Rainer Hank als Illustration

Hanks Welt

‹ alle Artikel anzeigen
  • 01. Februar 2023
    Russland führt Krieg mit unseren Euros

    Wladimir Putin Foto wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Die Sanktionen waren nur halbherzig

    Seit fast einem Jahr führt Putin nun schon seinen grausamen Krieg in der Ukraine. Ein Ende ist nicht zu sehen. Weder die militärische Unterstützung der Ukraine aus dem Westen noch die wirtschaftlichen Sanktionen haben Russland in die Knie gezwungen.

    Was lief schief? Beschränken wir uns auf die ökonomischen Sanktionen. Ist dieses Kriegsjahr ein Beweis dafür, dass wirtschaftlicher Druck nicht wirkt und die Loyalitäten zwischen dem Diktator und seinem Volk noch verstärken? Dieses verführerische Argument teilen viele. Hätten sie recht, wären Sanktionen nicht nur wirkungslos, sondern sogar schädlich: Sie konnten Putin nichts anhaben, haben aber den Westen geschwächt.

    Doch die Sanktionsgegner haben Unrecht. Dazu empfehle ich ein Webcast vom Jahrestreffen der »American Economic Association« (AEA), das vor knapp zwei Wochen in New Orleans stattfand. Dort gibt es einen in seiner nüchternen Klarheit erschütternden Vortrag des russisch-amerikanischen Ökonomen Oleg Itskhoki zu den Wirtschaftssanktionen. Seine Bilanz: Sanktionen wirken, wenn man es richtig macht. Doch der Westen hat es falsch gemacht und dafür gesorgt, dass der russische Diktator mit Euros und Dollars seinen völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine finanzieren konnte. Wenn man es ethisch bewertet, kommt eine unappetitliche Doppelmoral ans Licht. Die rhetorische und (ungenügend militärische) Unterstützung der Ukraine wird konterkariert durch die finanzielle Unterstützung Russlands durch den Westen. Itskhoki überlässt die moralische Bewertung seinen Zuhörern und argumentiert ökonomisch.

    Wer ist Oleg Itskhoki? 1983 in Moskau geboren, absolvierte er ein Wirtschaftsstudium an der dortigen Lomonossow Universität, promovierte anschließend in Harvard und ist inzwischen Professor an der University of California in Los Angeles (UCLA). Der Internationale Währungsfonds IWF zählt ihn zu den wichtigsten 25 Ökonomen unter 45 Jahren – weltweit.

    Gas und Öl füllen Putins Staatskasse

    Ich referiere Itskhokis Analyse: Tatsächlich fiel Russland 2022 in eine Rezession, die freilich mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um drei bis vier Prozent relativ milde verlief – im Westen hatte man auf minus zehn Prozent oder mehr gesetzt. Auch die Arbeitslosigkeit in Russland nahm nur unerheblich auf 3,5 Prozent zu. Dass gleichwohl die russische Bevölkerung Wohlstandsverluste hinnehmen musste, spiegelt sich in einer Inflationsrate von zwölf Prozent und einer Einschränkung des täglichen Konsums.
    Dass sich die Erwartungen auf eine durchschlagende Wirkung der Sanktionen nicht erfüllt haben, liegt daran, dass lediglich Putins Importe boykottiert wurden, seine Exporte aber nicht weiterliefen. So brach zwar die russische Auto- und Elektroindustrie zusammen, aber eben nicht der Export von Öl und Gas. Im Gegenteil: Während vor dem Krieg 40 Prozent des Staatshaushalts von Öl- und Gas-Einnahmen gespeist wurden, waren es im Jahr 2022 60 Prozent, was zugleich zu einem Rekordüberschuss in der Handelsbilanz führte und den Rubel stabilisierte. Obwohl der Westen geringere Mengen von Gas und Öl abnahm, konnten die Rekordpreise diesen Rückgang kompensieren. Zusätzlich profitierte Russland von gestiegenen Gas- und vor allem Ölexporten nach China, Indien und in die Türkei.

