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  • 24. August 2023
    Will Hollywood demnächst ganz Italien kapern?

    Die Piazza del Unita inkl Harrys Bar als Filmset. Foto: wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Darf Amazon ganz Triest sperrren lassen?

    Schießereien, Verfolgungsjagden, Rennwagen und gesperrte Straßen. Der Concierge an der Rezeption unseres kleinen Hotels inmitten der Altstadt Triests hatte uns gewarnt: Die Stadt ist im Ausnahmezustand. Erst sei Netflix dagewesen, jetzt Amazon. An ein normales Leben sei in diesem Sommer nicht zu denken, so der Rezeptionist.

    Tatsächlich hatten jedenfalls wir so etwas noch nicht erlebt: Der Lungomare, die von Palästen gesäumte Prachtstraße, die Triest vom Golf und der nach Süden offenen Adria trennt, wird zum Schauplatz einer bewaffneten Verfolgungsjagd. Porto Vecchio, der alte Hafen, dient als Basislager für die Amazon-Leute. Allüberall in der Stadt stehen beeindruckend beschädigte Karossen herum, gut bewacht von den ernsten Mienen gut gekleideter Polizisten.

    Und dann der Höhepunkt: Die Piazza de l’Unità d›Italia, einer der schönsten Plätze des Landes, wenn nicht gar der Welt, wird fast einen ganzen Tag lang zu mehr als der Hälfte für die Öffentlichkeit gesperrt, weil als Set benötigt. Der Hollywoodregisseur, Ilya Naishuller, ein gebürtiger Russe, hat den vom Wiener Stararchitekt Heinrich von Ferstel 1883 erbauten Palazzo Lloyd Triestino zum Nato-Hauptquartier des Films erkoren. Vor dem historistischen Palast, der im bürgerlichen Leben heute Sitz der Regionalregierung von Friaul-Julisch Venetien ist, weht das amerikanische Sternenbanner, flankiert von den Flaggen anderer Nato-Staaten. Ein Video eines Passanten zeigt die mit Einschusslöchern übersäte Limousine des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Damit die Dreharbeiten ungestört vonstattengehen können, ist nicht nur die benachbarte Harry’s Bar, sondern auch das gegenüberliegende Café degli Specchi geschlossen, in dem üblicherweise die Gäste Schlange stehen, um einen Terrassenplatz samt Aperol Spritz zu ergattern.

    Heads of State

    Das Internet befriedigt unsere Neugier. »Heads of State« (»Staatschefs«) ist ein Monumentalprojekt der kalifornischen Amazon Studios. Die Produktion dieser Action Comedy wird seit drei Jahren vorbereitet, die Dreharbeiten waren zunächst von Corona, dann vom Streik der Schauspieler in Hollywood verzögert, jetzt sind sie in vollem Gang. Der Film, angekündigt als eine nostalgische Zusammenführung von »Airforce One« mit »Midnight Run« (Actionfilmen der Neunziger) kommt frühestens im zweiten Halbjahr 2024 in die Kinos. Für Starbesetzung ist gesorgt, nicht zuletzt durch Bollywood-Schauspielerin Priyanka Chopra, die schon einmal den Schönheitstitel »Miss World« tragen durfte. Aber auch die Muskeln der Kerle, die da mitspielen, können sich lassen. Einen Trailer gibt es noch nicht, beim Plot hüllt die Produktionsfirma sich derweil in Schweigen. Die internationalen Filmmagazine begnügen sich derweil mit Details des Castings für Insider.

    Bei all meiner Liebe zum Kapitalismus, war ich ein wenig schockiert. Da kauft sich ein milliardenschweres Hollywood-Filmunternehmen einfach eine Stadt, weil deren Kulisse für eine Actionkomödie besonders pittoresk scheint. Dürfen die das? Dürfen die sogar ein Gebäude mit hoheitlicher Funktion wie den Sitz einer Regionalverwaltung, vor der sonst nur die Flagge Friaul-Julisch Venetien und die der Stadt Triest wehen, zum Nato-Quartier umwidmen? Irgendetwas sträubt sich bei mir.

