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  • 29. November 2019
    Deutschland im Herbst

    Alfred Herrhausen (1930 bis 1989) Foto: Herrhausen-Gesellschaft

    Dieser Artikel in der FAZ

    Was uns Alfred Herrhausen heute sagt

    Als Alfred Herrhausen am Mittwoch, den 29. November 1989, nach Gesprächen mit hochrangigen sowjetischen Politikern in der Nacht nach Bad Homburg zurück gekehrt war, hatte er das dringende Bedürfnis, am heimischen Küchentisch mit Traudl, seiner Frau, noch einen Schnaps zu trinken. Mit diesem Satz beginnt das letzte Kapitel (»Das Attentat«) in Friederike Sattlers großer, gerade erschienenen Herrhausen-Biographie, die Dennis Kremer am vergangenen Sonntag in der F.A.S. vorgestellt hat. Herrhausen, Chef der damals mächtigen Deutschen Bank, machte an jenem Abend seiner großen Wut darüber Luft, dass die »Bedenkenträger im Vorstand« alle seine Ideen blockierten, die Bank zum großen internationalen Player umzubauen. Er witterte eine »Palastrevolution«, liebäugelte mit Rücktritt: Deprimiert und resigniert, befindet er sich in der tiefsten persönlichen Krise. Als Traudl zu Geduld mahnt, fühlt er sich am Ende auch von der Ehefrau im Stich gelassen.

    Am nächsten Morgen, dem 30. November 1989 fuhr Herrhausen in seinem gepanzerten Wagen, eskortiert von zwei Begleitfahrzeugen mit Sicherheitspersonal, ins Büro. Unweit seiner Wohnung geriet er in eine Sprengfalle. Traudl Herrhausen, die ihrem Mann sofort nachgefahren war, konnte keine lebensrettende Soforthilfe mehr leisten. Herrhausen war auf der Stelle tot, er wurde das Opfer brutaler Terroristen.
    Am kommenden Samstag jährt sich dieser Mord zum dreißigsten Mal. Die Erinnerung daran versetzt uns in ein anderes Jahr 1989 als jenes, das wir derzeit feiern. Exakt drei Wochen nach dem als Freudentag erlebten Fall der Mauer, hatten mutmaßlich der sogenannten »Rote Armee Fraktion« (RAF) angehörende Terroristen mit einer Bluttat auf sich aufmerksam gemacht. Bankiers waren als Repräsentanten des verhassten Finanzkapitalismus bevorzugte Ziele dieser Verbrecher. Es war eben auch eine »bleierne Zeit« (Margarethe von Trotta), die Deutschland viel länger als nur jenen blutigen Herbst 1977 lang in Atem hielt, als Terroristen den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer barbarisch ermordeten und anschließend die RAF-Promis Baader, Ensslin, Raspe im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim Selbstmord begingen. Auch wenn man als Wirtschaftsjournalist den Schock des 30. Novembers 1989 miterlebt hat, sorgt offenbar eine beschönigend-unzuverlässige Erinnerung dafür, die RAF-Jahre der Republik auf eine kurze Phase fälschlicherweise zu komprimieren. Dabei zeigt ein kurze Blick ins Lexikon, dass die linksextremen Mörder von Anfang der siebziger Jahre bis zu ihrer offiziellen Selbstauflösung als Verbrecherbande im Jahr 1998 zwanzig Jahre lang unter uns waren – und das Leben von Top-Managern und Politikern stets von Todesangst überschattet wurde. Herrhausen hatte schon während der Schleyer-Entführung seiner Frau einen verschlossenen Umschlag in Verwahrung gegeben und verfügt, dass, sollte er selbst entführt werden, dürfe man auf »unverantwortliche Erpressungen gegen den demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland« nicht eingehen. Die Mörder Herrhausens wurden übrigens bis heute nicht gefasst; eklatante Versäumnisse des BKA wurden nie aufgearbeitet.

    Wer es selbst erlebt hat, weiß gar nichts

    Gefragt, warum sich die Lektüre einer Biographie über Alfred Herrhausen auch für Leute lohnt, die keine Bankexperten oder Wirtschaftshistoriker sind, würde ich auf die Konfrontation mit der Fremdheit einer Zeit verweisen, die gar nicht allzu lange zurück liegt und uns deshalb zu Unrecht vertraut dünkt. Gegen das verbreitete Diktum, man könne eine Zeit nicht verstehen, wenn man nicht dabei gewesen sei, gilt viel eher: Gerade, wer dabei war, versteht wenig und Falsches, benötigt die Korrektur durch die Historiker. Das glückliche deutsche Jahr 1989 war zugleich ein Jahr des deutschen Terrors. Nicht erst die Islamisten haben den Terror zu uns gebracht.

