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  • 19. August 2019
    Asketen an der Macht

    Verzichten für eine bessere Welt?

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum glauben wir nicht mehr an den Fortschritt?

    »Archaischer Torso Apollos« ist ein 1908 in Paris entstandenes Sonett Rainer Maria Rilkes überschrieben, das mit dem berühmten Vers endet: »Du musst Dein Leben ändern«. Vermutlich hatte der Dichter anderes im Sinn, doch gilt die Zeile seither als Imperativ der Konversion, welche der Einsicht folgt, dass es so nicht weitergehen könne.

    Was genau »so« nicht weitergehen kann und »wie« das Leben zu ändern sei, dass ist offen für persönliche Interpretation, was dem Erfolg des Rilke-Gedichts nicht geschadet, sondern eher noch genützt haben dürfte. Rilkes Gedichtzeile steht ganz offenkundig hinter dem Imperativ des Verzichts, der angesichts der drohenden Klimakatastrophe seit Monaten immer lauter zu vernehmen ist. Der Verzicht umfasst inzwischen immer mehr Bereiche des Lebens, in denen jeder einzelne beweisen könne, dass er den Auftrag ernst nimmt, sein Leben konkret zu ändern. Flüge oder Schiffsreisen sind mit Blick auf den ökologischen Fußabdruck zu meiden, Autofahrten selbstredend auch, es sei denn es handle sich um ein E-Mobil, dessen Strom seinerseits korrekt erzeugt wurde. Gleichermaßen ist auch der Verzehr von Fleisch zu unterlassen, wofür eine ganze Reihe von Gründen ins Feld geführt werden: Das arme Tier leidet, weil es zu unserer Bedürfnisbefriedigung getötet wurde. Tierisches Eiweiß schadet der Gesundheit der Menschen. Und am Ende ist vor allem die CO2–Bilanz von Fleisch viel verheerender als wenn wir uns von Salat, Gemüse und Körnern ernähren.

    Der Imperativ des Verzichts macht auch vor Größerem nicht Halt. Die Bewegung »Birth Strike« fordert die Menschen dazu auf, keine Kinder mehr in die Welt zu setzen. Denn eine vom Klimawandel verwüstete Welt sei keiner künftigen Generation zuzumuten. Mehr noch: Aus Neugeborenen würden zwangsläufig erwachsene Menschen, die ihrerseits einen tiefen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Radikal gedacht folgt daraus: Eine Welt ohne Menschen (oder mit immer weniger Menschen) wäre klimapolitisch gesehen eine sinnvolle Sache. Die unbeabsichtigte Folge des Klimawandels – die Zerstörung des Planeten und der Menschheit – wäre quasi mit voller Absicht vom massenhaften Geburtenstreik schon vorweggenommen. Kurzum: der Glaube an Mobilität, Freiheit, ja an Zukunft überhaupt scheint uns abhandenzukommen. Es dominiert die Angst.
    Was mich interessiert, ist nicht der Klimawandel als Faktum. An dessen von Menschen verursachter global-planetarischer Wucht ist nicht zu zweifeln. Was mich beschäftigt ist die Frage, warum scheinbar plötzlich der Imperativ des Verzichts weltweit, aber vor allem auch deutschlandweit, so viel Zustimmung bekommt, so dass es fast so scheint, als sei radikale Askese nicht nur alternativlos, sondern auch das einzige wirkungsvolle Mittel, den Klimawandel aufzuhalten oder zumindest zu verzögern.

    Die Ethik des Verzicht hat religiöse Wurzeln

    Ganz offensichtlich hat die Ethik des Verzichts ihren Ursprung in einer religiösen Praxis, aus deren Kontext sie sich emanzipiert und säkularisiert hat. Religiöse Muster können unbewusst lange haften. Naherwartung des Weltendes, Bekehrung der Menschheit zum wahren Glauben und Askese gehören im Christentum von Anfang an eng zusammen. Wer daran glaubt, dass das Reich Gottes nahe ist, dem bedeuten die Freuden des Alltags nichts mehr. Sie oder er verlässt Familie und Heimat, folgt einen religiösen Führer nach und übt Verzicht. Wer es ernst meint, fasse sich an die eigene Nase und mache ernst damit, sein Leben zu ändern. Die Ethik des Verzicht versteht zu überzeugen als Gegengift zur Politik des Geschwätzes.

