Rainer Hank als Illustration

Hanks Welt

‹ alle Artikel anzeigen
  • 20. Oktober 2021
    Anreize zum Impfen

    Keine Angst vor der Spritze Foto CDC/unsplash

    Dieser Artikel in der FAZ

    Peitsche schlägt Zuckerbrot

    Meine zweite Corona-Impfung habe ich mir von meinem HNO-Arzt spritzen lassen. Vergangene Woche traf ich den Doktor und fragte ihn, wie viele Impfwillige derzeit durchschnittlich in seine Praxis kämen. »Praktisch keiner mehr«, antwortete der Arzt und berichtete von einem Patienten, den er als besonders klug beschrieb, der sich standhaft einer Impfung widersetze und sich zur Rückversicherung seiner Weigerung nächtelang in die Lektüre komplexer Studien vergrabe. Den Einwand des Arztes, angesichts der vielen erfolgreichen Impfungen hätte man wohl von gravierenden Nebenwirkungen gehört haben müssen, schlägt der Impfverweigerer in den Wind: »Die halten das alles unter Verschluss«, entgegnet er, wobei er mit »die« böswillige Regierungskreise meint.

    Der Fall lässt Zweifel aufkommen an der Behauptung unseres Chefvirologen Christian Drosten, die Impfbereitschaft sei eine Funktion des Bildungsgrads. Recht hat Drosten zweifellos, wenn er sagt, das Schließen der »Impflücke« sei das A und O der Pandemiebekämpfung. Wer sich impfen lässt, schützt seinen Mitmenschen und sich selbst. Wenn sich gut 80 Prozent der Bevölkerung über 12 Jahre impfen ließen, würden Covid-19 und seine Mutanten ihren Schrecken verlieren. Zu kooperieren ist sowohl altruistisch wie egoistisch gesehen ziemlich rational.

    Den Impfgegner meines HNO-Arztes wird man damit nicht erreichen. Er hat sich gegen die Logik der Kooperation immunisiert und bleibt ein kluger Tor. Offenbar führen Informationen nicht zu Verhaltensänderungen. Kein Wunder, dass in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, die Impfquote seit geraumer Zeit bei gut 60 Prozent stagniert. Die Erfahrung spricht indes dafür, dass die nicht Geimpften keine unbelehrbaren Hardcore-Widerständler sind. Zumindest die Hälfte der heute noch Ungeimpften könnte für die Spritze gewonnen werden. Doch wie?

    Wenn Aufklärungskampagnen nicht zum Erfolg führen, dann bringen Ökonomen gerne das Zauberwort »Anreize« ins Spiel. Anreize sind Signale, die außerhalb einer Person liegen. Sie wirken, indem sie Menschen zu einem bestimmten Verhalten veranlassen. Anreize können zwar keine Wunder bewirken, aber kooperatives Verhalten zum Nutzen aller in die Wege leiten und Trittbrettfahren weniger attraktiv machen.

    Man unterscheidet positive von negativen Anreizen. Im Deutschen geht es um Zuckerbrot (wer weiß eigentlich noch, was das ist?) oder Peitsche; im Englischen um »stick or carrot«. Seit sich die Impfzentren leeren, aber immer noch viele ungeimpft sind, wird ausprobiert, ob und wenn ja welche Anreize helfen. Dass die Impfgegner dies als »Impfpflicht durch die Hintertür« abtun, sollte man ihnen nicht durchgehen lassen. Anreize sind keine deterministischen Automatismen. Wer nicht will, braucht sich nicht pieksen zu lassen. Er muss freilich Nachteile in Kauf nehmen oder kann Vorteile nicht nutzen, kann womöglich nicht ins Restaurant, ins Kino oder zur Sonntagsmesse gehen.
    Mich interessiert, ob negative oder positive Anreize zielführender sind. Soll man Impfverweigerer bestrafen oder sie belohnen, damit sie sich umentscheiden? Oder sogar beides? Dafür bietet die Corona-Welt derzeit den Verhaltensökonomen frei Haus empirisches Material. Intuitiv würden viele Menschen die Belohnung der Bestrafung vorziehen. Das ist vermutlich eine der Pädagogik früherer Zeiten entstammende Präferenz: Dem Kind ist die Tafel Schokolade allemal lieber als die Tracht Prügel.

