Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen13. Januar 2025
WohnungsplanwirtschaftWas muss passieren, damit wieder mehr gebaut wird?
Was ist eigentlich aus den 400 000 neuen Wohnungen geworden, die Jahr für Jahr zu bauen die Ampel uns versprochen hat? Wohnen, so hörten wir immer wieder, sei die »neue soziale Frage«. Und 400 000 Wohnungen seien die »unterste Grenze des Bedarfs«, sagte der Kanzler.
Inzwischen ist klar: Das Ziel wurde weit verfehlt. In keinem der dreieinhalb Ampeljahren kam man ihm auch nur annährend nahe. Zuletzt wurden für das Jahr 2023 175 000 Baugenehmigungen gemeldet. Gründe für das Scheitern der großspurigen Ambitionen zu finden, ist der scheidenden Bauministerin nie schwergefallen: Mal war die Inflation schuld, mal der Fachkräftemangel, mal das fehlende Baumaterial. Getreu dem Grundsatz: Irgendwas ist immer.
Willkommen im real existierenden Sozialismus. Dessen Krux ist es, dass Fünf- oder Vierjahrespläne nie funktionieren. 40 Jahre lang war es die quälende Aufgabe der Wirtschaftspolitiker in der DDR zu erklären, warum man den Plan hätte erfüllen können, hätten dem keine widrigen Umstände entgegengestanden. »Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ‚nen zweiten Plan. Gehn tun sie beide nicht. Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug.« So steht es in Bertold Brechts »Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens« aus der Dreigroschenoper, uraufgeführt im Jahr 1928. Das war noch vor der Konversion Brechts zum Marxismus.
Gut, dass es ein paar schlaue Menschen gibt, die über Alternativen zur Wohungsbauplanwirtschaft nachdenken. Zu denen gehört Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. In dessen neuestem Jahresgutachten verritt sie eine von der Ratsmehrheit abweichende Meinung, die vermutlich nur deshalb kaum öffentlichen Beachtung gefunden hat, weil das Wohnungsthema angesichts der Trump- und Ampelbruchaufregung unter der Aufmerksamkeitsschwelle segelt. Und weil der Text von Veronika Grimm ziemlich weit hinten im Gutachten unter den Ziffern 412 bis 424 rangiert.
Alle Mitglieder des Sachverständigenrats darin einig, dass mehr Wohnungen gebraucht werden. Und dass dafür die geänderten Präferenzen der Menschen verantwortlich sind. Wenn Jung und Alt in die Städte (und Vorstädte) drängen, dann wird es gemäß der einfachsten Marktlogik dort teurer, sofern sich am Angebot nichts ändert. Und wenn sich der »Bedarf« an Wohnfläche pro Bundesbürger von durchschnittlich 39,5 Quadratmeter im Jahr 2000 auf inzwischen 47,5 Quadratmeter erhöht hat, dann hat das ebenfalls Auswirkungen auf die Preise. Hinzu kommt ein Phänomen, das den hübschen Namen »Remanenzeffekt« trägt. Der kommt dadurch zustande, dass ältere Menschen mehr Wohnraum nutzen als Jüngere, weil die Kinder das Haus längst verlassen haben, die Kinderzimmer aber immer noch da sind. Planwirtschaftler sind auch hier schnell mit Umzugsverordnungen in kleinere Wohnungen zur Stelle. Blöd nur, dass die Älteren das nicht wollen, weil sie finden, dass die Kinder auch noch als Vierzigjährige jederzeit das Anrecht haben sollen, in ihrem alten Kinderzimmer zu übernachten.
