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  • 17. August 2023
    Das Schicksal der Whistleblower

    Greenwashing Foto wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Auch ein Gesetz schützt sie nicht vor sozialer Isolation

    Desirée Fixler (51) war ein knappes halbes Jahr Nachhaltigkeitschefin der Fondsgesellschaft DWS, die der Deutschen Bank gehört. Nachdem sie ihrem Unternehmen intern vorgeworfen hatte, seine Anlageprodukte »grüner« zu färben als sie in Wirklichkeit sind, wurde die Amerikanerin fristlos gefeuert.

    Folgenlos blieb Fixlers Aktion nicht: Zwei Top-Manager der DWS verloren ebenfalls ihren Job; deutsche und amerikanische Aufsichtsbehörden prüfen die Vorwürfe des »Greenwashings«. Das bedeutet, grob gesagt, wer das Gütesiegel ESG verwendet, sollte weder Wirecard-Aktien kaufen (was die DWS tat), noch das Geld der Anleger in den Mineralölkonzern Shell investieren. Denn ESG bedeutet »Enviromental, Social and Governance«, gibt somit vor, Klima- und Umweltstandards einzuhalten und bei jenen Firmen, deren Aktien oder Anleihen in den Fonds kommen, auf soziale Ziele und eine gute Unternehmensführung zu achten.

    In einer Reihe von Interviews hat Desirée Fixler in den vergangenen Wochen sehr konkret berichtet, was eine Bankerin zu erwarten hat, die schlecht über ihr Unternehmen redet und ihm vorwirft, seine eigenen Ziele zu missachten. Während eines Aufenthalts in Amerika erreichte sie die Mail des DWS-Anwalts, ihr Vertrag werde nicht verlängert. Das war’s dann. Da sie sich aus Sicht des Arbeitgebers noch in der Probezeit befand, musste die Kündigung nicht begründet werden. Die Bank konnte jeglichen Zusammenhang mit ihren Vorwürfen leugnen. Dem Gericht blieb nichts anderes übrig, als die Kündigung durchzuwinken. Zusätzlich fand ein internes Memo der DWS seinen Weg an die Nachrichtenagentur Bloomberg. Darin stand, dass die Nachhaltigkeitschefin ihrem Job nicht gewachsen gewesen sei. Das ist der Klassiker zur Legitimation eines Rauswurfs.

    Was taugt dsa ESG-Gütesiegel?

    Nun kann man das ESG-Gütesiegel – weil wachsweich und wenig aussagekräftig – aus guten Gründen kritisieren. Das tut im Übrigen auch Desirée Fixler: Der Begriff bringe niemanden weiter, sagt sie. Doch wer damit Werbung macht und Kunden anlockt, sollte sich schon den selbstgewählten Qualitätsansprüchen unterwerfen. Fixler jedenfalls stand plötzlich ohne Arbeit da. Mit der Kündigung lief auch ihre Arbeitserlaubnis in Deutschland ab. Konkurrenten aus der Branche werden sich hüten, jemanden anzuheuern, die sich als »Nestbeschmutzer« einen Namen gemacht hat. Jetzt arbeitet sie als Beraterin der britischen Finanzmarktaufsicht FCA – nicht gerade ihr Traumberuf.

    Desiree Fixler erlitt das typische Schicksal eines Whistleblowers, im Deutschen ziemlich unschön übersetzt mit »Hinweisgeberin«. »Broken Lives Against Organisational Power«, so ist eine berühmte Studie des Psychologen C.F. Alford zum Whistleblowing überschrieben: Zerstörte Leben als Folge der Macht von Unternehmen. Im Kampf zwischen der Macht der Konzerne und der entlarvenden Moral der Whistleblower siegen in den meisten Fällen die Konzerne. Ein Unternehmen ist eine autoritäre Veranstaltung mit klaren Berichtslinien, kein Ort des herrschaftsfreien Diskurses. Whistleblower sind Störenfriede, selbst wenn sie formal als Compliance-Beauftragte die Pflicht haben, Unregelmäßigkeiten zu melden.

