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  • 30. August 2021
    Anleitung zum Enteignen

    Kein Respekt vor dem Eigentum Foto: Initiative Deutsche Wohnen enteignen

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wie man mit Immobilienhaien und Spekulanten umgeht

    Am 26. September wählen die Deutschen einen neuen Bundestag. Die Berliner, bei denen gleichzeitig ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird, haben sich an diesem Tag ein besonderes Experiment vorgenommen: Sie stimmen ab über die Initiative »Deutsche Wohnen enteignen«. Immobilieneignern, die mehr als 3000 Wohnungen in ihrem Bestand haben, soll ihr Eigentum konfisziert werden.

    Mit der Vergesellschaftung wollen die Initiatoren der Aktion Wohnungen der Spekulation entziehen. »Keine fette Dividende mehr für Aktionär:innen, die aus unseren Mieten bezahlt werden muss.« Künftig soll Wohnraum gemeinnützig in einer Anstalt des öffentlichen Rechts (also eine Art »Wohn-ARD«) verwaltet werden.

    Das alles sollte man nicht als Schrulle antikapitalistischer Splittergruppen abtun. Nach einer Umfrage des Berliner »Tagesspiegel« bekommt die Enteignungsinitiative eine relative Mehrheit: 47 Prozent der im April Befragten äußerte sich zustimmend, 44 Prozent waren dagegen, rund zehn Prozent zeigten sich unentschieden. Selbst unter potenziellen CDU-Wählern votierte ein Drittel dafür, den Eigentümern ihr Eigentum wegzunehmen. Für den Schutz des Privateigentums legt sich laut einer neuen Analyse des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut HWWI keine Partei ins Zeug.

    Für Enteignungen gibt es sogar eine verfassungsmäßige Grundlage. Im Grundgesetz (GG) steht nicht nur der berühmte Artikel 14 »Eigentum verpflichtet«, sondern auch Artikel 15: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum überführt werden.« Das Land Berlin, so eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, müsste die »Sozialisierungreife« der Wohnungen feststellen und die Entschädigungsfrage regeln. Da liegen die Vorstellungen zwischen 40 Milliarden Euro (so der Berliner Senat mit Bezug auf den Verkehrswert) und einem symbolischen Euro (so die Radikalenteigner) derzeit noch weit auseinander. Am Ende würde man sich nach aufwändigen gerichtlichen Streitereien schon irgendwo in der Mitte einigen.

    Die »Aktion Rose« auf Rügen 1953

    Breite Zustimmung, verfassungsrechtliche Grundlage – fehlt nur noch das historische Vorbild. Vergesellschaftungen dieses Ausmaßes habe es bislang noch nicht gegeben, heißt es. Die Auskunft ist nicht korrekt. Es stimmt, Artikel 15 GG wurde in der Bundesrepublik noch nicht angewandt. Die DDR hingegen hat in ihrer Geschichte beherzt und im großen Stil vergesellschaftet. Berühmt geworden ist die »Aktion Rose« im Januar 1953. Damals wurden private Gaststättenbetreiber- und Hoteliers, aber auch Fischräuchereien, Taxiunternehmer und Lebensmittelhändler enteignet. Die Aktion war von der SED Staats- und Parteiführung initiiert, konzentrierte sich auf den Ostseebereich, und dort insbesondere auf die Insel Rügen. Ziel war die flächendeckende Enteignung der kapitalistischen Betriebe auf dem Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft.

    Warum gerade die Ostsee und Rügen? Dazu hat der auf Rügen lebende Historiker Reinhard Piechocki geforscht. Walter Ulbricht soll sich bei einem Besuch auf der Insel darüber geärgert haben, dass es noch so viele Privathotels und Pensionen gab. Darüber hinaus beschwerte sich der Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes FDGB immer wieder bei den SED-Funktionären, wenn ihm Hotelbesitzer einen Vertrag verweigerten, weil es lukrativer war, Privatgäste einzuquartieren.

