Rainer Hank als Illustration

Hanks Welt

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  • 10. Mai 2019
    Marktwirtschaft gehört nicht ins Grundgesetz

    Wozu braucht man das Grundgesetz?

    Dieser Artikel in der FAZ

    Denn dann gäbe es hierzulande plötzlich viele Verfassungsfeinde

    Das ökonomische und moralische Grundprinzip des Marktes lautet: Wir sind nicht auf Wohlwollen, Nächstenliebe oder Mitleid des Bäckers, Metzgers oder Hausbesitzer angewiesen, wenn wir Brötchen, Leberwürste oder Mietwohnungen begehren. Es ist in unser aller Interesse, auf das Profitinteresse des Kapitalisten zu setzen anstatt auf seine Menschenfreundlichkeit. Denn das garantiert, dass er uns aus Eigeninteresse Brötchen, Würste und Wohnraum bietet. Noch besser ist, wenn es in einer Stadt nicht nur einen, sondern mehrere Bäcker, Fleischer und Immobilieneigentümer gibt: der Wettbewerb unter ihnen garantiert, dass Waren und Dienstleistungen für uns Menschen tendenziell besser und billiger werden. Wer sich vom Gemeinwohl abhängig macht, liefert sich der Gnade anderer aus oder der Diktatur von Kevin Kühnerts & Co. Wer auf Eigenliebe baut, tritt anderen frei und gleichberechtigt gegenüber. »Nur ein Bettler zieht es vor, hauptsächlich vom Wohlwollen seiner Mitbürger abzuhängen«, heißt es bei Adam Smith.
    Adam Smith hat Recht. Das lehrt die theoretische Vernunft und der praktische Erfolg der Marktwirtschaft, die unseren Wohlstand sichert und mehrt. Viele Menschen in Deutschland (und anderswo) sehen das anders. Sie finden es nicht in Ordnung, dass Immobilienbesitzer mit dem Wohnraum anderer Menschen ihren Lebensunterhalt bestreiten und Fabrikbesitzer (Aktionäre) aus dem Verkauf von Autos für sich Profit ziehen. Adam Smith ist nämlich anstößig und entzieht sich bei vielen einer Prima-Facie-Plausibilität. Umfragen zeigen, dass die Menschen in Deutschland auch 70 Jahre nach dem genialen Ludwig Erhard bis heute mit der sozialen Marktwirtschaft stark fremdeln – im Osten mehr noch als im Westen, aller Freiheits- und Wohlstandsgewinne seit der Wiedervereinigung zum Trotz. Selbst die affirmativen Aussagen zur Sozialen Marktwirtschaft sind mit Vorsicht zu genießen: Die Leuten denken dabei nicht an das für alle Menschen segensreiche Profitinteresse des Kapitalisten, sondern an die sozialpolitische Umverteilungsmaschine des Staates. Kurzum, sie verwechseln die soziale Marktwirtschaft mit einer milden Form des Sozialismus – und finden das auch noch gut.

    Wie also soll man die Akzeptanz der Marktwirtschaft fördern, wo zwar ihre Erfolge evident und ihre Alternativen (DDR, Venezuela, Kuba, Nordkorea) kaum überzeugend sind, die Widerstände gegen den Markt aber gleichwohl sich hartnäckig halten? Unzählige Aktionsgemeinschaften, Initiativen etcetera machen es sich seit Jahren zur Aufgabe, mit Eselsgeduld für die Marktwirtschaft zu werben, nicht zuletzt in den Schulen, wo nach wir vor der Einfluss linker Sozialkundelehrer dominiert. FAZ und FAS tuten seit ihrer Gründung ebenfalls in das marktwirtschaftliche Horn. Aber die Sache bleibt mühsam.
    In der vergangenen Woche gab es nun eine von dem Münsteraner Ökonomieprofessor Ulrich van Suntum angeschobene Debatte, die Soziale Marktwirtschaft – passend zum siebzigjährigen Jubiläum – in das Grundgesetz (GG) zu schreiben. Van Suntum will den unseligen Artikel 15 der Bonner Verfassung streichen, der die Möglichkeit der Vergemeinschaftung von Grund, Boden und Produktionsmitteln vorsieht. Stattdessen soll dort eine positive Verpflichtung auf die Marktwirtschaft stehen: »Bund, Länder und Kommunen sind in ihren wirtschaftspolitisch relevanten Entscheidungen und Maßnahmen grundsätzlich den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet.« Dem Aufruf haben sich eine Reihe prominenter Ökonomen angeschlossen, darunter der neue Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Gabriel Felbermayr und die früheren Chefs des Ifo-Instituts und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Hans-Werner Sinn und Klaus F. Zimmermann. Die Argumente: Gerade weil das Bewusstsein dafür zu verblassen droht, in welchem Maße Wohlstand und Freiheit von der Sozialen Marktwirtschaft geprägt wurden und jene Generation langsam ausstirbt, die diese Erfahrung selbst gemacht hat, gehöre die Soziale Marktwirtschaft in der Verfassung verankert. Auf der Internetplattform des Ökonomen Carl Christian von Weizsäcker wird darüber nun seit Tagen mit guten Pro- und Contra-Argumenten debattiert.

