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  • 14. August 2024
    Wie umgehen mit Populisten?

    Populistin UND Demokratin: Giorgia Meloni Foto wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Im Zwispalt zwischen elektroaler und liberaler Demokratie

    Ampel-Regierung und Unionsopposition haben sich darauf geeinigt, das Bundesverfassungsgericht vor einem Angriff von Autokraten und Populisten zu schützen. Das wurde in der Öffentlichkeit ziemlich unisono als Stärkung der Demokratie kommentiert und als Vorsorge für den Fall, dass sich die politischen Mehrheitsverhältnisse in Deutschland ändern sollten – im Klartext: dass die AfD bei den kommenden Wahlen weiter an Stimmen zulegen könnte.

    Zweierlei fällt auf: Das Verfassungsgericht galt bislang als Bollwerk gegen die Versuchung von Politikern, mit ihren Mehrheiten zu machen, was ihnen in den Kram passt. Auch Demokraten sind nicht frei. Man denke an das Urteil zur Schuldenbremse, das die Verfassung durchgesetzt hat gegen Minister und Ökonomen, die das Urteil als juristische Knebelung der Demokratie ansehen. Und genauso ist es auch gemeint. Wenn das Verfassungsgericht solche Macht hat – warum muss es dann gestärkt werden? Womöglich ist der vorwegnehmende Akt in Wirklichkeit ein Ausdruck von Schwäche?

    Gravierender noch ist zweitens die Paradoxie, wonach es eine Stärkung der Demokratie sein soll, wenn eine Institution vor geänderten Mehrheitsverhältnissen – mithin vor der Demokratie – geschützt wird. Demokraten haben Angst vor demokratischen Wahlergebnissen, die dazu führen könnten, dass sie entmachtet werden. Ist Entmachtungschance nicht das Wesen der Demokratie?

    In Wirklichkeit geht es nicht um eine Stärkung der Demokratie, sondern um ihre Disziplinierung. Populisten sollen weniger Schaden anrichten können. Für die Befürchtung, dass sie das könnten, gibt es Gründe. Unredlich und unlogisch ist es, sich auf die Demokratie zu berufen. Denn vor der haben Ampel und Unionsopposition doch gerade Angst.

    Der Liberalismus hat viele Feinde

    Wenn es nicht um die Stärkung der Demokratie geht, sondern ihre Disziplinierung – man kann auch sagen ihre Schwächung –, worum geht es dann? Es geht um die Stärkung der Freiheit, also um Liberalität. Freiheit und Demokratie sind keine Synonyme, auch wenn das angesichts der ideologischen Überhöhung der Demokratie (als das Gute, Wahre, Schöne und Hochwertige) vielfach behauptet wird. Der Liberalismus hat viele Feinde, die Demokratie zählt dazu: Wenn das Volk mit Mehrheit entscheidet, kann die Freiheit (nicht nur die der unterlegenen Minderheit) auf der Strecke bleiben. Man muss sich also schon entscheiden, was man als obersten Wert ansieht: Freiheit und Liberalismus oder Mehrheitsprinzip und Demokratie. Ich wüsste, wofür ich mich entschiede, und will das heute aus der Ideengeschichte des Liberalismus heraus begründen.

    Liberalismus setzt sich ein für eine Gesellschaft, in welcher niemand Angst haben muss. »Abwesenheit von Angst«, sagt die amerikanische Philosophin Judith Shklar (1928 bis 1992), ist die fundamentalste Freiheit, die es gibt. Wer Angst hat, ist nicht frei. Despoten pflegen ihre Untertanen zu ängstigen. Wenn sie sich dabei auf Gott berufen, umso schlimmer. Denn Religion kann Menschen in große Angst versetzen. Insofern hat sich der philosophische Liberalismus seit der Aufklärung gegen Machtanmaßungen des Staates zur Wehr gesetzt, einerlei, wie theokratisch oder säkular er sich legitimiert. Später ging es dann darum, die Freiheit gegen die Verlockungen von Revolution und Reaktion zu sichern, also gegen links wie rechts. Folgenschwer wurde ein innerliberales Schisma, zu dem es Ende des 19. Jahrhunderts gekommen ist: Während die »fortschrittlichen« Liberalen die Armut der Arbeiter als größte Bedrohung der Freiheit ansahen und vom Staat für sie sozialen Ausgleich forderten, war für die »klassisch« Liberalen diese Staatsgläubigkeit bereits der erste Schritt in Richtung Sozialismus. Seither stehen sich Linksliberale (»Liberal«) und klassisch Liberale (»Libertarian«) gegenüber.

