Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen12. April 2024
Götter unter MenschenDie Reichen können es niemandem recht machen.
Alan Rufus war ein Krieger von Wilhelm dem Eroberer. Zum Lohn für seine Teilnahme an der Schlacht von Hastings verlieht Wilhelm seinem Gefolgsmann zahlreiche Städte nebst Gütern. Vor seinem Tod im Jahr 1093 soll sich der Ertrag aus diesen Besitztümern auf sieben Prozent des damaligen Bruttoinlandsprodukts in England belaufen haben. Das machte Rufus zu einem der reichsten Männer, die England je hatte. Geschätzt in Preisen des Jahres 2023 wären das 242 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Bernard Arnault, Eigentümer des französischen Luxuskonzerns LVMH und gemäß der Forbes-Liste heute der reichste Mann der Welt, bringt es 2023 »lediglich« auf ein Vermögen 211 Milliarden Dollar.
Reichtum fasziniert die Menschen. Zugleich treten sie den Reichen mit Misstrauen entgegen. Dies entnehme ich einer gerade erschienenen Monografie über die Reichen in der westlichen Welt seit dem Mittelalter (mit Exkursen in die Antike). Sein Autor ist der italienische Wirtschaftshistoriker Guido Alfani (»As Gods among men«, Princeton University Press). Dass sie sich »wie Götter unter Menschen« aufführen, nimmt man den Reichen übel: Was immer sie machen, sie machen es falsch.
Die Reichen sind bekanntlich immer die anderen. Niemand will reich sein; denn dann läuft er Gefahr, Neid und Missgunst zu erregen. Guido Alfani hat eine brauchbare Arbeitsdefinition: Reich ist, wer ein Vermögen auf sich vereint, das zehn Mal so groß ist wie das Medianvermögen. In Deutschland lag 2023 das Medianvermögen eines Haushalts bei 106.000 Euro (was im Vergleich mit anderen europäischen Ländern gar nicht so viel ist). Reich wäre man somit ab einem Vermögen von gut einer Million Euro. Das wären dann die 1,5 Millionen Euro-Millionäre, die es in Deutschland derzeit gibt oder, bezogen auf 80 Millionen Einwohner, die »oberen zwei Prozent«. Weltweit liegt der Anteil der Reichen bei zehn Prozent. So gesehen ist Deutschland bezogen auf die Reichendichte eher ein armes Land.
Paul McCartney vor Taylor Swift
Dass die Reichen geeignete Objekte für Voyeure sind, dafür sprechen die beliebten Reichen-Rankings. Auch unter den Reichen selbst, so heißt es, genießen sie Aufmerksamkeit. Niemand will gerne absteigen. Ob es Taylor Swift wurmt, dass sie mit einem Vermögen von 1,1 Milliarden Dollar immer noch nicht an Paul McCartney (1,2 Milliarden) rankommen? Gut, sie ist 34 Jahre alt und hat noch Zeit. Reichenlisten gibt es inzwischen sogar für literarische Figuren (»Forbes fictional 15«). Da rangiert Dagobert Duck mit 65 Milliarden Dollar auf Platz Eins, gefolgt von dem Drachen Smaug aus dem »Herrn der Ringe« von J.R.R. Tolkien (54 Milliarden): Gierig hortet er Goldschätze über Goldschätze, was ihn immerhin zum reichsten Drachen der Weltliteratur macht.
Stigmatisierend wirkt bis heute die theologische Tradition des Mittelalters nach. Danach ist, wer reich ist, per se ein Sünder. Denn Reichtum ist Folge von Habgier und führt zu Verschwendung. Und dies zählt als Todsünde, was wiederum das Schicksal ewiger Verdammnis nach sich zieht. Schön ist das nicht, bringt nicht nur lebenslange Gewissensbisse, sondern auch die permanente Angst vor dem fünften Kreis der Hölle. Dorthin, in die sumpfigen, stinkenden Gewässer des Flusses Styx, werden die Reichen nach ihrem Tod von Dantes Göttlicher Komödie verbannt.
