Tagebuch

Hanks Tagebuch

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  • 26. Mai 2019
    Linie und Grenze: Ein Versuch

    Dorothée Aschoff »meerend« Öl auf Leinwand 2019

    3 Bilder ›

    Von der Utopie der Grenzenlosigkeit

    Hillscheid ist ein kleiner unbedeutender Flecken, irgendwo zwischen Montabaur und Koblenz, tief im Westerwald. Bedeutung erhält der Ort, wenn man weiß, dass er direkt am Limes liegt, jener »an einer Linie aufgestellter Wehranlagen« der Römer, die das römische Reich von den Germanen schied. Mehr zufällig hat mich eine neue Ausstellung einer alten Freundin – Dorothée Aschoff – am Tag der Europa-Wahl nach Hillscheid geführt: ein willkommener Anlass über Grenzen (»Linien«) damals und heute nachzudenken, Grenzen im Raum, in der Politik, in der Kunst.

    Anders als man früher dachte, war der Limes nach Ansicht heutiger Historiker kein »Eiserner Vorhang«, kein »Bollwerk gegen die Barbaren«, sondern eine offene Grenzen, ähnlich einer Membran, welche das römische Rechtsgebiet vom germanischen Raum abgrenzte, aber durchlässig war für Waren, Dienstleistungen und Migranten. Solche Linien sind gemäß der etruskischen Seherin Vegoia wichtig, um die grenzenlose menschliche Gier in ihre Schranken zu weisen.

    Ein Europa, das die humane Funktion von Grenzen sieht, wäre mir ein lieberes Europa als ein Europa, das den illusionären Traum der Grenzenlosigkeit träumt. Grenzen, wenn es denn offene Grenzen sind, trennen Heimat und Fremde, Diesseits und Jenseits, Vertrautes und Neues. Grenzen regen die Phantasie an: man kann sie testen wie Kinder. Man kann sie überschreiten wie Künstler und kommt doch nicht über Wittgenstein hinaus, wonach die Grenzen einer Sprache auch die Grenzen (m)einer Welt sind.

    Am Deutschen Eck in Koblenz

    Von Hillscheid ist es nur ein Sprung hinunter zum Deutschen Eck in Koblenz, wo die Mosel in den Rhein mündet. Da steht ein ziemlich monumentales Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I von 1897 als Denkmal für die deutsche Reichsgründung 1871. Es war die Geburt des deutschen Nationalstaats. Die Stimmung vor diesem wuchtigen, nicht wirklich schönen Monument an diesem sonnigen Tag der Europa-Wahl war ausgesprochen heiter: Allerlei Menschen, eine Gruppe wunderschön tanzender Paare, an ihrer Hautfarbe erkennbar aus aller Welt stammend, zeigten sich frei und vergnügt an diesem merkwürdigen deutschen Eck. Dass Grenzen den Austausch zwischen den Völkern per se verhindern sollen, hat mir noch nie eingeleuchtet. Auch nicht an diesem 26. Mai 2019.

    Meine kleine Rede zur Eröffnung der Ausstellung Dorothée Aschoffs liegt diesem Tagebuch als pdf bei. Die schöne Ausstellung im Kunstraum am Limes ist noch bis Ende Juni zu sehen. Wenn man sich anmeldet, zeigt die freundliche Kuratorin Ester Kröber auch die phantastische Sammlung von Imi Knöbel, Sigmar Polke u.a., nebenan in einer alten Getränkehalle.

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    Rainer Hank