August 2022
Die Villa auf der Mani
Zu Gast bei Patrick Leigh Fermor
Hinter Kardamili wird das Land wild und karg. Das Städtchen am nördlichen Rand der Halbinsel Mani auf der Peloponnes war in den siebziger Jahren von britischen Aussteigern entdeckt worden, Leute, die man damals Hippies nannte. Nicht wenige von ihnen sind hängen geblieben, sehen immer noch so aus wie damals, inzwischen weißbärtig. Seit einigen Jahren wohnen auch reiche Griechen in der Gegend, die sich in der Umgebung ein Ferienhaus leisten.
Aber eben, hinter Kardamili wird das Land karg und die Straße kurvig. Wer nicht aufpasst, verpasst die holprige Abzweigung in Richtung Meer, die das Schild zum »Patrick Leigh Fermor House« weist. Vom Schotterparkplatz am Ende des Sträßchens führt ein Pfad an das Tor eines klösterlich wirkenden Anwesens. Betritt man es, wähnt man sich in der Villa eines spätbyzantinischen Adligen: Schatten spendende Steinbögen mit Nischen, üppig bewachsene und gepflegte Gärten mit Zypressen, Olivenhainen, Oleander und duftenden Sträuchern. Den Horizont beschließen das offene Meer und der wolkenlos blaue Himmel. Jegliche cisalpine mediterrane Phantasie wird aufs Schönste bedient.
Bis in das 20. Jahrhundert blieb die Mani eine vom geschichtlichen Fortschritt vergessene Region ohne Staatlichkeit. Die Ortschaften entwickelten sich immer mehr zu gefährlichen »Hornissennestern«: Es herrschte permanenter Kampf und das Recht des Stärkeren. »Es war ein Leben im permanenten Ausnahmezustand«, sagt der Historiker Norbert Schindler. Davon zeugen bis heute die Mani-typischen Wohnwehranlagen, die seit dem 16. Jahrhundert die Halbinsel überziehen. Dass der Kampf auf der Insel seine natürliche Fortsetzung auf dem Meer fand, überrascht nicht, zumal Piraterie über lange Zeit allen Seerechtskonventionen zum Trotz nicht als Verbrechen, sondern als Fortsetzung der Seehandelskonkurrenz mit anderen, etwas härteren Bandagen galt.
Für härtere Bandagen sind die Manioten Experten. Die Manidörfer waren in der frühen Neuzeit für ihre Überbevölkerung bekannt – hier gab es seetüchtige junge Männer im Überfluss. Irgendwie profitierten am Ende alle: Die Manioten waren Piraten, Händler und unterhielten zugleich das »Backoffice« für die Piraterie am Leben, das den Freibeutern zum wechselseitigen Nutzen ihre Infrastruktur zur Verfügung stellte. Ein Netzwerk von Hehlern und Händlern hatte sich gebildet. Die Piraten der Mani verhökerten ihre Beute vornehmlich an jüdische Händler, hatten aber auch anderswo im Raum des östlichen Mittelmeers ihre festen Abnehmer.
Abenteurer, Träumer, Gentleman
»Hornissennest« ist das Stichwort, das dem Buch »Mani. Travels in the Southern Peloponnes« des britischen Schriftstellers Patrick (»Paddy«) Leigh Fermor (1915 bis 2011) entstammt. Es erschien erstmals 1958. Leigh Fermor – ein Abenteurer, Träumer, Gentleman – ist selbst eine Art Freibeuter. Während des Zweiten Weltkriegs stand er im Dienst der »Special Operations Executive« und war unter anderem im besetzten Kreta eingesetzt. Dort lebte Fermor im Untergrund, organisierte den Widerstand gegen die deutschen Besatzer und entführte schließlich zusammen mit seinem Offizierskameraden William Stanley Moss in einer abenteuerlichen Aktion den deutschen Generalmajor und Befehlshaber der Nazi-Besatzungstruppen auf Kreta, Heinrich Kreibe. Leigh Fermor wurde dafür mit zwei Orden ausgezeichnet und die heroische Aktion 1957 mit Dirk Bogarde in der Rolle Fermors verfilmt.
In den sechziger Jahren hatte sich Fermor auf der Mani zusammen mit seiner Frau niedergelassen. Kardamili hatte es ihm besonders angetan. Auch deshalb, weil von hier aus im März 1821 der patriotische Aufstand der Griechen gegen die Türken seinen Anfang nahm. Kardamilis »stiller Charme« konnte den weitgereisten Briten ins Schwärmen bringen: Es sei, so schreibt er, wie eines »jener elysischen Gefilde, von denen Homer sagt, dass es sich für einen Menschen nirgends besser lebt; wo es nie schneit, wo kein unmäßiger Wind bläst und kein Regen vom Himmel fällt, sondern beständiger Westwind säuselt und den Bewohnern Kühle vom Meer bringt«.
