötter des Hauses« in der baltischen Mythologie, investiert strikt nur in deutsche Unternehmen. Wie Biontech hat auch Curevac früh das therapeutische Potential sogenannter Boten-RNA erkannt, mit welcher die menschlichen Zellen Informationen erhalten, wie sie im Körper Medikamente selbst herstellen können, die etwa zur Krebs- oder der Virusbekämpfung eingesetzt werden. Wenn Bohlen darüber redet, greift er zu Superlativen: Die Molekularbiologie spiele heutzutage für die Medizin dieselbe Rolle wie die Mathematik für die Physik. Endlich gebe es ein wissenschaftlich basiertes Verständnis von Krankheiten und deren Heilung.

    Die Helden der Krise

    Warum ich die Geschichte Friedrich von Bohlens erzähle? Weil man ihn – und erst recht Männer wie Dietmar Hopp oder die Strüngmann-Brüder, die Biontech finanzieren, – unbedingt mitaufnehmen muss in die Liste der Helden dieses Corona-Jahres. Man soll sie nicht gegeneinander ausspielen: Die Pflegekräfte, Rewe-Verkäuferinnen oder Müllmänner, die im Lockdown den Laden am Laufen halten. Aber man soll die pfiffigen Unternehmer und finanzierenden Milliardäre auch nicht vergessen. Hätte Deutschland erst im Sommer 2020 angefangen, über Corona-Impfstoffe zu forschen, hätten wir gleich einpacken können. Aber Curevac hat eben schon vor fünfzehn Jahren begonnen, die mRNA zu erkunden. Im Nachhinein sieht es wie eine konsequente Erfolgsgeschichte aus. Doch während der Mühen der Ebene weiß niemand, wie es ausgeht. Allzu viele Leute gibt es in Deutschland nicht, die in der Lage sind, mit 1,4 Milliarden Euro ins Risiko zu gehen und dabei in Kauf nehmen, alles in den Sand zu setzen, ohne am Ende auf Hartz IV angewiesen zu sein. Mutig sein ist leichter, wenn man früher irgendwo anders schon ein paar Milliarden verdient hat.

    Bohlen insistiert mit Blick auf die eigene Geschichte darauf, dass Scheitern eine Bedingung des Erfolgs ist »Wenn Du nicht scheiterst, hast Du nicht genug gewagt.« Außerdem ist Bohlen der Meinung, dass seine dynastische Abkunft aus der berühmten Krupp-Familie ihm zugutekomme: »Ich denke schon, dass ich eine unternehmerische Veranlagung in mir trage«, sagte er jüngst in einem Gespräch mit dem Magazin Business Insider. Dazu gab es noch einen kleinen wirtschaftshistorischen Exkurs zur eigenen Familiengeschichte: Weiß man zu Beginn eines Investments, ob es klappt? Nein. »Wir haben bei Dievini auch einige Investments abschreiben müssen.« Es läuft ungefähr wie damals beim Stahl der Krupps, soll das heißen. »1790 hätte Stahl keine Chance gehabt. 1840 war Stahl das zentrale Thema, weil die Eisenbahn so viel Nachfrage generierte. »Wer 1830 keinen Stahl beherrschte, kam zu spät.« Das ist die wirtschaftshistorische Analogie zur heutigen Impfstoff-Kompetenz bei Biontech, Moderna oder eben Curevac. Ach ja, dass Berthold Beitz Thyssen-Krupp schändlich heruntergewirtschaftet habe, muss Bohlen beiläufig natürlich auch noch erwähnen.

    Es ist eine lange Geschichte vom Aufstieg und Fall von Lion Bioscience bis zum Triumph von Curevac, wo – nur zur Erinnerung – wir Steuerzahler über ein 300–Millionen-Investment von Minister Altmaier Miteigentümer sind – bislang übrigens, anders als bei der Commerzbank, nicht zu unserem Schaden.

    Aber was ist eigentlich aus Lion Bioscience geworden? Google liefert hier keine Auskunft. Aber die Archivrecherche der F.A.Z. ergibt: Das Unternehmen lebt noch, inzwischen unter dem Namen »4basebio AG«. Geschäftstätigkeit: Erforschung und Entwicklung von innovativen Therapien zur Behandlung von Erkrankungen des Zentralen Nervensystems. Hauptgesellschafter: Professor von Bohlen und Halbach, Friedrich, mit vier Prozent. Dievini Hopp Biotech AG mit 54,5 Prozent. BASF mit elf Prozent. Bayer: drei Prozent. Na dann: Viel Erfolg!

    Rainer Hank