    In einer spannenden Studie von Kate Kenny, einer Wirtschaftsprofessorin aus Irland, lässt sich nachlesen, was die »Denunziantin« von ihrer Firma zu erwarten hat. Mit Ignorieren fängt es an. So landen Auffälligkeiten, dass eine Bank ihren reichen Kunden, die nicht so genau hinschauen, überzogene Gebühren aufbrummt, auf der langen Bank und anschließend im Nirvana. Dem Ignorieren folgt Schikanieren, Isolieren und am Ende Exkludieren. Kate Kenny beschreibt den eskalierenden Prozess als eine Art von »anschwellender Folter«, was nicht selten zu psychischen Problemen (Depression) beim Whistleblower führt. Er oder sie leidet an der Isolation und glaubt am Ende selbst, seinem Unternehmen Schaden zugefügt zu haben.

    Hat er ja auch: Aus Sicht des Unternehmens können Whistleblower einen großen Reputationsschaden anrichten, falls die Sache öffentlich wird. Im Schutz der Anonymität haben Mitarbeiter die Möglichkeit, offene Rechnungen mit ihrer Firma zu begleichen und falsche Anschuldigungen in die Welt zu setzen. Bis geklärt ist, dass diese erfunden und erlogen sind, kann es längst zu spät sein. Was nützt einer Unternehmung, die sich in Insolvenz befindet, dass ihr am Ende bestätigt wird, sie habe sich nichts zuschulden kommen lassen.

    Es handelt sich um einen Zielkonflikt, der schwer aufzulösen ist. Auf der einen Seite ist unternehmerisches Fehlverhalten allein durch Behauptung des Whistleblowers noch nicht bewiesen. Auf der anderen Seite muss der Whistleblower einen geschützten Raum frei von Repressalien für seine Erzählung garantiert bekommen, ansonsten wird er es sich dreimal überlegen, ob er von ihm beobachtete Unmoral und Regelverstöße ausplaudern soll.

    Löchrig wie ein Schweizer Käse

    Seit Anfang Juli dieses Jahres gibt es in Deutschland das »Hinweisgeberschutzgesetz« (HinSchG), das vorgibt, den genannten Zielkonflikt zur Zufriedenheit beider Seiten zu lösen. Whistleblower (dazu zählen nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Kunden oder Lieferanten) haben das Recht, Verstöße (Korruption, Veruntreuung von Geld, Umweltsünden) zu melden und dafür zum Beispiel einen elektronischen Briefkasten zu nutzen, der ihre Identität verschlüsselt. Der Whistleblower wird vor Repressalien (Kündigung, Nichtbeförderung, Mobbing) geschützt, das Unternehmen wird von vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Falschmeldungen geschützt, jeweils durch die Androhung von saftigen Schadenersatzzahlungen.

    Also alles paletti? Keinesfalls, grummelt die Frankfurter Strafverteidigerin Regina Michalke in einem demnächst erscheinenden Aufsatz: »Der Vertrauensschutz des HinSchG ist so löchrig wie der Schweizer Käse«. Denn die Anonymität des Whistleblowers, der auf Vertraulichkeit hofft, wird hinfällig, sobald sein Unternehmen gegen ihn strafrechtlich ermitteln lässt. Je schwerer der von ihm gemeldete Rechtsverstoß wiegt, um so bedeutsamer und transparenter muss für alle Verfahrensbeteiligte das ursprünglich in vermeintlicher Vertraulichkeit offenbarte Insider- oder Whistleblower-Wissen auch für die Zwecke der Staatsanwaltschaft wirken. Der Zielkonflikt sei nicht zu lösen, findet die Anwältin: Der auf absoluten Schutz hoffende Hinweisgeber ist nicht zu »retten«.

    Jedermann sollte sich gut überlegen, ob er zum Whistleblower taugt. Es drohen Verstoß und Ächtung aus der Businesswelt. Einen »Denunzianten« und »Verräter« mag niemand bei sich haben, auch und womöglich gerade dann, wenn er die Wahrheit spricht. Am Ende treiben Selbstzweifel den Whistleblower mit schlechtem Gewissen in die Isolation. Es bleibt dabei: Whistleblowing ist und bleibt ein hohes Risiko.

    Rainer Hank