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  • 30. August 2020
    Das Elend der FDP

    Christian Lindner, FDP-Chef: Wie lange noch? Foto: FDP

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum hat es der Liberalismus bloß so schwer?

    Ist es wirklich eine gute Idee, dass ausgerechnet jener Mann, der 2017 keine Lust zum Regieren hatte, im kommenden Jahr Spitzenkandidat dieser Partei sein wird? Da mag Christian Lindner noch so oft betonen, das nächste Mal sei alles anders. Es wird ihm nichts nützen. Der Wähler wurde damals mit der Formel überrumpelt, »besser nicht als schlecht zu regieren«. Dabei hatten meine liberalen Freunde im Vordertaunus Lindner doch gewählt, damit er gut regiert. Und jetzt sollen sie demselben Mann, der damals davonrannte, noch einmal ihre Stimme geben? Dann doch lieber zur Konkurrenz: Bei Markus Söder besteht keine Gefahr, dass er im letzten Moment den Bettel hinwirft.
    Demokratie, so kann man es in dem klugen neuen Buch des Politikwissenschaftlers David Stasavage »The Decline and Rise of Democracy« nachlesen, ist jenes institutionelle Arrangement, bei dem sich die Herrschenden die Zustimmung zum Regieren bei den Beherrschten abholen müssen. Demokratien setzen aus einer systemisch-sympathischen Schwäche heraus – anders als Autokratien – auf Konsultation und Konsens. Wenn Politiker ein Mandat bekommen, es dann aber nicht nutzen, dann läuft nicht nur strategisch, sondern auch demokratietheoretisch etwas schief: Der Bürger wurde verraten, seine Stimme war am Ende wertlos. Es könnte sein, dass es bei der FDP nicht damit getan ist, die kluge Linda Teuteberg zu feuern, um die Haut des Vorsitzenden zu retten.

    Neu ist die heutige Situation nicht. »Der Niedergang des Liberalismus« war ein Vortrag überschrieben, den der deutsche Liberale Friedrich Naumann (1860 bis 1919) im Jahr 1901 auf dem nationalsozialen Vertretertag in Frankfurt am Main zu halten hatte. Die Liberalen, diagnostizierte Naumann, hätten sich längst im Seelenzustand jener elegisch veranlagten Gemüter eingerichtet, die ans Verlieren gewöhnt seien. Hoffnung, sie könnten einmal als Gewinner dastehen, hatte Naumann wenig.

    An Grabreden gewöhnt

    Der Normalzustand der Liberalen ist offenbar der Niedergang. Bemerkenswert daran ist allenfalls, dass sie es die meiste Zeit vermochten, diesen Zustand ganz ohne vorherige Siege zu erreichen: Abstieg ohne Aufstieg. »Es ist für uns spaßhaft, die Grabreden zu lesen, die man uns wieder einmal hält«, sagt Friedrich Naumann: »Wir kennen das. An solchen Grabreden wächst unser Lebensgefühl.«

    Die Frage, warum es die Lindner-FDP schwer hat, ist mit Verweis auf die Jamaika-Verweigerung im Jahr 2017 relativ leicht zu beantworten: Das hatte einen kontinuierlichen Abfall der Zustimmungswerte von 10,7 auf derzeit rund fünf Prozent zur Folge, mithin jenem kritischen Punkt, an dem abermals der parlamentarische Rauswurf droht wie schon 2013. Schwerer ist es herauszufinden, warum es der Liberalismus hierzulande immer schon so schwer hatte. Denn er ist wirtschaftlich eine Erfolgsgeschichte: was, wenn nicht die Marktwirtschaft ist dafür verantwortlich, dass es uns heute so gut geht? Auch philosophisch ist der Liberalismus eine Erfolgsgeschichte: Was Größeres sollte es geben als die Freiheit, verstanden als Autonomie (Selbstbestimmung) jedes einzelnen Menschen? Das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl etwa? Oder das Paradies auf Erden, genannt Sozialismus? Wenn das die Alternativen wären (ein paar andere hier nicht aufgezählt), dann gilt es doch allemal, für die Freiheit zu sein!