    Und überhaupt: Ich dachte immer, die Digitalisierung sei inzwischen so weit fortgeschritten, dass man sich Filmkulissen nicht mehr mit Brettern zusammenbauen oder an Originalschauplätze reisen muss, sondern alles am Computer simulieren kann, also auch eine Triestkulisse, wenn es denn unbedingt sein muss.

    Echtes Meer statt Computer-Kulisse

    Mein Kollege Claudius Seidl, ein Liebhaber des Films und wahrlich kein Turbokapitalist, verteidigt Amazon und kehrt den Spieß um: Woraus speist sich das Recht eines deutschen Touristen, jederzeit und ungestört die Piazza Unità d’Italia betreten zu dürfen? Ist das quasi im Zimmerpreis inbegriffen? Nun, tatsächlich mussten wir wie alle Besucher eine City Tax bezahlen. Ob darin wirklich das Recht impliziert ist, die Piazza in ihrer historistischen Einzigartigkeit originalgetreu und ohne Hollywoodstörung zu genießen – wer will das schon wissen? Seidl legt nach: Aus Publikumsperspektive könne man nur Danke sagen, findet er. Die echte Stadt, das echte Meer, das echte Licht – das ergebe einfach viel bessere, stimmigere Filmszenen, als wenn das alles erst am Computer zusammengebaut würde.

    Okay, so streiten also die Perspektiven künftiger Amazon-Prime Kunden mit denen der heutigen Triest-Besucher und der Bewohner der Stadt. Letztere kann man in diesen Augusttagen vernachlässigen; denn sie sind wie alle Italiener bis zum Wochenende nach Ferragosto (15. August) am Strand und sonnen sich in den Liegestühlen der Stabilimenti Balneari. Spinnt man Claudius Seidls Lob des echten Schauplatzes weiter, hat auch der Triest-Besucher etwas von der Filmkulisse: Zusätzlich zum habsburgisch-slowenisch-italienischen Narrativ gibt es jetzt noch einen amerikanischen Thriller an den schönsten Orten der Stadt zu erleben. Eine Art augmented reality, wenn man so will. Andere Leute geben Geld aus, um die Rosamunde-Pilcher-Schauplätze im englischen Devon zu erleben. In Triest gibt es die Kunststücke der Stuntmen umsonst.

    Übertroffen würde das ganze Spektakel nur noch durch einen Faustkampf zwischen Elon Musk und Mark Zuckerberg auf einer Seebühne im Golf von Triest neben der seit einem Jahr konfiszierten Luxusyacht eines russischen Oligarchen (geschätzt 530 Millionen Euro wert). Aber die beiden wollen lieber nach Verona oder Pompei, sollte der Fight überhaupt zustande kommen.

    Alles eine Frage des Preises, würde man als nüchterner Kämmerer einer auf Zusatzeinnahmen schielenden und womöglich verschuldeten Kommune sagen. Dafür müsste Triest freilich besser verhandeln als Rom: In der italienischen Hauptstadt sind filmbedingte Stadtteilsperrungen seit Anita Ekbergs Bad in der Fontana di Trevi wortwörtlich an der Tagesordnung. Für die Nutzung des römischen Bodens zuzüglich Extrakosten für die Sperrung touristisch beliebter Locations (Colosseum, Fontana die Trevi und so) kamen 2021 bei über 1800 Drehlizenzen eine gute Million Euro zusammen. »Eine Plage für die Bewohner, ein schlechtes Geschäft für die Stadt«, titelte damals eine Zeitung. Und in der Tat: Selbst, wenn sich die Vermietung Triests an Hollywood für die Stadt lohnt, die direkt betroffenen Anwohner haben davon nichts – außer dem Lärm, dem Scheinwerferlicht, ihrem Ärger und womöglich einem Schuss Voyeurismus. Und er einzige städtische Kiosk Triests, in dem es außer am Bahnhof noch deutsche und internationale Zeitungen zu kaufen gibt, kann sein Geschäft in der Hochsaison vergessen, weil er direkt am Set liegt. Mein zwiespältiges Gefühl löst sich nicht auf.

    Rainer Hank