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  • 28. Mai 2022
    Wenn Männer schwanger werden

    Können auch Männer schwanger werden? Foto: StockSnap/pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wie aus guten Einfällen große Ideen werden

    Wenn man 1000 Männer auf eine Schwangerschaft testet mit einem Test, der 99 Prozent Spezifizität hat (vergleichbar einem Corona-Antigentest), dann werden zehn Testergebnisse am Ende positiv sein. Wenn man eine Million Männer testet, sind es schon 10 000. Glaubt man den Testergebnissen, müssten wir eine unerwartete Schwangerschaftsepidemie unter Männern diagnostizieren – womöglich ein erster Schritt auf dem Weg zur wahren Gleichberechtigung unter den Geschlechtern.
    In Wirklichkeit – so viel Statistik haben wir seit Corona gelernt – handelt es sich hier um ein Phänomen, das wir »falsch positiv« nennen und das dadurch entsteht, dass es keinen Test vollkommener Güte (»Spezifizität«) gibt. Kurzum: wir werden uns an einen gewissen Prozentsatz schwangerer Männer gewöhnen müssen.

    Wie können wir uns dagegen wappnen, »falsch positiven« Effekten auf den Leim zu gehen? Auch das hat uns Corona gelehrt: durch Wiederholung (»Replikation«) des Tests. Am besten mit Tests anderer Hersteller. Unterbleiben solche von unabhängigen Instanzen replizierte Kontrollen, kann es ziemlich schnell teuer und schlimmstenfalls auch kriminell werden.

    Als Beispiel können wir Elisabeth Holmes nehmen. Holmes, geboren 1984, war Geschäftsführerin des Laborunternehmens »Theranos«. Nach der Unternehmensgründung brach sie 2003 ihr Studium an der Stanford Universität ab und hielt später einen Anteil von 50 Prozent an dem Unternehmen. Das Time-Magazin zählte Holmes 2015 zu den hundert einflussreichsten Personen der Welt. Klug und charismatisch, wie sie war, galt sie als eine Art weiblicher Steve Jobs. Im selben Jahr kam heraus, dass ihr Kernprodukt – ein Blutschnelltest, der angeblich 240 Krankheiten nachweisen konnte – weitgehend unwirksam ist. Holmes wusste dies, verschwieg es aber. Ihr Vermögen wurde 2015 auf 4,5 Milliarden Dollar geschätzt – und im Jahr darauf mit Null bewertet. Die amerikanische Börsenaufsicht sprach von Betrug in großem Stil; Theranos wurde dicht gemacht. Am 3. Januar 2022 wurde Holmes in vier von elf Anklagepunkten schuldig gesprochen. Das Strafmaß soll am 12. September verkündet werden; theoretisch sind vier Mal 20 Jahre möglich.

    Das Beispiel Theranos

    Was hat Elisabeth Holmes mit der Falsch-Positiv-Falle zu tun? Mehr als man auf den ersten Blick denkt. Tatsächlich scheint bei dem Blutschnelltest eine unabhängige wiederholende Kontrolle seiner Wirksamkeit unterblieben zu sein. Blindes Vertrauen in die charismatische Großaktionärin verbunden mit Geldgier hatten alle Skepsis außer Kraft gesetzt. Die Tests wurden in großen Stückzahlen auf den Markt gebracht. Elisabeth Holmes, die von Kursgewinnen und Aktien-Optionen profitierte, hatte keine Anreize den Betrug einzugestehen, die Investoren im Bündnis mit ihr ebenso wenig.

    Für John List, einen an der Universität Chicago lehrender Ökonomen, ist der Theranos-Krimi ein prominentes Beispiel dafür, wie gute Geschäftsideen scheitern können. Elisabeth Holmes wurde nicht als Kriminelle geboren. Sie verstrickte sich aber in lügnerischen Betrug, als sie zu spät erkennen musste, dann aber verbergen wollte, dass ihre Tests nicht taugen.

