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  • 21. April 2020
    Von wegen kaputtgespart

    Klinikalltag Foto unsplash/Luis Melendez

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wie gut sind deutsche Krankenhäuser?

    Man habe unser Gesundheitssystem »kaputtgespart«, so liest es sich derzeit vielerorts. Schuld daran seien Ökonomisierung und Privatisierung der Medizin: Gewinne für börsennotierte Krankenhausgesellschaften gingen auf Kosten medizinisch unterversorgter Patienten. Besonders viel Häme ergießt sich über die Bertelsmann Stiftung, die im vergangenen Jahr vorgeschlagen hat, jede zweite Klinik in Deutschland zu schließen und die Zahl der Krankenhausbetten drastisch zu reduzieren.

    Vor dem Hintergrund der derzeitigen Corona-Lage nimmt sich das auf den ersten Blick seltsam aus. Werden nicht verzweifelt Betten für die schwerkranken Infizierten gesucht? Um wie viel schlimmer stünden wir da, hätten wir den Empfehlungen all dieser Studien nachgegeben! Eine Lehre der Krise, so folgern jetzt viele, müsse es sein, die Gesundheit den privaten Akteuren zu entziehen und dem Staat oder, wie früher, der Barmherzigkeit der Kirche zu überantworten.

    Was ist dran an der These des Kaputtsparens? Es empfiehlt sich ein Blick in die Studie »Gesundheit auf einen Blick« der OECD. Die neueste Ausgabe ist aus dem Jahr 2019 und analysiert die Situation der reichen Länder der Welt. Generell gilt: Überall auf der Welt wird den Menschen ihre Gesundheit immer mehr wert. Die Gesundheitsausgaben steigen – von durchschnittlich 8,8 Prozent der Wirtschaftsleistung auf prognostiziert 10,2 Prozent im Jahr 2030. Deutschland (heute schon knapp 12 Prozent) nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein nach den Vereinigten Staaten und der Schweiz. Während einige wenige Länder (dramatisch Griechenland, aber auch Italien) ihre Ausgaben für Gesundheit zurückgefahren haben (ob es am Austeritätszwang der EU lag, ist fraglich), gibt Deutschland kontinuierlich mehr Geld aus: Je Einwohner stiegen die Ausgaben zwischen 1993 und 2017 von 2400 auf 4000 Euro (in Preisen von 2010).

    Wir leisten uns immer mehr Gesundheit

    Damit haben wir ein erstes Ergebnis: Keine Rede von Kaputtsparen, noch nicht einmal vom Sparen. Im Gegenteil: relativ zu anderen Dingen des Lebens leisten wir uns immer mehr Gesundheit. Damit ist – wohlgemerkt – die Frage noch nicht beantwortet, ob wir auch gute Medizin für unser Geld bekommen. In den Vereinigten Staaten, die derzeit schon 18 Prozent des Sozialprodukts auf die Gesundheit verwenden, spricht einiges dafür, dass zwar viele Gesundheitslobbyisten, aber nicht die Kranken und schon gar nicht die Ärmsten der Armen von dem internationalen Gesundheits-Spitzenplatz profitieren. Doch dazu gleich mehr.

    Zunächst zum zweiten Bösewicht, dem Privatisieren. Dazu lohnt die Lektüre des Gesundheits-Kapitels aus dem Jahresgutachten 2018/2019 des deutschen Sachverständigenrats. Hierzulande stiegen die staatlichen Gesundheitsausgaben zwischen 1993 und 2017 um 130 Prozent auf jährlich 230 Milliarden Euro an, während sich im selben Zeitraum die nominalen Gesamtausgaben des Staates »lediglich« um 70 Prozent erhöhten. »Das Gesundheitswesen bildet nach der sozialen Sicherung, insbesondere der Alterssicherung, den größten Ausgabeposten des Staates«, schreiben die Fünf Weisen. Das wäre dann das zweite Ergebnis: Von einer Entstaatlichung kann bei solchen Steigerungen staatlicher Ausgaben nicht die Rede sein. Dabei werden die Krankenhausleistungen natürlich auch von Privaten angeboten. Grob gesagt sind es jeweils ein Drittel Private, ein Drittel Staatliche und ein Drittel kirchliche oder andere gemeinnützige Träger. Ob es besser wäre, alle Leistungen würde der Staat anbieten? Wer das gut findet, soll sich das zu hundert Prozent staatliche, »kostenlose« National Health-System (NHS) Großbritanniens anschauen, eine Ikone des britischen Wohlfahrtsstaats, dessen Performance in der Corona-Krise dramatisch schlechter ausfällt als das deutsche System.

