März 2025
Das Lebenswerk. Laudatio auf Rainer Hank

Meine Damen und Herren, lieber Rainer!
Wie Sie alle hier wissen, bekommt Rainer Hank den Preis für sein Lebenswerk hier heute völlig zu Recht. Gründe gibt es dafür viele. Die Rede heute Abend leidet deshalb sicher nicht an zu wenig, eher an zu viel Material. Allein als ich in völliger Unkenntnis, was er in seinen anderthalb Jahren als Wirtschaftschef des Tagesspiegel so gemacht hat, mal im Archiv nach seinen Artikeln nachforschte, war ich sofort überfordert. Es war völlig unmöglich, daraus die wichtigsten Stücke in kurzer Zeit herauszudestillieren. Denn es sind 225 Artikel. In anderthalb Jahren. Das sind mehr als 3 je Arbeitswoche, während er auch noch das Ressort geleitet hat.
Und das war nur ein kleiner Ausschnitt seines Journalistenlebens. Wo also anfangen?
Beginnen wir vielleicht mit einer Qualität, die nicht alle hier direkt parat haben dürften.
Rainer Hank ist seiner Zeit sehr oft voraus.
In seinen Artikeln. Aber nicht nur. Zum Beispiel wusste er schon früh – lange bevor an die Wahlkämpfer Donald Trump und Friedrich Merz zu denken war – um die Vorteile eines Besuchs bei McDonald’s: McDonald’s verbindet die Menschen, es lässt einen bodenständig erscheinen – und es ist auch noch günstig. In den Jahren, um die es hier geht, kostete der Cheeseburger 1 Euro. Da kann man schon mal die ganze FAS-Wirtschaftsredaktion, die er 17 Jahre lang leitete, auf ein kleines Mittagessen einladen. Jahre also, bevor sich Donald Trump und Friedrich Merz in McDonald’s-Filialen zeigten, war Hank schon dort. Und das jeden einzelnen Samstag. Jedes Mal kaufte er 18 bis 25 Cheeseburger, auch mal ein, zwei Portionen Pommes.
Der Samstag war damals – übrigens tarifvertragswidrig! – ein regulärer Arbeitstag bei der FAS. (Der Montag dafür frei.) Die Kantine hatte aber geschlossen. So aß man im fast fensterlosen Konferenzraum gemeinsam je zwei Cheeseburger, vom Chef persönlich gebracht. Um dann schnell weiterzuarbeiten.
Zum 60. Geburtstag schenkte die Redaktion ihm folgerichtig einen Besuch bei McDonald’s mitsamt Gespräch mit dem damaligen Deutschland-Chef. Dort durfte er auch in schicker Schürze selbst Burger brutzeln. Mit tollen Fotos, wie sie später erst wieder Donald Trump produziert hat. Wie gesagt, Rainer war seiner Zeit oft voraus.
Und er verwendet alles, wirklich alles dafür, neue Ideen zu generieren. So ging von ihm am 25. Januar 2013 folgende Mail an uns Kollegen:
»Als McDonald’s-Beauftragter muss ich darauf hinweisen, dass Fred Turner, der Mann der McDonalds zu Weltruhm gebracht hat, Anfang Januar gestorben ist. Die deutsche Presse hat das bislang komplett ignoriert. Wollen wir diese beeindruckende Biographie (bei seinem Antritt als Manager 1958 gab es 34, bei seinem Ausscheiden 1977 gab es 32.000 Burger-Restaurants) wirklich unseren Lesern vorenthalten?«
Natürlich haben wir das nicht getan. Ein Nachruf wurde gedruckt.
Womit wir gleich bei der zweiten großen Qualität von Rainer Hank sind:
Er ist ein Mann der Ideen.
Eines der besten Bücher, vielleicht sogar das beste Buch darüber, wie man eine fantastische Redaktion zusammenstellt, hat der Organisationspsychologe Adam Grant 2016 geschrieben. Es heißt »Originals. How Noncomformists move the world«. Darin geht es auf keiner Seite um Journalismus. Rainer Hank taucht auch nicht auf. Aber es geht darin auf 254 Seiten um Menschen wie Rainer Hank: Originelle Denker. Menschen mit Einfällen.
Unabhängig, immer bereit, sich und – im Fall von Rainer – vor allem auch alle anderen zu hinterfragen. Frech (eines von Rainer Hank Lieblingsworten, als Kompliment gedacht), ohne allzu viel Respekt vor den Mächtigen oder den scheinbar sicheren Wahrheiten. Die Sorge sich unbeliebt zu machen ist bei ihm – das ist eine ganz seltene Qualität – immer kleiner als die Angst vor Langeweile oder die Sehnsucht danach, neue Erkenntnisse aus sich selbst oder aus anderen herauszupressen. Im Buch geht es darum, wie man solche Menschen mit Ideen, findet und fördert, weil sie nämlich enorme Vorteile für Unternehmen bringen.
