August 2025
Gott und das Silicon Valley

Wie die Tech-Milliardäre die Menschheit erlösen wollen
Schon mal etwas von »Hallow« (Heilig) gehört? Das ist eine Meditations- und Gebetsapp, die man streamen und – wie Netflix oder Amazon Prime – für 10,99 Dollar im Monat abonnieren kann. Die App nennt sich weltweit die No.1 unter den Gebetsapps. Dem Nutzer wird empfohlen, jeden Tag auf Hallow zu beten, um den Frieden Gottes zu finden. Es gibt Andachten, Rosenkranzgebete, meditative Musik und Schlaf-Bibelerzählungen für Kinder. Das »Daily Gospel« (wahlweise fünf, zehn oder fünfzehn Minuten) ist gratis.
Nichts wäre falscher, als Hallow gemein zu setzen mit dem frommen Kitsch, den wir von religiösen Sekten kennen. Schätzungen aus dem Januar 2025 berichten von über 15 Millionen Downloads und 400 Millionen Gebeten weltweit. Die App wurde 2018 von Alex Jones und seinem »vom Heiligen Geist zusammengestellten Team« gegründet. Jones ist Ex-Atheist, der zum Christentum konvertierte. Großinvestor bei Hallow mit einer Beteiligung von 40 Millionen Dollar ist der Tech-Milliardär und Trump-Sponsor Peter Thiel, jener Mann, der unter anderem den Bezahldienst Paypal und die Datenanalysefirma Palantir gegründet hat und neben Vizepräsident JD Vance als ideologischer Kopf der Trump-Regierung gilt.
Thiel will, wie alle Investoren, mit seinem Investment Geld verdienen. Aber er hat auch eine Mission und eine Vision. Die Welt, so seine Angst, ist in tiefer Unordnung und Gefahr. Und sie muss erlöst werden. Religiöse Fantasien dieser Art sind für das Silicon Valley in der Tat neu. Thiel, ein Protestant, versteht sich als religiös. Sein Schüler JD Vance hat sich vom Freikirchler zum konservativen Katholiken bekehrt.
Einiges spricht dafür, dass Thiel und Vance keine Ausnahmen sind, sondern Vorboten einer größeren religiösen Wende. Die Mehrheit der Sozialwissenschaftler – längst nicht alle und längst nicht die Klügsten – ging lange Zeit davon aus, dass Religion etwas Irrationales sei, das langsam ab- und ausstirbt. Fortschritt und Säkularisierung, so hieß es, gingen Hand in Hand. Zurück bleibe häufig nicht einmal mal ein rudimentärer Gottesglaube, sondern die Aussage, man glaube »an nichts Spezifisches«. Seit Corona dreht sich der Wind, wie neue Umfragen des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew Review ergaben. Die Sinnlosigkeitserfahrung der Seuche nährte offenbar eine neue Suche nach Sinn, welche die Religion zu erfüllen verspricht: Nach Jahren des Niedergangs ist die Zahl der Christen seit 2019 stabil. Das wäre für sich schon interessant. Hinzu kommt, dass viele nicht zuletzt der Generation Z sich nicht nur ganz allgemein für Religion, sondern ganz speziell für das Christentum, und noch spezieller für den Katholizismus interessieren, bei dem sie besonders Sinn und moralische Werte aufgehoben sehen. Im konservativen, mehr als im linksliberalen Lager zeigt sich diese neue Frömmigkeit besonders. Es waren rechtsgerichtete Christen, die am vergangenen Wochenende in Budapest gegen die LGBTQ-Menschen der Pride-Parade antraten. Man kann das alles nicht ernst genug nehmen, weil sich zeigt, dass das konservative Christentum in Ländern mit populistischen Führern weder Ausnahme noch Privatsache ist.