    Der Bart ist dran

    Die Debatte verdient breit und über den akademische Zirkel hinaus geführt zu werden. Tatsächlich verhält sich das Grundgesetz zur Frage der Wirtschaftsordnung neutral. Von Marktwirtschaft ist dort nirgends die Rede, wohl aber – dem antikapitalistischen Geist der späten vierziger Jahre entsprechend – von Gemeinwirtschaft. Implizit aber werden im GG die institutionellen Grundpfeiler einer Marktwirtschaft – Privateigentum und persönliche Freiheitsausübung – ausreichend gestärkt. Erst Artikel 3 des 2009 in Kraft getretenen Lissabon-Vertrags verpflichtet die Mitgliedsländer der Europäischen Union auf das Ziel der »sozialen Marktwirtschaft«. Ein entsprechender GG-Artikel würde hieran anschließen.
    So wichtig es ist, die himmelhohe moralische und ökonomische Überlegenheit des Profitstrebens zu verteidigen, so problematisch finde ich die Idee, die Verpflichtung auf eine bestimmte Wirtschaftsordnung in die Verfassung zu schreiben. Sollten die Deutschen ein Parlament wählen (vielleicht reicht dafür schon Rot-rot-grün?), das es den Unternehmen hierzulande verbietet, Profite zu machen, wäre das eine Dummheit sondergleichen, für die das Volk den Preis seiner Verelendung zahlen müsste. Aber Demokratien sind darin frei, mit Mehrheiten dummes Zeug zu beschließen. Das kann und sollte ihnen ihre Verfassung nicht untersagen. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an Zeiten, in denen ein unguter Meinungsterror alle öffentlichen Aussagen darauf abgeklopft hat, ob sie der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (kurz: FDGO) widersprechen könnten. Eine marktwirtschaftliche Gesinnungsprüfung ist einer freien Gesellschaft unwürdig. Am Ende würden breite Bevölkerungskreise von Karlsruhe als antimarktwirtschaftliche Verfassungsfeinde geoutet – und Kevin Kühnert ginge als Märtyrer für den Sozialismus in die Geschichte ein. Das hilft der Marktwirtschaft nicht. Und liberal ist es obendrein auch nicht. Wenn die Marktwirtschaft im GG aber gar nicht so streng gemeint sein soll, wie Adam Smith sie gedacht hat, dann bleibt alles hübsch unverbindlich – und die Verfassungsänderung kann man sich schenken.

    Der Bart ist ab

    So wirkt der Einfall, die Marktwirtschaft in den Verfassungsrang zu hieven, am Ende eher hilflos: Eine nachvollziehbare Aktion von Intellektuellen in der Tradition von Platons Philosophenregierung, die kontraproduktiv ausgehen könnte. Müsste sie nicht das Vorurteil nähren, die deutschen Ordnungspolitiker seien habituell dogmatisch und wollten ihr Besserwissen (nichts anderes als eine Form »anmaßenden Wissens«) aus Schwachheit nun sogar in die Verfassung heben? Man kann nicht alles, was einem an linken und rechten Populismus missfällt, unter dem Label »Selbstbindung« von der Verfassung verbieten lassen. Verfassungen setzen der Willkür demokratischer Mehrheiten Grenzen der Unverfügbarkeit. Das ist gut. Man sollte sie nicht autoritär überfrachten.

    Rainer Hank