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  • 18. Mai 2019
    Nichts gegen die schwäbische Hausfrau!

    Die Schwäbische Hausfrau, immer sparsam und arbeitsfreudig

    Dieser Artikel in der FAZ

    Sie weiß: Schulden machen ist eine gefährliche Sache

    Jetzt geht es der schwäbischen Hausfrau an den Kragen. Sie wenigsten hatte – obzwar längst nicht mehr real existierend – in der Fiskalpolitik als Inbegriff der Tugendhaftigkeit bis zuletzt ihren Stammplatz verteidigt. Berühmt wurde der Satz einer Pflaumenkuchen backenden Uckermärkerin: »Man muss einfach die schwäbische Hausfrau fragen. Sie kennt die Lebensweisheit: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.«
    Also sprach die deutsche Kanzlerin und ihr Wort sollte grundgesetzlich wahr werden: Als sogenannte Schuldenbremse. Seit einigen Jahren gibt der Staat nur aus, was er vorher über die Steuern seiner Bürger eingenommen hat. Gleichzeitig schrumpfte die Schuldenquote von einstmals über 80 auf inzwischen nur noch knapp 60 Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt), ein Wert, der bekanntlich die Maastricht-Obergrenze bildet, aber von kaum einem Euroland eingehalten wird. Absolut gesehen sind das immer noch 1,9 Billionen Euro, mit denen die Deutschen bei ihren Gläubigern in der Kreide stehen. Getrost darf sich der Respekt vor der Tugendhaftigkeit deutscher Politiker in Grenzen halten: Angesichts staatlicher Rekordeinnahmen, die auf dem wirtschaftlichen Erfolg deutscher Steuerbürger fußen, ist Sparsamkeit keine große Kunst. Und angesichts niedriger Zinsen bei ordentlichem Wachstum schrumpft die Schuldenquote auch ohne Tugendanstrengung ganz von alleine.

    Solch komfortable Situationen machen übermütig. Und drohende Konjunkturschwächen machen zugleich erfinderisch. Kein Wunder, dass seit einigen Wochen durchaus vernünftige Ökonomen uns weismachen wollen, Schulden seien besser als ihr Ruf. Mehr noch: Sie sagen, in Wirklichkeit seien nicht die Schulden gefährlich, sondern die Schuldenbremse. Die Zwangsdisziplin der öffentlichen Finanzen verhindere nämlich, dass der Staat ordentlich investiere – in Schulen, Brücken und den flächendeckenden Ausbau des 5G-Netzes bis an jede Milchkanne. Wenn die Angst vor den Funklöchern nicht hilft, dann fruchtet am Ende garantiert die Drohung mit China: Dort gebe es einen zentral planenden Staat, der mit Milliardenausgaben nicht kleckert, sondern klotzt, während hierzulande die schwäbischen Hausfrauen in den Finanzministerien keinen Cent rausrücken. Politiker hören so etwas gerne: Ein Leben auf Pump als Kompensation schrumpfender Steuereinnahmen macht ihnen gute Laune – das Ganze abgesegnet von gut beleumundeten Makroökonomen einer jungen Generation, denen Staatsskepsis als altmodisch gilt. Lange haben sich Politiker über nörgelnde Volkswirte geärgert; die neue Generation der Makros unterstellt ihnen nur Gutes.

    Gefährlich neue ökonomische Theorien

    Und die schwäbische Hausfrau? Die habe ausgedient, sagen die neuen Ökonomen. Denn wir sehen ja: die Schulden verschwinden fast von alleine, ohne dass den Bürgern eine Rechnung des Finanzministers ins Haus geflattert wäre. Das soll heißen: Das alte fiskalpolitische Dogma, wonach die Schulden von heute die Steuern von morgen sind, hat seine Gültigkeit verloren. Werft das Geld mit Freude raus, um die Rückzahlung kümmert sich das Wirtschaftswachstum und die Geldpolitik, die die Zinsen niedrig hält. Hilfsweise wurde dazu eine schicke Theorie erfunden, die sich »Moderne Geldtheorie« nennt (»Modern Monetary Theorie« oder kurz MMT), deren Lehre – leicht überspitzt – heißt: Wozu braucht der Staat Steuern, wenn er ihm gewogene Notenbanken hat, die ihn finanzieren, indem sie seine Staatsanleihen kaufen und Schuldenkrisen von vornherein verhindern. Was zur Rettung des Euro funktioniert hat (genannt »Quantitative Easing«, kurz QE) soll zum Normalfall werden. Früher hätte man gesagt, eine expansive Geldpolitik im Dienste der Fiskalpolitik führe zur Inflation der Güter-, Aktien- oder Immobilienpreise. Solche Einwände dienen heute allenfalls noch pflichtschuldig als Zitat, um sich dann wieder in der schönen neuen Welt des staatlichen Geldausgebens zu vergnügen.