    Seit Ende 1952 bereitete deshalb die Führung in Berlin eine Aktion vor, durch die mit einem Schlag private Hotels und Pensionen enteignet und dem FDGB-Feriendienst übertragen werden sollten. Das »bürgerliche Privileg einer Urlaubsreise« sollte ersetzt werden durch die Idee »Urlaub für alle«. Die »Aktion Rose« begann am 10. Februar 1953. Es nahmen 400 Volkpolizisten teil. Laut Einsatzprotokoll sangen sie auf dem Weg ins Einsatzgebiet revolutionäre und Heimatlieder: »Jeder Einzelne war davon überzeugt, dass er bei diesem Einsatz einen persönlichen Anteil bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR leistet«, so das Protokoll. Innerhalb eines Monats wurden 440 Hotels, Pensionen und Restaurants in das Volkseigentum der DDR überführt, deren Besitzer enteignet und 447 von ihnen festgenommen. Was 1953 nicht enteignet wurde, wurde spätestens 1972 zwangskollektiviert.

    Life, liberty and property

    Die »Aktion Rose« ist im Westen kaum bekannt. An der Ostseeküste hat sie sich bis heute tief in die kollektive Erinnerung eingebrannt. In Kasnevitz, einem Dorf bei Putbus auf Rügen, war ich am vergangenen Wochenende Zeuge eines Gesprächs im neuen Dorfgemeinschaftshaus, das das Schicksal des angesehenen und erfolgreichen Händlers Werner Coordt zum Thema hatte, den das Regime 1953 drei Monate in Haft setzte und sein Geschäft enteignete. Seine Witwe, ehemalige Mitarbeiter und Dorfbewohner erinnerten sich jetzt in vielen Detail, wie solche Aktionen dazu angetan waren, die Menschen einzuschüchtern, privates Unternehmertum auszumerzen und Risikobereitschaft zu bestrafen. Zentral geplante Mangelwirtschaft ersetzte die Markt-Findigkeit von Händlern und Hoteliers, die die Bedürfnisse ihrer Kunden und Gäste genau kannten.

    Die DDR war ein Unrechtsstaat, die Bundesrepublik ist ein Rechtsstaat. Die Berliner Enteignungsinitiative ist ein demokratischer Vorgang. Wenn die Deutschen mehrheitlich mit dem Sozialismus flirten wollen, sollen sie ihn bekommen. 1953 war »Urlaub für alle« das Motto der Enteignung. Heute heißt es »Wohnraum für alle«. Ist es weniger schlimm börsennotierte Konzerne zu enteignen als kleine Pensionsbesitzer? Ich finde nicht: Enteignung ist Enteignung. Auch der Großkonzern hat Kleinaktionäre.

    Die marktwirtschaftliche Erfahrung, dass der Eigennutz des Eigentümers die Voraussetzung für Nutzen des Kunden ist, schwindet, was auch damit zu tun hat, dass sich der Wert vieler Immobilien ohne Engagement und Investitionen der Eigner in den vergangenen Jahren sehr vergrößert hat. Das mag ein Grund dafür sein, dass die Leute finden, Gemeineigentum sei besser als Privateigentum.

    Dass ohne den Schutz des Privateigentums die Marktwirtschaft nichts wert ist, gerät in Vergessenheit. Für den englischen Aufklärungsphilosophen John Locke (1632 bis 1704) sind »life, liberty and property« (Leben, Freiheit, Eigentum) unveräußerliche Rechte, die jedermann zustehen und die der Staat zu schützen und nicht zu zerstören hat. Im Zuge des derzeit modischen Antikolonialismus ist nun auch John Locke und das Privateigentum unter schweren Beschuss geraten als Ideologie des imperialen Rassismus zur Versklavung der amerikanischen Ureinwohner und deren Utopie des Gemeineigentums.

    Besser wäre es, das Wohnproblem anstatt mit Sozialismus konsequent kapitalistisch zu bekämpfen: Mehr bauen, höher bauen, günstiger bauen. Doch das könnte den Sozialisten ihre Aussicht versperren

    Rainer Hank