Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen05. November 2024
Totaler IrrsinnWas die Rentenpolitik mit dem Rechtsruck zu tun hat
»Wir sind jung, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.« Diesen Spruch skandieren seit 2019 Schülerinnen und Schüler, wenn sie freitags die Schule schwänzen und für das Klima demonstrieren. Anführerin der Bewegung »Fridays for Future« ist die junge, spröde und zugleich charismatische Schwedin Greta Thunberg, die Erfinderin der Klima-Panikmache.
Vom Rentenpaket, das die Ampel im Kabinett beschlossen hat und das derzeit im Bundestag diskutiert wird, könnte man mit gutem Recht sagen, dass es ebenfalls dazu angetan ist, den Jungen die Zukunft zu klauen. Es sichert der Boomer-Generation ihre Pfründe. Und zwar auf lange Zeit: Die Boomer sind gesund und langlebig. Die wachsenden Finanzierungslasten werden den Jungen aufgebürdet. Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, die derzeit bei 18,6 Prozent des Arbeitseinkommens liegen, steigen bis 2035 in mehreren Schritten auf 22,3 Prozent. Langfristiger Verlierer ist die Kohorte der heute unter Sechsundzwanzigjährigen.
Der Wirtschaftsweise Martin Werding nannte in der F.A.S. die Rentenpläne der Ampel den »totalen Irrsinn«: »Das wird sehr, sehr teuer.« Wenn man das so hört, könnte man als junger Mensch schon ein bisschen in Panik geraten – ob der Finanzierungslasten und ob der Ungerechtigkeit, dass die Alten sich einen sonnigen Herbst ihres Lebens genehmigen auf Kosten der Jungen. Der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor, beschlossen vor zwanzig Jahren von Rot-Grün, der die Balance etwas generationengerechter gemacht hätte, wird von Rot-Grün-Gelb wieder kassiert.
Die Generation Z wandert zu den Popilisten
Warum richtet sich Fridays for Future nicht (zumindest auch) gegen die eklatante Generationenungerechtigkeit? Haben die Jungen etwa gar nicht gemerkt, dass ihnen ihre Zukunft (zumindest auch) von der Ampelregierung verbaut wird? Warum gibt es keine Rentenproteste der Jungen vor dem Sozialministerium? Jedenfalls scheint sich die Ampel mehr vor den Rentnern als vor den Jungen zu fürchten. Diese Klientelpolitik könnte sich rächen.
Anruf bei Klaus Hurrelmann. Der Jugendforscher, der als Erfinder der Shell-Jugendstudien gilt, kennt sich aus mit der »Generation Z«, die er auch »Generation Greta« nennt. Geboren zwischen 1995 und 2005 ist es die erste Kohorte, die quasi von der Grundschule an mit Smartphone und Internet groß geworden ist (selbst wenn die Eltern ihnen die Nutzung eines Handys verboten haben). Man nennt sie deshalb auch »Zoomer«, wendig in virtuellen Welten, und, anders als die »Boomer«, hineingeboren in eine Wirklichkeit, in der es immer weniger Kinder (»Baby Shortage«), dafür aber jede Menge Arbeitsplätze gibt (»Labor Shortage«).
Hurrelmann verweist mich auf seine neueste »Trendstudie Jugend in Deutschland«, die mit Online-Befragungen ergründen will, »wie die Jugend tickt«. Jugend, dass sind in diesen Studien die 14– bis 29–jährigen. Die befinden sich ihr ganzes kurzes Leben lang im permanenten Krisenmodus: Sie empfinden eine »innere Unruhe« und »hohe mentale Belastung«. Auf Seite 12 der Studie findet sich eine Liste der »größten Sorgen der jungen Generation«. Platz Eins hält, anders als erwartet, nicht etwa der Klimawandel. Sondern die Inflation. Es folgen »Krieg in Europa und Nahost«, »Knapper Wohnraum« und »Spaltung der Gesellschaft«.