    Es gibt tausend Gründe, warum gute Ideen scheitern können und ihnen der Erfolg verwehrt ist, sagt der Ökonom John A. List. Es hat sich dafür der Begriff »Anna-Karenina-Prinzip« eingebürgert nach dem berühmten Anfang von Tolstois Roman: »Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.« Das erklärt zugleich, warum wir uns für die unglücklichen Geschichten – der Anna Karenina oder der Elisabeth Holmes – mehr interessieren als für die glücklichen, aber einander gleichenden Geschichten. Aus den Einzelfällen wird am Ende Literatur; Elisabeth Holmes hat es inzwischen zu einer Miniserie auf einem Streamingdienst gebracht.
    Wann wird eine gute Idee erfolgreich? Lists Kriterium heißt »Skalierbarkeit«. Das hört sich kompliziert an, ist es aber nicht: »Skalieren« bedeutet, eine Erfindung hat auf eine große Gruppe von Menschen Einfluss – bringt ihnen Nutzen für ihr Leben und Profit für das Unternehmen, von dem sie stammt. Bei Theranos war der Nutzen frei erfunden. Erfolgreiche Skaleneffekte haben sowohl McDonalds oder Biontech wie auch die Bewegung »Friday for Future«. Der Klassiker ist Johannes Gutenbergs Erfindung des modernen Buchdrucks: Ein mit der Hand arbeitender Mönch benötigte für das Abschreiben einer Bibel ein ganzes Jahr; mit Gutenbergs Presse ließen sich in einem Jahr annähernd hundert Bibeln drucken. Ohne Gutenberg hätte Luthers Wiederentdeckung der biblischen Botschaft (»sola scriptura«) kaum Durchsetzungschancen gehabt.

    John Lill übrigens ist nicht nur Professor für Ökonomie an der Universität Chicago, sondern auch Chefökonom der Taxi-Plattform Lyft. Zuvor hatte er den gleichen Posten beim Konkurrenten Uber inne. In seinem neuen Buch »The Voltage Effekt« (»Der Spannungs-Effekt«) bringt er eine Fülle von Beispielen, warum eine Idee noch so phantastisch sein kann und sich trotzdem nicht durchsetzt – eben weil beim Versuch der Skalierung die Spannung abfällt vergleichbar der von Widerständen behinderten Elektrizität in einer Stromleitung. Lists Ideen gewinnen ihre Überzeugungskraft aus der Verbindung von Statistik, Big-Data-Analysen und Erkenntnissen der neuen Verhaltensökonomie. Es versteht sich, dass für den Lyft-Chefökonom Uber, Lyft & Co. Beispiele erfolgreicher Skalierbarkeit sind, die das Taxigewerbe weltweit revolutioniert haben.

    Warum der Arch-Burger floppt

    Am besten studiert man immer als erstes die Logik des Misslingens, um rechtzeitig zu erkennen, ob eine Idee das Potential der Skalierbarkeit in sich trägt. Mitte der neunziger Jahre ließ McDonalds von sorgfältig ausgewählten Testpersonen einen neuen Burger mit Namen »Arch Deluxe« entwickeln. Er enthielt raffinierte Zutaten und sollte etwas teurer werden als das normale Sortiment. Die Fokus-Gruppen im Test fanden Arch Deluxe großartig. Doch in den McDonalds-Filialen floppte der raffinierte Klops.

    Was war schiefgelaufen? Jene Versuchspersonen, die sich zu den Tests bereit erklärt haben – so stellte es sich im Nachhinein heraus – mochten McDonalds immer schon sehr – allzu sehr. Sie kannten das ganze Sortiment und wollten mal was Neues probieren. Dass der durchschnittliche Kunde seinen Hamburger oder Cheeseburger wie gewohnt haben will und keinen Sinn für neumodische Experimente hat, kam dem Unternehmen nicht in den Sinn. Merke: Die schönsten Innovationen taugen nichts, wenn sie den Kunden kalt lassen.

    Müssen alle guten Ideen skalierbar sein, um erfolgreich zu sein? Nein. Es gibt auch Ideen, die erfolgreich sind, weil sie nicht skalierbar sind. Wahre Stars sind einzigartig. Cecilia Bartoli, die Diva, kann man nicht skalieren. Bei einem Sterne-Koch ist es ähnlich. Da mag man nicht in einer Filiale sitzen, die seinen großen Namen trägt, aber vom Hilfskoch betrieben wird.

    Rainer Hank