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  • 12. August 2019
    Monika Grütters' teures Kino

    Monika Grütters Foto: Elke Jung-Wolff

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum kriegt die Kultur immer mehr Geld?

    Kürzlich waren wir mal wieder im Kino. »Yesterday« heißt der wunderschöne Sommerfilm, in dem ein ziemlich erfolgloser Musiker Kapital daraus schlägt, dass der Rest der Menschheit vergessen hatte, dass es einmal die Beatles gab, was dem Sänger die einmalige Gelegenheit gibt, Yesterday, Eleanor Rigby oder Let it be als eigene Songs auszugeben. Yesterday ist nicht nur lustig für Nostalgiker der sechziger Jahre. Auch Pop-Star Ed Sheeran hat dort einen selbstironischen Aufritt. Das Onlineportal Kinofenster.de empfiehlt den Streifen für Schulkinder in den Fächern Musik, Englisch, Deutsch und Geschichte und bietet Materialien für den Unterricht. Prädikat »Pädagogisch wertvoll« gewissermaßen. Und das alles ohne staatliche Subventionen.

    An »Yesterday« musste ich denken bei der Lektüre eines Interviews mit der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) in der SZ. Dort wird festgestellt, dass die Besucherzahlen in den deutschen Kinos zurück gehen. Nur noch 37 Prozent der Deutschen gehen mindestens einmal pro Jahr ins Kino. Vor zehn Jahren waren es noch 45 Prozent. Da kann man nichts machen, denke ich. Es ist ja nicht so, dass die Leute aufhören, Filme zu gucken: Dazu muss man sich nur die Abonnementzahlen von Amazon, Netflix & Co anschauen. Zum Filmgucken braucht es kein Kino, was Vor- und Nachteile hat: Es fehlt das Großleinwanderlebnis, dafür ist es womöglich auf der heimischen Couch bequemer und der Film zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbar.

    Doch Frau Grütters ist alarmiert und zieht einen sehr merkwürdigen Schluss: Wenn weniger Leute in die Kinos gehen, müssen die Subventionen für den Film erhöht werden, findet sie. Allgemeiner formuliert hieße ihre Regel: Wenn ein Produkt weniger nachgefragt wird, müssen wir es umso mehr mit staatlichen Mitteln am Leben halten. Allgemein gilt die Regel freilich für Frau Grütters gerade nicht: Die Leute gehen auch weniger zu Pop-Konzerten und lesen seltener Zeitung als früher. Doch Pop-Gruppen und Zeitungsverlage werden von Frau Grütters nicht alimentiert. Netflix hält Frau Grütters aber ganz offensichtlich für einen Feind, den der Staat mit Geld bekämpfen muss: »Verführerisch« sei es, sich einen brandneuen Film auf dem Sofa anzusehen. »Wahrscheinlich macht das jeder gelegentlich«, räumt die Ministerin ein. Igitt! Dem unanständigen häuslichen Treiben will sie Einhalt gebieten. Denn am Ende verkümmere der »Kulturort Kino«.

    »Other Peoples Money«

    Misst man die Politiker einer Regierung am Geldausgeben, so ist Monika Grütters mit Abstand die erfolgreichste Ministerin im Kabinett Merkel. Seit Amtsantritt im Jahr 2013 hat sie ihren Etat um fünfzig Prozent auf 1,9 Milliarden Euro gesteigert. Das kriegen selbst die Sozialminister nicht hin, die freilich – um die Kulturkirche im Dorf zu lassen – mit größeren absoluten Beträgen – eine Billion Euro im Jahr – hantieren dürfen. Frau Grütters indessen sitzt auf Geldtöpfen, die es vor zwanzig Jahren noch gar nicht gab, weil hierzulande eigentlich der gute Grundsatz galt, dass Kultur, wenn man sie schon staatlich päppeln müsse, Ländersache sei. Doch dann kam Kanzler Gerade Schröder (SPD) und sein erster Kulturmann Michael Naumann. Seither mischt der Bund kulturell kräftig mit, erhöht den eigenen Finanzanteil und verdrängt mehr und mehr die Länder und Kommunen aus dem Kulturbusiness. Kultur schmückt die Mächtigen. Das wissen sie auch in Berlin.

