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  • 16. Juni 2023
    Guter Butter

    Alles in Butter Foto pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wohlstand, Inflation und die Erfahrungen eines Boomers

    Wenn Journalisten ihr Vorurteil pflegen wollen, dass Politiker weltfremd seien, dann fragen sie nach dem aktuellen Preis für ein halbes Pfund Butter. Bundesbankpräsident Joachim Nagel, im April von der FAZ befragt, lief nicht in die Falle. Er übernehme häufig den Wochenendeinkauf und verfolge die Preise sehr genau. Vor allem bei der Butter sei ihm aufgefallen, dass sie nach dem Anstieg der Preise vor einem Jahr nun wieder etwas billiger geworden sei. »Insgesamt liegt der Höhepunkt der Teuerung hinter uns«, so Nagel.

    Nicht schlecht, finde ich, wenn sich die Notenbanker nicht nur um aggregierte Ziffern und Figuren kümmern, sondern um konkrete Supermarktpreise. Tatsächlich ist der Durchschnittspreis für Butter im Jahresvergleich im April 2023 um 3,6 Prozent gefallen, ein gutes Zeichen nach einer abenteuerlichen Teuerungsbewegung im vergangenen Jahr. Im Dezember 2021, als namhafte Ökonomen noch meinten, Inflation sei ein vorübergehendes Phänomen, kostete das 250–Gramm-Päckchen im Schnitt 1,66 Euro. In den zwölf Monaten danach ging es in mehreren Schritten nach oben. Höhepunkt war der September 2022 mit 2,39 Euro. Wohlgemerkt, das war der Durchschnittspreis. Sogenannte Markenware lag bei 3,50 und höher. Den gruseligen Satz »Bei drei Euro beginnt für uns die Todeszone« verdanken wir dem Chef der Molkerei Berchtesgadener Land.
    Nun ist es einerseits lebensnah, wenn Notenbanker sich um Preise von Lebensmitteln kümmern. Andererseits auch wieder bedenklich. Denn eine klassische Ökonomen-Antwort auf die Frage, wann die Inflation bezähmt sei, lautet: Wenn die Leute nicht mehr über Inflation reden. Hinzu kommt, dass der Rückgang des Butterpreises kein zweifelsfreies Indiz für rückläufige Inflation ist. Denn der folgt einem ganz eigenen sogenannten »Schweinezyklus« von Teuerung und Preisverfall, der nur locker an die allgemeine Inflation gekoppelt ist.

    Butter ist eben ein ganz eigenes Lebensmittel. Als Boomer weiß ich, wovon die Rede ist. Butter, bei uns in Stuttgart sagte man übrigens »der Butter«, also Butter gab es damals nur zu besonderen Gelegenheiten. Bei Familienfesten, an Weihnachten, Ostern und manchmal am Sonntag. Im Alltag aßen wir Margarine. Die war billiger. Beim Backen vermerkte meine Mutter eigens, wenn der Teig mit »gutem Butter« zubereitet wurde. Das mussten wir beim Sonntagnachmittagskaffee eigens mit entsprechenden Geräuschen des Wohlgeschmacks würdigen.

    Zu Röllchen geformt und dann kanneliert

    Der Höhepunkt damals in den späten fünfziger Jahren waren die Geburtstage in der Familie, wenn Tante und Onkel eingeladen waren. Da gab es zum Abendessen eine Wurst- und Käseplatte, sozusagen der Höhepunkt der Gefühle. Diese Platten wurden gekrönt mit Butterröllchen, für welche die Hausfrauen eigene Butterroller hatten, die es übrigens heute noch im Handel gibt. Mit diesen Butterrollern ließen sich die Flöckchen nicht nur zu Röllchen formen, sondern auch noch kannelieren. Solche Röllchen drapierte man hübsch artig neben Scheiben von Zervelatwurst, die eingeschnitten zu einer Art Trichter geformt und zur Krönung mit jeweils einer Salzstange gespickt wurden.
    Wenn ich mir konkret vorstellen will, wie »Wohlstand für alle« (Ludwig Erhard) und »Wirtschaftswunder« aussieht, dann sehe ich immer diese Butterröllchen auf den Geburtstagen der fünfziger Jahre vor mir. Das Gefühl damals war zweigeteilt: Es geht uns wieder gut – aber eben nur an besonderen Tagen. Im Alltag gab es keinen Bohnen-, sondern Zichorienkaffee, hergestellt aus den Wurzeln der Gemeinen Wegwarte, wie ich gerade nachgegoogelt habe. Und aufs Brot gab es normalerweise eben Margarine, die man dafür immerhin dicker streichen durfte als die kostbare Butter.

