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  • 21. September 2022
    Staatsgeld auf Pump

    »Mehr, mehr«, ruft der kleine Häwelmann Foto Random House

    Dieser Artikel in der FAZ

    Die Schulden-Ökonomie des kleinen Häwelmann

    Damit musste man rechnen. Nach dem dritten wird jetzt über ein viertes Entlastungspaket gegen die Folgen von Energiekrise und Inflation diskutiert. Die Begründung ist jedes Mal gleich und gleich dürftig: »Es reicht nicht.« Getreu dem Motto des kleinen Häwelmann, der auf die Frage, ob er noch nicht genug habe, »Mehr, mehr!« schrie.
    Das zuletzt beschlossene dritte Paket beläuft sich auf 65 Milliarden Euro. Bedient werden Rentner, Studenten, Familien mit Kindern, Ärmere wie Reichere. Der Wettlauf der Benachteiligten, die nach Entlastungsintervertentionen rufen (oder deren Fürsprecher diese fordern), kennt keine Pause: »Um das Schlimmste gerade für Menschen mit wenig Einkommen abzufedern, müssen wir bei einem Fortschreiten der Krisen bereit sein, noch einmal nachzulegen.« So sprach sich zuletzt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) für ein viertes Paket aus.

    »Die Erfahrung der Staatshilfen in der Corona-Pandemie hat das Anspruchsdenken gefördert, wonach der Staat bei Verschlechterungen der Gegebenheiten grundsätzlich in der Pflicht steht, für Ausgleich zu sorgen«, schreibt Martin Hellwig, Ex-Direktor der Bonner Max-Planck-Instituts für Gemeinschaftsgüter in einem Aufsatz über »Gasknappheit und Wirtschaftspolitik«. Während die Staatshilfen in der Corona-Pandemie zur Milderung von Staatsmaßnahmen (Lockdown) gedient hätten, werde heute die Wirkung von Entwicklungen in Osteuropa kompensiert, für welche die Bundesregierung keine unmittelbare Verantwortung trage. Die notorisch gewordene Anspruchshaltung des Juste Milieus sagt: Ich habe ein Recht auf den Erhalt des Status quo. Sollte sich dieser verschlechtern – einerlei, von wem auch immer verursacht -, habe ich ein Recht auf finanzielle Entschädigung durch meine Regierung.

    Wie die verängstigten Bürger rufen auch die Unternehmen um Hilfe (besonders vernehmlich die BASF), die sich zuvor in Abhängigkeit vom russischen Gas begeben haben, ohne den damit verbundenen Risiken Rechnung zu tragen. Auch sie verlangen, der Staat müsse sie rauspauken.

    Erst abschöpfen, dann entlasten

    Umsonst ist das alles nicht. Irgendwo müssen die Entlastungsmilliarden herkommen. Das deutsche Wort dafür heißt Schulden. Zwar versichert der Finanzminister ein ums andere Mal, im nächsten Jahr werde die Schuldenbremse der Verfassung eingehalten, die gebietet, dass die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen grundsätzlich ohne Kredite auskommen müssen, also sich durch Steuern und Gebühren finanzieren müssen. Geduldet sind allenfalls Schulden von 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts. Das entspricht im kommenden Jahr 17,2 Milliarden »erlaubter« Neuverschuldung und reicht noch nicht einmal für das dritte Entlastungspaket von 65 Milliarden. Der Finanzminister sagt, da sei noch »Spiel« und außerdem werde man sich einen Teil des Geldes von den klotzig verdienenden Stromerzeugern holen. Erst »abschöpfen« (mein neues Lieblingswort), dann »entlasten«.

    Ist das schlimm? Nö, sagen viele Zeitgenossen, worunter sich auch viele Ökonomen befinden. Schließlich seien die Schulden für einen guten Zweck, festigten den sozialen Zusammenhalt in angespannten Zeiten und kämen den nachfolgenden Generationen zugute, die im Zweifel eine Schuldenkrise der Klimakatastrophe vorziehen würden. Beschwichtigend hörten die Freunde der Verschuldung in den vergangenen Jahren von Ökonomen, solange die Kreditzinsen niedriger seien als das Wirtschaftswachstum müsse man sich ohnehin keine Sorgen machen, weil die Schulden sich von allein verkrümelten.

