Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen09. Juli 2019
Wie leben die Superreichen?Gary Shteyngart: Lake Success. Ein Tipp für die Urlaubslektüre
Kevin Kühnert, der deutsche Juso-Vorsitzende, der Chancen hat, SPD-Vorsitzender zu werden, denkt bekanntlich darüber nach, die Superreichen zu enteignen und den Autobauer BMW zu kollektivieren, damit es keinen »kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebs gibt«. Das hat jetzt sogar die kapitalistischen Großeigentümer dieses Betriebs, die Quandt-Erben Susanne Klatten und Stefan Quandt, auf den Plan gerufen, die ansonsten das Licht der Öffentlichkeit scheuen: Die Leute denken, »dass wir ständig auf einer Yacht im Mittelmeer herumsitzen«, sagte Susanne Klatten im »Manager-Magazin:2 Das aber sei falsch.
Was machen die Superreichen aber dann den lieben langen Tag? Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Denn nicht nur bei den Quandts ist höchste Diskretion eine hervorstechende Eigenschaft der Milliardäre: man bleibt unter sich, um nicht dem Neid derer ausgesetzt zu werden, die es trotz größter Anstrengungen im Leben nicht zum Milliardär gebracht haben.
Vielleicht wissen die Dichter mehr? Da sind wir häufig schon enttäuscht worden, weil auch die Schriftsteller über keinen exklusiven Zugang zu den »gated communities« der Milliardäre verfügen und in ihrer Not dann eben nur phantasieren, was ihr Ressentiment so alles hergibt. Doch jetzt haben wir einen Roman gefunden, der der Wirklichkeit nahezukommen scheint und dazu noch super-lustig ist. Der Autor heißt Gary Shteyngart. Sein im Frühjahr bei Penguin erschienener Reichen-Roman heißt »Willkommen in Lake Success« und handelt von den traurig-komischen Abenteuern eines dreiundvierzigjährigen Hedgefonds-Managers namens Barry Cohen, dessen Fonds »The other side of capital« Anlagen im Wert von 2,4 Milliarden Dollar verwaltet. Das bringt dem Mann in guten Zeiten immerhin ein Jahreseinkommen von über hundert Millionen Dollar. Sein einziger kreativer Gedanke: Milliardärssammelkarten für arme Kinder herauszubringen, auf deren Rückseite alle Daten über die Superreichen stehen (der Rang auf der Forbes-Liste zum Beispiel), damit arme Jugendliche motiviert würden, sich in der Schule mehr anzustrengen. Womöglich könnte die SPD ihm diese Idee abkaufen?
Leben bei den Investmentbankern
Dieser Roman von Gary Shteyngart (ein in St.Petersburg geborener Jude, der siebenjährig mit seinen Eltern nach New York emigrierte) sei deshalb all jenen empfohlen, die noch nach einer Ferienlektüre suchen und gerne etwas über die Welt der Superreichen (in Amerika) erführen.
Woher hat Shteyngart sein Wissen? Nun, der Mann hat immerhin drei Jahre lang bei den Reichen Manhattans recherchiert und Gespräche mit ihnen geführt. Er wolle herauskriegen, was Menschen dazu bringt, nach der großen Krise des Jahres 2008 in die Finanzindustrie zu gehen und wie es sich da so lebt, hat Shteyngart der britischen Internetzeitung »The Independent« erzählt. Wir Leser können das nicht überprüfen, aber das Personal des Romans schaut glaubwürdig aus.Hier kurz der Plot: Barry Cohen, der Held, ist Aufsteiger. Sein Vater war ein jüdischer Arbeiter aus der Bronx, der den Reichen ihre Swimmingpools reinigte. Der Sohn kennt deren Leben also von Kindesbeinen an, gehört aber nicht dazu. Seine Aufstiegsgeschichte führt ihn über ein Studium an der Eliteuniversität Princeton zur Investmentbank Goldman Sachs, bis er seinen eigenen milliardenschweren Fonds gründet und wie sein Autor (und viele erfolgreiche Männer) eine Vorliebe für teure Uhren entwickelt. Seema, seine deutlich jüngere Ehefrau mit indischen Wurzeln und einem erfolgreichen Jurastudium, stiehlt auf den Partys allen anderen Frauen die Show.