    Seither hat die Butter eine sehr wechselvolle Geschichte durchgemacht. Was als Wohlstandserfolg genossen wurde, galt plötzlich als Ursache von allerlei Herz- und Kreislauferkrankungen. Denn das darin in Mengen enthaltene Cholesterin (eine fettähnliche Substanz namens Lipid) könne schwere gesundheitliche Folgen nach sich ziehen, sagten die Hausärzte. Heutzutage kommt unweigerlich und erwartbar hinzu, dass Butter als »ziemliche Klimasau« gilt, wie die Klimapolizei der ZEIT zu vermelden wusste: 20 Liter Milch braucht man für ein Kilo Butter. Für so viel Milch bläst die Kuh ordentlich Methan in die frische Weideluft, was wir uns hier jetzt gar nicht konkret vorstellen mögen.
    Nachdem die Ernährungswissenschaftler cholesterinmäßig inzwischen Entwarnung gaben und die Methangegner noch nicht als Untersektion bei den Klimaklebern zugelassen wurden, hat der Butter inzwischen imagemäßig wieder gewonnen. Zumal auf der Liste der Bösewichte der Zucker ihm inzwischen den Rang abgelaufen hat. Und Kuhmilchgegner kriegen inzwischen sogar Butter aus Sojamilch.

    Langfristig gesehen ist die Butter heutzutage phänomenal billig – Inflation hin, Inflation her. Meine Anfrage bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung bringt als Beispiel: 250 Gramm Butter kosteten im Jahr 1959 im Schnitt 5 Mark 50. Heute, genauer gesagt 2021, kostet das Stück Butter 1 Euro 49. Der jährliche Prokopfverbrauch stieg in derselben Zeit von 3,6 auf 5 Kilo. Man kann es noch eindrucksvoller beschreiben: Für ein halbes Pfund Butter musste ein Arbeitnehmer mit Durchschnittseinkommen 1970 noch 22 Minuten arbeiten. Inzwischen reichen ungefähr drei Arbeitsminuten, um sich ein Stück guter Butter leisten zu können. Das nennen wir Fortschritt.

    Bei uns zuhause gibt es inzwischen Kerrygold«. Kennen Sie die? Mit ihrem Rewe-Preis von 2,99 Euro rangiert sie gerade knapp unter der »Todeszone«. »Lescure Beurre-Charentes-Poitou«, der vornehme Name deutet es an, liegt mit 4,90 deutlich darüber. »Kerrygold« scheint die Butter der heutigen Mittelschicht zu sein. Nicht nur bei mir ist die Marketingstrategie des irischen Molkereikonzerns voll aufgegangen. »Pure Irish Butter« steht auf dem Papier, das so goldgelb daherkommt wie die streichzarte (welche zärtliches Wort) Butter, die sich darunter verbirgt. Auch in USA ist Kerrygold Marktführer unter den importierten Buttermarken. Dort hat man die Besten der Besten für das Marketing eingesapnnt: Sarah Jessica Parker, Oprah Winfrey (sie hat 21 Millionen Follower, das hilft) und Model Chrissy Teigen lassen sich die irische Butter auf ihren Zungen zergehen. Min Jin Lee, ein koreanisch-amerikanischer Autor bekennt, er habe immer mehrere Kilos davon in seinem Kühlschrank, wie ich der Wochenendbeilage »How to spend it« der Financial Times entnehme. Sagen wir es so: Wer solche Influencer beschäftigt, braucht sich um den Umsatz keine Sorgen mehr zu machen. Wie hieß es schon in einem Zeichentrickfilm der 50er Jahre für »Deutsche Markenbutter«, zugegeben etwas simpler als bei Oprah Winfrey: »Ja, Leute, mit Butter ist alles in Butter!«

    Rainer Hank