    Also alles prima im neuen Schuldenland? Ich bleibe skeptisch und altmodisch. Gewiss, Schulden sind nicht per se von Übel. Wenn die schwäbische Hausfrau nebenbei als Unternehmerin arbeitet, dann wird sie ihre Investitionen mit Krediten finanzieren: das spornt sie an, Gewinne zu machen, mit denen sie die Schulden tilgen kann und trotzdem am Ende noch etwas übrig hat. Der Staat aber hat keinen Ansporn zur Schuldentilgung – es sei denn, die Verfassung verpflichtet ihn dazu. So sympathisch die Rebellion der neuen Ökonomen daherkommt – das Plädoyer für den staatlichen Pumpkapitalismus ist politisch, psychologisch und historisch naiv. Und auch ein bisschen gefährlich.
    Beginnen wir mit dem politökonomischen Einwand: Misstraut den Politikern, wenn sie mit Verweis auf das Gemeinwohl oder für spätere Generationen sich lohnende Investitionen Geld ausgeben, das ihnen nicht gehört! Staatsskepsis bleibt auch heute ein guter Rat. Der Staat ist nicht willensschwach, er handelt sogar rational – und genau das ist gefährlich: Wenn er vorgibt, Gutes zu tun, will er dafür mit Wählerstimmen belohnt werden. Ob die Zinsen immer so niedrig bleiben wie heute, das ist weder gewiss, noch wünschenswert: Die Sparer jedenfalls sind alles andere als angetan, wenn der Staat sie weiterhin kurz hält, um sich selbst schmerzfrei zu entschulden und seine Ausgabenwünsche zu befriedigen. Lieber als mit den neuen Makroökonomen halte ich es mit dem Aufklärungsphilosophen David Hume, in dessen Essay »Über Staatskredit« zu lesen ist: »Für einen Minister ist es verführerisch, die Staatsschulden zu nutzen, um den großen Mann zu spielen, ohne das Volk mit Steuern zu überladen oder eine sofortige Unzufriedenheit gegen sich zu erregen. Die Praxis des Schuldenmachens wird fast unfehlbar von jeder Regierung missbraucht.« Daran hat sich bis heute nichts geändert.

    Schulden beschädigen Schuldner und Gläubiger

    Der psychologische Einwand gibt zu bedenken, dass Schuldner-Gläubiger-Verhältnisse in schlechte Abhängigkeit führen und den Charakter beider beschädigen. Der Schuldner entledigt sich der Verantwortung für seine Ausgabenwünsche und begibt sich in die Hände des Gläubigers. Geber und Nehmer begegnen sich nicht mehr auf Augenhöhe. Der Max-Planck-Ökonom Kai Konrad forscht seit langem über solche destruktiven Schuldverhältnisse und verweist als Beispiel auf den Konflikt zwischen West und Ost in Deutschland: Der Schuldner (Ost) sieht sich als »Opfer« der Gläubiger (West), die ihrerseits ihn bloß als »Nutznießer« seiner Kredite wahrnehmen. Langfristig tut das niemand gut, nährt Ressentiment und linken wie rechten Populismus. Das schließlich führt zum historischen Einwand: Wer sich als Staat zu hoch verschuldet und die Zahllast auf andere abwälzt, kann es sich in der Schuldenfalle bequem machen und sich am Ende von den Gläubigern »retten« lassen. Das nennen die Gläubiger »Erpressung«, die Schuldner schimpfen über »Austerität«. Allemal sind die Beziehungen auf lange Zeit zerrüttet. Austeritätsregime gehen in der Geschichte stets Hand in Hand mit politischer Instabilität. Zum Beweis genügt ein Blick nach Italien.

    Was soll ich sagen: Nicht nur aus Heimatliebe bleibe ich ein Freund der schwäbischen Hausfrau. Wir sollten ihre Tugendhaftigkeit bewundern und sie nicht aus einer makroökonomischen Laune heraus aufs Altenteil schicken.

    Rainer Hank