    Einschränkung der Ernährung, Fasten genannt, war immer schon eine zentrale Übung in allen Religionen, nicht nur im Christentum, sondern auch im Islam und im Buddhismus, wo die Entsagung gegenüber der Welt zur Läuterung der Menschen beiträgt. Der Frankfurter Althistoriker Hartmut Leppin hat jüngst in der FAZ darauf hingewiesen, dass zur religiösen Askese immer auch sexuelle Enthaltsamkeit, Keuschheit genannt, zählten, was in der heutigen Zeit merkwürdigerweise aus der Mode gekommen ist. Allenfalls könnte man die Birth-Strike-Bewegung als eine säkulare Variante der religiös begründeten Entsagung deuten, welche die Fortpflanzung ablehnt, aber gleichwohl angesichts der heutigen Möglichkeiten zur Empfängnisverhütung auf Sex nicht verzichten muss.

    »Ökologischer Calvinismus«

    Lässt man die Ziele – Klimawandel aufhalten! – einen Moment lang außer Acht, so bleibt nicht verborgen, dass die Fluchtlinie der neuen Klima-Askese eine Welt ist, in welcher Freude, Fortschritt und Wohlstand kaum mehr einen Platz haben. Der wachsende Wohlstand, dem wir so viel Freiheit, Mobilität und Annehmlichkeiten verdanken, gilt selbst ja als Hauptursache für den Klimawandel. Deshalb sind jetzt auch alle Wachstums- und Kapitalismuskritiker zu Klimapolitikern mutiert: Galt bislang der Kapitalismus als verantwortlich für Armut, Ausbeutung der Arbeiter und Ungleichheit, so ist ihm nun vor allem die Klimaveränderung anzulasten. Die heutige wachstumsskeptische Kapitalismuskritik wäre – zumindest unausgesprochen – bereit, um der Rettung des Klimas willen eine Verarmung der Menschheit in Kauf zu nehmen.

    Was an diesem »ökologischen Calvinismus« (Peter Sloterdijk) erschreckt, ist der Umstand, dass alternative Strategien zur Linderung des Klimawandels kaum mehr in den Blick kommen oder als Ablenkungsmanöver diskreditiert werden. Das ist auch deshalb merkwürdig, weil gerade Sozialisten und Sozialdemokraten traditionell seit dem 19. Jahrhundert darauf insistiert haben, die ungewünschten Folgen des zivilisatorischen Fortschritt müssten mit Fortschritt und nicht mit Rückschritt bekämpft werden. Doch der »Homo Faber«, der Mensch, der die Zukunft mit Technik in Griff zu bekommen sucht, hat abgedankt. Die Asketen übernehmen die Macht. Radikale Askese mag religiös oder ethisch gesehen als Strategie der Reinigung, Konzentration und Achtsamkeit positiv gewertet werden – doch sie bleibt ein Weg des Rückschritts, nicht des Fortschritts. Fortschrittsverträglichere Maßnahmen gegen den Klimawandel wären dagegen institutionelle Änderungen (die CO2–Steuer oder die Ausweitung des Handels mit Verschmutzungsrechten), die über Anreize funktionieren, aber nicht über Verzichte und Verbote.

    Fortschrittsverträglichere Maßnahmen wären erst recht all jene sehr sinnvollen technischen Ideen zur Dekarbonisierung, etwa jene, Strom in großen Stil aus erneuerbaren Energien in Gas oder flüssigen Brennstoff umzuwandeln und damit transportabel zu machen. Mit solchen unter dem Namen Power-to-X diskutierten technischen Verfahren könnten Fahrzeuge zur Erde, zu Wasser und in der Luft klimaneutral betrieben werden.

    Der Einwand, solche ökonomisch-institutionellen und technisch-innovativen Konzepte dauerten viel zu lange, bis sie wirken, verfängt nicht wirklich: Er muss sich die Gegenfrage gefallen lassen, wie viel es wirklich bringt, wenn wir Deutschen alle am Ende nur noch Kartoffeln aus dem Garten essen und nie wieder von Frankfurt nach Berlin fliegen. Mag sein, dass es nötig ist, unser Leben zu ändern. Es hat den Menschen aber auch noch nie geschadet, sich etwas Neues einfallen zu lassen.

    Rainer Hank