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  • 02. November 2020
    Burger-Krieg

    Rind oder Soja, das ist die Frage Foto Shutterbug/pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Über die Politisierung unseres Essens

    Soja-Hamburger und Steaks aus pflanzlichen Proteinen dürfen auch künftig Burger oder Steaks genannt werden. So hat es das Europäische Parlament vor kurzem entschieden. Der Antrag, den Begriff Wurst, Schnitzel oder eben Hamburger ausschließlich tierischen Produkten vorzubehalten, fand keine Mehrheit.

    Anhänger des grün-veganen Glaubens quer durch Europa jubelten über diese gewonnene Burger-Schlacht: Der mündige Bürger sei schließlich selbst in der Lage, zwischen einer Frikadelle aus argentinischem Rind und aus Soja zu unterscheiden. Und außerdem, so klang implizit mit, würden über kurz oder lang ohnehin alle Schnitzel und Würste dieser Welt auf solider pflanzlicher Grundlage stehen. Bloß der Bauernverband zeigte sich verstimmt, weil seine Grillware von der Veggie-Fraktion gekapert wurde: »Ein Marketing, mit dem das Original erst in Verruf gebracht und dann in der Bezeichnung kopiert wird, ist unlauter«, so tönte der Generalsekretär des Verbands.

    Am europäischen Burger-Krieg gibt es merkwürdige Veränderungen der Schlachtordnung zu beobachten. Üblicherweise sind es die grün-ökologischen Verbraucherschützer, die für strenge Kennzeichnung unserer Lebensmittel eintreten, während Produzenten und Handel lieber den mündigen Bürger preisen. Beim Fleisch ist es nun umgekehrt: Bauern und Lebensmittelindustrie wollen erreichen, was ihnen bei der Milch vor Jahren schon gelungen ist. Als Milch dürfen nur tierische Produkte verkauft werden, weshalb Soja-Milch verboten ist und als Soja-Getränk vermarktet werden muss. Ein Soja-Schnitzel aber geht durch: der mündige Bürger werde es schon vom Schwein zu unterscheiden wissen.

    »Vegange Erbsenklopse« klingt einfach blöd

    Merkwürdig, dass die vegan-vegetarischen Aktivisten partout die herkömmlichen Namen erhalten wollen, anstatt sich neue, hippe Begriffe für die fleischlose Nahrung der Zukunft auszudenken. Das liegt wohl daran, dass die bisherigen Ideen nicht so recht gezündet haben: Ein »Soja-Brätling« oder eine »vegane Tofu-Rolle nach Art einer Salami« klingt einfach nicht besonders appetitanregend. Alles soll aussehen wie Fleisch, schmecken wie Fleisch und heißen wie Fleisch – mit dem kleinen entscheidenden Unterschied, dass es kein Fleisch im herkömmlichen Sinn ist.

    Gerade der Burger ist auf seinem internationalen Siegeszug nicht zu stoppen, allen Globalisierungskritikern zum Trotz. An allen Ecken unserer Städte wachsen die Hamburger-Bratstationen aus dem Boden, gegen deren guten Klang sich auch die Pflanzenesser nicht immunisieren können. »Beyond Meat«, jenes extrem erfolgreiche, auf vegane Fleischersatzprodukte (Wasser, Erbsenproteinisolat und pflanzliche Öle) setzende, börsennotierte Unternehmen, weiß, dass es Kunden und Investoren auf Dauer nicht glücklich machen wird, wenn es »vegane Erbsenklopse« auf die Speisekarte schreibt. Dass die Freunde einer laxen Kennzeichnungspflicht den Kapitalinteressen eines Konzerns aus Kalifornien in die Hände spielen, wäre undenkbar, würde es sich um McDonalds & Co. handeln. Bei Beyond Meat hat das, soweit ich sehe, bislang niemanden gestört.

    Neben dem Marketing-Aspekt gibt es ein nicht ganz zu vernachlässigendes sprachphilosophisches Problem: Existiert hier eine notwendige Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem dergestalt, dass Fleisch stets auf Schweinisches (respektive Rind, Kalb, Lamm oder Geflügel) verweist? Oder ist das Wort »Fleisch« nur an Akzidentelles – die äußere Form, die Farbe oder den Geschmack eines Schnitzels – gebunden, einerlei welche biochemische Substanz das Mittagessen enthält? Ginge es nicht um einen Modetrend urban-gesunder, wohlhabender Eliten, hätte man früher von Bluff oder gar Etikettenschwindel gesprochen. Aber jetzt ist ja alles für einen guten Zweck.