Heute kann man das im Journalismus direkt in Klicks und Conversions messen. Als ich bei der FAS war, immerhin 9 Jahre lang unter Rainer Hank, gab es hingegen den sogenannten Readerscan, Ältere erinnern sich. Damals schnitt der Wirtschaftsteil der Sonntagszeitung hervorragend ab bei den Leserinnen und Lesern. (Bis auf ein doppelseitiges Interview mit dem damaligen VW-Chef Martin Winterkorn. Weibliche Lesequote 0 Prozent!) Das lag natürlich auch an uns Redakteurinnen und Redakteuren, aber das lag auch an Rainer Hank. Wie er die Redaktion geleitet und mit Einfällen überschüttet hat. Manchmal bis sie darin fast untergegangen ist.
Ich musste erst die FAS verlassen, um festzustellen, dass das nicht normal ist. Später erlebte ich Chefs, die in der Konferenz auch mal einfach nur fragten: »So, was habt ihr, liebe Leute?« Wäre das bei Rainer Hank passiert, hätte man ihn mindestens für krank gehalten, wenn nicht Schlimmeres. Standard war, dass die Konferenz mit zwei bis vier neuen Einfällen von ihm begann, von denen die Redakteure einige wenige erfolgreich abwehren konnten. Für den Rest musste sofort das halbe Blatt umgeworfen werden – und die ein oder andere Nacht geopfert.
Alles heute nicht mehr möglich in Zeiten der Arbeitszeiterfassung. Eigentlich auch damals schon nicht mehr möglich. Aber die Wirtschaftsredaktion der FAS hatte ein paar Jahre, da herrschte dort eine gewisse Magie – und man machte es einfach. Das hatte mit den tollen Leuten zu tun, die dort arbeiteten. Es hatte aber auch noch mehr mit den Ideen zu tun, die dort geboren wurden. Nicht nur Rainers, viele waren auch von uns. Aber er hat sie am diszipliniertesten von uns allen hervorgebracht. Man hat diese Kreativität dem FAS Wirtschaftsteil stets angelesen.
Kreativität zeigte sich aber auch schon in Rainer Hanks Lebensweg.
Rainer Hank ist ein Aufsteiger.
Aber keiner, der einen geraden Weg nahm. Eher Schlängellinien.
Geboren in Stuttgart als Sohn eines Hausmeisters einer Dresdner Bank Niederlassung hat er sich nicht dazu entschlossen, Banker zu werden, obwohl er gern abends in den dicken Sesseln in der Direktorenetage hinter den riesigen Schreibtischen saß. Nein, er entschied sich dafür Literaturwissenschaften, Philosophie und Theologie zu studieren. Während seines Studiums war er ein echter Linker, wie er später – natürlich – in einem Buch aufgeschrieben hat. Es folgte nach der Promotion ein längerer Ausflug zum bischöflichen Studienförderungswerk Cusanuswerk in Bonn. Ihm verdankt er ein tiefes Misstrauen gegenüber den von ihm sogenannten »Gutmenschen«. Danach wollte er etwas anderes tun – Journalismus? Er landete nach einem Praktikum bei der Süddeutschen am Ende bei der FAZ, und zwar bizarrerweise in der Wirtschaftsredaktion, noch so eine unerwartete Wendung. Er blieb, lernte und konvertierte zum Wirtschaftsliberalen. Sein Fixpunkt und Vorbild war der damalige Wirtschaftspolitik-Chef Hans D. Barbier.
Nach zehn Jahren bei der FAZ machte Hank im Jahr 1999 aber kurzentschlossen wieder einen Schlenker. Diesmal: nach links, politisch gesehen. Er ging zum Tagesspiegel nach Berlin als Wirtschaftschef unter einem damals noch recht neuen Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Der sagt über diese Zeit, dass Rainer und er die einzigen beiden waren, die in der Redaktion Anzug trugen.
Das währte nur anderthalb Jahre, 2001 holte die FAZ ihn zurück – sie lockte mit einer neuen Aufgabe: der Leitung der Wirtschaftsredaktion der neuen Sonntagszeitung. Ein Angebot der ZEIT, damals in schlechter Verfassung, schlug er hingegen aus.
In Berlin blieb ein Saab Coupé zurück, sein Dienstwagen. Den sollte nach Meinung des Verlags gefälligst der Nachfolger übernehmen. So erzählt es zumindest einer, der dann doch nicht Hanks Nachfolger wurde. Auch bei der Autowahl war Hank damals originell.
