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  • 20. Januar 2020
    Vom Charme der Trabantenstädte

    Wohnmaschine (hier: Warschau)

    Dieser Artikel in der FAZ

    Ein paar Ideen, wie das Wohnen wieder billiger werden könnte

    Wohnen in Deutschland ist teuer geworden, zumindest für Leute, die in einer großen Stadt leben wollen. In München muss, wer eine Wohnung sucht, inzwischen mit einem Durchschnittspreis von 17, 50 Euro für den Quadratmeter rechnen. Gut 14 Euro kostet es in Frankfurt und Stuttgart. Kein Wunder, das die Politik aufgescheucht reagiert, von der »neuen sozialen Frage« redet, obwohl es lediglich um veränderte Präferenzen geht – und an den Symptomen herumkuriert: Mietpreisbremse, Mietendeckel, Bodensteuer oder Enteignungen sind Ideen, die eines gemeinsam haben: Sie lindern die Wohnungsnot nicht. Gleichwohl kann man erklären, warum Politiker auf staatliche Preisregulierung setzen: Das schafft bei den Bürgern das Gefühl, es werde entschlossen gehandelt. Neubauten dagegen müssen geplant und genehmigt werden. Das dauert, und die Politiker müssen befürchten, sie könnten längst abgewählt sein, bis sich die Segnungen eines vergrößerten Wohnangebots einstellen.

    Was also tun? Ein Blick in die deutsche Nachkriegsgeschichte könnte helfen. Damals war die Bevölkerung stark gewachsen: Die »Boomer«, die heute in Rente gehen, sind gerade auf die Welt gekommen. 14 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene suchten eine Unterkunft. Überall in Westdeutschland entstanden neue Stadtviertel. Vor den Toren der alten Städte breiteten sich Großsiedlungen aus, in denen Stadtplaner und Architekten das Heil sahen. Nicht ganz zu Unrecht. Denn spätestens Anfang der siebziger Jahre galt das Wohnungsproblem in Westdeutschland als gelöst.

    Viel Luft in den Ballungsräumen

    Merkwürdig: Vor fünfzehn Jahren waren die Zeitungen voll mit Artikeln über »schrumpfende Städte«. Familien mit Kindern zögen auf das Land, die Pensionäre ebenfalls. Und die Demographie bringe keinen Nachschub, hieß es. Die Städte, so die Befürchtung vor fünfzehn Jahren, wären am Ende leer und öde; ihre Infrastruktur, von den U-Bahnen bis zur Kanalisation, müsste marodieren. Ein typischer Fall einer Fehldiagnose, wissen wir heute.

    Sollen wir also heute wieder an die aktive Wohnungsbaupolitik anschließen? Moritz Schularick ist einer, der dafür plädiert: Der derzeit in New York forschende Bonner Ökonomieprofessor hält es für an der Zeit, in großem Stil neue Stadtviertel zu bauen. Man sage nicht, es gäbe keinen Platz. Dazu muss man nur in Frankfurt auf eines der Hochhäuser steigen, um mit bloßem Auge zu erkennen: Etwa Zweidrittel des Ballungsraums sind Wald oder Ackerfläche, wo, wenn man nur wollte, Wohnhäuser, Schulen, Restaurants und U-Bahn-Stationen entstehen könnten. Schularick empfiehlt einen Blick aus dem Flugzeug beim Landen in Berlin-Tegel: Lauter Rübenfelder. Gewiss, das Vieh braucht seine Rüben. Aber die können auch etwas weiter entfernt in Brandenburg angebaut werden, also dort, wo die Wohnattraktivität weniger hoch ist. Und natürlich ist auch nach oben noch viel Luft (Stichwort: Wohnraumverdichtung durch den Ausbau von Dächern und neuen Wohnhochhäusern).

    Neue Stadtviertel in Metropolennähe wären also möglich. Aber wollen wir sie? Schnell ist von Trabantenstädten die Rede, denen die soziale Kälte im Beton eingeschrieben ist. Ein Blick nach Osten – »die Platte« – wirkt ebenso abschreckend wie ein Blick nach Westen: Die »Banlieues« der französischen Städte, seelenlose Wohnmaschinen, sind eine Brutstätte von Gewalt und Radikalismus.