    Der Liberalismus gründete von Anfang an auf drei Säulen: auf politischer Freiheit, wirtschaftlicher Freiheit und auf eine Ethik der Freiheit. So kann man es in der Geschichte des Liberalismus nachlesen, die der britische Ideenhistoriker Alan S. Kahan gerade vorgelegt hat (»Freedom from Fear. An Incomplete History of Liberalism.« Princeton University Press). Politische Freiheitsrechte der Bürger müssen ergänzt werden durch wirtschaftliche Freiheit, die Eigentumsrechte und Verträge zwischen Marktteilnehmern sichert. Umstritten war stets, ob politische und wirtschaftliche Freiheiten durch ein ethisches Wertesystem ergänzt werden sollten, oder ob dies bereits ein ideologischer Übergriff wäre.

    Den Staat vom Einfluss der Massen befreien

    Dass die Demokratie die Freiheit bedroht, war den Liberalen (etwas bei Tocqueville oder J.S. Mill) stets bewusst. Besonders prominent kam die Gefahr den deutschen Ordo- oder Neoliberalen der »Freiburger Schule« in den Blick. »Der Staat muss die Stärke haben, sich selbst vom Einfluss der Massen zu befreien«, heißt es bei Walter Eucken. Der elitäre, antidemokratische Ton ist nicht zu überhören. Kein Wunder, dass Populisten aller Zeiten den Liberalismus (und nicht die Demokratie) als ihren Hauptfeind identifizierten. Mit der Demokratie haben sie weniger Probleme (Viktor Orbans »illiberale Demokratie«), mit dem Sozialismus auch nicht, blickt man auf die sozialpolitischen Programme von AfD oder BSW (»Bündnis Sahra Wagenknecht«).

    Im Kampf gegen den Populismus geht darum, wie und woher der Liberalismus wieder neue Überzeugungskraft gewinnen kann. Naheliegend, aber nicht ungefährlich ist der rechtsstaatliche Weg, immer mehr Institutionen vor Mehrheitsentscheidungen abzuschotten. Der Vorwurf der Populisten, damit wollten die Herrschenden vor allem ihre Macht sichern, ist nicht von der Hand zu weisen. Im Namen der Freiheit demokratische Freiheiten einzuschränken, ist heikel. Ohnehin wird das die Populisten nicht daran hindern, liberale Institutionen (Gerichte, unabhängige Notenbank, freie Presse) zu schwächen, wenn sie an der Macht sind. Nicht minder problematisch ist der Vorschlag, der Liberalismus müsse seine ethischen oder gar religiösen Grundlagen stärken, um die Populisten mit einem freiheitlichen Sinnangebot zu schlagen. Auch die Populisten bedienen sich der Religion als Legitimationsinstanz: Putin hat seine Popen, Maduro und Trump haben ihre evangelikalen Charismatiker. Ideologische Charismatik ist nicht die Stärke des liberalen Bekenntnisses. Zum Glück.

    Populismus ist eine demokratische Reaktion gegen den liberalen Legalismus. Der Liberalismus kann nicht mehr tun als für Freiheit zu werben gegen alle totalitären Ansprüche von Staaten, Partien und Religionen. Zur rechten Balance braucht es rechtsstaatliche Institutionen, die die Bürger vor paternalistischer, sozialistischer oder völkischer Hybris von Demokraten schützen.

    Rainer Hank