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  • 17. November 2020
    Herbert Grönemeyer und die Reichen

    Herbert Grönemeyer Foto Wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Früher systemkritisch, heute systemrelevant

    Einen groben Gedanken in eigener Sache, nennt der Sänger Herbert Grönemeyer seinen Vorschlag einer Solidaritätssonderzahlung der Vermögenden in Zeiten von Corona. Das geht so: Die Wohlhabenden erklären sich bereit zu einer zweimaligen Sonderzahlung von Beträgen zwischen 50 000 und 150 000 Euro. Als »wohlhabend« definiert Grönemeyer die 1,8 Millionen Vermögensmillionäre in Deutschland. Verhalten sich alle »solidarisch« und zweigen von ihrer Habe einen mittleren Betrag ab, so kommen ad hoc circa 200 Milliarden Euro jährlich zusammen. Was mit dem Geld passieren soll, wie es verteilt wird, wer alles sich zu Künstlern und Komparsen zählen darf, mit solchen Nebensächlichkeiten hält der Barde aus Bochum sich nicht weiter auf. Ihm reicht zur Begründung des neuen Corona-Solis der Verweis auf die Familienähnlichkeit unserer Gesellschaft – Brüder und Schwestern in einem guten Land halten zusammen, der reiche Onkel alimentiert die arme Nichte.

    Weil Grönemeyer aus guten Gründen seinem Appell an die Freiwilligkeit nicht traut, folgt der Ruf nach dem Staat auf dem Fuße: Die von der Merkel-Regierung angebotene einmalige Kompensation von 75 Prozent des durchschnittlichen Vorjahresumsatzes für den Monat November 2020 reiche bei weiten nicht aus. Das Mindeste, so Grönemeyer, wäre eine dauerhafte monatliche Grundsicherung für die Künstler. Schließlich leiste der Kulturbetrieb viel für den Zusammenhalt der Gesellschaft und habe in Vor-Corona-Zeiten üppig Steuern an das Gemeinweisen abgeführt.

    Nun ist es schon ein wenig putzig, wenn »der kommerziell erfolgreichste Musiker Deutschlands« (Wikipedia) und mutmaßliche Mehrfachmillionär Grönemeyer sich als Verfasser von öffentlichen Corona-Bettelbriefen profiliert. Mit Sicherheit gehört er selbst zu den Corona-Profiteuren. Sein jüngstes Album »Tumult«, das ich beim Schreiben dieser Kolumne gerne gestreamt habe, läuft gewiss nicht nur in meinem Homeoffice. Für jeden Song fallen bei Spotify 0,4 Cent für den Künstler ab, mager im Einzelfall, mit der Zeit läppert es sich. Grönemeyer würde entgegnen, dass er gar nicht egoistisch für die Maximierung seines eigenen Einkommens kämpfe, sondern sich als Anwalt für die Entrechteten verstehe, die keine Stimme haben, um in großen deutschen Magazinen und Wochenzeitungen Gehör zu finden. Die Kunst hat keine Lobby, so heißt es ja immer.

    Spotify-Künstler profitieren von der Krise

    Nun wollen wir gar nicht bestreiten, dass viele Künstler in diesen Tagen leiden. Sie leiden vor allem dann, wenn sie ihre Kunst nicht vor Publikum zu Gesicht und Gehör bringen können. Dabei geht es ihnen um viel mehr als nur darum, ein Einkommen zu erzielen. Man konnte es spüren in den Monaten Juli bis Oktober, welch ein befreiendes Aufatmen Musiker und Zuhörer erfasste, wenn sie sich unter Wahrung des AHA-Abstands wieder näherkommen durften.

    Das alles, wie gesagt, soll nicht bestritten werden. Mit Nachdruck widersprechen will ich aber dem pauschalen Gejammere, Kunst und Künstler seien allesamt Opfer der Pandemie. Falsch ist auch die ständig wiederholte Behauptung, Kultur habe hierzulande keine Lobby. Dreist und billig ist es überdies, mal wieder die Reichen zur Kasse zu bitten. Und gefährlich ist am Ende, die »Kulturschaffenden« als eine Zweck- und Beschäftigungsgesellschaft der Nation zu behandeln, eine Art Unterabteilung des öffentlichen Dienstes.

