Rainer Hank als Illustration

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  • 06. Dezember 2022
    Lang lebe der Bundesrechnungshof

    Reinste Fünfziger Jahre. Bundesrechnungshof bis 2000 in Frankfurt Foto wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Einer muss ja auf unsere Steuern achten

    Politiker geben sich gerne als Anwalt des Bürgers. Dann erfinden sie ein »Bürgergeld« (ehemals »Stütze«) oder versprechen eine »Bürgerversicherung« (ehemals »Krankenkasse«). Das soll signalisieren: Wir lassen euch nicht allein (Olaf Scholz).

    Der Bürger kriegt Wohngeld, Benzingeld, Heizgeld, Klimageld, Kindergeld. Das Bild, das hinter solchen Beglückungen steht, ist problematisch. Der Bürger erscheint als ein Wesen, das permanent staatlicher Entlastung und finanzieller Zuwendungen bedarf, weil er aus eigener Kraft nicht überlebensfähig sei. Der Bürger, der sich vom Lockruf der vielen Bürgerhilfen verführen lässt, begibt sich in Abhängigkeiten, aus denen er sich schwer wieder befreien kann. Er will es auch gar nicht, weil das süße Gift wirkt und süchtig macht. Sagen wir, wir werden »staatssüchtig« oder zumindest dauerhaft »staatsbedürftig«.

    Unterschlagen wird dabei gerne, dass der Bürger nur dann staatliche Zuwendungen erhalten kann, wenn es zugleich Bürger gibt, die dafür zahlen. Häufig ist das sogar ein und dieselbe Person, frei nach dem Motto »rechte Tasche, linke Tasche«, wobei die Regel gilt, dass mehr aus der rechten Tasche gezogen wird, als in die linke zurückkommt. Die Staatsbeamten, die mit den rechts-links Transaktionen befasst sind, wollen schließlich auch leben. Nicht selten müssen künftige Bürger das bezahlen, was heutigen Bürgern gegönnt wird, wofür es stets eine gute Begründung gibt: Wieder einmal leben wir in der größten Krise der Nachkriegszeit. Oder wir lassen uns einreden, dass mit dem Geld, das heute ausgegeben wir, gute Dinge für spätere Generationen passieren.

    Bei der Suche nach Anwälten des Steuerbürgers fiel mein Blick im vergangenen Jahr auf den Bundesrechnungshof. Den hielt ich bislang eher für eine Institution der Erbsenzähler, die nachrechnet, ob im Bundesamt für Güterverkehr fünf Bleistifte zu viel bestellt wurden. Und, wenn es hochkommt, alle Schaltjahre einen Skandal aufdeckt, wie im Jahr 2016 bei der Gorch Fock, dem Dreimaster der Bundeswehr, dessen Instandsetzung am Ende nicht 10, sondern 135 Millionen Euro gekostet hat. Mein Bild des Rechnungshofs, hat wenig mit der Realität zu tun, wie ich beschämt und erfreut feststellen durfte.

    Die Fallstricke des Bürgergelds

    Ein Beispiel. Am 13. Oktober 2022 verschickt der Rechnungshof einen Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestag, unschuldig überschrieben mit »Empfehlungen zur Einführung eines Bürgergeldes«. Der Text hat es in sich. Es ist ein Verriss des geplanten Ampelgesetzes, welches schon im Jahr 2023 Mehrausgaben für Bund und Länder von knapp fünf Milliarden Euro nach sich ziehen wird. Dabei, so der Rechnungshof weiter, enthalte das Gesetz noch viele finanziellen Risiken. Dann wird es konkret. Eine zweijährige Karenzzeit, in der das Vermögen der Sozialhilfeempfänger berücksichtigungsfrei bleibe und alle tatsächlichen Aufwendungen für Heizen und Wohnen vom Staat übernommen würden, schieße weit über das Ziel hinaus. Dass eine schlichte Erklärung des Bürgergeldempfängers, er sei mittellos, als Anspruchsnachweis genügen solle, eröffne Missbrauchs- und Mitnahmemöglichkeiten. Und eine Vermögensfreigrenze von 150 000 für eine dreiköpfige Familie sei unverhältnismäßig und zu hoch.

