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  • 25. August 2022
    Himmelfahrts-Ökonomie

    Die Muttergottes auf dem Weg in den Himmel Foto katholisch.de

    Dieser Artikel in der FAZ

    Sind christliche Feiertage noch zeitgemäß?

    Vergangene Woche, am 15. August, war das Fest Mariä Himmelfahrt. Wer an diesem Tag in Italien, Österreich oder Oberbayern weilte, konnte sehen: Die Arbeit ruht, die Geschäfts sind geschlossen. In Italien gilt »Ferragosto« als einer der höchsten Feiertage des Jahres, den die Menschen mit Familie oder Freunden am Meer oder in den kühlen Bergen verbringen.

    Ich war an Mariä Himmelfahrt in Wolfegg, einem wunderschönen Flecken im schwäbischen Allgäu (inklusive Schloss, Kirche und Biergarten). Dort ist kein Feiertag, obwohl die Leute genauso (wenig) katholisch sind wie im wenige Kilometer entfernten bayerischen Allgäu, wo der Feiertag den Menschen ein verlängertes Wochenende beschert hat.
    In Zeiten, in denen sogar die Bedeutung von Ostern oder Weihnachten nicht mehr geläufig ist, kann womöglich etwas Nachhilfe in Sachen Volksfrömmigkeit nicht schaden. In der Bibel findet sich kein Hinweis darauf, dass Maria, die Mutter Gottes, in den Himmel aufgefahren ist. Doch schon die frühe christliche Theologie war der Meinung, dass Maria wegen ihrer besonderen Beziehung zu Christus als »Ersterlöste« leiblich in den Himmel aufgenommen wurde. 1950 hat dann ein Papst den frommen Glauben offiziell zum Dogma erhoben. Dogma bedeutet: Wer katholisch ist, von dem wird erwartet, dass er an die Himmelfahrt Mariä glaubt.

    Rund um das Fest hat sich im Lauf der Jahrhunderte ein ganzer Kranz von frommen Bräuchen entwickelt: Man sammelt Kräuter und Blumen auf den Feldern – sieben sollten es schon sein -, lässt diese gebunden als »Weihbüschel« vom Priester im Gottesdienst am Festtag segnen, trocknet sie zuhause und baut auf ihre Hilfe, wenn Unbilden drohen: Bei Krankheit von Mensch und Vieh sollen die Kräuter heilen, auch zur Abwendung von Blitz und Donner wird ihnen Wirkung zugesprochen getreu dem Dreisatz: Wachstum fördern, Krankheit abwehren, Geister vertreiben.

    Trittbrettfahrer religiösen Brauchtums

    Es ist vermutlich nicht schwer nachzuweisen, dass die Zahl jener Menschen, die die Bedeutung des Festes kennen und gar an das Dogma und die heilende Wirkung der Kräuter glauben, ziemlich überschaubar geworden ist. Man könnte sich (nicht nur für Himmelfahrt) fragen, ob es in Ordnung ist, dass wir an Feiertagen frei bekommen, deren Grund und Anlass uns schnuppe ist – eine Art von Trittbrettfahrerei oder parasitärer Anlehnung an religiöses Brauchtum und Tradition. Auf die Idee, das Recht auf Inanspruchnahme kirchlicher Feiertage von der Glaubensüberzeugung abhängig zu machen, sind freilich noch nicht einmal die Kirchen gekommen.

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund Mittelfranken hat jetzt immerhin gefordert, Mariä Himmelfahrt für alle Menschen in Bayern zum Feiertag zu machen: Einen Feiertag auf Basis der Religionszugehörigkeit zwischen Gemeinden unterschiedlich zu behandeln, sei nicht mehr zeitgemäß, wenn immer weniger Menschen die christliche Religion hätten. Da kann man nur sagen, die Gewerkschaften haben den Festtagsbraten gerochen. Ob Mariä Himmelfahrt in einer bayrischen Gemeinde Feiertag ist, hängt davon ab, ob die Bevölkerung überwiegend katholisch ist, was sich ausschließlich darauf bezieht, ob es dort mehr Katholiken als Protestanten gibt. Wenn angenommen in einer Gemeinde mit hundert Bürgern zwanzig Protestanten und fünfzehn Katholiken leben, fällt der Feiertag aus. Merkwürdig, oder?