    Nun muss man gar nicht so weit gehen, staatliche Kulturförderung als Ganzes zu verdammen. Die 265 Millionen Euro für die »Stiftung Preußischer Kulturbesitz«, die 15 Millionen für die »Klassikstiftung Weimar«, die 64 Millionen für das Bundesarchiv Koblenz oder die 55 Millionen für die – übrigens wunderschöne – Nationalbibliothek Frankfurt scheinen uns gut ausgegebenes Geld zu sein. Abseits solch subjektiver Präferenzen lassen sich auch ökonomische Gründe anführen: Der Staat soll subsidiär dort einspringen, wo ein privates Angebot fehlt, gleichwohl aber Einvernehmen herrscht, dass es sich um eine gesellschaftlich wichtige Aufgaben handelt. Die Pflege des kulturellen Erbes (Archive, Bibliotheken) nicht nur in Zeiten, in denen der gesellschaftliche Zusammenhalt brüchig geworden ist, zählt zweifellos dazu. Natürlich gibt es auch private Bibliotheken. Doch es dürfte schwer sein, einen privaten Stifter zu finden, der den Auftrag der Deutschen Nationalbibliothek finanziert, ausnahmslos alle deutschen Publikationen zu sammeln und der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

    Können die Reichen ihre Bayreuth-Karten nicht selbst bezahlen?

    Doch warum muss der Staat in Bayreuth mit jährlich knapp drei Millionen Euro wohlhabende Bürger bespaßen? Haben die Reichen kein Geld mehr, um ihre Tristan-Karten selbst zu bezahlen? Und warum kriegt der Film allein von Frau Grütters knapp 200 Millionen Euro im Jahr; nimmt man alle anderen öffentlichen Töpfe hinzu, sind es 450 Millionen Euro. Frau Grütters bemüht sich noch nicht einmal um eine vernünftige Begründung. Den Erfolg der Kulturförderung liest sie daran ab, dass der Staat immer mehr Geld ausgibt. Was der Begründung bedürfte, gilt bereits als Grund. Und dann wird es auch noch widersprüchlich: Einerseits sollen kulturell hochstehende Nischenfilme, die kaum Zuschauer haben, eine Chance erhalten. Andererseits rechtfertigt Grütters Staatsmillionen für kommerziell erfolgreiche Nonsensfilme (»Fuck You Göhte 3«) als »Standortförderung«. Marktversagen liegt hier offenkundig nicht vor (allenfalls Geschmacksversagen, aber darüber lässt sich bekanntlich streiten). »Standortförderung« soll heißen: ein öffentlicher Euro zieht sechs privat investierte Euros (für Popcorn etc.) nach sich. Selbst wenn diese bei Politikern beliebte »Hebel-Theorie der Subvention« (eine Art kulturpolitischer Vulgär-Keynesianismus) sich bewahrheiten würde, bleibt doch auch wahr, dass ein Euro nur einmal ausgegeben werden kann: Wer Popcorn im Kino kauft, kann davon keine Möhre im Bioladen erstehen.
    Noch einmal: Es geht nicht um eine Kahlschlagplädoyer. Sondern um das Recht des Steuerbürgers, die Politiker mögen ihm Rechenschaft geben über die Verwendung seines Geldes. Es kann nicht Aufgabe der Politik sein, Branchen, die schrumpfen zu fördern, nur weil es deren Lobbys gelingt, ihr Geschäftsmodell als kulturell hochstehend auszugeben. Wenn die Menschen weniger ins Kino oder in die Buchhandlung gehen, die Filme aber zuhause streamen und sich die Bücher sich von Amazon besorgen, liegt kein Kulturversagen oder –verfall vor. Noch nicht einmal die (problematische) ökonomische Theorie meritorischer Güter greift, wonach der Staat einspringen soll, wenn der Markt im Vergleich mit dem gesellschaftlich erwünschten Umfang ein zu geringes Angebot bestimmter Güter zur Verfügung stellt. Aber an (guten oder weniger guten) Hollywood-Filmen ist meines Wissens kein Mangel. Mein aktueller Netflix-Tipp: »Stadtgeschichten«, queeres Leben in San Francisco mit der wunderbaren, fast neunzigjährigen Olympia Dukakis.

    Schlimmer als die Verführung, die von Netflix ausgeht, ist die Verführung, die das Ausgeben des Geldes anderer Leute auf Politiker ausübt. Doch die ästhetische Erziehung der Bürger ist nicht Aufgabe des Staates. »Grütters› Staatskino« braucht keiner.

    Rainer Hank