    Dass der Staat zur Belohnung fürs Impfen Geld in die Hand nimmt, ist dann gerechtfertigt, wenn dadurch höhere Pandemiekosten vermieden würden. Simulationen haben allerdings ergeben, dass es schon ziemlich viel Geld sein muss, bevor die Zauderer sich ins Impfzentrum bewegen. Zudem könnten Impfgegner sich bestätigt fühlen: Wenn der Staat eine Prämie aussetzt, wird womöglich an der Sache doch etwas nicht ganz koscher sein. Versuchspersonen in der Pharmaindustrie zahlt man ja auch Geld, um ein unsicheres Medikament an Mann und Frau zu bringen. Und schließlich könnten die freiwillig Geimpften es unfair finden, dass ihr kooperatives Verhalten nicht belohnt wurde, während ganz Clevere darauf spekulieren, die Prämie werde erhöht, wenn sie nur lange zuwarten.

    Vor- und Nachteile einer Impflotterie

    Eine ganze Reihe dieser Nachteile würde eine Impflotterie vermeiden, für die der Kölner Spieltheoretiker Axel Ockenfels gewisse Sympathien hegt: Alle Bürger nehmen automatisch an der Lotterie teil. Die ausgelosten Gewinner erhalten einen Geldpreis – aber nur dann, wenn sie bereits geimpft sind. Das Design dieser Lotterie macht sich die verhaltensökonomische Einsicht zunutze, dass Menschen Verluste schlimmer finden als Gewinne: Wer sich nicht impfen lässt, dem könnte ein beträchtlicher Geldbetrag entgehen. Ockenfels bezweifelt jedoch, ob mit Lotterien viel zu machen wäre. Daten aus den USA legen nahe, dass der Effekt auf die Impfquote gering und nur von kurzer Dauer ist. Auf Dauer nützt sich »Nudging« (»schubsen«) ab.

    Hinzu kommt ein grundsätzlicher Einwand gegenüber Belohnungen, auf den mich der Bonner Verhaltensökonom Matthias Sutter aufmerksam macht: Der Mensch, wie er nun mal so ist, gewöhnt sich an die Belohnungen und nimmt sie irgendwann als selbstverständlich (und verdient) wahr. Damit Belohnung wirkt, muss sie ständig eingesetzt werden (was sehr kostspielig ist) und sie müsste sogar gesteigert werden, um den gleichen Effekt zu behalten, weil sich die Leute daran gewöhnen. Das verbraucht am Ende ganz schön viele Karotten. Wenn wir in der Zukunft in eine Situation kommen, wo wir alle sechs bis neun Monate eine Auffrischungsimpfung brauchen, könnte Belohnung langfristig schlecht wirken und zugleich teuer werden.

    Von Bestrafung dagegen versprechen sich die Ökonomen deutlich bessere Verhaltensänderungen. Um den Anschein der harten Peitsche zu mildern, sprechen die Wissenschaftler von »altruistic punishment«, womit die freundliche Abmahnung im Interesse der Allgemeinheit gemeint ist. Der Vorteil der Bestrafung gegenüber der Belohnung besteht darin, dass das Damoklesschwert der Strafe auch schon ohne seine Anwendung eine abschreckende Wirkung entfaltet: »Und bist Du nicht willig!« In den Laborversuchen der Wissenschaftler bestrafen die Versuchspersonen ihre Mitspieler nur sehr, sehr selten, es genügt ihnen, die Option zu haben, das Verhalten durch Strafen in die »richtige« Richtung lenken zu lenken, berichtet Sutter.

    Das Ergebnis ist wenig schmeichelhaft für die menschliche Natur: Eine Bestrafung wirkt effizienter als eine Belohnung. Schon ihre Androhung macht gefügig. Wer nicht geimpft ist und deshalb in Quarantäne muss, steht künftig ohne Lohn und Gehalt da. Das ist bislang die teuerste Peitsche, die der Staat schwingt. Zusätzlich könnte man die Tests verteuern oder 2G statt 3G zur Zutrittsschranke im öffentlichen Leben machen. Wenn die Anreiztheorie Recht hat, müsste dann die Impfquote hoch gehen.

    Rainer Hank