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  • 02. August 2021
    Was darf ein Knöllchen kosten?

    Das kann teuer werden. Foto: ernhir auf pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    In den Städten wird (falsch)parken jetzt richtig teuer

    Letzten Sonntag waren wir in der Pfalz zum Wandern. Von Deidesheim in die Weinberge, ein kleines Paradies. Das fanden außer uns noch mehr Menschen, weshalb die Parkplätze am Waldrand schon am späten Vormittag hoffnungslos überfüllt waren und nicht wenige Wanderer ihren Wagen am Rande des für Autos an sich verbotenen Waldwegs abstellten.

    Das hätten sie besser unterlassen. Am frühen Nachmittag kam uns ein Team der örtlichen Verkehrs-Sheriffs entgegen, die sich über ihre fette Beute erkennbar freuten. 30 Euro je Falschparker, zehn Autos auf einen Streich allein an unserer. Später trafen wir die Ordnungshüter noch einmal, mit noch besserer Laune. Deidesheim darf sich freuen. Okay, auch Kommunen hatten, fiskalisch gesehen, dürre Monate in Zeiten des Lockdown.

    30 Euro fürs Falschparken sind bald Vergangenheit, wenn der neue nationale Bußgeldkatalog in Kraft tritt. Er ist längst beschlossen und soll von September an gelten, noch vor der Bundestagswahl. Die Tarife sind gesalzen. Die Falschparker in der Pfalz müssen künftig 55 Euro an die Kommunalkasse entrichten. Noch teurer wird es in den Städten: Wer dort sein Auto auf einem Radweg abstellt, kann mit einem Bußgeld von bis zu 110 Euro belangt werden. Auch das beliebte Parken in der zweiten Reihe sollte man sich zweimal überlegen: Ebenfalls 110 Euro werden fällig.

    Es überrascht nicht, dass nun auch die Autofahrer nicht besonders gut auf Andreas »Andy« Scheuer, den Verkehrsminister von der CSU, zu sprechen sind, dessen Haus die neuen Regeln erlassen hat: Jeder zweite von Automedienportal.net Befragte findet, dass die Preiserhöhung für Falschparker »unfair« sei. Oft sei das Falschparken nur die »letzte Lösung« in Ermangelung geeigneter freier Plätze, sagen sie. Das Argument ist verständlich, dennoch ethisch und ökonomisch dürftig. Eine »letzte Lösung« gibt es nicht; in Wirklichkeit wollen die Autofahrer die Kosten langer Suchzeiten abkürzen. Niemand ist gezwungen, mit dem Auto in die Stadt zu fahren. Das Argument der traurigen Automobilisten wäre allenfalls dann zu akzeptieren, wären Fahrrad, U-Bahn oder Uber noch nicht erfunden.

    Der gerechte Preis fürs Falschparken

    Gibt es einen gerechten Preis für ein Knöllchen? 55 und 110 Euro sind willkürlich. Warum nicht 70 und 140 Euro? Dagegen sind die heute anfallenden 15 Euro für zwei Stunden im Halte- oder Parkverbot eindeutig zu billig, wenngleich auch ich mich jedes Mal über den Strafzettel ärgere. Warum zu billig? In Frankfurt muss ich in einem Innenstadtparkhaus für zwei Stunden im Schnitt fünf Euro bezahlen. Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Ordnungshüter mich im Parkverbot entdeckt? Erwischt er mich jedes dritte Mal, kommt mich das Falschparken nicht teurer als das Parkhaus. Kommt er seltener vorbei, mache ich ein Geschäft, muss allenfalls das schlechte Gewissen meiner katholischen Erziehung auf die Strafe aufaddieren.

    Das erinnert an ein berühmtes verhaltensökonomisches Experiment in einem israelischen Kindergarten. Dort ärgerten sich die Erzieherinnen darüber, dass die Eltern ihre Sprösslinge andauernd zu spät abholten. Sie führten eine Strafe ein von drei Dollar pro Kind, dessen Eltern sich beim Abholen verspäteten. Das Ergebnis: Noch mehr Eltern kamen später. Sie interpretierten die Strafe als eine Art legalen Preis, der fällig wird, um ihre Kinder länger im Hort zu »parken«.