    Der Bericht des Rechnungshofs fand seinen Weg in die Öffentlichkeit und wurde zum Paukenschlag. Das Bürgergeld, das bis dahin unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle segelte, kam in den Fokus der öffentlichen Debatte. Die Opposition, die das Gesetz nicht auf dem Schirm hatte, wachte auf und entdeckte ein Thema, mit dem sie sich gegen die Ampel profilieren konnte. Sogar die »Besser nicht, als schlecht Regieren«-FDP merkte nun, dass der Gesetzesentwurf vermeintliche Reformen enthielt, die in Geist und Buchstaben dem liberalen Programm widersprechen und vor allem dem Ziel diente, das Hartz-IV-Schröder-Trauma der SPD zu therapieren. Am Ende gab es auch in der Bevölkerung deutliche Vorbehalte gegen ein »Bürgergeld«, das den Hilfeempfänger finanziell gleichstellt mit einem wackeren Arbeiter. Die 150 000 Euro sogenannten Schonvermögens waren als Symbol nicht mehr aus der Welt zu kriegen.

    Schaut man an, was nach Verhandlungen in Vermittlungsausschuss und beiden Kammern am Ende zum Bürgergeld beschlossen wurde, dann sind es genau jene vom Rechnungshof monierten Fehlanreize, die deutlich entschärft wurden – zum Verdruss vieler Ampelmänner und -frauen. Die Union unter Friedrich Merz vereinnahmte das Ergebnis als Erfolg großer Geschlossenheit. Das geht in Ordnung, auch wenn der Rechnungshof als Gralshüter der fiskalischen Ordnungsgemäßheit insistiert, er sei dem Parlament verantwortlich und nicht dazu da, die Opposition zu munitionieren.

    Tatsächlich ist dieser Rechnungshof eine unabhängige Behörde, so frei in seinen Aktivitäten wie die Richter in unserem gewaltenteilenden Rechtsstaat. Der »Hof«, wie er genannt wird, prüft mit Grundgesetzauftrag »die Wirtschaftlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes.« Das macht er sogar vorausschauend, wie das Beispiel des Bürgergeldes zeigt. Kritik, damit überdehne sie ihr Mandat, lässt die Behörde an sich abperlen.

    Lauter Schattenhaushalte

    Mein Lob des Rechnungshofs birgt in sich eine beruhigende und eine unbehagliche Botschaft. Das Unbehagen kommt aus der Sorge, der Rechnungshof könnte zunehmend einsam und ohne Bundesgenossen bleiben auf weiter Flur. Der Sachverständigenrat der Fünf Weisen, der sich ehedem als ordnungspolitischer Wächter verstand, entdeckt nach diversen Neubesetzungen seine Liebe zur Umverteilung. Die FDP, die in der Opposition stets aufjaulte, wenn der Bürger finanziell über den Tisch gezogen wird, eiert auf schmalem Grat und verschleiert als Regierungspartei, wo und wie sie unerlaubte Schulden in Schattenhaushalte packt. Auch hier war es der Rechnungshof, der schon Anfang des Jahres monierte, dass 60 Milliarden Euro unverbrauchter Coronamittel nicht einfach dreist zu Klimainvestitionen umgewidmet werden können. Auch dies war eine Steilvorlage für die Union, aus der am Ende eine Klage beim Bundesverfassungsgericht hervorging. Am 200–Milliarden-Doppelwumms des Bundes in der Energiekrise kritisiert der Hof, dass eine Kreditaufnahme »auf Vorrat« eklatant gegen den Verfassungsgrundsatz der Jährlichkeit verstoße. Die Intransparenz solchen Finanzgebarens kann auf Dauer das Vertrauen des Bürgers in den Staat unterminieren.

    Gut, dass wir ihn haben, den Bundesrechnungshof: ein stolzes, sich selbst bestimmendes Bürgeramt mit 1100 Beschäftigten. Ein Bollwerk gegen teure politische Bürgerbeglückung. Einer muss ja aufpassen.

    Rainer Hank