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  • 03. Februar 2020
    Bischöfe als Geisterfahrer

    Bischof Stephan Ackermann, Trier Foto: www.bistum.trier.de

    Dieser Artikel in der FAZ

    Keine Kirchensteuer zur Entschädigung von Missbrauchsopfern

    Vor zehn Jahren wurde der Missbrauch von Jugendlichen am Berliner Canisiuskolleg öffentlich. Die Aufarbeitung des Skandals in den vergangenen zehn Jahren durch die deutsche Katholische Kirche ist selbst ein Skandal. Kein Verantwortlicher der kirchlichen Hierarchie hat Konsequenzen gezogen. Die systemischen Gründe des Machtmissbrauchs – der Klerikalismus der Männer und eine vorneuzeitliche Rechtsordnung ohne Gewaltenteilung – wurden offiziell nie klar benannt. Ob der als »Reformdialog« vermarktete »synodale Weg«, der in der vergangenen Woche in Frankfurt eröffnet wurde, daran etwas Fundamentales ändert oder am Ende als unverbindliche Veranstaltung zur Konkursverzögerung in die Geschichte eingeht, ist offen.

    Ins Stocken geraten – ein weiterer Skandal – ist auch die Frage der Entschädigung der Missbrauchsopfer. Da geht es ums Geld. Auch damit hat sich die Kirche immer schwergetan.

    Der Stand: 5000 Euro, in Einzelfällen auch mehr – das ist im Moment die gängige Entschädigungssumme für Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche. Das Wort »Entschädigung« wurde dabei möglichst vermieden. Stattdessen ist von einer »materiellen Anerkennung erlittenen Leids« die Rede. Im vergangenen Herbst haben die Bischöfe dann die Vorschläge einer Arbeitsgruppe beraten. Dort wurde zwei Modelle diskutiert. So wäre für alle Betroffenen ein Pauschalbetrag von 300 000 Euro möglich. Damit würde keine »Leidenskonkurrenz« entstehen und die Entschädigung wäre recht schnell umzusetzen. Alternativ möglich wäre auch ein gestuftes Modell, bei dem je nach Schwere des erlittenen Unrechts zwischen 40 000 und 400 000 Euro gezahlt werden. Dieses Vorgehen hätte den Vorteil, dass Einzelfälle stärker berücksichtigt werden könnten.
    Die Beträge bleiben immer irgendwie willkürlich und wollen und können Leid nicht ungeschehen machen. Die Höhe der Beträge orientiert sich an der Bemessung von Schmerzensgeldzahlungen im staatlichen Bereich, das laut »Bürgerlichem Gesetzbuch« (BGB) eine »Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion« haben soll. Ausgegangen wird von einer monatlichen Entschädigung in Höhe von 500 Euro. Diese Summe stelle einen maßvollen Mittelwert verschiedener Leistungen dar, die im Bereich staatlicher Opferentschädigung als monatliche Rente gezahlt werden, heißt es. Jährlich wären das 6000 Euro. Nimmt man als Laufzeit 50 Jahre an, gerechnet vom Zeitpunkt des Missbrauchs, so kommt man am Ende auf die pauschale Summe von 300 000 Euro.

    Finanzbedarf von einer Milliarde Euro

    Dass sich seit vergangenem Herbst die Bischöfe in der Frage der Entschädigung nicht einigen wollten, liegt auch daran, dass unklar ist, woher die Mittel der Entschädigung kommen sollen. Wie gesagt, es geht um viel Geld: Die von den Bischöfen in Auftrag gegebene sogenannten MHG-Studie listet für den Zeitraum von 1946 bis 2014 insgesamt 3677 Opfer auf; 1670 Kleriker werden der Taten beschuldigt. Mutmaßungen über die Dunkelziffern sprechen von 100 000 Opfern. Würde allen »offiziell« anerkannten 3677 Opfer die pauschale Summe von 300 000 Euro gezahlt, summierte sich der Finanzbedarf auf gut eine Milliarde Euro. Als Schreckgespenst steht den Bischöfen die amerikanische Kirche vor Augen: Dort landeten etliche betroffene Diözesen in der Insolvenz.