Rainer Hank zurück in Frankfurt erfand den FAS-Wirtschaftsteil neu. Dabei musste sein Team sich die Anerkennung der FAZ-Kollegen hart erarbeiten, die mit der Kreativität dieser Sonntagszeitung zunächst nicht so viel anfangen konnten. Etwa, als es einen Sonntagsaufmacher über die Kosten des Dickseins gab. Unvergessen ist der Moment, als die Sonntagszeitung auf einmal die FAZ an Auflage überholte. Da war es geschafft.
Bei der FAS hatte Rainer Hank dann endlich so etwas wie seine Bestimmung gefunden – er blieb 17 Jahre Ressortleiter. Schreibt dort heute noch eine Kolumne.
Neben den Ideen prägte er die FAS noch durch eine weitere Eigenschaft. Eine, über deren besondere Ausprägung bei Rainer ich mir mit Giovanni heute beim Tee einig war. Es ist Mut. Dabei eine gewisse Spielfreude und die Lust an der Provokation:
Rainer Hank streitet gern.
Oder anders formuliert: Er freut sich über jede Gelegenheit für einen guten Streit
Er ist dabei mutig. Die langweilige Durchschnittsmeinung will ja keiner lesen.
Ein paar Überschriften aus seinen Texten:
Wo steckt die gute Hausfrau? Feministinnen haben sie einfach aus dem Bewusstsein getilgt
Die DDR lebt – und das ist gut so
Entmachtet die Kapitalisten
Keine Angst vor Populismus
Die Quote ist die Waffe der Schwächlinge
Ich kenne eigentlich keinen Journalisten, der sich freut, wenn ich ihm eine Nachricht schreibe, dass sein Kommentar ja sehr spannend war, die These aber doch irgendwie Unsinn. Außer Rainer Hank.
Dann wird er wach, dann argumentiert er, hört auch zu. Es geht immer nur um die Sache, zerstreiten kann man sich mit ihm nur schwer. Aber er würde seine Meinung wohl auch kaum ändern. Jedenfalls nicht sofort.
Rainer Hank ist beim Streiten durchaus ein Besserwisser, wobei er vermutlich darum bitten würde, dass man folgende Frage erlaube: Was, wenn man es halt einfach besser weiß?
Dabei vertritt er meist eine liberale Haltung, ab und an auch libertär, manchmal konservativ. Er findet die anderen Meinungen aber auch wichtig oder zumindest irgendwie interessant.
Rainer Hank ist ein großer und streitbarer Liberaler.
Und Liberalismus ist etwas das das Land und der Journalismus heute wahrscheinlich noch mehr brauchen als vor 20 Jahren. Er droht uns abhanden zu kommen.
Das alles würde schon reichen für einen Preis fürs Lebenswerk. Aber vielleicht noch ein Letztes: Rainer Hank ist nicht nur selbst ein außergewöhnlicher Journalist. Er hat auch viele tolle Journalisten hervorgebracht.
Man schaue sich nur an, was aus den Menschen geworden ist, die die Rainer Hank-Schule durchlaufen haben. Da gibt es eine stv. Chefredakteurin des Spiegel, einen Chefredakteur des Focus, einen Nachfolger von Hank als Ressortleiter der FAS Wirtschaft, auch der heutige FAZ-Herausgeber für Wirtschaft hat mal in Hanks FAS-Wirtschaftsredaktion gearbeitet. Der Chefredaktor von NZZ Deutschland war ganz kurz mal Teil von Hanks Redaktion. Der heutige Washington-Korrespondent der FAZ war lange dort sowie der China-Korrespondent der FAZ. Politisch waren die Absolventen der Hank-Schule durchaus vielfältig. Ich bin erst bei der ZEIT, dann bei der Süddeutschen gelandet. Eine Kollegin von damals arbeitet heute für den Economist. Eine für Bloomberg.
Irgendwas hast du, lieber Rainer, ganz offensichtlich richtig gemacht.
Ich gratuliere Dir ganz herzlich zu dieser verdienten Auszeichnung.
Herzlichen Glückwunsch!
Lisa Nienhaus leitet die Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung. Die Laudatio hat sie vorgetragen bei der Feier der Wirtschaftsjournalisten des Jahres 2024 am 17. März 2025 in Hamburg. Die Ehrungen vergibt das Branchenmagazin »wirtschaftsjournalist:in«. Mehr dazu hier.
Hier noch als Download ein aus Anlass der Ehrung erschienenes Hank-Porträt von Roland Karle (Wirtschaftsjournalist 6/2024).
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Lisa Nienhaus