Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen14. Oktober 2024
Christlicher PatriotismusUnd was von bischöflichen Wahlverboten zu halten ist
Die Kirchen in Deutschland sind der Meinung, die AfD sei für Christen nicht wählbar. Diese Partei wolle unser freiheitliches, demokratisches System umstürzen, sagt der Limburger Bischof Georg Bätzing: »Davor muss ich Christen und Christinnen warnen.« Bätzing ist Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. »Sei auf der Seite der Schwachen« gebiete das Evangelium, sagt der Potsdamer evangelische Regionalbischof Kristof Balint. Die rechten und rechtsradikalen Tendenzen in der AfD seien damit nicht vereinbar. Vergleichbare Verlautbarungen hören wir seit Monaten von Amts- Würden- und Hierarchieträgern aller Konfessionen. Einige Kommentatoren in kirchlichen Medien vertreten die Auffassung, auch Union und FDP seien nicht wählbar, weil sie sich für Kontrolle der Migration einsetzen. Außer Grünen und Linken bleibt da am Ende nicht viel Wählbares übrig – denn auch SPD und BSW wollen die Migration beschränken.
Mich interessiert: Ist solche Bevormundung von Christen okay? Und wie überzeugend ist die Begründung?
Nicht so sehr interessiert mich die Aussage Bischof Bätzings, die AfD wolle das freiheitliche, demokratische System umstürzen. Woher weiß er das? Einen Beleg liefert er nicht. Lassen wir es also als seine Privatmeinung durchgehen. Es gab Jahrzehnte, da waren die Christen weniger streng: Bis weit in die Hierarchie hinein haben sie mit dem Marxismus geflirtet, eine Ideologie, die offen bekennt, das demokratische System stürzen zu wollen. Gut bekommen ist diese Nähe den Christen allerdings nicht.
Konzentrieren wir uns auf die Frage, wer eigentlich »die Schwachen« sind, an deren Seite die Christen zu stehen hätten. Und was daraus folgt. Auch da bleiben die Bischöfe vage, was den Verdacht weckt, das Bekenntnis sei wohlfeil und wenig christspezifisch, weil es sich selbstgerecht an den Zeitgeist anschmiegt, was den von Kirchenaustritten gebeutelten Bischöfen Beifall bringt, ohne dass es etwas kostet.
Wer also sind die Schwachen? Die »vorrangige Option für die Armen« ist ein theologischer Topos, der sich seit den sechziger Jahren in kirchlichen theologischen Kreisen verbreitet hat. Das war damals neu: Die herkömmliche katholische Soziallehre sprach sich für Solidarität und Subsidiarität aus, eine Option für dezentrale Nächstenliebe, ohne eine besondere Privilegierung einzelner Gruppen zu empfehlen.
Wer sind die Schwachen?
Unausgesprochen und pauschal gehen die Kirchenleute offenbar davon aus, dass die Flüchtlinge, die zu uns kommen, »die Schwachen« sind. Das mag vielfach zutreffen. Doch weisen viele Migrationsexperten darauf hin, dass es aufs Ganze gesehen gar nicht die Ärmsten und Ungebildeten sind, die nach Europa aufbrechen. Die Ärmsten bleiben, wo sie sind, sagt der holländische Soziologe Hein de Haas. Die meisten Migranten kommen aus Schwellenländern: nicht aus den ärmsten Ländern wie Madagaskar oder dem Südsudan (kaum irgendwo auf der Welt ist das Elend so groß). Wer auswandert, muss Geld haben – für Transport, Visa, Vermittler (und Schleuser).
Wer den Schwächsten helfen will, müsste sich folglich besonders darum kümmern, dass die Menschen in den ärmsten Ländern aus der Armut befreit werden, Bildung und ein gutes Gesundheitssystem erhalten und zu Wohlstand kommen. Das funktioniert am besten mit Freihandel und offenen Märkten in einer globalen Wirtschaftsordnung – also mit genau jener Praxis (und Theorie), die gerne und nicht zuletzt von den Christen als »Neoliberalismus« geschmäht wird. Seit vor gut zehn Jahren allenthalben der Handelsisolationismus in Mode kam, geht es den Schwachen auf der Welt wieder schlechter.