Die gesellschaftliche Ächtung ist derart vernichtend, dass man sich fragt, warum es überhaupt Reiche auf der Welt gibt. Die beste Antwort darauf stammt von Donald Trump. In seinem Buch »The art of the deals« von 1987 schreibt er: »Der Punkt ist, dass Gier keine Grenze kennt.« Offenbar gibt es einen Reichtums-Trieb der menschlichen Natur, der stärker ist als alle gesellschaftliche oder theologische Abwertung und gesellschaftliche Ächtung.
Grundsätzlich gibt es zwei Spielarten, wie man mit seinem Reichtum umgehen kann. Die einen zeigen demonstrativ, was sie haben und sonnen sich im Luxus ihrer Rolex-Uhren (extensiver Konsum), die anderen verbergen ihr Vermögen vor der Welt (extensives Sparen). Doch, wie gesagt: Wie man es macht, macht man es falsch. Demonstrativer Konsum war im Mittelalter gesetzlich beschränkt. Denn er erregte sozialen Neid. Minutiös wurde in sogenannten Luxusgesetzen geregelt, wie ausladend eine Kindstaufe gefeiert werden durfte, wie teuer die Geschenke der Taufpaten, wie kostbar die Kleider der Gäste und was es zu essen geben durfte. Verstöße wurden mit Geldstrafen geahndet, die häufig in Kauf genommen wurden, womit aus der Strafe ökonomisch eine Art Steuer wird, die Teile des Reichtums staatlich abschöpft.
Wohltaten gegen Höllen-Qualen
Wer Neid und Strafsteuer vermeiden will, kann seinen Reichtum verbergen und sein Geld sparen. Das freilich führt bei guter Anlagestrategie und in friedlichen Zeiten dazu, dass die Reichen nur noch reicher werden, was die soziale Ungleichheit vergrößert. Womit wir bei Umverteilungsfantasien landen. Erst recht dann, wenn der Reichtum gar nicht auf eigener Leistung, sondern wie häufig auf anstrengungslosem Besitztum (vulgo: Erbschaft) beruht. Einen Mittelweg zwischen beiden Wegen wird mir aus dem pietistischen Schwaben berichtet: Man verbirgt seine Sammlung der Porsches und Bentleys in den Tiefgaragen unter der Obhut des Chauffeurs. Und fährt selbst mit Straßenbahn oder Lastenrad.
Vielfältig sind die Strategien der Reichen, sich gegen Missgunst und Fegefeuer-Drohung zu wappnen. Im Mittelalter empfahl der Klerus, Geld den Armen zu schenken, was einen Ablass für die in der Hölle Schmorenden erbrachte und zugleich das eigene schlechte Gewissen entlastete. Stiftungen und Mäzenatentum sind ein bewährtes Mittel, einen Beitrag für das Gemeinwohl zu leisten und uns sich zugleich als Wohltäter gut zu fühlen. Doch merke: Wie man es macht, macht man es falsch. Reiche Stifter haben viel Macht, was ihnen übelgenommen wird, auch wenn sie viel Gutes tun. Bill Gates kann ein Lied davon singen. Besser kommt bei seinem Mitmenschen an, wer Staat und Kommunen direkt finanziert. Ohne den Reichtum seiner Bürger wäre Siena nie so schön geworden. Ohne das Geld der französischen Aristokratie gäbe es die Gärten Versailles nicht. Cosimo de Medici rettete Florenz mit seinem Geld vor dem finanziellen Bankrott. Der Bankier John Pierpont Morgan griff während einer heftigen Finanzkrise im Oktober 1907 dem amerikanischen Staat finanziell unter die Arme: Die Reichen, eine Art »lender of last resort« für Pleitestaaten. Sind sie nicht willig, werden sie extra besteuert oder – gängige Praxis in Zeiten nationaler Not – zum Kauf von Zwangsanleihen zur Kriegsfinanzierung genötigt. Merkwürdig, dass hierzulande noch niemand vorgeschlagen hat, auf diese Weise die marodierende Bundeswehr zu sanieren.
Ginge es uns normal Sterblichen in einer Welt ohne die Superreichen besser? Im Gegenteil: wir wären alle viel ärmer.
Rainer Hank