    Man könnte, wollte man dem betriebswirtschaftlichen, sprachphilosophischen und politischen Aspekt noch eine theologische Komponente hinzufügen, auch von einer Art ökologischer Transsubstantiation sprechen: wie beim Abendmahl aus dem Brot (Weizen) und dem Wein (Trauben) Christi Leib und Blut werden, so wird nun aus einem Burger, für den ein Tier sterben muss, ein veganer Burger, der ernährungsphysiologisch und klimapolitisch uns zum Heil gereicht. Hier breche ich ab, bevor es blasphemisch wird.
    Das Private ist politisch, so lautete ein berühmter Slogan der Achtundsechziger, die freilich mit Essen und Trinken ziemlich unachtsam umgingen. Heute ist die Ernährung eminent politisch geworden. Was einer isst, ist ein Statement: Für das Tierwohl, für das Klima, für die Gesundheit und für die Schönheit. Der Genuss kommt an letzter Stelle. Dass der politische Streit als Kampf um die Begriffe ausgetragen wird, scheint mir im Trend einer Zeit zu liegen, in der man höllisch aufpassen muss, was man sagt. Man kann das als Kultur sprachlicher Sensibilität und Achtsamkeit begrüßen. Man kann es freilich auch als Tod jeglicher Spontaneität und Ausgelassenheit beklagen.
    Kennen Sie Mark Post? Das ist ein Physiologie-Professor von der Universität Maastricht, der jahrelang daran gearbeitet hat, einen Rindfleisch-Burger aus sich vermehrenden Muskelzellen im Labor (also »in vitro« aus Stammzellen) herzustellen. Das war ihm im Jahr 2013 endlich gelungen – allerdings hatte ihn das ganze Experiment am Ende 300 000 Dollar gekostet, ein Betrag, für den Google-Mitgründer Sergey Brin aufkam.

    Leckere In-Vitro-Viertelpfünder

    Inzwischen, so entnehmen wir es der Internetseite »transgen.de«, ist der Preis für In-Vitro-Viertelpfünder drastisch gesunken. Schon bald will Mosameat, das von Post gegründete Unternehmen, »tierfreie« Burger auf den Markt bringen, die auch preislich mit herkömmlichen Fleischklopsen mithalten können. Viele Fachleute erwarten, dass die Umsätze mit diesem Fleisch aus dem Labor langfristig schneller wachsen als vegane Fleischersatzprodukte. Das wäre dann womöglich die Rettung: Wir essen weiterhin tierisches Fleisch, ohne dass dafür ein Tier leiden und sein Leben lassen müsste, ohne dass die Umwelt mit klimaschädlichen Methangasen verpestet würde und ohne dass wir allzu kapriziöse semantische Klimmzüge machen müssten. Freilich handelt es sich bei diesem Kunstfleisch (»cultured meat«) um Gentechnik in Reinkultur, was üblicherweise von der grünen Fraktion als wider die Natur und gefährlich bekämpft wird. Doch gibt es Signale, dass Tierschützer, Vegetarier und Fleischindustrie hier einen gemeinsamen Nenner finden könnten.

    Wie sähe die Zukunft aus? »Varkenshuis« (»Saustall«) heißt ein utopisches Experiment aus den Niederlanden, das sehr spannend klingt. Dort werden glückliche Schweine gehalten, die keine Angst vor einem unnatürlichen Tod haben müssen. Sie suhlen sich behaglich im Schlamm, werden groß und stark. Die Kinder der Nachbarschaft lieben und füttern sie gerne mit artgerechten Lebensmitteln aus ihrer Menschen-Küche. Jede Woche müssen sich die Säue einer kleinen, völlig harmlosen Biopsie unterziehen, aus dem die neue Kunstfleischindustrie, gentechnisch sauber, große Mengen Würste, Schnitzel und Hackfleisch herstellt. Hundert Prozent Schwein – ohne dass ein einziges Schwein dafür getötet werden muss. Und auch der Big Burger dieser neuen Zeit wird hundert Prozent Rind sein, während glückliche Kühe auf den Almen der Alpen zufrieden leben und sterben.

    Rainer Hank