Den Bauplatz hatte seine aus einer begüterten Familie stammende Frau Joan aufgetan. Bis das Haus fertig war, dauerte es vier Jahre. Zusammen mit dem Architekten integrierte man Spolien, die sie bei Abbruchhäusern im nahen Kalamata erwarben, und zahlreiche Kunstwerke ihrer vielen Freunde. Das Haus dienste Paddy als Rückzugsort zum Schreiben. Zugleich war es offen für einen illustren Freundeskreis, unter denen der britische Schriftsteller Bruce Chatwin eine herausragende Rolle einnahm. Als Chatwin, der Paddy als Vorbild hochverehrte, 1989 an Aids starb, brachte die Witwe seine Asche auf die Mani, um den Toten in der Nähe der Villa am Rand einer kleinen Kirche zu bestatten.
1996 übertrugen die Fermors, die kinderlos waren, ihr Anwesen an das renommierte Benaki Museum in Athen mit dem ausdrücklichen Wunsch, »das Haus möge Intellektuellen und Gelehrten Platz bieten, die in einer inspirierenden Umgebung arbeiten und studieren wollen«. Nach Fermors Tod – er starb im Jahr 2011 im Alter von 96 Jahren – ließ das Museum mit Unterstützung der Niarchos Stiftung das Anwesen als Gästevilla stilvoll und originalgetreu herrichten. Seit 2020 ist es fertig; coronabedingt läuft der Betrieb erst jetzt richtig an.
Portwein und Sherry stehen schon bereit
Am Originalzustand des Fermor-Hauses wurde nichts verändert; der geräumige allen zur Verfügung stehende Wohnraum hat eine kleine Bar mit Portwein und Sherry, gerade so, als wolle der Hausherr später noch kurz vorbeischauen. In dessen Studio steht der originale Schreibtisch, seine beeindruckende Bibliothek ist als Ganzes erhalten und katalogisiert. Tritt man ins Freie, steht man auf einer Terrasse mit Kieselmosaiken, die die Himmelsrichtungen weisen und Tiere darstellen: die Katze war Joans Lieblingstier, Paddy liebte Schlangen besonders. Auf verschiedenen Ebenen des Geländes sind Sitzplätze eingerichtet, die Blickachsen freigeben wie in einem englischen Park. Eine steile Steintreppe führt hinunter zu einer Privatbucht, die im Sommer zum Schwimmen einlädt (nebenbei bemerkt: barrierefrei ist hier gar nichts).
Aller originalen Rekonstruktion zum Trotz hat die Villa überhaupt nichts Museales. Die Schlafzimmer sind klimatisiert, man schläft in feinstem Linnen; die Bäder wurden großzügig erweitert. Draußen ist ein Pool dazugekommen, die einzige Neuerung im Gelände (Paddy hätte das nicht geduldet, so ist zu hören).
Das Konzept des Benaki Museums ist klug: Im Winter bietet das Anwesen Platz für Stipendiaten, die hier in Ruhe forschen können. Im Frühjahr und Herbst sind kleinere Tagungen willkommen. In diesem Oktober gibt es ein viertägiges Festival in der Villa und Umgebung, zu dem unter anderem die Pulitzerpreisträgerin Anne Applebaum erwartet wird, die zuletzt über den neuen Autoritarismus in Europa geforscht und geschrieben hat.
Von Juli bis September, drei Monate im Sommer, steht die Villa mit fünf Suiten zahlenden Gästen offen. Das komplette Anwesen für maximal zehn Gäste ist ab 4000 Euro pro Nacht zu haben, gewiss nicht gerade günstig – aber in diesem Sommer schon seit Wochen nahezu komplett ausgebucht. Die beiden Appartements außerhalb des Haupthauses lasen sich auch separat buchen (ab 595 Euro). Im Sommer kann man direkt nach Kalamata fliegen; in den übrigen Jahreszeiten geht es über Athen.
Das Hotel bietet Frühstück, verfügt aber über kein Restaurant. Da hilft nur der Weg zurück nach Kardamili über die kurvenreiche Straße oder mit einer guten Taschenlampe versehen auf einem halbstündigen Fußweg durch die Olivenhaine. Die Tavernen in Kardamili sind eher auf die Bedürfnisse der alternden Hippies ausgerichtet als auf die Ansprüche der auf Paddys Spuren wandelnden intellektuellen Feinschmecker, die sich die Villa leisten können.
Informationen . Der Text ist am 14. August im Reiseteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen.
Rainer Hank