    Daraus folgt: Strafe muss weh tun, um eine abschreckende Wirkung zu entfalten. Exorbitant hoch darf sie aber auch nicht sein. Darauf macht mich der Düsseldorfer Wettbewerbsökonom Justus Haucap aufmerksam. Das Ziel der Kommunen ist es ja nicht nur, Falschparker zu verhindern, sondern – siehe Deidesheim – an Geld zu kommen. Bei null Falschparkern hätten sie null Einnahmen. Mit Blick auf das notorisch klamme Budget einer Kommune müsste der Preis für das Knöllchen so hoch sein, dass die Autofahrer lieber ins Parkhaus fahren. Gehören die Parkhäuser dann ganz oder teilweise den Kommunen, könnte man beide Preise weiter anheben, um die Einnahmesituation der Gemeinde zu optimieren. Haucap spricht vom »optimalen Monopolpreis«.

    Doch, wie gesagt, die Preise fürs Falschparken macht Herr Scheuer in Berlin, unsere »Bundes-Nanny«, wie Grünen-Bürgermeister Boris Palmer aus Tübingen scherzt. Offenbar steckt dahinter die Vorstellung, es sei gerecht, wenn die Strafe für das Parken auf dem Radweg in Posemuckel, Deidesheim oder Frankfurt für jeden gleich ist. Juristen mögen so denken. Ökonomen denken in Opportunitäten und Knappheiten. Eine Parklücke in einer Großstadt ist – entsprechend den Bodenpreisen – deutlich mehr wert als auf dem Dorf. Entsprechend höher ist der Nutzen, den der Falschparker sich erschleicht. Ökonom Haucap regt an, die Strafe auch vom Einkommen abhängig zu machen. Sonst könnten sich am Ende nur noch Porsche-Fahrer leisten, stundenlang Einfahrten zu blockieren. Freilich erhöht sich dadurch der Verwaltungsaufwand erheblich, wenn nicht einfach der Strafzettel unter dem Scheibenwischer klemmt, sondern erst noch das Einkommen des Fahrzeughalters überprüft werden muss. Vom Wert des Autos auf den Reichtum des Halters zu schließen, kann trügen. Ich kenne einige Nachbarn hier im Viertel, die sich locker einen Porsche leisten könnten, aber Opel Corsa oder ähnliches fahren.

    Im Wettbewerb um oder gegen das Auto

    Der Trend bei der Bepreisung des öffentlichen Raums geht jedenfalls eindeutig in Richtung dezentral. Das fängt an beim Anwohnerparken. Jahrzehnte lang kostete das von Flensburg bis Lindau maximal 30 Euro im Jahr und war immer schon zu billig; allein Unterhalt und Reinigung des Platzes – was ja die Kommune übernimmt – sind teurer. Inzwischen ist die Deckelung gekippt; die Kommunen sind frei in der Preisgestaltung. Ökonomen schlagen vor, sich etwa an den Bodenrichterwerten, den vergleichbaren Mieten für Sammelgaragen/Parkhäuser oder dem Jahresticket für den öffentlichen Personennahverkehr zu orientieren. Als Richtwert liebäugeln viele Kommunen – dann doch wieder eher uniform – mit 1 Euro am Tag, mithin 360 Euro im Jahr. Das lässt einen erst mal nach Luft schnappen, wäre es doch zehn Mal so viel wie heute. Dabei ist auch der Weg zu einer City-Maut (vornehm: Anti-Stau-Gebühr) nicht mehr weit. Das Ifo-Institut schlägt 6 bis 10 Euro am Tag vor und verspricht für München eine Reduktion der täglichen Staus um bis zu einem Drittel.

    Es wird so kommen: Nachverdichtung der Städte und politisch gewollte Verknappung der Parkplätze durch Radwege reduzieren das Angebot. Die Liebe der Deutschen zum SUV samt Fiat500 als Zweitwagen erhöht die Nachfrage. Nach Adam Smith macht dies das mobile Leben in den Städten teurer. Immerhin: Wenn die Kommunen die Preise fürs Fahren und (Falsch)parken in der Hand haben, können die Bürgermeister entscheiden, ob sie mit dem Klima-Argument die Autofahrer ganz vertreiben wollen. Und die Bürger haben ein zusätzliches Kriterium für die Wahl ihres Lebensmittelpunktes.

    Rainer Hank