    Itskhokis bedrückendes Fazit: Importsanktionen ohne gleichzeitige Exportsanktionen nehmen dem Wirtschaftskrieg seine Schlagkraft: »Jeder Euro der russischen Exporteinnahmen zählt: er fließt direkt in die russische Kriegskasse.« Besser wäre es gewesen, direkt nach Kriegsbeginn im vergangenen Februar Russland kein Gast und Öl abzukaufen. Diesen Vorschlag gab es. Itskhoki selbst hatte zusammen mit seinem am SciencePo in Paris lehrenden Kollegen Sergej Gurjev schon im März 2022 für ein sofortiges Öl- und Gasembargo plädiert. Berechnungen deutscher Wirtschaftswissenschaftler – darunter Rüdiger Bachmann, Moritz Schularick und Christian Bayer – hatten dargelegt, dass ein Embargo für die deutsche Wirtschaft schmerzhaft, aber verkraftbar wäre und mutmaßlich zu einem Einbruch des Wachstums wischen 0,5 und drei Prozent führen würde. Das wäre deutlich weniger gewesen als der Einbruch in Corona-Zeiten, den Deutschland bekanntlich auch weggesteckt hat.

    Die Ökonomen fanden kein Gehör. Kanzler Scholz kanzelte die Vorschläge als unverantwortliches Geschwätz dummer Jungs ab, die »irgendwelche mathematische Modelle zusammenrechnen, die dann nicht funktionieren«. Die Ablehnung des Embargos wurde zum Dogma der Ampel. Dies wiederum war weniger ein eigenständiges ökonomischen Urteil der schwarz-rot-gelben Koalitionär als vielmehr Frucht des massiven Trommelfeuers eines Lobbyisten-Kartells aus Unternehmen und Gewerkschaften. Eine abrupte Unterbrechung russischer Gaslieferungen würde »mit hoher Wahrscheinlichkeit eine tiefe Rezession verursachen«, drohte der Chefökonom der deutschen Gewerkschaften, Sebastian Dullien, im März. Michael Hüther, Direktor des arbeitgeberfinanzierten »Instituts der Deutschen Wirtschaft«, wischte die Embargo-Frage bei einer Kabinettsklausur in Schloss Meseberg sinngemäß mit dem Satz vom Tisch, da könne man sich auch gleich selbst ins Knie schießen. Den Rest des Trommelfeuers besorgte der Vorstandsvorsitzende der BASF, Martin Brudermüller: Die Angst vor Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit wurde zum Menetekel. Gleichzeitig verstrickte sich die BASF über ihre Mehrheitsbeteiligung am Joint Venture Wintershall Dea immer mehr in Putins Kriegsmaschinerie.

    Der Lohne der Substitutionselastizität

    Und wie ist es gekommen? Deutschland verzeichnete im Jahr 2022 mit 1,9 Prozent ein moderates Wirtschaftswachstum, von dem in den Lobby-Flugblättern nicht die Rede war. Nicht die Rede war auch von den nicht zuletzt durch die Inflation gespeisten Rekordgewinnen der deutschen Industrie, so auch bei der BASF. Und das, obwohl Russland selbst im Herbst die Gasflüsse nach Westen gestoppt hatte, während zugleich Europa sich in atemberaubendem Tempo durch den Bau von LNG-Terminals und die Erfindung anderer Substitutionswege von russischer Energie (zuletzt auch vom Öl) unabhängig zu machen wusste. Inzwischen liegt der Gaspreis wieder auf Vorkriegsniveau. Goldman Sachs, die amerikanische Investmentbank, prognostiziert für das Jahr 2023 überhaupt keine Rezession mehr im Euroraum.

    Die Bilanz nach einem Jahr Krieg: Die deutsche Wirtschaftslobby war erfolgreich – und hat sich blamiert. Auf unabhängige Forscher zu hören, wäre ökonomisch und moralisch klüger als einzuknicken. Ein Embargo hätte den ökonomischen Druck auf Putin wesentlich erhöht; die Solidaritätszumutung für die deutsche Bevölkerung wäre bewältigbar gewesen.

    Rainer Hank