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  • 21. Februar 2024
    Eure Tage sind gezählt!

    Sind die apokalyptischen Reiter längst unterwegs? Foto National Geographic

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum Apokalypse gut ankommt, aber nichts hilft

    Was sollen wir tun, um den Klimawandel zu bremsen? »Fridays for Future«, »Extinction Rebellion« und die »Last Generation« malen den Weltuntergang an die Wand. Wenn die Menschen nicht schleunigst ihr klimaschädliches Verhalten beenden, so die Botschaft, dann ist der Planet verloren – den es bekanntlich nur einmal gibt. Dass die Warnungen vorwiegend von einer jungen Generation kommen, verschafft ihnen Glaubwürdigkeit und den Älteren ein schlechtes Gewissen: Wer nach dem Motto »Nach mir die Sintflut« lebt, ist moralisch ein Schwein.

    Die Propheten des Weltuntergangs bedienen sich der Bilderwelt der Apokalypse. Fühlen sich Gesellschaften existentiell bedroht, greifen sie bei der Deutung der Bedrohung immer schon auf Schreckensbilder zurück: Das Ende ist nahe. Wer den Untergang abwenden möchte, muss sofort handeln. Um die Menschen in ihrer Selbstzufriedenheit aufzurütteln, muss Panik geschürt werden. »I want you to panic«, so lautet der berühmt gewordene Schocker der Aktivistin Greta Thunberg. Seit alters her gehört die Übertreibung zur apokalyptischen Rhetorik. Denn nur so werde es zu Verhaltensänderungen kommen, glauben die Apokalyptiker. Zum Beweis, dass das Ende nahe ist, gibt es Zeichen. »Mene, mene tekel«, schreibt die Flammenschrift an die Wand in Babylons Königspalast. Der Prophet Daniel deutet darin das Schicksal des neuen Königs Belsazar: »Deine Tage sind gezählt.« Vom frühen Christentum bis in die Neuzeit war die Androhung des Weltuntergangs ambivalent. Wer gottwohlgefällig lebt, dem steht der Himmel offen, wo sich eine bessere Welt auftut als im irdischen Jammertal. Die Sünder hingegen landen im Inferno. In unsren säkularen Tagen ist die Hoffnung auf das Jenseits geschwunden. Hinter der »Last Generation« lauert das Nichts.

    Das »Team Apokalypse« hat viele Mitglieder. Jetzt hat eine junge britische Wissenschaftlerin ihren Austritt aus dem Untergangsclub öffentlich gemacht. Nennen wir ihre Alternative »Team Fortschrittsoptimismus«. »Not the end of the world«, heißt ihr kürzlich erschienenes Buch mit dem Untertitel: »Wie wir die erste Generation werden können, die einen nachhaltigen Planeten geschaffen hat«. Hannah Ritchie, die Autorin, hat hohe Glaubwürdigkeit: Die Schottin ist gerade einmal 31 Jahre alt und hat Umweltwissenschaften an der Universität Edinburgh studiert. Ihren akademischen Weg, wie gesagt, hat sie im »Team Apokalypse« begonnen. »Damals nahm ich einfach an, dass die Welt immer schlimmer werde.«

    Doch dann löste sie sich von den Apokalyptikern. Ihre Konversion geht auf zwei ältere Männer zurück. Der eine, Hans Rosling, ein schwedischer Statistiker, überzeugte die Umweltwissenschaftlerin mit soliden Fakten davon, dass viele unserer Vorstellungen falsch sind. Vieles auf der Welt ist nicht schlechter, sondern besser geworden. Roslings Buch »Factfullness«, Summe eines langen Forscherlebens, gibt es auch auf Deutsch, ein Longseller auf dem Büchermarkt. Der andere Mann ist Max Roser, der in Oxford die Plattform »Our world in Data« gegründet hat. Dort zeigt er mit vielen Kurven, wie sehr sich die Welt seit dem frühen 19. Jahrhundert verbessert hat, ausgelöst durch technischen Fortschritt und viel Kapitalismus. Hannah Ritchie arbeitet heute als »Head of Research« in Rosers Faktenfabrik.