Der Klimawandel erscheint erst auf Platz Fünf: 49 Prozent der Jugendlichen machen sich hier große Sorgen. 2023 waren es 52 Prozent, 2022 waren es 55 Prozent. Der Klimawandel verliert also auf der Prioritätenliste der Sorgen an Relevanz. Dagegen drängen Wirtschaftsthemen in den Vordergrund – eben auch die Befürchtung eines »Zusammenbruch des Rentensystems« (Platz acht): 44 Prozent der Befragten thematisieren die skandalöse Generationenungerechtigkeit zwischen Alt und Jung; zwei Jahre zuvor waren es lediglich 32 Prozent. Dass die Ampel-Politik mit ihrem Rentenpaket einen Angriff gegen die Jungen führt, scheint sich also durchaus herumzusprechen. Hier liegt ein wahrer Kern der Behauptung, die Generation Z halte das überkommene Versprechen »Euch wird es einmal besser gehen« auf ihre persönliche Zukunft bezogen für eine Lüge. Perspektivenlosigkeit statt Zukunftsoptimismus: Die sogenannte Fortschrittskoalition, als welche die Ampel angetreten ist, verstellt der Jugend die Zukunft.
Doch, noch einmal, warum gibt es keine Proteste der Jungen gegen den Skandal? Die gibt es schon – nur nicht auf den Freitagsdemos. Gemäß der genialen Unterscheidung des Ökonomen Albert O. Hirschman zwischen »Voice« und »Exit« haben Bürger, denen das Regierungshandeln nicht passt, prinzipiell zwei Möglichkeiten, sich zu wehren: protestieren oder abwandern. Die Jungen sind offenbar der nachvollziehbaren Meinung, Proteste auf den Straßen blieben wirkungslos und nützten sich ab. Deshalb greifen sie zu »Exit«, was hier heißt: sie verabschieden sich von den etablierten Ampelparteien (vor allem von Grün und FDP) und wandern ab zu AfD und BSW. In der Tabelle »Parteipräferenzen der 14– bis 29–Jährigen« der »Trendstudie« rangiert auf Platz Eins die AfD. Sie ist in nur zwei Jahren von 9 auf 22 Prozent vorgerückt. Die Grünen dagegen sind von 27 auf 18 Prozent zurückgefallen; die FDP von 19 auf 8 Prozent. In der dieser Tage veröffentlichten neuen Shell-Studie stimmt eine Mehrheit der Jugendlichen der Aussage zu: »Die meisten Maßnahmen, die vom Staat getroffen werden, bringen mir persönlich keine Vorteile.«
Der »Rechtsruck« der Jungen (stärker bei den jungen Männern als bei den Frauen), den Hurrelmanns Studie preisgibt, ist der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben. Die Jungen wurden dafür von den älteren Kommentatoren gescholten. Schließlich hat die Menschheit in der Jugend links zu sein. In der Ursachenanalyse für den Rechtsruck wird viel über die sozialen Medien (insbesondere Tiktok) geschrieben, die zu besetzen die alten Volksparteien verpennt haben. Das ist korrekt, erweckt indessen den Eindruck, die Jungen würden lediglich irrational dem Konformitätsdruck ihrer sozialmedialen Blasen gehorchen. Dabei wären ihre gewandelten Präferenzen für die Protestparteien als durchaus rationales demokratisches Verhalten zu interpretieren. Ganz im Sinne von Hirschmans Exit-Alternative. Dass die rechts- oder linkspopulistischen Parteien mutmaßlich auch keine bessere Rentenpolitik machen und, einmal an der Macht, womöglich viele schlimmen Dinge treiben würden, steht auf einem anderen Blatt.
Wähler verhalten sich rational. Man hält sie auf Dauer nicht mit Lichterketten bei Laune, bei denen über »demokratische Werte« schwadroniert wird, wenn zugleich harte Gesetze gegen die Jungen beschlossen werden, die diese in die Arme der Populisten treiben. Wähler lassen sich ungern für dumm verkaufen und mit Demokratie-Lyrik einlullen.
Rainer Hank