    Angesichts der hohen Summe kam der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Kirche, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, auf die Idee, die Entschädigungsleistungen aus Kirchensteuermitteln zu finanzieren. Auch wenn es vielen Gläubigen widerstrebe, mit ihren Beiträgen für Verfehlungen einzelner Geistlicher einzustehen, seien die Kirchenmitglieder als »Solidargemeinschaft« in der Pflicht, meint Ackermann. Die Begründung: Die deutschen Steuerzahler müssten ja auch für die gescheiterte PKW-Maut aufkommen: »Wir zahlen für Andi Scheuers Autobahnen«, so der Bischof.

    Die Äußerungen Ackermanns gehen nicht nur in mehrfacher Hinsicht ziemlich daneben, um es vorsichtig zu formulieren. Sie sind zugleich ein deutliches Zeichen dafür, wie kirchliche Funktionäre mit »other peoples money« meinen umgehen zu dürfen. Dabei ist es allein schon geschmacklos, das Mautdesaster des Verkehrsministers und den Versuch, die Schadenersatzansprüche der Betreiberfirmen auf den Steuerzahler abzuwälzen, in Vergleich zu setzen zu den Entschädigungshoffnungen der kirchlichen Missbrauchsopfer. Zugleich bringt Ackermann den Begriff des »Solidarität« in erheblichen Misskredit, wenn er ihn derart dehnt, dass nun auch Laien – nur sie zahlen ja die Kirchensteuern – für Straftaten von Klerikern aufkommen sollen. Es ist die Perversion des Gedankens der Solidarität, wenn die Verantwortlichen sich der Haftung für die Folgen ihrer Taten entledigen, indem sie andere, die sich nicht wehren können, zwingen, den finanziellen Schaden zu übernehmen. Solidarität als Beschönigungsformel zur Verwischung von Verantwortlichkeiten: das war immer schon ein Verdacht, weswegen mir die – eigentlich schöne – Idee der Solidarität nie recht geheuer war. Der Trierer Bischof bestätigt den Verdacht schlimmer als befürchtet. Er bestätigt zugleich einen weiteren Verdacht: Dass nämlich die Finanzierung der Kirche über eine der Staatsfinanzierung vergleichbare Steuer genannte Zwangsabgabe den Vorteil hat, über die Verwendung der Einnahmen keine Rechenschaft geben zu müssen. Schlimmer noch: Gegen eine staatliche Regierung, die das Geld der Steuerzahler verschwendet, lassen sich parlamentarische Mehrheiten organisieren, die dafür sorgen, dass diese Regierung abgewählt wird. Bischöfe können nicht abgewählt werden; denn die Kirche ist nicht demokratisch verfasst.

    Es gibt Alternativen

    Aber die Laien in der Kirche haben eine andere Macht: Zwar haben sie keine demokratische Widerspruchsmacht. Aber, anders als im Staat, können sie sich der Steuerpflicht durch Austritt aus der institutionell verfassten Kirche legal entziehen (und dabei nach katholischer Lehre gleichwohl Mitglied der weltumspannenden Glaubensgemeinschaft bleiben). Dass die Bischöfe nicht längst offiziell beschlossen haben, eine Milliarde Euro des derzeit immer noch stark sprudelnden Kirchensteueraufkommens zur Opferentschädigung abzuzweigen, hängt gewiss auch damit zusammen, dass sie die Austrittsdrohung all jener Gläubigen spüren, die sich diesen Solidaritätszwang nicht bieten lassen werden. Schon ohne finanzielle Haftungsübernahme haben viele Katholiken in den vergangenen Jahren angesichts des Missbrauchsskandals ihre Kirche verlassen.

    Gibt es überhaupt Alternativen zur Finanzierung der hohen Entschädigungssummen? Ja, die gibt es. Darauf hat der Kollege Thomas Gutschker schon vor geraumer Zeit in der FAS hingewiesen: Wenn die katholische Kirche es ernst meint, muss sie die Entschädigungen aus dem Vermögen ihrer Bistümer aufbringen: Landbesitz, Immobilien, Wertpapiere. Da lässt sich einiges am Markt verkaufen. Die Bistümer Paderborn, Köln und München-Freising sind mehrfache Milliardäre. Gewiss, auch das kirchliche Vermögen speist sich zum Teil aus den Steuereinnahmen, aber eben nur zum Teil. Eine Entschädigung aus dem Vermögen wäre zumindest ein Signal dafür, dass die kirchlische Hierarchie selbst Verantwortung übernimmt. Dass das weh tut, gehört dazu.

    Rainer Hank