    Kleine und mittlere Kliniken versagen

    Nun zur zentralen Frage: Wie effizient sind unsere Krankenhäuser? »Sie könnten viel effizienter sein«, sagen nicht nur die Bertelsmann Stiftung, sondern auch der Sachverständigenrat und die Gesundheitsberater der Bundesregierung. Im internationalen Vergleich leistet sich Deutschland mit 800 Krankenhausbetten auf 100000 Einwohner besonders hohe Kapazitäten. Aber darunter gibt es viele kleine und mittelgroße Häuser, die wenig spezialisiert sind und gleichwohl den Anspruch haben, alles anzubieten. Viele Kreise und Gemeinden halten daran aus Prestigegründen fest. Zahlen aus dem Jahr 2016 zeigen: Ein Fünftel der Krankenhäuser haben keine Intensivbetten; ein gutes Drittel verfügt noch nicht einmal über eine eigene Computertomografie. Spezialisierung und Skaleneffekte – für viele klingt das ökonomistisch – würden die Qualität verbessern. Ein Chefarzt einer mittleren Klinik, der vom Herz bis zur Blase alles, aber selten, operiert, ist gesundheitsgefährdend.

    Nachfrage bei Lars Feld, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrats, der das Gesundheitskapitel des Jahresberichts 2018/19 mitverantwortet, ob er sich heute für den damaligen Vorschlag schämt, »Überkapazitäten« der Krankenhäuser drastisch zurückzufahren. »Nein«, sagt Feld. Die Corona-Pandemie zeige doch einerseits, wie gut es gelinge umzusteuern und mehr Intensivbetten zu bekommen. Es zeige sich aber auch, dass gerade kleinere Kliniken unzureichend für die Intensivversorgung ausgestattet seien. Das gehe wesentlich darauf zurück, dass die das bislang nicht brauchten. Felds Hauptargument für eine notwendige Konzentration im Krankenhaussektor mit größeren Zentren und einer geringeren Zahl kleiner Häuser: Größere Klinik-Zentren haben mehr Erfahrung mit einer Vielzahl von Behandlungen, weil sie mehr Fälle verarzten. Kleinere Häuser können dies nicht leisten und sind damit ein Risiko für die Patienten. Felds Vorbild heißt Dänemark, wo man diesen Weg der Konzentration und Modernisierung konsequent geht. »Ich kann nicht erkennen, dass in Dänemark eine schlechtere Versorgung als in Deutschland in dieser Pandemie geleistet wird.«

    Die deutschen Kliniken haben nicht versagt. Derzeit gibt es ausreichend Beatmungsgeräte und 11000 freie Intensivbetten. Natürlich kann man sich alarmistisch Szenarien einer steigenden Reproduktionsrate »R« durch Corona-Infektionen ausdenken, was einen Kollaps des Systems zur Folge hätte. Aber R geht zurück (aktuell stecken zehn Infizierte »nur noch« sieben weitere an). Hätte Deutschland sich gleichwohl besser vorbereiten müssen? Auch das behaupten jetzt viele und verweisen auf einen »Risikobericht« der Bundesregierung aus dem Jahr 2013, in dem ziemlich genau eine gefährliche Pandemie simuliert wird wie wir sie derzeit erleiden. Darin stand auch, dass so etwas alle hundert Jahre passieren könne – also genau jetzt, hundert Jahre nach der Spanischen Grippe »Und nichts Präventives geschah«; schimpfen die Kritiker. Doch abgesehen davon, dass man hinterher immer klüger ist: Hätte man für einen Zeitpunkt, den keiner kennt, in ganz Deutschland 40000 leere Intensivbetten vorhalten sollen? Es kommt doch viel eher darauf an, im Fall der Pandemie rasch umzusteuern. Das scheint das deutsche System zwar nicht perfekt, aber offenbar besser als andere zu schaffen. Es wäre womöglich noch besser gerüstet gewesen, hätte man den Prozess der Konzentration, Spezialisierung und Modernisierung der Krankenhäuser früher in Angriff genommen.

    Rainer Hank