Der brandenburgische AfD-Politiker und Katholik Hans-Christoph Berndt sagt: »Da ich katholisch bin, bedeutet Nächstenliebe für mich, sich um die Angehörigen des eigenen Volkes zu kümmern.« Den Satz haben ihm viele Kirchenleute schwer verübelt. Wenn er damit ausschließt, sich um die Fremden zu kümmern, wird man ihm widersprechen müssen. Aber dass Nächstenliebe verbieten soll, sich um die Nächsten in meiner unmittelbaren Umgebung (Familie, Dorf, Gemeinde, Volk) zu kümmern, scheint mir schon vom Begriff her danebenzuliegen – und widerspricht zudem der Subsidiaritätsforderung der katholischen Soziallehre.
Im Kern, so vermute ich, geht es darum, ob es so etwas wie einen »christlichen Patriotismus« geben darf. Schon bei diesem Begriff wird es viele Christen schütteln, weil sie automatisch Patriotismus mit völkischem Nationalismus gleichsetzen. Ich empfehle als Korrektiv die Lektüre der Schriften einer rechtsradikaler Umtriebe unverdächtigen Zeugin: Simone Weil (1909 bis 1943), eine französische Jüdin und linke Aktivistin, die sich im Lauf ihres Lebens der katholischen Mystik zuwandte, ohne ihrem politischen Engagement für die Arbeiter und kleinen Leute – also für die Schwachen – abzuschwören.
In Weils Nachlass gibt es eine aufregende Schrift mit dem Titel »Die Verwurzelung«. Dort heißt es: »Die Verwurzelung ist wohl das wichtigste und am meisten verkannte Bedürfnis der menschlichen Seele.« Der Mensch habe eine Wurzel durch seinen aktiven und natürlichen Anteil am Dasein seines Gemeinwesens, der sich definiert durch Geburt, Beruf und Umgebung. Dem steht in der Moderne die Erfahrung einer »Entwurzelung« entgegen, an der nach Simone Weil nicht zuletzt der Staat mit seinem Nationalismus und Imperialismus schuld ist. Echte Verwurzelung bezieht ihre Kraft aus der sozialen und kulturellen Umwelt als »Voraussetzung für das Wohl eines Volkes«. Entsprechend plädiert Simone Weil für die Anerkennung und Förderung dezentraler Gemeinschaften und lokaler Traditionen. Der Clou: Patriotismus ist etwas anderes als Nationalismus.
Die Idee der Verwurzelung ist nicht nur verwandt mit der christlichen Idee der Subsidiarität, sondern auch mit dem Begriff der »Ligaturen«, den der liberale Denker und Politiker Ralf Dahrendorf geprägt hat – also der Bindungen an Tradition und Heimat. Wer das alles gleich als provinziell und völkisch diabolisiert, hat nichts verstanden. Und versteht erst recht nicht das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, das sich in dem sogenannten »Rechtsruck« Europas eben auch spiegelt.Es müsste somit darum gehen, Offenheit und Verwurzelung zusammenzudenken. Entwurzelung ist ja nicht nur die Erfahrung, die Migranten machen, die ihre Heimat verlassen. Es ist auch die Erfahrung der Menschen in den Zielländern der Migranten, die sich bedroht fühlen und ihre Wurzeln (Identität) fürchten.
Solche gewiss widersprüchlichen Erfahrungen in den Blick zu nehmen, wäre mein heutiger Kolumnisten-Rat nicht nur für die christlichen Hierarchen. Das wäre origineller als sich vom hohen moralischen Ross herab dem allgemeinen Unvereinbarkeitspathos und Brandmauergerede anzuschließen, das doch nur nachplappert, was alle sagen.
Rainer Hank