    Das lässt sich generalisieren. Der Föderalismus christlicher Feiertage (also Allerheiligen bei den Katholiken, Reformationstag bei den Protestanten) setzt eine geschlossen christliche, wenngleich konfessionell gespaltene Gesellschaft voraus, die noch dazu stabil, also wenig mobil ist. Mithin die Welt von gestern. Inzwischen bekennen sich weniger als die Hälfte der Deutschen zu einer der beiden Konfessionen und selbst die – siehe oben – wissen mit dem Sinn der Feste wenig anzufangen.

    Daraus kann man theoretisch drei unterschiedliche Schlüsse ziehen. Der erste wäre die Radikalisierung des Vorschlags der Gewerkschaftler aus Mittelfranken: Gewährt allen Deutschen ein gesetzliches Recht auf alle christlichen Feiertage! Der Vorschlag würde vermutlich bei jeder Volksabstimmung eine Mehrheit bekommen. Derzeit gibt es je nach Bundesland (oder Gemeinde) zwischen neun und vierzehn freie Tagen. Gelten alle Feiertage überall, käme man auf die Zahl von sechzehn, bei Wiedereinführung des Buß- und Bettages sogar auf siebzehn. Dann wären wir weltweit Feiertagsweltmeister.

    Sedantag und Veggy Day

    Ähnlich radikal, nur in Gegenrichtung, könnte man für die Abschaffung (fast) aller Feiertage plädieren. Wo kein Christentum mehr, da kein christlicher Feiertag! Übrig blieben dann nur noch der Neujahrstag am 1. Januar, der Tag der Arbeit am 1. Mai (inzwischen wie die christlichen Feste ziemlich blass) und der 3. Oktober (Tag der Deutschen Einheit), der freilich im Vergleich etwa zu Mariä Himmelfahrt bislang leider kein Brauchtum hat (analog zur Kräuterweihe). Das wäre womöglich ein Vorschlag nach dem Geschmack der Arbeitgeberverbände zur Output-Verbesserung am Standort Deutschland, könnte freilich von den Gewerkschaften kassiert werden mit dem Argument, dass das im Ländervergleich bestplatzierte Bundesland (gemessen an Prokopf-BIP, Verschuldung, Beschäftigung) ausgerechnet Bayern ist, wo es die meisten Feiertage gibt.
    Eine dritte Idee müsste man als säkulare Kompensationsidee vermarkten. Anstatt der obsolet gewordenen christlichen Feiertage, könnte man die Einführung »fortschrittlicher« Feste durchzusetzen suchen. Hier ist Berlin mit dem »internationalen Frauentag« am 8. März VorreiterIn. Aus der DDR importiert wäre der »Tag des Kindes« am 1. Juni arbeitsfrei zu stellen. Und wenn die Grünen Mumm hätten, würden sie angesichts der zugespitzten Klimakrise noch einmal den Veggie Day ins Gespräch bringen (einmal im Jahr für den Anfang), am besten an einem Freitag im Anschluss an die fleischlose Tradition der Katholiken (bei uns gab es da immer Spinat). Zu reden wäre über »Halloween« am 31. Oktober, aber das ist ein US-Import und letztlich auch wieder ein christliches Fest, der Abend vor Allerheiligen eben.

    Und nun? Ich jedenfalls plädiere am Ende dieser Gedankenspiele dann doch für den Beibehalt des Status quo. Lieber christliche Feiertage, deren Inhalte verblasst sind (aber irgendwie die Erinnerung an eine Welt vor ihrer rationalen Entzauberung wachhalten), als ideologisch aufgeladene Feiertage (früher gab es den Sedantag, heute den Frauentag). Paradoxerweise war Mariä Himmelfahrt ursprünglich selbst ein ideologisches Fest: Die Christen usurpierten die im römischen Reich Mitte August gefeierten dreitägigen »feriae Augusti« (daher »Ferragosto«), die Feiertage des Augustus, zur Erinnerung an dessen Sieg über Antonius und Cleopatra bei Actium.

    Rainer Hank