    Spiegelbildlich zur Bedrohung der Manager durch den Terror steht auf der anderen Seite ihre damals machtvolle gesellschaftliche Position, die ihnen heute ebenfalls weggerutscht ist. Herrhausen war der ungekrönte Vorstandssprecher der sogenannten »Deutschland AG«. Banken hielten erhebliche Industriebeteiligungen, alle waren miteinander verbandelt, gerne auch über sogenannten Überkreuzbeteiligungen nach dem Motto: Der Deutschen Bank gehören zehn Prozent an der Allianz und die Allianz hält zehn Prozent an der Deutschen Bank.

    Mit Wettbewerb hatte diese Welt eher weniger zu tun. Die Führungsmitglieder der Deutschen Bank besaßen rund 400 (!) Aufsichtsratsmandate: Ein Netzwerk von mächtigen Männern begegnete sich permanent im Club der Ihresgleichen. Man hatte seine Hausbank (Deutsche, Dresdner oder Commerzbank), man hatte seine Hausberater (Roland Berger oder Gertud Höhler). Und man achtete im korporativen Kapitalismus darauf, auch die Gewerkschaftsführer bei Laune zu halten.

    Bankiers waren damals noch keine Banker

    Oberhaupt dieses Deutschland-Netzes in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre war zweifellos Alfred Herrhausen, geboren 1930, erzogen in einem nationalsozialistischen Elite-Internat am Starnberger See, dessen Ideologie er zwar abgelegt hatte, nicht aber das dort erworbene Selbstbewusstsein eines Auserwählten. Bankiers waren damals noch keine Banker: Strenge Konventionen unter den Herren in Nadelstreifen brachten es mit sich, dass die Scheidung seiner ersten Ehe Herrhausen beinahe das Vorstandsamt gekostet hätten. Doch er hielt sich an der Macht. Er, der als brillanter Vortragender auf den Bühnen der Welt gefragt war, kümmerte sich um das große Ganze: die Internationalisierung (»Globalisierung« war damals als Begriff noch nicht geläufig), die Rettung der armen Länder Afrikas (Schuldenerlass) oder die geistige Aufrüstung der Deutschen (Universitätsgründungen).

    Herrhausen, der sich freimütig zur Macht der Banken bekannte, legte großen Wert auf Nähe zu Kanzler Helmut Kohl, eine Nähe, die freundschaftlich zu nennen ihm wichtig war und die in beiderseitigem Interesse lag. »Die Gipfel grüßen sich«, wie es bei Nietzsche heißt. Die Rollenbeschreibung für Herrhausen lautete »Ratgeber«. Er begleitete den Kanzler auf Auslandsreisen, war häufig im Kanzleramt zum Hintergrund, womöglich noch häufiger holte sich Kohl telefonisch seinen Rat. Diese enge Bindung zwischen politischer Macht und Finanzmacht ist seit der großen Finanzkrise zerbrochen. Der letzte Deutschbanker, der sich in der Ratgeberrolle habituell gefiel (und dem Kanzlerin Angela Merkel 2008 ein Abendessen im kleinen Kreis zum 60. Geburtstag ausrichtete) war Josef Ackermann, Bankchef von 2006 bis 2012. Doch Ackermann war es auch, dessen Uneinsichtigkeit für die Mitschuld der Banken an der Krise nachhaltig zum Bruch zwischen deutscher Politik und Deutsche Bank führte.

    Dies alles wirkt inzwischen noch viel weiter weg als es wirklich ist. Die Deutsche Bank – 1870 gegründet steht kurz vor dem 150. Geburtstag – kämpft um ihre Daseinsberechtigung. Mittlerweile reicht der amerikanischen Bank JP Morgan, zweimal ein Quartalsgewinn wie zuletzt (8,6 Milliarden Euro), um die gesamte Deutsche Bank kaufen zu können, deren Börsenwert bei knapp 15 Milliarden Euro liegt. Sie könnte, tut es aber nicht. Ohnmacht kann schlimmer sein als Macht. Männer wie Alfred Herrhausen sind ein für alle Mal Geschichte.

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    Rainer Hank