    Vor Staatsschulden zu warnen, ist altmodisch geworden. Ludger Schuknecht ficht das nicht an. Der Ökonom hat unter Finanzminister Wolfgang Schäuble als dessen Chefökonom gearbeitet, war danach Vize-Generalsekretär der OECD und ist heute Vize-Präsident der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) in Peking. In seinem neuen, gerade bei Cambridge University Press erschienen Buch zur Schuldentragfähigkeit (»Debt Sustainability«) malt Schuknecht ein düsteres Bild. Die Verschuldung der Staaten der Welt ist inzwischen auf einem Rekordniveau, vergleichbar der Situation im Jahr 1947. Damals war ein Weltkrieg die Ursache, heute genügt uns eine Kette von Krisen (Finanz-, Euro-, Corona-, Energiekrise) zur Legitimation exorbitanter Staatsausgaben auf Pump. Die Verschuldung der G7–Staaten lag 2021 bei knapp 140 Prozent des Bruttosozialprodukts; im Jahr 2007 belief sie sich noch auf gut 84 Prozent.

    Wie kommen wir da wieder raus?

    Dass dies auf Dauer nicht gut gehen kann, zeigt die Geschichte der Staatspleiten seit der Antike. Wo genau der »Tipping Point« liegt, bei dem die Gläubiger nervös werden, lässt sich im Vorhinein nicht exakt berechnen, was abermals die Sorglosigkeit befördert. Die Verführung durch das geliehene Geld war für die Mächtigen immer schon groß: Das kann man resignierend zur Kenntnis nehmen – so ist sie halt, die Fiskalpolitik -, man kann aber auch versuchen, daraus zu lernen.

    Ludger Schuknecht macht vier Szenarien auf, wie die Staaten der Schuldknechtschaft entraten können. Szenario 1 wäre der Weg der Tugend, der über Reformen und Konsolidierung führt. Besser als Steuern zu erhöhen, um die Schuldenlast zu drücken, ist es, die Staatsausgaben (Sozialleistungen, Subventionen) zu drosseln. Man sage nicht, das sei unmöglich: Eine Reihe von Ländern (Belgien, Irland, Kanada) haben ihre Haushalte in den 90er Jahren auf diese Weise saniert. Ein zweites Szenario ist das Eingeständnis des Staatsbankrotts (vornehm: »debt workout«), verbunden mit einem Schuldenschnitt für die Gläubiger und der Auflage der Austerität (Sparsamkeit) für die Schuldner. Dieser Weg ist seit der Eurokrise in Verruf geraten, hat aber funktioniert – siehe Griechenland – wenn auch schmerzhaft. Als drittes Szenario nennt Schuknecht die »finanzielle Repression«. In den vergangenen Jahren sah es so aus, als könnten negative Zinsen bei moderatem Wachstum die Schulden minimieren. In Deutschland hat das relativ gut funktioniert – die Nachteile für die Sparer nahm man in Kauf. Doch inzwischen droht die Gefahr, dass das Szenario 3, ähnlich wie in den 70er Jahren, in Szenario 4 umschlägt: Externe Schocks (Inflation, Krieg) untergraben das Vertrauen in die Finanzpolitik. Die Folge: Entweder zwingt der Zinsanstieg die Staaten finanziell in die Knie. Oder aber die Schulden werden weginflationiert – und mit ihnen die Vermögen der Bürger.

    So dramatisch endet die Analyse von Ludger Schuknecht nicht. Das könnte nicht nur daran liegen, dass er ein sanfter Mensch ist, sondern auch, dass das Manuskript seines Buches bei Kriegsausbruch im Februar in Druck ging. Inzwischen sehen wir noch genauer: Vom Allversicherungsstaat führt ein Weg in den Schuldenstaat.

    Rainer Hank