Leben in der Apokalypse
Vor diesem Hintergrund lohnt es, Peter Thiels apokalyptische Erlösungstheologie zu beleuchten. Für Thiel leben wir heute in einer endzeitlichen Situation, wie sie in der Bibel geschildert wird. Dabei kann die Welt auf zweierlei Weise untergehen: Entweder durch »Armageddon«, einen letzten Kampf zwischen Gut und Böse, oder durch den »Antichristen«. Während Armageddon angesichts der Bedrohung durch einen von Russland oder Iran entfachten Atomkrieg viele realen Ängste spiegelt, ist der Antichrist eine vergessene theologische Figur. Für Thiel verbirgt sich dahinter die Gefahr einer mächtigen linken Weltregierung – sei es ein Weltkommunismus oder eine woke Gesinnungsdiktatur. Eine solche Krake wäre das Ende jeglicher Freiheit der Menschen. Konkrete Vorzeichen dieser gefährlichen Weltregierung sind für Thiel etwa die UNO oder die EU (ich fürchte, er überschätzt beide Institutionen).
In einem Podcast mit dem Ökonomen Tyler Cowen verweist Thiel auf die »Kurze Erzählung vom Antichristen« des russischen Philosophen Wladimir Solowjew aus dem Jahr 1899: Darin wird der Aufstieg des Antichrist anschaulich beschrieben, der die Menschen durch sein illusionäres Versprechen von Freiheit und Glück in bedingungslose Unterwerfung und den Untergang führen will.
Wo Gefahr droht, wächst bekanntlich auch Rettung. Die kommt für Thiel vom »Katechon«, einer weiteren biblischen Figur, die gemeinhin als »der Aufhalter« übersetzt wird. Auch dieser Katechon spielt bei Solowjew eine große Rolle, wenn drei alte Männer auftreten – ein russisch-orthodoxer Starez, ein katholischer Priester und ein protestantischer Professor -, die die betrügerischen Absichten des Antichristen durchschauen und für den wahren Christus eintreten. Nicht zuletzt über den Nazi-Staatsrechtler Carl Schmitt, der auf Solowjew Bezug nimmt, fand dieses Denken seinen Weg zu Peter Thiel. Thiel lobt Schmitt als jemanden, der die Grenzen der liberalen Demokratie gesehen habe und zugleich erkannt habe, dass die westliche Moderne, von Erschöpfung und Nihilismus bedroht, diese Gefahren übersehe. Der Katechon wird Garant des Kampfes gegen die Dekadenz und den Werteverfall der Spätmoderne. Dass diese Denkfigur auf verblüffende Weise der »Theologie« des russischen Patriarchen und Putin-Freund Kyrill ähnelt, nimmt Thiel zur Kenntnis, ohne dass es ihn irritieren würde.
Moralischer vs. politischer Universalismus
Wo sind wir hingeraten? Ziemlich tief in apokryphe Theologien, die aber nicht nur das Denken des amerikanischen Vizepräsidenten JD Vance prägen, sondern auch immer mehr Anhänger im Silicon Valley finden, was man nicht bemerkt, wenn man nur die pseudokirchliche Operettenkulisse der Trauung von Jeff Bezos und Lauren Sanchez in einem Venezianischen Kloster oder das monopolitische Gewinnstreben der Milliardäre wahrnimmt. Donald Trump interessieren solche theologischen Spitzfindigkeiten nicht. JD Vance und Peter Thiel dafür umso mehr. Sie wollen nicht nur Macht, sondern auch die Welt retten. Das macht sie so gefährlich.
Die christliche Religion ist eine ambivalente Angelegenheit. Es gibt einen moralischen und einen politischen Universalismus. Der moralische Universalismus gebietet, bei ethischen Entscheidungen das Wohl aller Menschen zu berücksichtigen. Der politische Universalismus stellt das Christentum in den Dienst imperialer Weltherrschaft und Welterlösung. Einiges deutet darauf hin, dass Trumps Ideologen aus dem Silicon Valley letzteres im Sinn haben. Dazu findet sich viel Kluges in dem neuen Buch des Soziologen Hans Joas »Universalismus. Weltherrschaft und Menschheitsethos« (Suhrkamp). Zu Peter Thiels Apokalyptik lohnt sich der hervorragende sechsteilige Podcast »Die Peter-Thiel-Story« (Deutschlandfunk).
Der Text ist am 28. Juli 2025 im Meinungsteil der Neuen Zürcher Zeitung erschienen.
Rainer Hank