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Juni 2023
Wettkampf der Damen

Jutta Allmendinger, WZB-Präsidentin, hört im Sommer 2024 auf Foto wzb

Wer folgt auf Jutta Allmendinger am Wissenschaftszentrum Berlin?

»Umtriebig« wäre vorsichtig ausgedrückt. Die Soziologin Jutta Allmendinger (66) ist hyperaktiv. Wo immer sie hinkommt, findet sie eine Schere. Die öffnet sich immer weiter. Schließen wird sie sich nie. Diskriminierung lauert an jeder Ecke. Arm und Reich entfernen sich voneinander, Frauen bleiben auf ewig benachteiligt, eine Feministin wird immer gebraucht. Im Corona-Lockdown geißelte Allmendiger die »entsetzliche Retraditionalisierung« der Frauen. In der Rolle der Aktivistin ficht die Wissenschaftlerin für eine strenge Quote. Als Bildungs- und Frauenpolitikerin war sie 2009 im Schattenkabinett von Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier (SPD); später wurde sie als Nachfolgerin von Joachim Gauck (SPD) für das Amt der Bundespräsidentin gehandelt. Sie ist durchsetzungsstark, hartnäckig, unerschrocken – und in ihrer quirligen Art irgendwie auch sympathisch.

Was weniger bekannt ist: Jutta Allmendinger ist seit 2007 Präsidentin einer großen deutschen Wissenschaftsinstitution namens WZB. Dieses »Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung« wurde in Zeiten des Kalten Krieges und der deutschen Teilung gegründet und hat sich einen Namen gemacht als Forschungseinrichtung einer eher sozialdemokratisch orientierten Sozialwissenschaft. Der Etat, finanziert vorwiegend aus Mitteln des Bundes und zu geringerem Anteil vom Land Berlin und Drittmitteln, ist inzwischen auf 30 Millionen Euro im Jahr angewachsen. Im schön gelegenen Institut am Landwehrkanal gleich hinterm Potsdamer Platz arbeiten und forschen knapp 500 Mitarbeiter. Die Präsidentin verfügt über einen stattlichen Stab. So lange wie Allmendinger präsidierte noch niemand an der WZB-Spitze. So sichtbar auch nicht. Früher waren die Präsidenten Hausgewächse oder verdiente Emeriti wie der Historiker Jürgen Kocka.

Spätestens zum Sommer 2024 sucht das WZB eine Nachfolgerin für Jutta Allmendinger in einem Auswahlprozess, der inzwischen weit fortgeschritten ist und zeitweise ziemlich rumpelig verlief. Am Ende blieben zwei deutsche Spitzenforscherinnen im Kopf-an-Kopf-Rennen übrig, deren Profil auffallend ähnlich ist – und es am Ende auch wieder nicht ist. Nicole Deitelhoff (49), eine Politikwissenschaftlerin, und Nicola Fuchs-Schündeln (51), eine Ökonomin, tragen (fast) den gleichen Vornamen, forschen beide als Professorinnen an der Goethe-Universität Frankfurt, verbrachten wissenschaftlich prägende Jahre in den USA, kamen ungewöhnlich rasch auf der Karriereleiter nach oben und werden nicht das er te Mal von Academia heiß umworben. Gemein ist ihnen auch: Allmendinger, Fuchs-Schündeln und Deitelhoff verstehen sich, explizit oder implizit, als Feministinnen.

Nun sieht es ganz danach aus, als habe Fuchs-Schündeln das Rennen gemacht.

So sah es nicht immer aus. Das Kuratorium des WZB, international besetzt und formal für die Berufung zuständig, hat sich offenbar zunächst für Nicole Deitelhoff ausgesprochen. So hören wir es von mehreren kundigen Beobachtern; zitieren lassen mag sich niemand. Deitelhoff leitet derzeit in Frankfurt das Leibniz-Institut Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Eine Reihe akademischer Auszeichnungen hat sie bekommen: unter anderem 2008 den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis für exzellenten Nachwuchs, 2017 den Schader-Preis. Jüngst kam eine sogenannte Loewe-Spitzenprofessur dazu, die an der Goethe-Universität in Frankfurt angesiedelt ist und mit einer Forschungsförderung von 1,8 Millionen Euro verbunden ist. Seit dem Ukrainekrieg ist Deitelhoff als kundige Expertin in Sachen Friedens- und Konfliktforschung regelmäßig in deutschen Talkshows zu sehen. Eine herbe Niederlage war, dass das Exzellenzcluster »Normative Ordnungen«, dessen Direktorium sie angehörte, im Jahr 2017 von der DFG nicht mehr verlängert wurde. Im vergangenen Herbst war Deitelhoff mit der Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals der Documenta Fifteen in Kassel befasst.