    Noch einmal: Woran liegt es, dass der Liberalismus hierzulande auf keinen grünen Zweig kommt, unabhängig davon, wer gerade den FDP-Vorsitz innehat? Zwei Antworten sind im Umlauf: (1) Der Bürger ist schuld. (2) Die Agenten des Liberalismus vertreten ihre gute Sache nicht gut. Otto Graf Lambsdorff (1926 bis 2009), selbst lange Jahre FDP-Vorsitzender, den ich im Jahr vor seinem Tod gefragt habe, gab den Leuten die Schuld: »Die Deutschen wählen auch heute noch lieber Sicherheit und Gleichheit und nicht die Freiheit.« Er könne verstehen, so Lambsdorff damals, dass die Ostdeutschen mit ihrer DDR-Geschichte so handeln: »Dass aber auch die Westdeutschen so denken und fühlen, ist schrecklich. Überragende Wahlerfolge hatten die Deutschen immer nur nach Zeiten großer Unfreiheit.«

    Angewandt auf unsere Corona-Tage, müsste man Lambsdorffs Antwort so übersetzen: Wenn die Menschen sich um ihre Gesundheit sorgen, wollen sie klare Ansagen, was sie tun sollen und »keine Experimente«. Um die Freiheit kümmern wir uns wieder, wenn die Seuche vorbei ist. In Umfragen der vergangenen Wochen gab es große Zustimmung zu der Aussage, es brauche »strengere staatliche Regeln, um nicht selbst entscheiden zu müssen«. Von oben verordnete Regelbindung mit Sanktionsandrohung durch den Staat – das erklärt, warum Law-and-Order-Leute wie der CSU-Mann Markus Söder als Gewinner der Krise dastehen und warum die Enttäuschung über Söder bei der ersten Test-Panne gleich so groß war. Der starke Mann darf kein bisschen schwach werden. Komplizierte Erwägungen über Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der harten Freiheitsbeschränkung, ein inszenierter Wettbewerb der Krisenbewältigung im föderalen Wettbewerb – so etwas wollen die Bürger nicht haben, wenn sie um ihre Gesundheit fürchten. Dann wollen sie keine Übungen in Ambiguitätstoleranz, sondern fürsorgliche Verhaltensvorgaben, die, weil allgemeingültig und eindeutig, vertrauensbildend wirken.

    Gefühlsbetonter Antikapitalismus

    Hinzu kommt jene Haltung des »gefühlsbetonten Antikapitalismus«, die schon der FDP-Bundespräsident Theodor Heuss unter den Deutschen ausmachte. Noch nicht einmal auf die Wirtschaft selbst können die Liberalen heute zählen: Unternehmer – erst recht Manager – sind wankelmütige Burschen, die gerne ihr Fähnlein nach dem Wind drehen. Wenn dieser gerade öko-grün bläst, dann stellen sich die Unternehmen nicht dagegen. Denn sie würden sich ja um ihre Geschäfte bringen.

    Doch es wäre nicht redlich – erst recht nicht demokratisch -, den Menschen die Alleinschuld zu geben nach dem Motto: Die Bürger sind nicht reif für Liberalismus, Freiheit und Kapitalismus. Viel spricht dafür, dass die politischen Agenten des Liberalismus gerade in Krisen nicht besonders stark und mutig sind. Vergegenwärtigt man sich, dass Krisen derzeit im Fünfjahreszyklus durch die Welt ziehen – Eurokrise 2010, Flüchtlingskrise 2015, Corona-Krise 2020 – so hatte die FDP nie oder allenfalls zu spät klare liberale Alternativen zum Mainstream zu bieten, einerlei ob sie an der Regierung beteiligt (2010), außerparlamentarisch (2015) oder parlamentarisch (2020) in der Opposition war. Über ein zaghaft-affirmatives »ja, aber« kam die Partei selten hinaus. Dafür ist derzeit nicht nur, aber auch die AfD verantwortlich, die alternative Positionen radikal-populistisch besetzt, womit sie für die FDP verbrannt sind.

    Ob sich die Zustimmungswerte noch einmal verbessern bis zur Bundeswahl? Viel hängt davon ab, ob es der FDP gelingt, die schleichende Bedrohung des grassierenden Nach-Corona-Sozialismus (auch »Altmaier-Sozialismus« genannt) zu problematisieren. Oder haben wir uns bereits zu sehr an eine Wirtschaft gewöhnt, in der mit kollektiven Rettungsschirmen teilverstaatlichte Zombieunternehmen die neue Normalität sind und mit Staatslöhnen (genannt Kurzarbeitergeld) bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag gepäppelte Arbeitnehmer in den Hängematten ihrer Homeoffices gelangweilt auf die Rente warten?

    Rainer Hank