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  • 11. Juni 2024
    Demokratie verteidigen: Wie geht das?

    Demo auf dem Frankfurter Römerberg 5.3.2024 Foto hr

    Dieser Artikel in der FAZ

    Über allerlei Scheinheiligkeiten

    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sein Thema gefunden: Er kämpft für die Demokratie. Und er ermuntert uns, mit ihm für die Demokratie zu kämpfen: »Schützen werden die Demokratie nicht andere. Schützen müssen wir sie selbst. Auf uns und jeden von uns kommt es an!«

    Was sollen wir kämpfenden Demokraten nun aber konkret machen außer Lichterketten und Demos im Spätfrühling? Das sagt der Bundespräsident nicht. Ich vermute, er meint, wir sollten auf keinen Fall die AfD wählen. Aber das darf er natürlich nicht sagen. Das wäre undemokratisch, oder?

    Es deutet sich ein Widerspruch an, um den es in meiner heutigen Kolumne gehen soll: Muss man die Demokratie schützen, indem man die Demokratie einschränkt? Dass so etwas geplant ist, geben derzeit viele Politiker (implizit) zu. Nur ein Beispiel: Die Ampelkoalition erwägt, Regelungen zu Wahl und zur Amtszeit von Verfassungsrichtern nicht nur in einem einfachen Gesetz, sondern im Grundgesetz festzuschreiben. Diese könnten dann nicht mehr mit einfacher Mehrheit, sondern nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden. Das würde verhindern, dass bei einem Regierungswechsel Richter vergleichsweise einfach aus dem Amt entfernt würden oder die Rolle des Verfassungsgerichts verändert werden könnte. In Ungarn oder Israel zeigt sich, dass die Ängste nicht unbegründet sind. Die Union hat signalisiert, sie werde eine dafür nötige Verfassungsänderung nicht boykottieren.

    Demokratiestärkung durch Demokratieschwächung. Das ist ein Paradox, bei dem man sich fragen darf, ob die ganze derzeitige Wir-stärken-die-Demokratie-Rhetorik nicht in Wirklichkeit Ausdruck eines Schwäche-Diskurses ist. Denn gewiss ist: Eine Verfahrensänderung von einfachen auf Zweidrittelmehrheiten bergrenzt demokratische Souveränität. Im Vorfeld der Thüringenwahl haben Juristen einen Katalog von Empfehlungen vorgelegt, wie sich »rechtsstaatliche Resilienz« stärken lasse (nachzulesen auf »verfassungsblog.de«): Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Landeszentrale für politische Bildung, der Verfassungsgerichtshof, der Verfassungsschutz und die Polizei sollen gegenüber Eingriffen durch Parlament und Regierung immunisiert werden. »Konsultative Volksbefragungen« (klingt für mich nach Demokratie) sollen als »Kampagneninstrumente der Regierung« (Regierung klingt eigentlich auch nach Demokratie) verboten werden. Demokratie müsse eingehegt werden, um autoritär-populistische Versuchungen unschädlich zu machen.

    Liberaler Keuschheitsgürtel

    Damit ist die Katze aus dem Sack. Die politische Ökonomie der sogenannten Public-Choice-Schule war da immer schon ehrlicher, wenn sie darauf insistierte: Nicht die Demokratie, sondern der Rechtsstaat ist in Gefahr. Der liberale Ökonom und Philosoph Anthony de Jasay (1925 bis 2019) hat die Verfassung einer Demokratie mit einem Keuschheitsgürtel verglichen. Das politische wenig korrekte Bild will sagen: Eine demokratische Verfassung muss demokratische Freiheiten einschränken und bedient sich insofern undemokratischer Instrumente. Es zeichnet den Rechtsstaat aus, dass er die Bürger einschließlich seiner Regierungen Gesetzen unterwirft, dass die Gewalten geteilt sind und jede Gewalt die anderen Gewalten überwachen kann und dass es Institutionen gibt (das Verfassungsgericht, die unabhängige Notenbank, der »staatsferne« Rundfunk, die Richter und Gerichte), die keinen parlamentarischen oder regierungsamtlichen Weisungen unterliegen. Würde da, wo es um die Bewahrung des Rechtsstaats geht, nicht immer gedankenlos von der Bewahrung der Demokratie geredet, wäre viel für die Verwirklichung dieser Ziele erreicht, meinte kürzlich der Ökonom Hartmut Kliemt auf dem Blog »wirtschaftlichefreiheit.de«.

    Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Einhegung demokratischer Freiheiten durch selbstbindende Rechtsstaatlichkeit vielen heutigen Demokratie- und Resilienz-Kämpfern immer nur da recht ist, wo es ihnen passt. Geht es zum Beispiel um die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse, so drehen dieselben Leute den Spieß herum und betonen, wie »undemokratisch« es sei, der Fiskalhoheit als dem »Königsrecht« eines Parlaments derartige verfassungsrechtliche Fesseln aufzuerlegen. Denn das Schuldenverbot verhindere, dass die Demokraten Gutes tun könnten für Investitionen und Wirtschaftswachstum. Die Kritiker der Schuldenbremse merken nicht, dass sie ein klassisches populistisches Argument verwenden. Oder aber sie wollen die Bezeichnung »Populismus« für Rechtskonservative vorbehalten, was ziemlich willkürlich wäre.

    Der Politikwissenschaftler Philip Manow hat in seinem neuen Buch, erschienen unter dem Titel »Unter Beobachtung. Die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Freunde« (suhrkamp), auf solche Scheinheiligkeiten hingewiesen. Zentral ist Manows Unterscheidung zwischen »liberaler« und »elektoraler« Demokratie. »Liberal« wäre eine Demokratie dann, wenn sie Mehrheitsentscheidungen durch Institutionen des Rechts begrenzt. Damit eignet der liberalen Demokratie ein paternalistisches Element. »Elektoral« wäre eine Demokratie dann, wenn sie das Mehrheitsprinzip möglichst uneingeschränkt walten lässt. Der Kampf für die Demokratie wird dann zu einem Kampf der liberalen Demokratie gegen die elektorale Demokratie, der nicht über den Weg zu trauen sei, weil sie zwingend zu einer elektoralen Autokratie mutieren werde. Anders als die Freunde der Rechtsbindung tun, existiere die liberale Demokratie nicht schon seit den Stadtstaaten Athens oder der französischen Revolution, sondern sei sie ein Kind der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts, behauptet Manow. Nicht zuletzt die Europäische Union, selbst alles andere als lupenrein demokratisch, unterwerfe die je nationale, »elektorale« Souveränität vielen Beschränkungen und lasse diese vom europäischen Gerichtshof exekutieren. So gesehen ist es kein Wunder, dass gerade postkommunistische Staaten Osteuropas (wozu auch die fünf neuen Bundesländer zählen) nach anfänglicher Begeisterung inzwischen mit der liberalen Demokratie fremdeln, die Mehrheitsentscheidungen juristisch kupiert. Das mag sich für den ein oder anderen Leser politikwissenschaftlich verknüselt anhören, hat aber, träfe es zu, erhebliche Konsequenzen. Die Krise der Demokratie, von der heute allenthalben die Rede ist wäre dann eine Krise der in den neunziger Jahren erst entstandenen und radikalisierten liberalen Demokratie. Diese jetzt durch noch strengere Selbstbindungen resilient machen zu wollen und die (elektoral) demokratischen Entscheidungen weiter einzuschränken, wäre so ziemlich das Verkehrteste, was man im Kampf gegen den Populismus tun könnte.

    Was aber dann? Besser wäre es, die demokratischen Parteien würden eine bessere Politik machen. Und damit den extremen Parteien den Boden unter den Füßen wegziehen.

    Rainer Hank