Rainer Hank als Illustration

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  • 14. Februar 2022
    Kuss zum Valentinstag

    Gustav Klimt: Der Kuss (1908/1909) Foto: Österreichische Galerie Belvedere

    Dieser Artikel in der FAZ

    Klimts Meisterwerk für nur 1850 Euro

    Suchen Sie noch ein Geschenk zum Valentinstag? In diesem Jahr hat sich das Wiener Museum Belvedere etwas Besonderes einfallen lassen: Es bietet den »Kuss« von Gustav Klimt, entstanden im Jahr 1908, zum Kauf an. In den 70er Jahren hing dieser Kuss als Poster in vielen Studentinnenzimmern.

    Im digitalen Zeitalter muss es natürlich digital sein. NFT – Non-Fungible Token – heißt das Zauberwort: Dabei wird das Gemälde in 10 000 digitale Ausschnitte zerlegt, die quasi Unikate sein sollen (nicht austauschbar, eindeutig identifizierbar, deshalb »non-fungible«). Eines dieser Puzzlestückchen kostet 1850 Euro, ein willkürlicher Betrag, wie das Museum zugibt. Geht die Rechnung auf, kommen am Ende Einnahmen von 18,5 Millionen Euro zusammen. Okay, für mich ist das Ganze ein bisschen komplizierter, als einen Rosenstrauß über Fleurop zu bestellen. Zunächst muss man sich auf der Plattform »thekiss.art« anmelden. Sodann ist es erforderlich, dass sich Interessenten ein Wallet für die Kryptowährung Ether erstellen. Das ist nicht ganz trivial für Nicht-Digital-Natives. Schließlich ist es mir mit der App MetaMask gelungen (es gibt ein gutes Youtube-Tutorial).
    Sollten sich mehr als 10 000 interessierte Käufer melden, werden die Kuss-Stücke verlost. Da kann man Pech haben. Vermutlich macht es einen kleinen Unterschied, ob die Partnerin am Ende ein Stück des roten Kussmundes erhält – oder lediglich einen Ausschnitt des langweiligeren Blumendekos drumherum. Das könnten sich später preislich spiegeln, will man seinen Klimt wieder los werden, sollte die Liebe erloschen und die Erinnerung daran nur noch schmerzlich sein.

    Am Valentinstag, also am Montag, findet das »Minting« statt (die »Prägung«). Das heißt, es klärt sich, ob ich einen Zuschlag bekomme und welches Kunststück für mich abfällt. Auch eine Liebeserklärung kann ich online hinzufügen. Auf den Zertifikaten, die jeder Käufer erhält, ist ersichtlich, welcher Ausschnitt des Gemäldes erworben wurde. Über eine handelbare NTF-Plattform sei der Weiterverkauf möglich, versprechen die Initiatoren. Gesichert wird mein Klimt auf der Blockchain, eine Datenbank, die als nicht manipulierbar, kostengünstig, schnell und transparent gilt – also eine Art digitaler Grundbucheintrag.

    Ich wollte die etwas firlefanzig klingende Aktion besser verstehen und wandte mich an die Kanzlei CMS in Österreich, die das Belvedere berät. Von einer Vorstellung musste ich mich als erstes verabschieden: Sollte ich den Zuschlag erhalten, werde ich leider nicht Miteigentümer des Original-Klimts, sondern lediglich einer hochauflösenden digitalen Fotografie – also einer Kopie des Gemäldes. Kein Gold, nur Pixel. Hätte ich mir auch denken können. Für 18,5 Millionen gibt es keinen Klimt, dessen Porträt der Adele Bloch-Bauer zuletzt für über hundert Millionen verkauft wurde. Es ist also wie bei den Drucken in den Studentenzimmer, bloß teurer und bloß ein Teilchen. Zweifel gibt es auch, ob die Sache vor digitalen Kunstfälschern wirklich so sicher ist, wie die NFT-Enthusiasten versprechen: Mit etwas Geschick könne jedermann ein NFT der Mona Lisa erstellen, warnt die Rechtswissenschaftlerin Viktoria Kraetzig (FAZ vom 9. Februar).

    Digitales Merchandising

    Man könnte die Aktion des Belvedere als eine Art digitales Merchandising beschreiben. Die Älteren kaufen Kaffeetassen mit dem Klimt-Kuss, die Jüngeren kaufen NFT. Für die Museen, die angesichts der Rekordpreise am Kunstmarkt vielfach nicht mehr mitbieten können, eröffnen NFTs neue Finanzierungsmöglichkeiten. Die digitale Kunst-Welt wächst exponentiell – auf inzwischen 17 Milliarden Dollar weltweit, wie Goldman Sachs im vergangenen Oktober zu wissen glaubte. Bei Christies erzielte im vergangenen Jahr eine Online-Auktion digitaler Collagen knapp 70 Millionen Dollar.

    Inzwischen bin ich unsicher, ob ich mich um den Kuss bewerben soll. Das heißt freilich nicht, das der Gag des Belvedere die gesamte Tokenisierung desavouiert. Die Grundidee dahinter ist, wie man Eigentumsrechte an einer Sache auf mehrere aufteilt, ohne die Sache zu teilen: Illiquides soll liquide werden. Der Wirtschaftshistoriker Alfred Chandler hat in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gezeigt, dass dies exakt die Idee der Aktiengesellschaft war. Die Eigentümer einer Firma können mehrfach am Tag je nach Angebot und Nachfrage zu Markt- und Börsenpreisen ihre Anteile tauschen, ohne dass die Fabrik dafür zerschlagen werden müsste. Womöglich sogar ohne dass die Beschäftigten oder selbst das Top-Management davon etwas mitbekommen: die sollen ja arbeiten.

    Was für Fabriken geht, sollte nun auch für Kunst, Manuskripte (Autografen), Immobilien oder Wälder möglich sein. Die Digitalisierung macht eine Demokratisierung von Vermögensgegenständen möglich. Der immer noch sehr archaische, elitär-intransparente Kunstmarkt wird auf diese Weise zu einer »normalen« Assetklasse. Mit kleinen Beträgen – na ja 1850 Euro ist nicht ganz klein – kann ich zum Kunstspekulanten werden (oder mir ein Stück Wald – ökologisch äußerst nachhaltig – leisten).

    Theodor Weimer, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse, hat schon seit längerem einen Riecher für das Potential der Tokenisierung. Weimer bringt mich mit Carlo Kölzer zusammen, einem erfolgreichen Start-Up-Unternehmer. An dessen Firma 360x ist die Börse (neben der Commerzbank) mit 50 Prozent beteiligt. Man muss sich die Firma vorstellen wie einen »Mischkonzern« aus einer großen Kunstgalerie (mit kunsthistorischer Expertise, Qualitätssicherung, Provenienz-Auskunft, Schutz vor Fälschern) und angeschlossenem digitalem Handelsplatz. Vertrauensbildende Maßnahmen unter dem Dach der seriösen Börse zur Durchsetzung einer Finanz-Innovation. Wenn es klappt, werden reiche Kunstsammler ihre Werke (reale oder digitale) hier einstellen und Teile davon tokenisieren lassen.
    Am Ende sind das vielleicht doch Anlage-Alternativen zu meinen Aktien-ETFs, die derzeit eher wenig Freude machen.

    Rainer Hank