    Das Drama der »Neuen Heimat«

    In Westdeutschland kommt traumatisierend hinzu, dass viele der neuen Wohnungen in der Nachkriegszeit von einem einzigen gigantischen Unternehmen gebaut wurden: Dem »Neue Heimat« genannten gewerkschaftseigenen Immobilienkonzern. Zwischen 1950 und 1986 hat die »Neue Heimat« als »gemeinnütziges« Unternehmen 500000 Wohnungen errichtet. Nie zuvor habe es in Deutschland eine derart geballte Unternehmensmacht gegeben, die ihren beispiellosen Aufstieg nicht dem Profitstreben ihrer Eigentümer, sondern expliziten wirtschaftspolitischen und sozialreformerischen Zielsetzungen verdankte. Das schreibt der Architekturhistoriker Michael Mönninger in seiner sehr lesenswerten Geschichte der »Neuen Heimat«. »Wenn Sie wollen, können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen«, brüstete sich noch im Jahr 1970 der legendäre Chef der Neuen Heimat, Albert Vietor, der am Ende über ziemlich korrupte Machenschaften stürzte. Mönninger liefert zugleich die Erklärung des Scheiterns solch pharaonischer Gigantomanie: Es waren nicht nur die dunklen Geschäfte der Herren von der Gewerkschaft. Es war das Bauprinzip der Gemeinnützigkeit selbst. Wenn, wie damals, für Kredite Soll-Zinsen in Höhe von acht Prozent gezahlt werden mussten, der Neuen Heimat aber nur eine Rendite von maximal vier Prozent erlaubt war, dann drückte die Schuldenlast den Konzern zu Boden, als die Nachfrage zurückging. Ich erinnere mich noch gut – es war Ende der achtziger Jahre – an die Kapitulationserklärung des DGB-Vorsitzenden Ernst Breit, ein knorriger Mann aus Dithmarschen: »Gewerkschafter taugen nicht als Unternehmer.« Alle, die heute die Gemein- und Kommunalwirtschaft wiederbeleben wollen, um das Wohnungsproblem zu lösen, sollten sich Breits Lehrsatz zu Gemüte führen.

    Das spricht alles nicht gegen den Bau neuer Stadtviertel. Für Moritz Schularick sollte allerdings nicht das 20., sondern das 19. Jahrhundert Vorbild sein. »Damals haben wir auch ganze Stadtteile aus dem Boden gestampft und urbanisiert, komplett mit S-Bahn Anschluss«, sagt der Ökonom: »In den Altbau-Wohnmaschinen von damals wollen heute alle leben.« »Mietskasernen« der Industrialisierung waren früher das Hinterletzte. Heute firmieren sie unter »saniertem Altbau« und die Quadratmeterpreise gehen durch die Decke.
    Gibt es heute Vorbilder für gelungene neue Stadtviertel? Moritz Schularick schwärmt von Singapur oder Hongkong. Das freilich sind unternehmerisch aktive Stadtstaaten, in denen Planungsverfahren straff durchgezogen werden können. So war es auch bei deutschen Reißbrettstädten Karlsruhe, Mannheim: im Absolutismus konnte man eben noch durchregieren. Heute bleibt allein schon die Planung neuer Stadtviertel schnell im Interessenkonflikt der demokratischen Partizipation stecken: Die Anwohner der alten Siedlungen fürchten um die gute Luft und leiden schon im Vorhinein, dass ihnen das Feld abhandenkommen könnte, auf dem sie morgens ihren Hund ausführen. Das alles lässt sich in Frankfurt studieren an den zermürbenden Konflikten um die neu geplante »Josefstadt« (genannt nach dem Stadtplaner Mike Josef) im Nordwesten, die Platz für 30000 Menschen bieten soll. Und ob Berlin oder Stuttgart es wirklich hinkriegen würden, neue Stadtviertel aus dem Boden zu stampfen so wie Baron Hausmann in 19. Jahrhundert in Paris? Die kriegen noch nicht einmal BER oder »Stuttgart 21« gebacken. Vielleicht macht man es wie Donald Trump (horribile dictu): Der gibt die Stadtentwicklung in die Hände öffentlich-privater Entwickler und zwingt die Kommunen, ihr Planungsverfahren binnen zwei Jahren abzuschließen.

    Kurzum: Der Schlachtruf »Bauen, bauen, bauen« ist leichter ausgerufen als verwirklicht. Aber darüber sich den Kopf zu zerbrechen ist allemal zielführender, als an den Miet- und Grundstückspreisen herumzufingern und die Investoren zu vertreiben.

    Rainer Hank