Fuchs-Schündeln vor Deitelhoff

Deitelhoff hätte perfekt an die WZB-Spitze gepasst: Sie hat viel Erfahrung mit der Leitung größere Forschungsinstitutionen, hat Selbstbewusstsein, frechen Charme, Freude am öffentlichen Auftritt, einen scharfen Verstand und träte in die linksliberalen Fußstapfen der aktuellen Präsidentin. Vieles davon hat Fuchs-Schündeln auch, in Sachen wissenschaftlicher Profilierung spielt sie mutmaßlich in einer Klasse über Deitelhoff. Dafür fehlen ihr Leitungs- und Talkshowerfahrung, sollte dies ein Kriterium sein. International höchst angesehen, gehört Fuchs-Schündeln zu einer kleinen Gruppe herausragender Ökonomen in Deutschland. 2018 erhielt sie den renommierten Leibniz-Preis (nicht zu verwechseln mit dem Maier-Leibnitz-Preis für den wissenschaftlichen Nachwuchs). Seit 2021 ist sie Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Ihre akademische Ausbildung erfuhr sie an der Universität Köln und an der Yale Universität in den USA. Anschließend forschte und lehrte sie in Harvard. Die Universität Frankfurt war stolz darauf, sie 2009 aus Amerika zurück nach Deutschland gelockt zu haben. Schwerpunkte ihrer Forschung liegen auf der Analyse des Spar-, Konsum- und Arbeitsmarktverhaltens privater Haushalte. In diesem Zusammenhang erregte sie über den engeren akademischen Kreis hinaus Aufsehen mit der These, dass vom Ehegattensplitting im deutschen Steuerrecht negative Anreize zur Aufnahme einer Arbeit ausgehen – in der Regel zum Nachteil der Frauen. Bei diesem Thema hatte sie sich politisch mit Jutta Allmendinger verbündet. Lars Feld, ehemaliger Vorsitzender des Rats der Wirtschaftsweisen, nennt Fuchs-Schündeln ene Ausnahmeerscheinung: »Sie forscht auf höchstem Niveau zu relevanten Themen, genießt national wie international allergrößte Anerkennung dafür und räumt eine Auszeichnung nach der anderen ab«. Sie sei »eine exzellente und sympathische Ökonomin«, die das WZB zu neuen Erfolgen führen würde.

Wie kam es zu dem Schwenk von Deitelhoff zu Fuchs-Schündeln? Dafür sind nach übereinstimmender Lesart die Leiter der wissenschaftlichen Abteilungen des WZB verantwortlich, die dort Direktoren heißen und sich so selbstbewusst verhalten, wie sie heißen. Traditionell kommt ihnen eine Art Vetorecht zu. Dass sie ein Votum des Kuratoriums kippen, sei noch nie vorgekommen, heißt es. Besonders stark für Fuchs-Schündeln soll sich vor allem eine Direktorin eingesetzt haben, heißt es: Die international renommierte Ökonomin Dorothea Kübler, die am WZB die Abteilung »Verhalten auf Märkten« leitet und für das heute in der Ökonomie dominante Paradigma quantitativer empirischer Forschung steht, die ihre Erkenntnisse aus Laborversuchen zieht und nicht einfach aus mathematischen Modellen oder Feldforschung. Den mächtigen Direktoren galt Deitelhoff als eine methodische Traditionalistin. Fuchs-Schündeln dagegen verspricht Anschluss das internationale Paradigma des ökonomischen Mainstreams.

Wie immer bei Machtkämpfen wurde der Concours nicht nur mit geschliffen wissenschaftstheoretischen Argumenten ausgetragen, sondern mit gezielten Attacken bis unter die Gürtellinie, so ist zu hören. Jutta Allmendinger, die wissenschaftlich, politisch und vom Typ her Deitelhoff näherstünde als Fuchs-Schündeln, soll sich im Lauf des Verfahrens auf die Seiten der Ökonomin geschlagen haben. Warum? Küchenpsychologen sagen: Genau deshalb. Eine ihr ähnliche, womöglich sogar brillantere Nachfolgerin, könnte die Vorgängerin in den Schatten stellen. Wer will das schon gerne.

Warum die Direktoren erst in den Ring stiegen, als die (Vor)entscheidung für Deitelhoff gefallen war, ist nicht ganz klar. Die einen sagen, die seien zu spät eingebunden worden. Die anderen sagen, die hätten ihren Einsatz verschlafen. Dass am WZB die Regeln von Berufungsverfahren offenbar nicht ganz eindeutig sind und verknüpft werden mit Gewohnheitsrechten könnte ein nicht ganz unwichtiger Grund mit Beschädigungspotential für das Durcheinander im Prozess der Allmendinger-Nachfolge sein.
Nun also liegt der Ball bei Nicola Fuchs-Schündeln. Unterschrieben hat sie den Vertrag noch nicht.

Das vorliegende Stück ist, leicht gekürzt, am 4. Juni in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) erschienen.

Rainer Hank