Doch das ist nur die Vorgeschichte. Der Roman setzt ein mit einer Katastrophe: Nach einer teuren Fehlinvestition, die seine Anleger in die Flucht geschlagen hat, Vorwürfen der amerikanischen Börsenaufsicht wegen Insiderhandels und einem Streit mit einem befreundeten Paar verlässt Cohen von jetzt auf nachher seine Frau und sein autistisches Kind, um mit einem Greyhound-Bus durch halb Amerika zu fahren auf der Suche nach seiner Studentenliebe Layla an der mexikanischen Grenze und dem Grab seines Vaters in Kalifornien.
Die Somewheres und die Anywheres
Das alles klingt an den Haaren herbeigezogen, ist es aber nicht. Ich will mich bemühen, mein Lektürevergnügen zu erläutern. Anders als in vielen Romanen aus der Finanzwelt ist Barry Cohen kein Kotzbrocken. Aber auch alles andere als ein edler Kapitalist. Einige der Fondsmanager, die er kennengelernt habe, seien wahnsinnig unsympathisch, andere aber auch bloß tief traurig, weil sie spürten, dass es auf Dauer hohl bleiben müsse als ausschließliches Lebensziel die Vermehrung des Bankkontos zu verfolgen, sagt Gary Shteyngart. Mit seinem Kollegen Jeff Park (den er später feuert, weil er ein Minuszeichen in einer Excel-Tabelle vergessen hat) ist Romanheld Barry Cohen sich einig: »Wenn nach unserem Tod auf dem Grabstein steht, dass wir einen steinreichen Fonds gemanagt haben, dann sind wir gescheitert.«
Die Welt in Lake Success ist nicht schwarz-weiß. Das zeigt schon die erwähnte Katastrophenszene, die alles zum Laufen bringt. Das Ehepaar Cohen aus dem 20. Stock des New Yorker Flatiron Buildings (die noch vornehmeren obersten Stockwerke gehören dem Verleger Rupert Murdoch) ist eingeladen bei einem Schriftsteller-Paar aus Guatemala, welches im zweiten Stock wohnt. Auch wenn die unteren Etagen zu einer Art Holzklasse gehören, schätzt Cohen das Appartement des Schriftstellers auf immerhin 4,1 Millionen Dollar und fragt sich, wie erfolgreich man als Autor sein muss, um sich das leisten zu können. Dann kommt raus, dass sich dessen Hauptwerk »Der mitfühlende Metzger« (ein wunderbarer Gruß an Adam Smith) miserabel verkauft (Amazon-Rang 1123340). Doch die New Yorker Intelligenz nährt sich selbst. Die Universitäten laden den Luxusschriftsteller für satte Honorare zu Vorträgen und Lesungen ein. Bildungselite trifft Geldelite, man trinkt teuren Whiskey der Marke Karuizawa (10000 Dollar die Flasche) und freut sich des Lebens. Die »Anywheres« der globalen Oberschicht, das sind eben nicht nur die »rechten« Finanzkapitalisten, sondern auch die »linken« Multikulturalisten. In gegenseitiger Abneigung getrennt, sind sie sich im überheblichen Habitus näher als man denkt.
Geld und Sex
»Lake Success« funktioniert aus zwei Gründen: Als Leser können wir gar nicht anders, als uns mit Cohen, dem Helden, wenigstens teilweise identifizieren, weil weite Strecken des Romans aus seiner Warte erzählt werden. Und: Die geniale Idee, den Helden aus seiner vertrauten Umgebung in New York zu isolieren und ihn ausgerechnet in einem Greyhound-Bus, dem Roadtrip-Mythos Amerikas, hinaus in das weite Land zu schicken, gibt seinen Charakter umso prägnanter zu erkennen und hat zugleich den Nebeneffekt, die Spaltung des Landes zwischen Ostküsten-Eliten und vergessenen Mittelschichten erzählen zu können. Dieser Roman ist endlich das erzählerische Pendant zum großen ökonomischen Diskurs über die wachsende Ungleichheit, bisweilen sogar analytisch differenzierter und, wie gesagt, obendrein auch noch lustig.
Überzeugt? Ich kann nur beteuern, dass der Roman um Strecken besser ist als meine karge Zusammenfassung hier. Und übrigens: Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Sex.
Rainer Hank