Schließlich aber sind Staat und Verwaltung selbst schuld an der Knappheitsmisere, die sie lindern wollen. Da ist zum einen eine lange Liste von Vorschriften, die das Bauen und dann eben das Mieten stark verteuern. Ich nenne lediglich Stichworte: Stellplätze für Autos und Fahrräder, Barrierefreiheit im ganzen Haus, Aufzugpflicht, Brandschutz, Energie- und Umweltauflagen, hohe Makler-, Anwalts- und Notargebühren. Schleppende Baugenehmigungen. Die sind auch dafür verantwortlich, dass nicht genutzte Büros in den Innenstädten (»Homeoffice«) nicht schneller in Wohnraum umgewidmet werden können. Kann man alles machen, hat auch alles irgendwo einen guten Grund. Nur darf man sich nicht beschweren, dass der Wohnungsneubau behindert und verteuert wird.
Veronika Grimm weist in ihrem Minderheitsvotum darauf hin, dass die Regierung viele Gesetze erlassen hat, die das Ziel einer Ausweitung des Wohnungsangebots konterkarieren. Die Politik ist also selbst daran schuld, dass nicht passiert, was sie eigentlich versprochen hat. Zu den Bauhindernissen zählen insbesondere die Mietpreisbremse und die Kappungsgrenze. Die Mietpreisbremse schreibt vor, dass die Nettokaltmiete bei Wiedervermietung in einem »angespannten Wohnmarkt« maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Diese ist im sogenannten Mietspiegel geregelt. Nach der Kappungsgrenze darf der Vermieter die Miete innerhalb von drei Jahren in »angespannten« Städten nur um 15 Prozent anpassen. Wissenschaftliche Studien hätten gezeigt, dass Mietpreisbremse und Kappungsgrenze die privaten Investitionsanreize in Wohnraum verringern, schreibt Frau Grimm. So etwas nennen Ökonomen eine Interventionsspirale. Die Politik will mit preisregulierenden Marktinterventionen Gutes tun und macht am Ende nur alles schlimmer. Und ungerechter. Denn die, die schon eine Wohnung haben, werden privilegiert. Wer eine neue Wohnung sucht, hat dagegen das Nachsehen. Das nennen Ökonomen Insider-Outsider-Ungerechtigkeit.
Deshalb sei es angezeigt, die Mietpreisbremse bereits bis zum Jahr 2027 auslaufen zu lassen und die Kappungsgrenze zu lockern, schreibt Veronika Grimm. Die Ampel hat das Gegenteil beschlossen und die Regulierung bis Ende 2028 verlängert (übrigens mit Zustimmung der »marktwirtschaftlichen« FDP). Und die Ratsmehrheit der »Weisen« hat lediglich davor gewarnt, die Preisregeln noch weiter investorenunfreundlich zu verschärfen. Veronika Grimm will mehr: »Besteht die Regelung in ihrer heutigen Form bis 2028 fort, so ist davon auszugehen, dass der politische Druck für eine Verlängerung über das Jahr 2028 hoch bleiben wird«, schreibt Grimm.
Daraus lassen sich zwei generelle Schlüsse ableiten. Es ist gut, dass es im Sachverständigenrat unterschiedliche Meinungen gibt und dass diese mit jeweils hoffentlich guten Argumenten transparent gemacht werden. Dem Rat Streit vorzuwerfen und Einmütigkeit zu fordern, ist diskursiv unterkomplex. Hinter den unterschiedlichen Meinungen stecken unterschiedliche ökonomische Grundüberzeugungen und wirtschaftspolitische Strategien. Die werden den kommenden Wahlkampf als Konzepte zur Überwindung der Wirtschaftskrise in Deutschland bestimmen. Die einen – SPD, Grüne, Linke – plädieren für Nachfragesteuerung, Preisinterventionen und Subventionen. Die anderen – Union und FDP – schlagen eine Angebotspolitik vor, die Regulierungen abbaut, Preisinterventionen und Subventionen meidet und stattdessen Investitionsanreize verstärkt. Man sollte der letztgenannten Alternative eine Chance geben. Und beten, dass Union und FDP nicht schon mitten im Wahlkampf der Schneid zur »Wende« wieder verlässt.
Rainer Hank