    Dauernde Übertreibung stumpft ab

    Ritchie bezweifelt, dass die Apokalyptiker die Menschheit zu einem Sinneswandel bewegen könnten. Im Gegenteil: Sie richten mehr Unheil an als sie Gutes tun. Denn die Übertreibung wird von den Menschen durchschaut. Irgendein Weltuntergang ist immer; Apokalypse stumpft ab. Ihre Prophezeiungen sind noch selten eingetreten. Tatsächlich haben Apokalyptiker seit jeher das Problem zu erklären, warum die Welt doch nicht untergeht. Das delegitimiert ihre Experten und gibt den Verdrängern, in unserem Fall den Klimaleugnern, Auftrieb. Mit »Degrowth«- und »Depopulations,-Strategien«, also dem Aufruf, keine Kinder in die Welt zu setzen und das Wirtschaftswachstum zu drosseln, ist niemand geholfen und vielen geschadet, vor allem den Armen.

    Hannah Richie ist keine Klimaleugnerin. Sie plädiert auch nicht für blinden Optimismus, hält es freilich für zielführender, die bereits erreichten Erfolge der Transformation zu betonen. Vieles davon ist nicht Common Sense. Zum Beispiel die überraschende Tatsache, dass im Jahr 2012 die Energie in Großbritannien zu 40 Prozent von der Kohle abhing; fünf Jahre später waren es nur noch sieben Prozent. Weltweit ist es gelungen, Wachstum und CO2–Ausstoß voneinander zu entkoppeln. Moralisierung hilft nicht weiter, findet Richie. Verzicht predigen auch nicht. Zur Rettung des Klimas müssen wir keinen Verzicht üben. Stattdessen dürfen wir auf den technischen Fortschritt setzen: die Ingenieure werden am Ende schneller sein als die steigenden Temperaturen. Besser als das apokalyptische Menetekel funktioniert der Preismechanismus, der dem Emissionshandel zugrunde liegt. Sobald E-Autos billiger werden als Verbrenner, sie noch dazu – siehe Tesla – als »cool« gelten und allmählich eine Ladeinfrastruktur sich bildet, kann man den Fortschritt sehen. »Ich bin zurückhaltend darin, den Menschen zu predigen, was sie tun sollen«, sagt Richie.

    Die junge Wissenschaftlerin ist auf Gegenwind eingestellt. Besonders provokant ist ihre Behauptung, sich mit regionalen Produkten zu ernähren, bringe nichts für das Klima. Wer in Schottland eine heimische Lammkeule verzehrt, hinterlasse einen schlimmeren CO2–Fußabdruck, als wenn er sich mit Avocados aus Mittel- und Südamerika ernährt. Denn der Transport von Lebensmitteln in Schiffscontainern trägt lediglich 0,2 Prozent zu den globalen CO2–Emissionen bei. Im Übrigen wurde der Abholzungsprozess der Regenwälder in gestoppt, weil die Landwirtschaft ihre Flächen viel effizienter nutzt – nicht zuletzt dank des bei den Umweltaktivisten besonders verhassten Palmöls: eine super-effiziente Frucht. Nicht »Kauft heimische Produkte!« müsste der Klimaimperativ heißen. Sondern: »Kauft von dort, wo die Bedingungen optimal sind«: tropische Früchte aus tropischen Ländern und Fleisch aus Gegenden, wo das Weideland optimal genutzt wird. Effektiven Umwelt- und Klimaschutz nennt Ritchie dies.

    Schlimmer noch als der Wind von den Gegnern ist das eigene schlechte Gewissen, mit welchem man im »Team Fortschritt« rechnen muss: Auf den technischen Fortschritt, den Preismechanismus und die globale Koordination der Staaten in einem Klimaclub zu vertrauen, werden die Apokalyptiker als Ablenkungsmanöver und Selbstbetrug von Leuten denunzieren, die am liebsten gar nichts ändern wollen. Während die Untergangspropheten sogar den Verzicht auf den Verzehr eines Hühnereis als klimafreundliche Großtat preisen. Die Fortschrittsoptimisten haben die bessere Theorie, die Apokalyptiker haben das bessere Gewissen.

    Rainer Hank