    Der Reihe nach. Mit 30 Prozent mehr Nutzern und 27 Prozent mehr Dauer-Abonnenten im laufenden Pandemiejahr bei knapp zwei Milliarden Umsatz prahlt der Musikkanal Spotify. Im Branchenreport »Music in the Air« rechnet die Investmentbank Goldman Sachs mit einem jährlichen Wachstum von zwölf Prozent für die Audio-Streamingangebote über die nächsten zehn Jahre. Ähnliche Jubelarien hört man von Netflix, das mit ständig neuen Serien einen Zeitvertreib für die Corona-Abende bietet (mein aktueller Tipp: »Das Damengambit«, und von jetzt an selbstredend die vierte Staffel der »Crown«). Es gibt eben nicht nur Verlierer unter den Künstlern, der Boom der Streamingdienste macht viele zu Gewinnern, ein Gewinn, von dem sie dauerhaft nach der Pandemie profitieren dürften.

    Künstker aks Kulturbeamte?

    Natürlich kompensieren die Spotify-Gewinne nicht die finanziellen Einbußen angesichts abgesagter Live-Konzerte, die seit geraumer Zeit schon als Substitut magerer Plattenerlöse herhalten müssen. Aber eben deshalb erhalten die Kulturleute seit dem Frühjahr öffentliches Geld als »Schadenersatz für untersagte wirtschaftliche Aktivitäten«. Dies dementiert das Gerücht, die Kultur habe keine Lobby. Ihre größte Lobbyistin sitzt in der Regierung und heißt Monika Grütters, die den Titel »Staatsministerin für Kultur und Medien« trägt. Schon im Frühjahr hat sie unter dem Motto »Neustart Kultur« eine Milliarde Euro Hilfsgeld ausgereicht. Die Szene mault, bei der Beantragung gehe es bürokratisch zu. Ein bisschen Bürokratie ist vielleicht nicht falsch, wenn es um Steuergeld geht. Im Jahr 2005 gab die öffentliche Hand für Kultur 373 Millionen Euro aus; für das Jahr 2021 kann Frau Grütters mit knapp zwei Milliarden rechnen. Wenn das kein Lobby-Erfolg ist!
    Damit kommen wir zu den Millionären, die Grönemeyer schröpfen will. Es ist ja nicht so, dass die ihr Geld bisher nur für ihre Villen im Tessin und die Yacht in der Ägäis ausgegeben hätten. Über die steuerliche Progression tragen sie den Löwenanteil des Steueraufkommens. Die reichsten zehn Prozent finanzieren dem Fiskus 57 Prozent seiner Einnahmen. Da die Hochkultur hierzulande stark öffentlich subventioniert wird, landet das Geld der Reichen überproportional bei den Opernhäusern und Theatern. Dort konsumieren die Reichen die Hochkultur, zahlen mit ihren Tickets jedoch nur ein Viertel der tatsächlichen Kosten, profitieren also von jenen Subventionen, die sie selbst zuvor finanzieren. Das Geld fließt, geschleust über die staatliche Fiskalmaschine, von ihrer rechten in ihre linke Tasche, eine Art von Umverteilung innerhalb der Oberschicht, wofür man den Staat eigentlich nicht braucht, wie die Ökonomin Christiane Hellmanzik findet, die viel über die Ökonomik des kreativen Sektors forscht.

    Dieser kreative Sektor neigt indes nicht erst in Zeiten der Pandemie dazu, statt weniger noch mehr Staat zu beanspruchen. Sie betrachtet den Staat als eine Art nachhaltige Künstlerversorgungskasse. Die soziale Marktwirtschaft mit ihren Risiken, aber auch ihren Anreizen und Chancen scheint als Lebensmodell für Künstler keine Attraktivität zu besitzen. Dass die Idee der künstlerischen Avantgarde im Grunde der unternehmerischen Existenz viel näher ist als dem öffentlichen Dienst, wird nicht wahrgenommen. Dabei haben Wissenschaft, Kunst und Unternehmertum viel gemeinsam: Kreative Zerstörung, Einfallsreichtum und Neugier zum Beispiel.

    Die Künstler sollen aufpassen, ob selbsternannte Anwälte vom Typus eines Herbert Grönemeyer ihnen auf Dauer wirklich nützen: Grönemeyer sieht die Kulturschaffenden als Beamte eines öffentlichen Unternehmens im Auftrag der Daseinsvorsorge der Nation. Wer penetrant auf seine Systemrelevanz pocht und daraus die Pflicht zur staatlichen Alimentierung ableitet, läuft zwangsläufig in die Falle einer öffentlichen Bespaßungsindustrie, in der weder Kreativität noch Kritik noch Freiheit einen Platz haben.

    Rainer Hank